Teil 19

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Nowis Sicht:

Zu Fuß mache ich mich von Thomas Wohnung auf den Weg nachhause. Ich bin erleichtert, dass der Abend eine positive Wendung genommen hat. Am Anfang schien das für mich unvorstellbar. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es bereits kurz nach 22 Uhr ist. Hannes wird mit Sicherheit noch wach sein. Ich überlege ihn direkt anzurufen, um ihm vom Abend bei Thomas zu berichten. Doch ich entscheide mich ihm erstmal nur zu schreiben, um zu fragen, ob er noch telefonieren kann und möchte. Schließlich hat er ein kleines Kind bei zuhause, das ja bekanntlich den Tagesablauf schnell verändert. Außerdem überlege ich wie ich Steff den Abend kurz zusammenfassen kann. Sie soll sich nicht mehr Sorgen als nötig machen, aber trotzdem die Wahrheit erfahren. Ich tippe auf den Chat mit ihr und sehe, dass sie online ist. Noch bevor ich anfangen kann ihr eine Nachricht zu schreiben, zeigt mein Handy einen eingehenden Anruf von ihr an, den ich direkt entgegennehme. „Wie war es bei Thomas? Ist alles Ok? Kommt er allein zurecht?" überhäuft Steff mich mit Fragen, ohne mich zu begrüßen oder mir die Chance zu geben dazwischen zu grätschen. Doch so kenne ich sie allzu gut und dank meiner ruhigen zurückhaltenden Art fällt es mir nicht schwer zu warten, bis sie Luft holt, um auf ihre Fragen einzugehen. „Guten Abend Steff. Schön, dass du anrufst." begrüße ich sie fröhlich und in aller Ruhe, was ihr nur ein Schnauben entlockt. „Ja hallo Nowi. Erzähl!" fordert sie mich ungeduldig auf. Ich erbarme mich und spanne sie nicht länger auf die Folter, weiß ich nur zu gut, dass sie dann ungemütlich werden kann, vor allem wenn es um etwas wirklich Wichtiges geht. „Also erst wollte er mir nicht aufmachen, war trotzig. Doch er hat mich dann doch noch in die Wohnung gelassen und in Ruhe mit mir gesprochen. Er hat mir gegenüber kommuniziert, dass er sich momentan schnell überfordert fühlt, weil er das Empfinden hat, dass unsere Erwartungen an ihn hoch sind und er diese nicht erfüllen kann. Das setzt ihn unter Druck. Ich konnte ihn dazu bringen, mir zu versichern, dass er sich uns gegenüber mitteilt. Er muss ehrlich sagen, wenn er sich unter Druck gesetzt fühlt, denn nur dann können wir ihm entgegenkommen. Genau das habe ich ihm verdeutlicht und er hat es eingesehen und beschämt gesagt, dass es ihm peinlich sei, schon bei eine Kleinigkeit einzuknicken und seine Überforderung einzugestehen. Ich glaube er ist auf einem guten Weg und hat wirklich begriffen, dass wir ihm nichts Böses wollen, sondern ihn so gut es geht unterstützen." Die Details, wie kompliziert der Beginn des Abends war, bis es überhaupt zu einem Gespräch kam, lasse ich bewusst aus, um Steff nicht unnötig zu verunsichern. „Danke Nowi, dass du bei Thomas warst." sagt Steff. Es folgt eine kurze Stille, bevor sie fortfährt: „Aber warum ist er so überfordert. Das war doch sonst nicht so?" rätselt sie. „Ich kann es dir nicht sagen Steff. Ich weiß es nicht. Thomas braucht Zeit. Er muss einen Schritt nach dem anderen machen, aber mit Sicherheit wird er uns bei Zeiten die Hintergründe und den Auslöser erklären, wenn er diesen für sich selbst überhaupt ausmachen kann." „Aber wenn wir das wissen würden, könnten wir ihn noch besser unterstützen." „Das mag sein. Aber du musst auch verstehen, dass das Gespräch heute für ihn schon eine große Herausforderung war. Thomas ist über seinen Schatten gesprungen, hat sich mir geöffnet und das weiß ich zu schätzen. Wir sollten uns auf die kleinen Schritte fokussieren. Vor uns liegt vielleicht ein Marathon. Und um einen Marathon erfolgreich zu meistern, muss man viele kleine Schritte aneinanderreihen. Macht man einen großen, stolpert man schneller und fällt womöglich. Ich weiß, dass das niemand von uns möchte." Während es am Telefon still ist, sehe ich Steff förmlich vor meinem inneren Auge, wie sie ihre Stirn in Falten legt und über meine Worte nachdenkt. „Wahrscheinlich hast du recht. Aber es ist so schwer geduldig zu sein, vor allem weil ich so weit weg bin und mir nur alles erzählen lassen kann. Wenn ich doch wenigstens bei euch sein könnte. Das wäre viel einfacher." „Ich weiß Steff. Aber in knapp einer Woche sehen wir uns alle wieder. Wir halten dich auf dem Laufenden und haben alles im Griff. Zusammen schaffen wir das." „Ich hoffe es." „Liegt dir noch etwas auf dem Herzen Kleine?" frage ich sie. „Hmm. Nein ich glaube nicht." antwortet sie. „Dann versuch zu Schlafen und melde dich, wenn etwas ist. Vergiss nicht, dass wir trotz der Entfernung immer für dich erreichbar sind." „Ich weiß. Danke Nowi. Gute Nacht!" „Gute Nacht Steff!" beenden wir das Telefonat. In der Zwischenzeit habe ich eine Nachricht von Hannes bekommen. Er ist noch wach und ich soll ihn doch bitte noch anrufen. Mittlerweile bin ich bei meiner Wohnung angekommen, gehe hoch und rufe Hannes an, um auch ihm vom Abend zu berichten.


Abschied ohne LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt