„Heaven!", rief ich den Namen meiner einzigen Freundin hier in Chicago aus. Ihr türkisfarbener Haarschopf schwenkte sich als sie sich in meine Richtung drehte und breit anfing zu grinsen. Sie fing an mit ihren gepiercten Augenbrauen zu wackeln, kam mir entgegen und schloss mich kurz in ihre Arme, ehe sie mich wieder freigab und sich bei mir einharkte.
„Was gibt es?", fragte sie. Ihre gefärbten Haare waren leicht ausgeblichen, ihre Jeans wie schon gewohnt löchrig und ihr Shirt mehrere Größen zu groß für ihren zierlichen Körper.
„Ich brauche deinen Rat.", gab ich ihr ehrlich als Antwort und bekam einen erstaunten Blick als Erwiderung. Es hatte eine halbe Ewigkeit gedauert bis ich mich überwinden konnte zu ihr zu gehen, sie war mir noch so gut wie fremd, dennoch benötigte ich dringend jemanden zu reden.
Da Heaven anscheinend merkte, dass es wirklich ernst war, nickte sie mir lächelnd zu und zog mich in eine mir unbekannte Richtung. Erst als wir bei einem kleinen heruntergekommenen Café angelangt waren entließ sie mich ihrem Griff und hielt mir die Tür auf, damit ich eintreten konnte.
Anders meiner Erwartungen gegenüber war das kleine schäbige Café gemütlich eingerichtet und auf den ersten Blick mehr als nur reinlich. Ein junger Mann hinter der Theke sah auf, lächelte uns zu und widmete sich anschließend seiner vorigen Beschäftigung.
„Das ist Juan. Er arbeitet während seines Studiums hier um ein wenig dazu zu verdienen.", erklärte mir meine Begleitung schmachtend während sie einen sehnsüchtigen Blick in seine Richtung warf. Auch wenn ich keine sonderliche Ahnung von Beziehungen oder gar Gefühlen hatte, zwischen den beiden musste etwas laufen oder gelaufen sein, sonst würde das Mädchen neben mir nicht hin und weg wegen diesem Typen sein.
„Ah, okay.", entgegnete ich mit gespieltem Interesse. Meine Eifer bezüglich des Themas Jungs war gering, ich hatte in den vergangenen Jahren kaum Kontakt zu ihnen und auch so schien ich nicht gerade ein Männermagnet zu sein, was womöglich an meiner abweisenden Art zu liegen schien.
Wir setzten uns an einen Tisch weiter hinten, platzierten uns gegenüber voneinander und bestellten uns bei Juan jeweils einen Kaffee, eher betretenes Schweigen einsetzte und keiner von uns so genau wusste, was er jetzt sagen sollte.
Ich räusperte mich: „Also, ich wollte deinen Rat einholen.", begann ich nach gefühlten Jahren die Stille zwischen uns zu brechen. Dies schien Heaven zu gefallen, denn sie straffte ihre Schultern und nickte mir aufmunternd zu. Tief atmete ich durch.
„Wie soll ich mit Schuldgefühlen und Gewissensbissen umgehen?", die Frage rutschte mir einfach so heraus und wieder dominierte einige Zeit das Schweigen, bis das Mädchen mir gegenüber anfing zu lachen und sich den Bauch zu halten anfing. Die Stirn in Falten gelegt betrachtete ich sie.
An ihrer rechten Wange machte sich ein Grübchen bemerkbar, ihre Piercings bewegten sich mit ihr und ihre Schultern bebten während aus ihren mit Kajal umrahmten Augen die Tränen nur so heraus flossen.
„Dein Ernst?", erkundigte sie sich immer noch halb lachend, doch ich schaute sie aus versteinerter Miene an und zog demonstrativ die Augenbrauen empor. Die Belustigung wich aus dem Gesicht der jungen Schülerin und verlegen biss sie sich auf die untere Lippe.
„Ja, mein Ernst.", antwortete ich ihr dennoch und versuchte meine Stimme nicht ganz so hart klingen zu lassen. Anscheinend gelang mir dies nicht, denn Heaven zuckte unter meinem Ton zusammen und blickte mich an wie ein nasser Hund wenn er Mist gebaut hatte.
Wieder erfüllte unser Schweigen den Raum zwischen uns. Das Surren der Kaffeemaschine, die Schritte die Juan zu anderen Kunden machte und das Klingeln der Ladentür schienen zur Nebensache zu werden.
„Die Wahrheit.", sagte das Mädchen mit den türkisenen Haaren und setzte ein gequältes Lächeln auf, „Bei Schuldgefühlen und Gewissensbissen hilft nur die Wahrheit. Sie ist das Einzige, das uns Menschen erlösen wie auch erdrücken kann."
Ihre Worte hallten selbst Stunden später noch immer in meinem Kopf wieder. Sie waren tiefgründig, doch konnte ich nicht die Wahrheit ans Licht kommen lassen, ich durfte sie nicht an die Oberfläche gelangen lassen. Ich hatte es versprochen.
Von den ganzen Gedanken die mir durch den Kopf gingen bekam ich Kopfschmerzen, weshalb ich mich meiner Kleidung entledigte und unter die Dusche stieg. Das warme Wasser auf meiner Haut beruhigte mich, nach langer Zeit fühlte ich mich endlich einmal wieder befreit und doch war dort eine tiefsitzende Leere in mir, welche drohte mich platzen zu lassen.
Zu gerne würde ich mich jemanden anvertrauen, die Wahrheit in die Welt hinaus posaunen und anschließend erleichtert aufschreien, doch ich konnte nicht, durfte nicht.
Das Gewissen, dass ich all die schrecklichen Erlebnisse für mich behalten musste zerfraß mich, belastete mich und machte mich kaputt. Ich war zu einem Schatten meiner selbst mutiert und drohte daran zu zerbrechen, alles wegen einem Versprechen welche ich gegeben hatte.
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Not the truth
Romance»Du hast uns über Monate hinweg angelogen.« »Was hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon zu verlieren? Ich hatte keine Familie, mein Selbstwertgefühl war für den Arsch und ich konnte einem Mädchen helfen, dass es nötiger hatte als ich in der Gesellschaf...