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Ich band mein braunes Haar zu einem hochgelegten Pferdeschwanz, steckte meine restlichen losen Strähnen mit Haarspangen fest und betrachtete mich in der verdreckten Fensterscheibe vor mir. Durch meine Augen zogen sich rote Blutgefäße, meine Lippe zitterte noch immer und mein Gesicht war Aschfahl sowie blass. Alles in allem sah ich furchtbar aus.

„Bereit?", erklang eine Stimme hinter mir und abrupt wirbelte ich herum, um in das Gesicht von Reece zu sehen, welcher ebenfalls so aussah, als würde er sich jeden Moment übergeben. Er trug kein Shirt, wodurch sich mir ein beachtlicher Anblick bot, doch sobald ich in seine grün-blauen Augen sah musste ich an Damien denken und wie enttäuscht er von mir wäre, wenn er mich hier so stehen sehen würde.

„Bist du es?", stellte ich die entscheidende Gegenfrage und drehte ihm wieder den Rücken zu, um mit letzten Griffen mein Outfit zu richten. Bedrücktes Schweigen erfüllte den Raum, während ich die Falten aus meinem Top strich und sie Trainingsleggins etwas hochzog.

Auch wenn ich es ungerne zugab, die Nervosität packte mich und ich bekam panische Angst vor dem Kommenden. Es ist keine Zeit für einen Rückzieher!, rief ich mir selbst in Gedanken zu und setzte ein Lächeln auf meine spröden Lippen.

„Nein.", sagte Reece ohne jeglichen Zusammenhang als ich an ihm vorbei und aus der Tür gehen wollte. Perplex sah ich zu dem schwarzhaarigen auf. In den vergangenen Wochen war immer er es gewesen, der voll und ganz hinter dieser Aktion gestanden hatte, ihn jetzt verängstigt wie einen kleinen Jungen zu sehen war ein wahrhaftiger Schock.

Entschlossen schüttelte ich den Kopf: „Du bist selbst schuld, Reece. Dich hat niemand dazu gedrängt, zu trainieren und hier anzutreten.", meine Worte waren hart, doch musste ich an Aaron und seine Drohung in der Schule denken. Erneut fragte ich mich, wie ich ihn nur nett finden konnte.

Ich ging ohne ein weiteres Wort an dem Kerl neben mir vorbei und stolzierte durch die heruntergekommenen Gänge. Wir waren unterhalb der Stadt, weshalb es hier unten bestialisch stank, und in einer Art unterirdischer Arena.

Im Haupttrakt angelangt hörte man schon deutlich das Stimmengewirr und die verschiedenen Sprachen, welche heute Nacht vertreten wurden. Soweit ich wusste, war aus jedem Land mindestens ein Kämpfer anwesend. Angstschweiß überzog meine Stirn.

Meine Augen trafen auf die grauen von Aaron und zornig presste ich die Lippen aufeinander. Wenn er nicht gewesen wäre, dann würde ich hier nicht stehen und das Leben eines anderen Menschen gefährden. Hass keimte in mir auf und mir wurde klar, dass ich diesen Jungen aus tiefsten Herzen verachtete.

„Der nächste Kampf findet zwischen Trust und Danger statt, zwei unserer stärksten Kämpfer der heutigen Nacht!", moderierte der Typ vom letzten Entscheid auch dieses Mal. Ein gigantischer Kloß bildete sich in meinem Hals und Magensäure stieg mir die Luftröhre empor.

Die Masse an Menschen teilte sich vor mir, als einer der Scheinwerfer auf mich fiel und damit jedem im Raum klar wurde, dass ich nun in den Ring steigen würde. Das schlechte Gefühl in meinem Bauch ignorierend schritt ich voran und kletterte auf den Mittelpunkt der Räumlichkeiten.

Ein Mann mit platinblondem Haar stand mir gegenüber, hatte Muskeln wie Hulk und eine Haut, so hell wie Schnee. Das Gefühl in meinem Bauch nahm mit jeder weiteren Sekunde mehr zu, doch durfte ich mir keine Schwäche erlauben und einfach wegrennen.

Angst?, formte mein Gegenüber mit seinen Lippen und trug ein wissendes Funkeln in seinen Augen, was mich Fuchsteufelswild machte. Ich würde hier als Siegerin raus gehen, nach Hause fahren mit dem Bus in der Früh und meine Tasche packen, um dann den nächsten Zug nach Illinois zunehmen.

Zwar hatte ich keine Ahnung, was ich dort machen wollte, doch war alles besser, als hier festzusitzen mit Menschen, die einen nicht verstanden und nicht die Möglichkeit gaben, sich zu erklären.

Der Signalton, der den Kampf startete, begann zu schallen und innerhalb weniger Minuten hatte ich nicht nur eine blutige Nase, sondern auch ein schmerzendes Handgelenk, welches pochende Empfindungen durch meinen Körper jagte.

Danger war noch stärker, als ich ihn eingeschätzt hatte und selbst wenn ich alles versuchte, was in meiner Macht lag, war mir durchaus bewusst, dass ich hier nicht heil rauskommen würde. Immer mehr breitete sich die Verzweiflung in mir aus, meine Schläge wurden schwächer, meine Tritte ungenauer.

Ich hielt durch, bis meine Gedanken zu meinem Vater sowie Damien drifteten, dann spürte ich nur noch, wie mich etwas hart am Kiefer traf und ich hinunter auf den Boden sackte, dort mit dem Kopf aufschlug und mich die Schwärze immer mehr mit sich zog. War es das, würde ich sterben?


Not the truthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt