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Es waren schon drei Wochen vergangen seit das Jugendamt gekommen war, und-
Ich hatte Lia verloren.
Ich hatte sie verloren.
Es gab sie nicht mehr, wenn ich aufstand.
Sie war nicht da wenn ich von der Schule kam.
Sie saß nicht am Tisch mit uns.
Seit sechs Tagen machte ich diese Qual durch.

Anfangs hatte ich es gemieden, mit Dad aufeinanderzutreffen. Doch mit der Zeit hatte ich gemerkt, dass das in einem Haus nicht möglich war und hatte meine Sturköpfigkeit zur Seite gelassen.
Die ersten vier Tage war ich nicht in die Schule gegangen. Dann hatten wir Wochenende. Bis jetzt hatte ich Lia kein einziges Mal besucht.

Ich konnte nicht.
Ich wollte sie nicht gebrochen sehen. Ich wollte es ihr nicht schwer machen sich dann wieder von mir zu lösen.
Denn als sie gehen musste hatte sie schon genug geweint.
Aber ich musste alsbald zu ihr. Auch wenn es mir schwer fiel. Ich durfte jetzt keine Egoistin sein.

Und heute hatte ich endlich wieder geschafft in die Schule zu gehen. Denn das Leben ging leider weiter.
Allerdings hatte ich die Schule verlassen ohne in der Nachhilfestunde zu erscheinen.
Dazu hatte ich dann doch kein Nerv. Und so dringend war es für Miguel auch nicht, denn er verstand alles auch selber.

Jetzt war ich auf dem Weg nach Hause vom Friedhof und weil der Weg den ich normalerweise benutze, wegen Bauarbeiten geschlossen war musste ich einen Umweg nehmen.

In Entengeschwindigkeit lief ich durch die Straßen und versuchte mein Kopf von all meinen Sorgen frei zu bekommen. Ich schaffte es aber einfach nicht. Ich versuchte es immer wieder, aber alles schwirrte in meinem Kopf rum.
Sei es Lia oder sogar Miguel. Sogar über ihn dachte ich nach und ich konnte mir nicht erklären warum.
Die Nachhilfestunden mit ihm reichten mir aus.
Plötzlich wurde ich aprubt am Arm gepackt und rumgewirbelt.
Erschrocken riss ich die Augen auf und gab einen kurzen Schrei von mir, als ich schmerzvoll auf dem Boden ankam.

Ich stöhnte auf und schloss die Augen.
Geschockt versuchte ich zu realisieren was gerade passiert war, als ich auf einmal Miguel vor mir sah, der sich aufrappelte und ich ein Auto hörte.

Benommen sah ich umher und stand langsam wieder auf.
,,Wo sind deine Augen!", fuhr mich plötzlich Miguel an.
Ich zuckte kurz und kam dann zu mir.
,,Du hast mich doch angerempelt!", zischte ich.
,,Ich hab dich nicht angerempelt, ich hab dich verdammt nochmal von der Straße runtergezogen! Sonst wärst du jetzt platt!"

Ich runzelte die Stirn und fuhr mir durch die Haare.
Benommen sah ich zu Miguel dann auf die Straße.
Wie hatte ich das nicht bemerkt?
,,Ähm, danke", sagte ich mit gedämpfter Stimme.
Hätte er mich nicht gerettet wäre ich tot. Ich bekam eine Gänsehaut.
Miguel nickte bloß.
,,Hast du was?"
Ich schüttelte leicht den Kopf, bis meine Augen an seinem Oberarm stehen blieben.

Sein dunkelgrüner Sweatshirt hatte sich an der Stelle nich dunkler gefärbt.
Blut.

,,Du blutest!", kam es mir über die Lippen und ich stoß mich von der Hauswand ab an die ich mich angelenht hatte.
Ich wollte nach seinem Arm greifen, doch Miguel ging ein wenig auf Abstand.
,,Geht schon. Ich erledige es zu Hause.", meinte er bloß.

Ich schüttelte den Kopf. ,,Du hast mir das Leben gerettet und jetzt werde ich dir helfen. Wir müssen nur zwei Straßen weiter und ich bin zu Hause." Auffordernd blickte ich ihn an, doch er lehnte kopfschüttelnd ab.

,,Ich bring dich noch nach Hause", meinte er, doch ich konnte mein Blick nicht von seinem Oberarm lösen, wo sich der Stoff noch dunkler gefärbt hatte. Oder vielleicht bildete ich es mir ein. Er schob mich langsam am Rücken vor und deutete mir zu laufen.
Ich würde ihn schon noch überreden.

Schweigend liefen wir die Straße entlang.
Kurz vor meinem Haus stoppte ich Miguel und stellte mich vor ihn.
,,Du wirst jetzt mit reinkommen und zulassen, dass ich die Wunde verarzte."
,,Nein"
,,Miguel. Du hast mir des öfteren geholfen, und jetzt will ich auch mal behilflich sein. Bitte."

Er seufzte.
,,Ist jemand zu Hause?" ,
,Nein", gab ich zu.
Erneut seufzte er und nickte endlich.
,,Na gut. Aber nur weil ich weiß, dass du mich beeindrucken willst", sagte er und ein Schmunzeln zierte seine Mundwinkel.
Empört sah ich ihn an.
,,Ich versuche dich überhaupt nicht zu beeindrucken."

Dann lief ich voran und schloss die Tür auf.
Schnell zog ich meine Schuhe aus und Miguel tat es mir gleich.
Dann lief ich schnell hoch ins Bad und ließ ihn zuerst eintreten.
,,Du kannst dich dahin setzten", deutete ich Miguel, ehe ich den erste Hilfe Koffer suchte.

,,Du musst schon dein Pulli ausziehen", meinte ich und schon fing er an zu schmunzeln.
,,Du hättest mir auch vorher sagen können, dass du scharf auf mein Oberkörper bist", amüsierte er sich und zog sich den Hoodie über den Kopf. Derweil zog ich schnell eine Grimasse.

Ich wollte ihm zur Hilfe eilen, doch bei dem Anblick der nackten Brustfläche verlor ich kurz meinen Verstand.
Schnell schüttelte ich mich jedoch und blickte Miguel ins Gesicht.
,,Also dein Oberkörper ist alles andere als beeindruckend", gab ich monoton zurück und versuchte mich aber innerlich zu beherrschen.

Fucking Casanova!

Ich hoffte einfach, dass ich nicht rot war im Gesicht.
Ich betrachtete Miguels Arm und verzog das Gesicht.
,,Ach du scheiße. Ist das gerade eben passiert?"
Ich war zwar keine Ärztin aber das sah ungesund aus.
Er gab mir keine Antwort. Nur leicht schüttelte er den Kopf.

Ich wollte nach seinem Arm greifen, als er mir jedoch die Tasche aus der Hand nahm und aufstand.
,,Ich mach das schon", meinte er und stellte sich vor den Spiegel.

Ich versuchte mich zu beherrschen, als ich seinen trainierten Rücken zu Gesicht bekam.
Gott!
Mir ging es gerade wirklich nicht gut. Diese Tätowierungen und...

Meine Augen trafen am Spiegel an Miguels und er sah mich wissentlich an, ehe er sich der Wunde zuwandte.

Fuck! Er hatte es gemerkt!

Ich schluckte kurz und stellte mich neben ihn. Konzentriert tupfte er die Wunde sauber und verzog dabei kaum das Gesicht.
Schweigen umhüllte den Raum.

,,Hast du noch andere Geschwister? Außer deine Schwester?" Miguels Stimme kam bei mir an.
Ich schüttelte den Kopf.
,,Und du?"
Er griff nach einer Verbandspackung und einem Kompressor.
Eine Antwort gab er mich nicht. Stattdessen deutete er mir, dass ich die Kompresse an der Wunde halten sollte, auf dem schon Gel draufgeschmiert war und wickelte dann gekonnt das Verband um den Arm. Dabei erhaschte ich ein Blick auf seinen anderen Arm und erkannte schwarze Tinte.

Er wandte sich von mir ab und wusch die Hände.
Unauffällig betrachtete ich erneut seinen Rücken. Das Tattoo zwischen beiden Schulterblättern schoss mir ins Auge. Eine Dolch das durch eine Rose durchdrang. Gefährlich, aber schön.

,,Hat das eine Bedeutung?", hörte ich mich fragen.
Jetzt wusste er erst recht dass ich gestarrt hatte.
,,Ich steche keine Tattoos ohne Bedeutung", antwortete er mir und trocknete sich die Hände ab.
,,Welchen meinst du?"

Irgendwie erwärmte es gerade mein Herz, dass er mich das fragte.
,,Den Dolch mit der Rose."
Ich hörte ihn kurz lachend aufseufzen als er zu seinem Pulli griff und mich vom dem anbeißenden Anblick trennte.
,,Es hat eine große Bedeutung", meinte er und entsorgte die blutigen Papiere um erneut die Hände zu waschen.
,,Und die wäre?", fragte ich langsam.

Er sah mich an.
,,Finde es heraus.", raunte er und ließ seine Blicke über meinen Körper schweifen.

Er kam mir mit einem Mal näher und ich lief einen kurzen Schritt zurück.
Ich hatte den Anschein, dass seine grünen Augen dunkler wurden und schluckte.
Ich wandte meine Augen davon ab und ließ sie planlos über sein Gesicht wandern, während ich seinen Schritten noch ein Stück auswich.
Dann spürte ich die Tür hinter mir.

Mit einem Mal beugte er sich zu mir runter. Unsere Nasen berührten sich beinahe.
Miguels Augen kleben an meine als versuchte er etwas zu entziffern.
,,Was-", ich unterbrach mich selber als ich plötzlich Miguels Lippen an meinem Hals spürte.
Ich keuchte auf.

😏

In deinem SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt