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Dag saß auf seinem Sofa. Die Beine ausgestreckt hatte er den Blick wie so oft gen Zimmerdecke gerichtet.

Blobby nahm derweil ein wenig unruhig auf einen der Stühle platz.

Seit Vincent gegangen war, um einiges zu erledigen, wie er gesagt hatte, hatten die beiden Zurückgelassenen kaum miteinander gesprochen.

Dag war klar, dass er es absichtlich tat. Er wollte ablenken von seinen Gedanken, doch die schwirrten weiterhin nur um das eine Thema.

Eva.

Er wollte nicht als der Schwache der Truppe gelten, weshalb er es vorzog, zu schweigen.

Allerdings ...

Momentan hatte er das Gefühl, bald wie ein Luftballon mit zu viel Luft als Inhalt zu zerplatzen. Es spannte regelrecht in ihm.

»Sag ma'...« , begann Dag langsam, ohne Blobby anzusehen. »Wie genau sieht sie aus?«

Der Metamorph blickte kurz irritiert auf. »Wer?«

»Eva.« Dag schloss die Augen und versuchte das Bild, von ihr in seinem Kopf zu formen. Doch der Schatten blieb.

Blobby ächzte schwer und lehnte sich ein wenig mehr zurück. Es war deutlich, dass er diesem Thema aus dem Weg gehen wollte, denn selbstverständlich hatte er bemerkt, das Dag und Vincent in der Nacht nicht da gewesen waren. Und es war demzufolge nicht schwer für sich selbst zu erkennen, dass es dem Lockenkopf wegen all dem nicht gutging. Der Erwartung entsprechend gab er sich dafür die Schuld, weil er ja beide darauf hingewiesen hatte, dass sie nicht nur ihre Freundschaft verloren hatten. »Dag, ich ... ich weiß nicht, ob das jetzt wichtig ist. Es gibt andere Dinge, die wir eher klären sollten. Der Lord ...«

»Nein.« , unterbrach er ihn barsch. »Es ist wichtig. Für mich ist es wichtig. Ich kann einfach nicht aufhören, an sie zu denken.«

Blobby sah ihn genau an. Ihm war klar, dass er keine Ruhe geben würde. Langsam holte er tief Luft. »Sie hat dunkles Haar. Sie sind mittlerweile schulterlang. Ehm ... ihre Augen ... sie sind hellbraun. Fast golden, wenn das Licht richtig einfällt. Zumindest hast du es oft betont, sobald du von ihr geschwärmt hast.«

Dag schloss wiederum die Augen, versuchte, das Bild nun zu vervollständigen.

Doch nichts.

»Das ist alles?« , fragte er leise. Er wollte mehr Details. Mehr Greifbares.

Der Metamorph räusperte sich. »Ich ... ich weiß nicht, was ich ...«

»Was ist mit der Zeit davor? Ich hab' sie verloren. Ich weiß das. Sie war weg. Sie ... du sagtest, ich hab' Dinge getan. Ich ...«

»Ja, das stimmt.« , murmelte Blobby und blickte nervös zur Seite. »Du ... du warst nicht bereit, Vater zu werden und ... sie hatte es dir verheimlicht und ... ging. Du wusstest nicht genau, was war, erst ... Jahre später. Dann hast du sie wiedergefunden. Und ... Bela ... dein ... Sohn.«

»Bela?!«

Dag schluckte.

Eine Familie, die er hier vielleicht nicht mal ansatzweise bekommen würde.

Er versuchte, Bela wenigstens vor seinem inneren Auge hervorzurufen oder seine anderen beiden Kinder, doch auch da blieb nur eine Leere.

Blobby sah ihn mitfühlend an.

Er wusste, dass es nichts gab, was er sagen könnte, um Dags Schmerz zu lindern.

Diese Realität war falsch, und doch ... war sie alles, was sie im Moment hatten.

»Dag, wir ... wir müssen uns auf das Wesentliche konzentrieren.«

»Ich weiß. Aber ... was ist, wenn wir hier nicht wegkommen? Soll ich einfach weiter durch diese beschissene Realität stolpern, ohne die Chance zu nutzen, mein Leben auch hier in Angriff zu nehmen? Meine Familie ... Eva ... auch hier zu finden?!« Er lehnte sich nach vorne.

Blobby stand auf und setzte sich zu ihm. »Dag, ich verstehe, was du meinst. Aber du musst dir überlegen, was das wirklich bedeutet. Was, wenn wir nach Lage der Dinge niemals zurückkommen? Sollst du dann alles hier einfach aufbauen, als ob dies dein echtes Leben wäre?«

»Warum nicht?« Dag sah ihn direkt an. »Ich meine, wenn wir hier gefangen sind, könnte ich versuchen, Eva hier zu finden, sie kennenzulernen. Ich könnte vielleicht sogar wieder ein Leben aufbauen. Ein neues Leben. Gegebenenfalls könnte ich einige Dinge besser machen. Was ... was wäre so falsch daran?«

Der Metamorph zögerte, bevor er sprach. »Es gibt einige Dinge, die du in Betracht ziehen musst.« Sein Kopf neigte sich ein wenig zur Seite. »Wenn du hier dein Leben aufbaust, könntest du Eva finden und eine Verbindung zu ihr aufbauen. Du könntest quasi eine gewisse Form der Normalität wiederfinden.«

»Das klingt doch vernünftig, oder nicht?!«

»Du ... hör zu ... Diese Eva, ist nicht die Eva, die du wirklich kennst. Sie hat dich ja bisher nie angetroffen. Ihr seid zusammen zu einer Einheit gewachsen.«

»Das könnten wir wieder.«

»Und wenn sie sich nicht in dich verliebt? Du würdest eventuell auf etwas setzen, was keine Zukunft hat, oder ... möglicherweise nie dieselbe Tiefe erreichen wird, wie ... in der echten Realität.«

»Vielleicht spürt sie ja dasselbe wie ich.« , sagte er leise.

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Das wissen wir nicht. Aber was wir wissen ist, das der Lord vor hat, die Menschheit hier zu vernichten. Du wirst so oder so also nicht dazu kommen, hier dein Leben mit ihr aufzubauen.« , sprach er. »Du könntest also Zeit und Energie in etwas investieren, das auf einem sehr wackligen Fundament steht.«

»Aber ...«

»Dag, ich will dir nichts Böses. Im Gegenteil. Aber ... je mehr du dich auf diese Realität einlässt, desto mehr riskierst du, den Fokus auf das zu verlieren, was wirklich zählt.«

»Aber wenn es keinen Weg für uns gibt?«

»Willst du deswegen das echte Leben aufgeben? Deine echte Familie? Eva. Bela. Erik und Livia.«

Dag spürte, wie sich seine Brust aufs Neue zusammenzog.

Er wusste, das Blobby Recht hatte. Und doch schmerzte es sehr. »Also ... was genau willst du mir damit sagen?« , fragte er und redete auch direkt weiter. »Dass ich mich von dieser Idee verabschieden soll? Dass ich es nicht einmal versuchen soll?«

Blobby schaute ihn ernst an. »Was ich dir sagen will, ist, das du Prioritäten setzen musst. Ich verstehe deinen Drang. Aber ist es das wert, wenn wir wissen, alles wird ... zerstört werden?«

Dag schwieg eine Weile. Seine Gedanken wirbelten durcheinander.

Schließlich nickte er langsam. »Ja. Ich verstehe. Aber ... soll ich mich dann für immer leer fühlen?«

Blobby lächelte ihn leicht aufmunternd an. »Dag, solange wir nicht gänzlich aufgeben, gibt es Hoffnung.«

Der Lockenkopf nickte ein weiteres mal. Auch wenn er immer noch nicht wusste, was er genau tun sollte.

Volle Kraft zurück in die Zukunst (Band 4)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt