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„Hey, sag mal, fährst du Skateboard?", fragte die melodische Stimme von Heaven mich durch die Lautsprecher meines Handys und irritiert zogen sich meine Brauen zusammen. Meine Augen huschten zu dem mittlerweile leicht verstaubten Brett.

„Ich kann fahren, aber wieso fragst du?", stellte ich die entscheidende Gegenfrage und hörte die blauhaarige auf der anderen Seite der Leitung freudig in die Hände klatschen.

„Super! Wir treffen uns in zwanzig Minuten bei dem neu erbauten Parkhaus, bis dann!", sie legte auf, ohne mir die Möglichkeit zu geben, noch etwas zu sagen. Das Handy von meinem Ohr nehmend stieß ich einen Seufzer hervor. Natürlich hatte mich meine einzige Freundin eingeplant, ohne meine Einwilligung.

Ich erhob mich aus meiner Sitzposition, straffte die Schultern und ging auf das Brett mit den Rollen zu, um es in meine Hände zu nehmen und zu begutachten. Man konnte bereits viele Kratzer deutlich erkennen, manche waren von Unfällen bei denen ich mich gepackt hatte, andere wiederum von Kunststücken die ich ernst frisch gelernt hatte.

„Dad, ich geh aus.", verkündete ich die frohe Botschaft meinem Vater, welcher an der Küchenzeile lehnte und in einem Magazin über Autos herum blätterte. Verwirrt sah er zu mir auf, seine Augen glitten zu meinem Board und ohne einen Kommentar von sich zu geben nickte er.

Die Dielen knarrten unter meinen Schritten, als ich nach meinem Schlüssel griff, mir eine dünne Jacke überstreifte und in meine Schuhe schlüpfte. Nervosität machte sich in mir breit und ein unwohles Gefühl packte mich. Heaven hatte in der Mehrzahl gesprochen.

Vor dem großen grauen Gemäuer angekommen blickte ich mich unschlüssig um. Anders als bei bereits fertiggestellten Werken, hingen hier noch einige Plastiktücher umher, welche vor Niederschlag und Regen schützen sollten. Am Eingang des Parkhauses hing ein Schild, welches den Zutritt verbot.

„Bay!", rief eine vor Freude strahlende Heaven als sie mir auch schon um den Hals fiel und ich zurück taumelte. Mein Blick verfing sich mit dem von einem Jungen. Er hatte strohblondes Haar, ein Piercing an der unteren Lippe sowie an der linken Augenbraue und Augen, fast so schwarz wie Nacht um uns rum.

Neben ihm standen ein weiterer Kerl mit dunkler Haut und ein Mädchen mit südländischen Touch. Sie alle drei sahen mich befremdend und abschätzig an, so, als würde ich gleich auf sie losgehen und sie mit meinem Skateboard erschlagen. Die Vorstellung war amüsant, weshalb ich schmunzelte.

„Süße, das sind Naomi, meine beste Freundin, Dakota, mein bester Freund, und Marvin, mein Cousin.", stellte meine Freundin ihren Bekanntenkreis vor, was ich nickend zur Kenntnis nahm. Das Mädchen mit dem südländischen Aussehen lächelte mich an und deutete auf mein Board.

„Wollen wir?", fragte sie, die Augen voll Schalk glänzend. Das beklommene Gefühl wich von meinem Brustkorb und ein Lächeln machte sich auf meinen Lippen breit, ich nickte, auch wenn ich befürchtete, dass wir nicht ungestraft in dieses Gebäude eindringen durften.

Wir kletterten über einige Absperrungen, ab und an verfing ich mich mit dem Stoff meiner Sweatshirtjacke an Gittern, bekam aber Hilfe von Dakota oder Marvin, welche gar nicht so ernst waren, wie sie wirkten. Die gesamte Gruppe schien mir sympathisch.

Einige Zeit später erreichten wir den höchsten Punkt und somit die oberste Etage. Die Aussicht die man betrachten konnte war atemberaubend und einige Minuten verweilte ich kurz vor dem gnadenlosen Abgrund, welcher ebenso vor mir lag.

Die Lichter der Stadt vertrieben die Sterne aus dem Himmel, erleuchteten dennoch die Nacht. Menschen tummelten sich selbst noch zu dieser Uhrzeit auf den Straßen und besuchten die verschiedenen Bars und Clubs. Bisher war ich noch in keiner von denen, immerhin war ich minderjährig und bekam so gar nicht erst den Einlass, was mich aber nicht sonderlich störte.

„Wie läuft es mit dem Lehrer?", erkundigte ich mich bei dem Mädchen, welches sich schweigend neben mich gestellt hatte und ebenfalls hinunter auf die belebten Straßen Chicagos blickte. Heaven strich sich seufzend eine ihrer blauen Haarsträhnen hinters Ohr und lächelte traurig.

Ihre blasse Haut schimmerte im Licht des Mondes milchig und ihre sanften Gesichtszüge wirkten gequält: „Das Leben geht weiter, auch, wenn ab diesem Moment ein Teil von uns in der Vergangenheit bleibt.", sagte sie und verdrängte die Tränen, die aus ihren Augen kullern wollten.

„Schöner Spruch, von Tumblr?", erwidere ich mit einem unauffällig auffälligen Themenwechsel, welcher Heaven ganz gut zu kommen schien. Sie lachte, schüttelt den Kopf über meine Kaltherzigkeit und legt mir freundschaftlich eine ihrer zierlichen Hände auf die Schulter.

„Erwischt.", gestand sie, noch immer lachend. Die Trauer über ihre verflossene Liebe war verschwunden und das taffe Mädchen, welches ich so gerne mochte, war wieder da. Das Mädchen mit den braunen Augen stieß mir ihren Ellenbogen zwischen die Rippen und deutete mit ihrem Kopf in die Richtung der anderen, die bereits auf ihren Boards standen und verschiedene Tricks übten.

„Auf, auf, das wird noch eine lange Nacht.", grinste ich, mir eine meiner braunen Strähnen aus dem Gesicht pustend.

Not the truthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt