Teil 16

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Thomas Sicht:

Ein skeptischer und genervter Blick trifft mich. „Wenn ich jetzt bleibe, sprichst du dann mit mir?" stellt Nowi eine Gegenfrage, hält kurz inne. „Ja versprochen!" kommt es wie aus der Pistole geschossen aus mir. In diesem Moment würde ich alles tun, um ihn nicht noch weiter von mir zu stoßen. Mir ist klar, dass ich schon viel zu viel Schaden angerichtet habe. Es wird nicht leicht sein das alles wieder gut zu machen. Es wird nicht leicht sein wieder ich zu werden. Es wird nicht leicht sein dem auf den Grund zu gehen. Doch ich bin mir sicher, dass es gemeinsam leichter sein wird. In diesem Moment könnte ich Nowi fürs eine direkte Art nicht dankbarer sein, denn damit hat er mir die Augen geöffnet. Nach einem kurzen zweifelnden Blick zieht er seine Schuhe wieder aus und geht mit mir zusammen ins Wohnzimmer. Erwartungsvoll schaut er mich an. „Du wolltest mit mir sprechen." fordert er mich auf. Ich bin maßlos überfordert, weiß nicht was er hören will, habe keine Ahnung womit ich anfangen soll. „Äh ja genau. Ähm. Ich weiß nicht, was du erwartest." beginne ich unsicher, den Blick auf den Boden gerichtet. „Ich wäre dir dankbar, wenn du überhaupt vernünftig mit mir redest, mir sagst, wie wir dich unterstützen können. Du musst mir nicht sofort jedes Detail erzählen, aber unsere Hilfe annehmen und sagen, was wir tun können, wäre ein erster Schritt." Tief atme ich durch, überlege kurz was ich antworten könnte. „Also, ähm, also alles erzählen kann ich dir nicht. Ich weiß doch selbst nicht genau was los ist mit mir." fange ich an und weiß schon nach den ersten Sätzen nicht weiter. Mir gegenüber höre ich Nowi tief einatmen. Ich weiß genau, dass ich seine Nerven gerade stark strapaziere. Das tut mir leid. Warum überfordert mich das alles so? Ich beschließe ehrlich zu sein und fahre fort: „So genau weiß ich selbst nicht was los ist. Ich bin gerade wirklich überfordert. Ich habe das Gefühl, dass ihr alle Erwartungen an mich habt, die ich gerade nicht erfüllen kann. Und das ist so eine Spirale. Je mehr Erwartungen ich spüre, desto stärker fühle ich mich unter Druck gesetzt und eingeengt. Ich kann dem nicht gerecht werden. Vielleicht ist es doch besser, wenn ihr mich erstmal in Ruhe lasst." „Das tut mir leid Thomas. Ich glaube, dass es uns sehr hilft, wenn du kommunizierst und uns mitteilst, wenn dich etwas überfordert und wir dich mit Erwartungen einengen. Das könnte ein erster Schritt sein, der dir den Alltag erleichtert und der dafür sorgt, dass wir besser mit dir umgehen und deinen Bedürfnissen gerecht werden können." „Mag sein. Aber ich kann doch nicht bei jeder Kleinigkeit sagen, wenn ich überfordert bin. Das ist mir echt unangenehm." „Doch das kannst und genau das solltest du auch tun. Ich denke, dass es dir damit besser gehen wird, auch wenn es Überwindung kostet. Und auch uns geht es besser, wenn du ehrlich zu uns bist und nicht den Starken spielst. Wir wissen, dass es dir nicht gut geht und Thomas wir sind deine besten Freunde, Familie. Wer wenn nicht wir sollen für dich auch in schwierigen Zeiten da sein? Und wie sollen wir dich unterstützen, auf dich Rücksicht nehmen, wenn du uns das nicht mitteilst?" Nowis Worte muss ich erstmal verarbeiten. Es macht mir große Angst mich so verletzlich zu zeigen, aber eigentlich hat Nowi recht. Meine Bandmitglieder bedeuten mir mehr, als ich mit Worten beschreiben kann. Sie sind meine engsten Vertrauten. Also sollte ich auch darauf vertrauen, dass sie nur das Beste für mich wollen und meine Grenzen akzeptieren. „Ich glaube du hast Recht." antworte ich nun zögerlich. Ist ein kleiner Teil in mir doch immer noch verunsichert. Kurz lächelt Nowi mich an und sagt dann: „Das freut mich. Niemand erwartet von dir uns alles sofort erklären zu können, aber bin mir sicher, dass es ein erster Schritt ist, wenn du dich uns mitteilst." „Danke! Danke, dass ihr so rücksichtsvoll seid, obwohl ich momentan alles andere als das bin." „Du würdest dich uns gegenüber nicht anders Verhalten, wenn es uns so ginge." Kurz muss ich Grinsen. Wie recht Nowi doch mit der Aussage hat. Es folgt eine kurze Stille. Ich merke, dass meine Augen immer schwerer werden. Der Tag war sehr nervenaufreibend und kräftezehrend. „Nowi, ähm also, ich will nicht unhöflich sein..." beginne ich unsicher. „Raus mit der Sprache." entgegnet Nowi und zwinkert mir aufmunternd zu. „Kannst du vielleicht nachhause gehen? Ich bin echt müde und brauche mal meine Ruhe um meine Gedanken zu sortieren. Bitte sei mir nicht böse. Ich bin dir sehr dankbar, dass du nochmal gekommen bist und mir die Augen geöffnet hast." „Schon ok Thomas. Erhol dich gut. Möchtest du morgen in den Proberaum kommen oder lieber etwas anderes unternehmen oder deine Ruhe haben? „Auf jeden Fall in den Proberaum! Aber können wir vielleicht entspannt etwas Musik zusammen machen und uns erst übermorgen um die Konzerte kümmern? So viel müssen wir doch nicht mehr dafür machen oder?" „Das können wir bestimmt machen. Wenn du glaubst, dass dir das guttut, reicht das als Grund schon aus. Und über die Konzerte können wir dann vielleicht auch noch mal in Ruhe sprechen. Das wäre uns nämlich wichtig." „Aber bitte nicht  absagen. Ich brauche die!" sage ich verzweifelt. Ich kann es nicht erklären aber aus irgendeinem Grund halte ich an diesen fest und schöpfe Kraft daraus. „Keine Sorge wir werden nichts ohne dich entscheiden. Aber jetzt erhol dich. Wir sehen uns morgen. Und wenn du doch noch etwas brauchst, kannst du mich auch mitten in der Nacht anrufen." „Danke Nowi!" sage ich und ziehe ihn in eine Umarmung, die die tiefe Dankbarkeit für sein entgegengebrachtes Verständnis verdeutlichen soll.

Abschied ohne LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt