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Genervt weil mich der Oberarzt über zwei Stunden in Gefangenschaft gehalten hatte riss ich die Beifahrertür zu Damiens Wagen auf und ließ mich auf die weiche Polsterung gleiten. Ein erleichterter Seufzer entfuhr mir und genüsslich schloss ich die Augen, noch immer hatte ich keinen Tropfen Koffein in mir, da war die kurze Ruhe ganz angenehm.

„Endlich, dachte schon ich müsste hier jämmerlich umkommen weil du dich verlaufen hast und erst mit 72 Jahren den Ausgang wieder findest.", scherzte der Besitzer dieses Autos bei bester Laune während ich nur die Augen verdrehte und meinen Kopf gegen die kühle Fensterscheibe lehnte.

„Wie witzig.", brummte ich als Antwort ehe sich die Blechbüchse in Bewegung setzte und Damien uns in den Straßenverkehr Chicagos einfädelte. Seinerseits war ein Glucksen zu vernehmen, ansonsten schwieg er aber und lenkte lediglich das Blech um uns herum.

Ich wusste nicht wie lange wir gefahren sein mussten, doch der Motor erlosch und ich schlug erschöpft die Augenlider auf: „Wo sind wir?", fragte ich als ich die Umgebung abgescannt hatte und feststellen musste, dass wir nicht bei der Werkstatt und schon gar nicht in der Nähe von dieser waren.

Die Sahneschnitte zuckte mit den Achseln, stieß seine Tür auf und lief auf eines der Cafés zu. Mit tausenden Flüchen die aus meinem Mund krochen folgte ich ihm um mich anschließend gegenüber von ihm hinzusetzten an einem Tisch, der wahrscheinlich poliert worden war, so sehr glänzte die Lackierung über dem dunklen Ebenholz.

„Was hat der Arzt gesagt?", erkundigte sich der schwarzhaarige beiläufig während er die Speisekarte studierte und mich dabei nicht eines Blickes würdigte. Gleichgültig zuckte ich mit den Schultern und pustete mir eine Strähne meines Haares aus dem Gesicht.

„Meine gesamte obere Haut ist im Arsch und muss durch verschiedene Cremen erst wieder aufgebaut werden. Er meinte, ich würde für immer die Vernarbungen behalten und mit großer Wahrscheinlichkeit auch noch mit 89 Jahren das Ziehen spüren, welches sich bemerkbar macht wenn ich mich bewege. Alles Dinge, die ich schon wusste.", sprach ich die wesentlichen Wortfetzen aus die ich in meinem Kopf behalten konnte währenddessen ich ihm die Speisekarte entnahm und selbst nach sah, was es denn so leckeres hier gab. Er beschwerte sich zwar, dass er noch nicht fertig gewesen sei, beließ es aber dabei und durchbohrte mich lieber mit seinen eisblauen Augen.

Einige Zeit verbrachten wir im Schweigen. Menschen kamen und verließen die Räumlichkeiten, unsere Bestellung wurde aufgenommen und ich bekam endlich meine gewünschte Tasse Koffein.

„Nimm es Ben nicht übel, dass er es Dean gesagt hat. Er macht sich nur Sorgen um dich und will, dass du dich hier einlebst und nicht mehr so alleine fühlst.", ein Schnauben entfuhr mir, ich setzte die Tasse von meinen Lippen auf die Tischplatte ab und zog argwöhnisch die Augenbrauen zusammen.

„Ich brauche mich hier nicht einleben, wieso auch? Ich bleibe hier noch verdammte zwei Jahre und werde dann zurück nach Deutschland gehen. Ich gehöre nicht hier her, Damien.", erwiderte ich sachlich, lediglich mein Blick sagte aus, dass ich es ernst meinte.

„Wirst du dann zu deiner Mutter ziehen?", mich nervten seine ständigen Fragen die er mir stellte, doch ich verzog lediglich das Gesicht zu einer schrecklich hässlichen Grimasse und griff nach dem Sirup, welcher zusammen mit unseren Pfannkuchen gebracht wurde.

„Definitiv nicht, ich brauche keinen Ballast.", mit der Gabel, auf welcher mehrere Stücke des Gebäcks drauf waren, fuhr ich zu meinem Mund. Möglicherweise sah ich dabei alles andere als ansehnlich aus, mit Sicherheit hätte mich meine alte Direktorin deswegen zur Schnecke gemacht, doch es war nur der Knackarsch welcher vor mir saß und mich dabei begutachtete.

Seine dunklen Brauchen zogen sich zusammen, auf seinem Nasenbein bildeten sich Falten und erneut stellte er Fragen die mich zur Weißglut brachten: „Du hast kein sonderlich gutes Verhältnis zu ihr, wieso?", wenn seine Augen nicht so voller ehrlichem Interesse glänzen würde, hätte ich ihm schon längst eine rein gehauen. Verdammt, dieser Idiot interessierte sich für mich und wollte lediglich Konversation mit mir betreiben um mehr über mich zu erfahren.

„Mein Geschenk zum fünften Geburtstag war die Einweisung in ein Internat in Deutschland. Layla war nie eine wirklich fürsorgliche oder gar gute Mutter gewesen, sie hat sich oft auf Partys aufgehalten und ihren Körper an Männer verschenkt, die dachten sie besäßen die Welt. Zugegebenermaßen kann man sagen, dass sie eine Hure ist.", meine harten Worte gegenüber meiner Erzeugerin waren mir egal, immerhin stimmten sie. Um einiges mehr verstehend als zuvor nickte Damien.

„Ist das der Grund, wieso du Ben gestern von dir gestoßen hast, als er dich umarmt hat?", in meinem inneren zog sich alles zusammen und mit keinerlei Appetite mehr schob ich den Teller mit dem leckeren Essen von mir. Das Blondchen wollte vergangene Nacht für mich da sein, eine Stützte sein, doch ich hatte wieder einmal abgeblockt und zugemacht.

„Layla hat mich in meiner gesamten Kindheit kein einziges Mal in die Arme geschlossen, ich bin es einfach nicht gewohnt Liebe oder gar Zärtlichkeit zu bekommen. Disziplin wurde von mir abverlangt, ein tadelloses Erscheinungsbild und das Benehmen eines wohlerzogenen Mädchens, dies ist auch der Grund wieso ich jetzt hier bin; Ich falle aus der Reihe und kann niemand sein, der ich nicht bin.", dieses womöglich viel zu detaillierte Geständnis sprudelte einfach so aus mir heraus und so unangenehm es mir auch war, ihm gegenüber mein Herz auszuschütten, so angenehm war es, dass Verständnis in seinen klaren blauen Augen zu sehen. Für ihn ergab mein Verhalten Sinn, auch wenn er immer noch nicht alles über mich wusste.

Not the truthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt