Teil 18

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Thomas Sicht:

Wie lange ich damit beschäftigt bin all ihre Nachrichten zu lesen? Ich weiß es nicht. Die erste Nachricht hat sie wohl noch vor ihrem Abflug geschrieben. Sie entschuldigt sich, dass sie im Stress am Morgen übertrieben hat und sich nicht von mir verabschiedet hat. Das würde sie schon in diesem Moment bereuen. Ich glaube ihr das sofort. Genau so kenne ich sie. Manchmal etwas impulsiv, doch sie zeigt immer schnell reue, entschuldigt sich, will alles klären. Auch wenn sie manchmal noch etwas bockig und beleidigt ist, hasst sie es wenn Dinge zwischen uns stehen und muss diese noch vorm Schlafen gehen geklärt haben. In den darauffolgenden Nachrichten finde ich weitere Entschuldigungen und die Mitteilung, dass sie gut in Südafrika angekommen ist. Sie schreibt immer wieder, dass ihr ihr Abgang leid tut und hat mir am ersten Abend sogar eine Sprachnachricht geschickt, in der sie sich unter stetigem Schluchzen bei mir entschuldigt. Es zerreißt mir das Herz diese Nachricht anzuhören und nicht bei ihr zu sein, ihr sagen zu können, dass alles gut ist. In den ersten Tagen berichtet sie noch kurz von ihren Tagen. Sie scheint noch gehofft zu haben, dass ich mich melde, sie nicht mehr ignoriere und mich für ihre Tage interessiere. Doch schnell verschwinden diese Nachrichten und werden von ziemlich verzweifelten Texten abgelöst, in denen sie sich vermehrt entschuldigt und besorgt fragt, wie es mir geht und wie sie das wieder gut machen kann. Auch nach Motti erkundigt sie sich und fragt, warum ich nicht wenigstens ihre Telefonate annehme und unseren Sohn mit ihr sprechen lasse. Er könne ja nichts für ihren Abgang und unseren Streit. Damit hat sie absolut Recht. Das weiß ich jetzt auch und ich verstehe selbst nicht, warum ich Motti den Kontakt zu ihr verweigert habe. Ich weiß doch, dass der Kleine seine Mutter braucht. Die letzten Tage kam nichts mehr. Sie hat aufgegeben. Ich kann das gut verstehen und dennoch macht es mich traurig. Hat sie nur die Nachrichten aufgegeben oder hat sie uns aufgegeben? Ich weiß, dass Hannes ihr von meinem Verhalten erzählt hat und ich kann es ihr nicht übel nehmen, dass sie es aufgegeben hat mir Nachrichten zu schreiben. Aber soll ich ihr jetzt schreiben? Oder soll ich sie sogar anrufen? Ich habe das ganz dringende Verlangen ihre Stimme zu hören. Doch das geht nicht. An kann sie nicht anrufen und so tun als sei nicht passiert. Und eine Textnachricht? Aber was soll ich schreiben? Mich einfach entschuldigen? Per Nachricht? Nein. Das geht nicht. Dafür habe ich zu viel Schaden angerichtet. Aber ist es nicht trotzdem besser als gar keine Reaktion? Sie wird schließlich sehen, dass ich auf unseren Chat gegangen bin. Ich bin hin und her gerissen. Zum einen wünsche ich mir gerade nichts mehr als ihr zu schreiben oder ihre Stimme zu hören und zum anderen ist es undenkbar für mich jetzt plötzlich aus dem Moment heraus Kontakt zu ihr aufzunehmen. Ein Blick auf die Uhr schafft mir zumindest so weit Klarheit, dass ich weiß, dass ein Anruf sinnlos ist. Es ist ein Uhr Nachts und sie wird schlafen. Nach den anstrengenden Drehtagen hat sie sich das mehr als verdient. Und eine kurze Nachricht? Die Versuchung ist groß. Ich beginne zu tippen: Hey Steff, Entschuldigung für mein Verhalten. Mir tut das alles sehr leid. Ich hoffe du hast eine schöne Zeit in Südafrika." Nein das geht nicht. So etwas bescheuertes kann ich nicht schreiben. Sofort lösche ich die Textzeilen. Nach ein paar weiteren Versuchen, in denen ich versuche, mich zu entschuldigen und deutlich zu machen, dass ich mein Verhalten bereue, gebe ich es auf. Egal wie ich es formuliere, es klingt scheußlich. Verzweifelt sperre ich mein Handy und lege es zurück auf den Nachttisch. An Schlaf ist immer noch nicht zu denken. Viel zu sehr ärgere ich mich darüber, dass ich nicht in der Lage bin eine vernünftige Nachricht an Steff zu schreiben. Wäre die Situation nicht so verzwickt, würde ich mir absolut keine Gedanken darüber machen, wie bescheuert meine Nachricht für Steff klingen mag. Sie kennt mich besser als jeder andere Mensch auf diesem Planeten, versteht was ich meine, egal welche Worte ich wähle. Wahrscheinlich kennt sie mich sogar fast schon besser als ich mich selbst kenne. Sie wäre die Letzte, die sich über eine dämliche Nachricht von mir lustig machen würde. Dennoch kann ich mir in diesem Moment nichts peinlicheres Vorstellen als so eine Nachricht abzuschicken. Mich trifft die Erkenntnis, dass sich unser Verhältnis binnen einer Woche stark verändert hat. Ihr Vertrauen in mich ist nicht mehr so bedingungslos wie es sein sollte. Doch wird sie mich trotzdem noch so verstehen, wie sie es bisher immer getan hat? Das werde ich nur herausfinden, wenn ich endlich über meinen Schatten springe und Kontakt zu ihr aufnehme. Heute Nacht bringt es jedoch nichts mehr. Vielleicht wage ich morgen einen neuen Versuch Kontakt zu ihr aufzunehmen. Vielleicht kann ich morgen wieder klarer denken und eine vernünftige Nachricht formulieren. Ich wälze mich noch Ewigkeiten im Bett hin und her. Irgendwann kommt mir die Idee Steffs Decke und Mottis Kissen zu nehmen, welche noch nach meinen Liebsten riechen. Wenn ich meine Augen schließe, bin ich ihnen so wenigstens gefühlt ein Stück näher und ich spüre, wie mein Atem flacher wird und ich in den Schlaf falle.


Abschied ohne LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt