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Regungslos saß ich auf dem Stuhl.
Mein Blick galt meinen Händen, auf denen bis gerade eben noch ihr Blut geklebt hatte.

Es war meine Schuld gewesen.
Ich war neben ihr gewesen.
Und ich hatte sie nicht beschützen können.
Ich hätte sie schneller wegziehen sollen.
Ich hätte nicht zögern sollen, als ich die Gefahr gespürt hatte.
Nein, ganz von vornherein hätte ich sie nicht vom Tisch aufstehen lassen sollen!

Hilflos und schuldbewusst fuhr ich mir durch die Haare.
Mein Gesicht verschwand zwischen meinen Händen.
Qualvoll verzog ich das Gesicht.
Ich wollte sie nicht verlieren.

Als jemand nach meinem Arm fasste sah ich auf.
Sara saß mit roten Augen neben mir und reichte mir wortlos eine Wasserflasche.
Seufzend nahm ich sie entgegen aber ich trank nicht daraus.

Es war still zwischen uns allen, bis Sara die Stille brach.
,,Wird sie... es schaffen?", hauchte sie zitternd.
Ich hörte auf die Wasserflasche zu drehen und blickte starr auf den Boden.
Das wusste niemand.
Nichtmal die Ärzte.
Würde sie es schaffen?

Ich schluckte.
Sie musste es schaffen!
Sie war stark.
Lebenswillig.
Sie würde es schaffen!

Ich wandte mich an Darío.
,,Wo sind die anderen?"
,,Sie kommen.", gab er zurück.
,,Ist noch jemand verletzt?"
Darío zuckte mit den Schultern.
,,Das weiß ich nicht."

Ich legte die Flasche neben mir ab und zog Sara an mich, als sie über ihre Wange wischte.
,,Sie wird es schaffen, oder?", flüsterte sie.
,,Weiß ich nicht", sagte ich ehrlich.

Sie hatte zu viel Blut verloren.
Sie war blass gewesen wie eine Leiche.
Sie hatte kaum Lebensanzeichen gehabt.

Als wir schnelle Schritte hörten sah ich auf.
Meine Eltern kamen eilig den Gang entlang. Hinter ihnen erkannte ich Tante Elena und Onkel Diego.
Ich stand auf.
Meine Mutter eilte auf uns zu und zog Sara in eine Umarmung.
Dann sah sie mich mit verweinten Augen an.

,,Wie geht es ihr?", fragte sie besorgt.
,,Weiß ich nicht", seufzte ich. ,,Sie wird gerade operiert. Man hat uns noch nichts gesagt.", informierte ich sie.
Sie drehte sich zu Papá um.
,,Was haben sie von ihr gewollt? Sie ist doch noch viel zu jung", hörte ich sie schluchzen.
Mein Vater legte sein Arm um sie.
,,Belezza, sie wird da heil wieder rauskommen.", meinte er.

Tante Elena kam auf mich zu und legte ihre Hand auf mein Arm.
,,Ich sehe dir an dass du dir die Schuld gibst.", sprach sie aus.
,,Wie sollte ich nicht", sagte ich.

Als die Tür zum OP-Saal aufging sahen wir alle schnell hin.
Der Arzt sah in die Runde.
,,Cosima. Wie geht es ihr?", fragte Darío schon.
,,Wir haben die Patrone heil rausoperieren können. Ihr Zustand allerdings ist kritisch. Wir versuchen das Beste."
Dann verschwand er.

,,Ich bin draußen", gab ich erschöpft von mir und lief davon.
Die Nachtluft blies mir entgegen als ich aus dem Krankenhaus trat.
Ich lief auf die Bank zu und setzte mich hin.

Seufzend schloss ich die Augen.
Ich fühlte mich leer.
Ich vermisste sie jetzt schon. Ich vermisste alles an ihr.
Ihr Duft.
Ihr Lachen.
Ihre Augen.
Einfach alles.
Schmerzvoll seufzte ich.
,,Bitte wach auf, Bella", hauchte ich.
,,Bitte."

Mein Herz zog sich zusammen.
Sie hatte Schmerzen gehabt.
Sie hatte mit sich kämpfen müssen.
Ihre schmerzvollen Augen waren in mein Gedächtnis eingebrannt.
Hilflos rieb ich mir den Nacken.
Ich legte meine Unterarme auf meinen Oberschnekeln ab.

Jemand setzte sich neben mich.
Ich sah auf und erkannte meinen Vater.
,,Ich weiß was du gerade durchmachst, hijo", sagte er nach einer Weile.
,,Und ich weiß, dass du dir die ganze Schuld gibst."
Ich sah wieder auf den Boden.
,,Weil es auch meine Schuld gewesen war, Papá."
Er sagte nichts dazu.

,,Es ist ein schmerzhaftes Gefühl Angst davor zu haben eine Person zu verlieren die dir sehr viel bedeutet", sagte er stattdessen.
,,Vielleicht kannst du ja schon ahnen wer dafür gesorgt hat, dass sie ums Überleben kämpft."
Ich schluckte.

,,Garcia", brach ich hasserfüllt raus.
Wer denn auch sonst sollte es sein?
,,Wir haben ihn gefunden."
Ich sah aprubt auf.
,,¿Qué?"
Mein Vater nickte bloß.
,,Ich hab den Männern schon Bescheid gesagt."

Wenn der Hurensohn in meine Finger gelangte...
Ich schwöre ich würde ihm alle Finger brechen!

,,Überlass ihn mir, Papá. Ich werde ihn foltern bis er mich anfleht ihn umzubringen."
Mein Vater seufzte.
,,Ich kann dir nichts Versprechen, Miguel."

In deinem SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt