Meine Unterlippe bebte, als ich die Schultern straffte und mir die feuchten Wangen trocken strich. Mein Herz hämmerte schmerzvoll gegen meinen Brustkorb, doch musste ich in die Werkstatt und den Rest der Lügen retten, den Sophie noch nicht zerstört hatte.
Mit wackligen Beinen stieß ich erneut die Glastür auf, trat ein und atmete ein letztes Mal tief durch, ehe ich den Blick meines Vaters suchte und nachdrücklich mit dem Kopf schüttelte: „Sie hat gelogen. Egal was sie gesagt hat, es entspricht nicht der Wahrheit."
Das verräterische Zittern meiner Stimme ignorierend trat ich einen weiteren Schritt in den Raum hinein. Eine unverkennbare Spannung lag in der Luft und auch, wenn ich gerne abgestritten hätte, dass mich alle anstarrten, so war dies der Fall. Sie wussten es. Sie wussten alles.
Ich kannte Sophie, nie und nimmer würde sie auch nur eine Kleinigkeit auslassen, wenn sie denn mal den Mund aufbekam und ihre Meinung oder gar die Wahrheit aussprach. Die Rothaarige war schon immer ein seltsamer Fall für sich gewesen.
Von ihren Eltern wurde sie unter Druck gesetzt, musste perfekt sein und den Idealen entsprechen. Im Gegensatz zu anderen Kindern auf dieser Welt hatte sie alles und doch gar nichts. Zwar besaß ihre Familie eine große Villa am Meer, doch wurde sie auf ein Internat nach Deutschland geschickt, um dort gute Noten zu schreiben. Auf irgendeine Art und Weise hat sie mir schon immer leid getan.
„Ach, ist das so?", höhnte Dean, erhob sich von der Sitzbank und verschränkte die Arme vor der Brust. Meine Augen glitten durch die Runde, an Chiara und Logan vorbei zu Ben und Damien, sowie Heaven. Alle betrachteten sie mich aus undurchdringlichen Masken.
Damiens blaue Augen trafen auf meine, ein brennender Stich zog sich durch mein Herz und ich vergaß meinen Vorsatz. Erneut stiegen mir Tränen in die Augen und ein Kloß bildete sich in meinem Hals: „Was wisst ihr?", fragte ich mit heiserer Stimmlage und zitternden Händen.
Mein Erzeuger schnaubte abfällig, würdigte mich mit einem herablassenden Blick und schüttelte dann enttäuscht den Kopf: „Genug. Genug um zu wissen, dass meine Tochter eine Lügnerin ist."
Der distanzierte, abweisende Ton seiner Stimme jagte mir Schauer den Rücken hinunter und ließ meine Unterlippe erbeben. Immer wieder wiederholte sich das Wort in meinem Kopf, hallte noch lauter wieder und wurde zu einem dröhnenden Piepen, welches mir Kopfschmerzen bereitete. Lügnerin.
Natürlich war ich eine Lügnerin, eine gigantisch große, doch es aus dem Mund meines Vaters zu hören war womöglich schmerzhafter als jeder Schlag mit der Faust ins Gesicht. Etwas, und ich konnte nicht definieren, was genau es war, brach in mir und ließ mich wimmern.
„Ich weiß. Aber es gab keinen anderen-", setzte ich jämmerlich dazu an, mich zu verteidigen, doch unterbrach mich Dean mit einer Kälte, die er nur bei der Army gelernt haben konnte.
„Du hast uns über Monate hinweg angelogen.", ich wendete meinen Blick von ihm ab, richtete ihn auf den Boden und versuchte die Tränen zurück zu halten, welche sich an die Oberfläche kämpften. Doch trotz dessen, dass er mit allem Recht hatte, was er sagte, wollte ich dies nicht auf mir beruhen lassen.
Ein letztes Mal straffte ich meine Schultern und richtete trotzig mein Kinn empor: „Was hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon zu verlieren?", fragte ich argwöhnisch und wischte mir mit der rechten Hand die Träne weg, die sich aus meinem Augenwinkel stahl.
Gerade als meine Tante ansetzen wollte ebenfalls etwas in der Konversation einzubringen hob ich die Hand um sie dabei zu unterbrechen. Nichts und niemand würde mich jetzt unterbrechen: „Ich hatte keine Familie, mein Selbstwertgefühl war für den Arsch und ich konnte einem Mädchen helfen, dass es nötiger hatte als ich in der Gesellschaft akzeptiert zu werden."
Das Zittern meiner Stimme war verschwunden und immer mehr spürte ich die Wut unter meiner Haut kochen. Keiner von ihnen kannte auch nur ansatzweise das Leid, welches ich ohne liebende Mutter und Vater durchmachen musste, wie es war, keine wirklichen Freunde zu haben und in einem Internat Meilenweit entfernt von der eigentlichen Heimat zu leben.
„Verurteil mich, aber versetzt euch ein einziges Mal in meine Lage!", stieß ich noch erbost hervor, ehe ich all diesen bekannten Gesichtern den Rücken zu wandte und aus der Werkstatt stürmte. Sie sollten meine Tränen nicht sehen. Nicht sehen, wie ich innerlich immer mehr kaputt ging.
Ich hörte noch Dean wie er meinen Namen rief, ignorierte ihn aber und lief immer weiter in Richtung des Industriegebietes. Gerade als ich dachte meine Ruhe zu haben, alleine zu sein und abschalten zu können, vibrierte mein Handy in meiner hinteren Hosentasche und brachte mich so zum wütenden aufschreien. Verdammte Scheiße, ich wollte doch nur heulen wie ein kleines Baby.
Votexkämpfe. Heute um Mitternacht. Treffen unter der Brücke.
Durch verschleierte Sicht hindurch las ich die abgehakten Wörter und verstand erst nach einigen Sekunden dessen Bedeutung. Der Absender war Unbekannt, weshalb es nur jemand von den Votexkämpfen direkt sein konnte, und auch wenn es mit Abstand eine der dümmsten Ideen meines Lebens sein würde, würde ich heute Nacht antreten und meiner Wut Luft machen.
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Not the truth
Romance»Du hast uns über Monate hinweg angelogen.« »Was hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon zu verlieren? Ich hatte keine Familie, mein Selbstwertgefühl war für den Arsch und ich konnte einem Mädchen helfen, dass es nötiger hatte als ich in der Gesellschaf...