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„Was war das für ein Brief?", das Blondchen schloss hinter sich die Tür und lehnte sich gegen diese. Ein Seufzer, weil ich wusste, diese Frage würde kommen, verließ meine Lippen und unschlüssig betrachtete ich mein Spiegelbild.

Ich hatte meine Augen erneut mit Wimperntusche voluminöser gemacht, wobei mir meine Lider jetzt schon schwerer vorkamen, meine Lippen mit einem farbigen Lippenbalsam nachgezogen und ein wenig Puder aufgelegt. Meine sonst glatten und schlaff hinunter hängenden Haare hatte ich mir zu meiner eigenen Verwunderung mit einem Lockenstab gewellt und alles in allem war ich kaum wieder zu erkennen. Das einzige, war darauf deuten ließ, dass es wirklich ich war, die hier stand, war mein Kleidungsstil, welchem ich treu geblieben war.

Dunkle Jeans die an den Knien aufrissen war, ein lockeres Sweatshirt welches ebenso gut von Damien selbst hätte stammen können und abgetragene Chucks.

„Was interessiert es dich?", stellte ich Ben die Gegenfrage und wendete mich ihm zu. Sein Erstaunen über mein Aussehen war ihm ins Gesicht geschrieben, doch verlieh er kein Wort darüber, wie sehr ich mich für das Date mit Damien auftakelte, sondern blickte mich, mit den Kopf schüttelnd, an.

„Du musst anfangen zu vertrauen, Martin.", seine blau-grauen Augen sahen in meine und ein Schauer durchlief mich. Natürlich hatte der Idiot recht, ich musste langsam aber sicher anfangen zu vertrauen, doch fiel mir dies schwerer, als ich freiwillig zugeben würde.

„Und dann, Harris? Was, wenn ich wirklich anfange euch allen zu vertrauen? Glaubst du, ich würde etwas vor euch verheimlichen, wenn es nicht wirklich notwendig wäre?", schon im Internat wurde mir gelehrt, dass Angriff die beste Verteidigung sei. Oft war es so, dass Vorurteile gegenüber dem Internat herrschten, weshalb dieses prompt zur Gegenwehr ansetzte und genauso Gerüchte in die Welt setzte.

Mein Gegenüber raufte sich das Haar, schüttelte erneut den Kopf und funkelte mich böse aus verengten Augen an: „Du kannst nicht immer alles alleine machen, Bay.", zischte er aufgebracht, was ich wiederum niedlich fand. Er machte sich Sorgen, um mich.

„Baby, ich bin miserabel in Teamwork und außerdem gerne alleine. Wenn du also nichts dagegen hättest, würde ich noch mein Handy holen und dann zu der Verabredung mit deinem besten Freund.", es war einer meiner wenigen Bitch-Momente und obwohl mir Ben leid tat, weil er mir nur helfen wollte, war es mir egal.

Ich war nervös, weil ich gleich mit der Sahneschnitte wegfahren würde, und darüber hinaus auch noch reizbar, weil ich immer noch nicht verstehen konnte, wie sie mir einfach so und ohne Vorwarnung schreiben konnte. Dementsprechend war meine Reaktion berechtigt.

Bei dem Gedanken an das bevorstehende Date rutschte mir das Herz in die Hose. Tausende Fragen schossen mir durch den Kopf und abrupt drehte ich mich von dem Sohn des besten Freundes meines Vaters weg, um Abschminktücher zu suchen. Was, wenn Damien mich ungeschminkt hübscher fand und mein Make-Up für ihn grottenschlecht war, immerhin hatte ich kaum Erfahrung mit Schminke?

„Was tust du da?", fragte der Kerl mit den blond-braunen Haaren, welcher noch immer an der Tür lehnte, irritiert und musterte mich ausgiebig. Sein Blick fiel auf die Abschminktücher und sein rechter Mundwinkel zuckte in die Höhe.

Bevor er ansetzten konnte auch nur einen einzigen blöden Spruch los zu lassen unter brach ich ihn: „Ein Wort und ich frag deinen Vater nach eurem Wohnungsschlüssel, dann kannst du deinen Augenbrauen Adieu sagen."

„Lass das Make-Up wo es ist, dein Handy bleibt hier und mach dich auf den Weg nach unten. Damien wird nicht ewig warten, selbst, wenn er das Date so sehr wollte.", mit jedem Wort war mir Ben einen Schritt näher gekommen, weshalb er jetzt genau vor mir stand und hinauf blicken musste. Verflucht sei meine mickrige Körpergröße.

Zum ersten Mal fiel mir auf, wie makellos sein Gesicht eigentlich war. Seine Nase war gerade, seine Lippen schwungvoll sowie zum Küssen einladend, seine Wangenknochen hoch und seine Augen tiefsinnig und voller Loyalität.

Ben gehörte zu der Sorte Freund, die man niemals missen will. Mit ihm an der Seite könnte man ganze Schlachten gewinnen, einzig und allein aus dem Grund, dass er immer hinter einem stehen würde, selbst bei noch so großen Fehlern.

„Ich habe Angst, Ben, gigantische Angst", gestand ich ihm kleinlaut, schlang die Arme um seinen muskulösen Oberkörper und drückte mich so nah an ihn, wie nur möglich. Ich atmete seinen vertrauten Geruch ein, schloss die Augen und genoss den Moment.

Damals hatte ich seine Umarmung nicht gewollt, die Vertrautheit nicht gewollt, doch jetzt war es anders, jetzt war Ben zu einem der Anker geworden, die mich am Boden halten würden, wenn meine Lügen ans Licht und meine Welt aus dem Gleichgewicht kommen würde.

„Ich weiß.", grummelte der blonde Vollidiot in mein gewelltes Haar und schloss ebenfalls die Arme um mich, strich mir mit seiner Hand leicht übers Haar und vermittelte mir das Gefühl von Verständnis, Geborgen und Familie. Etwas, das ich zuvor nie zu spüren bekommen habe. 


Not the truthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt