Teil 39

185 10 2
                                    

Thomas Sicht:

Als ich gerade auf dem Weg in die Küche bin, vernehme ich die Stimme meines Sohne hinter der verschlossenen Eingangstür. Wie ferngesteuert bewege ich mich auf eben diese zu und öffne sie. Schneller als ich dachte, stürzt mein Sohn sich auf mich und schlingt seinen kleinen Arme um meine Beine. Es ist offensichtlich, dass er mich vermisst hat. Es scheint als wären meine Sorgen, dass Motti mich nicht sehen möchte, nicht mit mir spielen will, völlig unbegründet. Es tut gut, dass er so offensiv auf mich zugeht, mir mein abwesendes Verhalten nicht mehr nachzutragen scheint. Ich spüre die bedingungslose Liebe, die mein Sohn mir entgegenbringt und welche ich zweifelsohne auch für ihn empfinde. All diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, während dieser stürmischen Umarmung. Sie hindern mich daran zu regieren. Erst als ich spüre, wie die kleinen Arme den Klammergriff lösen, wird mir bewusst, dass ich gefühlskalt reagiert oder besser gesagt gar nicht reagiert habe. Sofort ärgere ich mich über mein Verhalten, Wut über mich selbst steigt in mir hoch. Doch es überwiegt die Sorge, meinen Sohn mit meinem Verhalten erneut zu verletzen und verschrecken. Ich kann und will ihn nicht noch ein weiteres Mal von mir stoßen. Schnell ziehe ich meine Mundwinkel zu einem Lächeln nach oben und beuge mich zu meinem Sohn herunter. „Hallo Schatz." sage ich und ziehe ihn zaghaft in eine Umarmung, bedacht darauf ihm die Möglichkeit zu geben sich dieser zu entziehen, wenn er diese nicht zulassen möchte. Doch zu meiner Erleichterung ist genau das Gegenteil der Fall und mein Kleiner drückt seinen Kopf an meine Brust. „Schön, dass Hannes mit dir hier her gekommen ist. Ich habe dich vermisst." spreche ich die Worte aus, die mir auf der Zunge liegen. Schüchtern schaut mein Sohn mich an. „Wirklich? Hast du mich noch lieb? Warum hast du dich eben nicht bewegt?" werde ich direkt mit Fragen überschüttet, die mir im Herzen wehtun. „Ja wirklich. Es tut mir wahnsinnig leid Großer, dass ich mich dir gegenüber zuletzt so gemein verhalten habe. Ich bereue das sehr und weiß, dass das falsch war. Aber ich habe dich die letzten Tage wirklich vermisst. Du bist doch mein großer Schatz. Ich habe dich ganz doll lieb! Versprochen! Und ich habe mich eben nicht bewegt, weil ich so überrascht von deiner stürmischen Begrüßung war. Ich hatte Sorgen, dass du noch wütend auf den Papa bist." „Aber Papa. Der Onkel Hannes hat gesagt, dass du so gemein warst, weil du krank warst. Aber es geht dir jetzt besser. Und jetzt bist du wieder lieb. Ich bin dir nicht mehr böse." erklärt mein Sohn und macht eine ernste Miene. „Na dann bin ich aber erleichtert." antworte ich ihm und gebe ihm einen Kuss auf den Kopf. Ich merke, dass es mir gut tut meinen Sohn in den Armen zu halten, mit ihm zu sprechen und mir sicher sein zu können, dass er mir verziehen hat. Es ist fast so als hätte es die Sachen zwischen uns nicht gegeben. Faszinierend wie schnell Kinder vergessen und verzeihen können. Warum können Erwachsene es sich nicht auch so einfach machen? Weil sie die Komplexität des Problems besser erfassen können? Für Motti bin ich einfach noch nicht wieder ganz gesund. Aber was das wirklich bedeutet, wie es mir wirklich geht, das begreift er nicht. Das ist definitiv gut so. Und dennoch stellt sich mir die Frage, ob es uns nicht allen besser gehen würde, wenn wir die Welt durch Kinderaugen sähen. Hätte ich dann die Probleme, die mich gerade runter ziehen vielleicht gar nicht? Wahrscheinlich. Ich wünsche mir, dass das Wiedersehen von Steff und mir auch so gut verläuft. Dass sie mir verzeiht, mir nicht mehr böse ist, fast so als wäre nichts passiert. Doch ich bin nicht naiv. Ich weiß, dass es nicht so schön sein wird. Mit Sicherheit wird sie mir verzeihen und wir werden uns einander wieder annähern, doch nie im Leben wird sie mir direkt freudig in die Arme fallen. Vermissen hin oder her, dafür habe ich leider zu viel Schaden angerichtet. Diese Erkenntnis stimmt mich traurig. Aber bevor ich weiter in diesem negativen Gedankenstrudel verschwinden kann, reißt mein Sohn mich glücklicherweise aus diesem heraus. „Spielst du mit mir Autos Papa? Das haben wir schon soooo lange nicht mehr gemacht und das bringt mit dir immer am meisten Spaß." „Na klar Schatz. Lass uns ins Wohnzimmer gehen und dann könne wir direkt spielen." fordere ich ihn auf. Flink zieht er seine Schuhe und Jacke aus und gemeinsam gehen wir ins Wohnzimmer. Erst in dem Moment als wir dieses betreten und ich Hannes und Nowi auf der Couch sitzen sehe, wird mir bewusst, dass Hannes unbemerkt von mir den Flur verlassen hat. Er hat mir und Motti den Moment des Wiedersehens gelassen. Ich werfe ihm einen dankbaren Blick zu, den er erwidert. Ich spüre, dass er genau weiß, was mein Blick bedeutet hat. Es tut mir gut diese Vertrautheit zu fühlen. Immer noch mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht setze ich mich zu meinem Sohn auf den Boden, der schon fleißig die Autos aus seinem Rucksack holt.


Abschied ohne LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt