Es war mitten in der Nacht.
Vincent und Blobby hatten es sich irgendwie auf der Schlafcouch von ihm bequem gemacht.
Dag hingegen hielt es nicht aus.
Er musste raus.
Er fand keinen Schlaf.
Langsam ging er schließlich durch die Straßen Berlins. Die Hände tief in seinen Hosentaschen vergraben.
Er bemerkte kaum, was um ihn herum passierte. Seine Gedanken waren weiterhin anderswo. Der Schatten, der ihn verfolgte.
Eva.
Dieser Moment bei den Grauen hatte sich regelrecht in seine Seele gebrannt.
Dieser tiefe Schmerz, sofort, wenn er an sie dachte. Sobald er sich anstrengte, nur eine winzig kleine Erinnerung aufzuwecken.
Was jedoch vergeblich war.
Nichts war da.
Es blieb vergraben.
Alles, was noch vorhanden war, war dieses Gefühl, das trotz der ausgelöschten Erinnerungen stark genug war, um ... überlebt zu haben.
Es war einfach frustrierend, dieses Verlangen nach etwas zu haben, das so ... unerreichbar schien.
Er wollte Eva sehen. Sie kennenlernen. Hier. Hier in dieser Realität, wo sie eventuell für immer steckenbleiben würden.
Dag klammerte sich irgendwie an die Hoffnung, ihr hier zu begegnen. Und auch wenn sie nicht die dortigen Dag und Eva waren, so hatten sie doch unter Umständen auch hier eine Chance wachsen zu können.
Sein Kopf war dennoch voller Widersprüche.
Einerseits war ihm klar, dass die einzige Möglichkeit, wieder mit Eva zusammen zu sein, darin bestand, die Realität zu reparieren.
Die Ordnung wiederherzustellen.
Doch andererseits konnte er nicht loslassen.
Der Gedanke, dass Eva irgendwo hier sein könnte, ließ ihn einfach nicht in Ruhe.
Er ging weiter.
Regen setzte ein, und die Tropfen prasselten auf den Asphalt. Dag stellte sich jedoch nicht unter. Er schritt darüber hinaus voran ... ohne Ziel.
Es musste sehr wohl einen Weg geben.
Dag wollte seine Erinnerungen dringend wiederhaben. Auch Vincent betreffend.
Doch sie konnten und durften sich tatsächlich keine Fehler leisten.
Die Ungeduld nagte an ihm.
Wie lang musste er in diesem Leben verharren?
Und wie lange würde es dauern, endlich die Frau wiederzusehen, die momentan nicht mehr als ein Schatten war?
Dag atmete tief ein und zwang sich, ruhig zu bleiben.
Doch augenblicklich zog sich sein Herz zusammen. Was war, wenn sie in dieser Welt gar nicht existierte?
Was, wenn er sie nie finden würde?
Wenn sie auf ewig hier gefangen waren und er für immer mit diesem leeren Gefühl in der Brust leben musste?
Es war ein schrecklicher Gedanke und umso schmerzhafter für sein Inneres.
Erschöpft lehnte er sich an eine Häuserwand. Es war nicht der Gang, der ihn außer Atem gebracht hatte, sondern lediglich dieser Albtraum, den er sich mehr und mehr ausmalte.
Diese Welt war eine Illusion.
Eine Verfälschung.
Seine Hände zitterten leicht, als er sich die Kapuze tiefer ins Gesicht zog. Regen setzte in diesem Moment umso mehr ein, als ob der Himmel über diese verdrehte Realität ihm sein Mitleid mitteilen wollte.
Oder es war lediglich Hohn.
Spott.
Dag fühlte sich, als würde er zwischen zwei Welten in Stücke gerissen werden. Einmal die Rationale, die ihn zwang, sich auf die Mission zu konzentrieren. Und dann gab es da noch die Emotionale. Jene, die ihn unaufhörlich zu Eva zog.
Warum war es für Vincent leichter?
Lag es tatsächlich daran, was er bei den Grauen mitgemacht hatte?
Diese ... Schattenfigur, die die Liebe seines Lebens verkörpert hatte?!
Alles fühlte sich zunehmend falsch an.
Mit einem tiefen Seufzer schob er sich von der Wand ab und schlappte weiter voran.
Was sollte er tun?
Abwarten konnte er einfach nicht.
Unerwartet vernahm er hinter sich Schritte, die irgendwie vertraut klangen. Er drehte sich um und sah in Vincents Gesicht.
In seinen Augen lag ein Ausdruck, der ihm ebenso auf irgendeine Weise bekannt vorkam. Sorge ... aber auch eine Art von Verbundenheit, die tiefer ging als die bloße Gegenwart in dieser Fake-Realität.
»Da bist du ja.« , sagte er, fast erleichtert. »Ich habe dich schon überall gesucht.«
»Warum?« , fragte Dag mit einer rauen Stimme, die irgendwie seinen inneren Konflikt widerspiegelte.
Vincent trat einen Schritt näher. »Weil du mein Freund bist.« , antwortete er. »Das mag uns vielleicht genommen worden sein, aber ... ich weiß es tief in mir. Ich bin aufgewacht und mein ... mein erster Gedanke war, nach dir zu sehen. Ich glaube, ... egal, was man uns gestohlen hat, aber ... dennoch sind Dinge verankert in uns. Ich spüre einfach, dass es dir nicht gut geht.«
Diese Worte trafen Dag mit einer Wucht, die er nicht erwartet hatte. »Es ... es fühlt sich einfach alles so falsch an.« , flüsterte er, weil er das Gefühl hatte in Vincent tatsächlich jemanden zu haben, mit dem er reden konnte. »Eva ... sie ist da, aber ... auch nicht. Und wir ... wir sind hier, aber ... sind nicht mehr wir.«
»Ich weiß. Aber wir können nicht zulassen, dass uns diese Realität auseinanderreißt.«
Trotz der Verwirrung und des Chaos war Vincent hier bei ihm. Und ... es tat einfach nur gut.
»Danke.« , murmelte er. »Danke, dass du ... hier bist.«
Vincent lächelte leicht. »Wir können uns zwar nicht an das erinnern, was war. Das heißt aber nicht, das wir aufgeben werden. Uns verbindet etwas. Wir beide spüren das.«
»Ja.« Dag nickte und er schnaufte ein kurzes Lachen. »Denkst du, du hast mich öfters gesucht und ... warst einfach ... da für mich?«
»Ja.« , gab er mit ein wenig Nostalgie in der Stimme von sich, obwohl er sich tatsächlich nicht erinnerte. »Ich denke schon.« Er kam noch einen Schritt näher. »Aber ... ich glaube, auch du für mich.«
»Es ist schade, das wir uns nicht erinnern.«
»Vielleicht müssen wir das auch nicht. Wir haben uns trotzdem gefunden.«
»Mit Blobbys Hil- ...«
»Nein.« , unterbrach er ihn. »Wir sind uns schon vor seiner Stippvisite begegnet. Ich bin der festen Überzeugung, das alles, was uns betrifft, viel zu stark ist, als das der Lord alles hätte vernichten können.«
Dag lächelte abermals leicht. Der Regen war mittlerweile viel schwacher geworden. »Was soll ich jetzt tun?«
»Den Glauben nicht verlieren. Du bist nicht alleine, Dag.«
Irgendwie war es wohltuend, es zu hören, obwohl Dag spürte, dass nur seine eigenen Dämonen ihn mehr im Griff hatten, als es bei seinem besten Freund je sein würde. Allerdings ... verspürte er tatsächlich dieses Empfinden mit ihm nicht im Alleingang zu sein.
»Wir sollten zurück.« , sagte er. »Nicht das Blobby noch 'nen Herzkasper bekommt, wenn er sieht, dass wir beide nicht da sind.«
Vincent nickte. »Du hast Recht. Lass uns gehen.«
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Volle Kraft zurück in die Zukunst (Band 4)
Fanfiction(Band 4) Dag und Vincent stehen vor ihrer größten Herausforderung. Der Wurmlord hat sie gnadenlos bestraft. Verbannt in die Vergangenheit, finden sie sich in einer Zeit wieder, ohne Erinnerung an ihre tiefe Freundschaft. Sie sind Fremde füreinander...