„Willst du wirklich so einkaufen gehen?", Jan nippte an seiner grüngepunkteten Tasse, „du gehst unter Menschen."
Diese Spitzen lieferten wir uns seit unserer Versöhnung vor zwei Wochen immer wieder mal. Während Jan über meinen Kleidungsstil meckerte, machte ich Witze über seine Art, Mitarbeiter in Kaufhäusern oder Supermärkten um Hilfe zu bitten. Dabei wirkte er immer sehr arrogant und verbissen. Obwohl er im wahren Leben eigentlich ganz anders war.
Noch immer gab es Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Homosexualität meines Bruders. Aber darüber sprachen wir nicht, wenn es die Situation nicht unbedingt erforderte.
Ich schaute an mir herunter, warf vor Lachen den Kopf in den Nacken und küsste seine Wange, bevor ich den Schlüssel von der Arbeitsplatte nahm und federnden Schrittes die Wohnung in meinem grauen Jogginganzug verließ.
Meine Freundin Leni war nach wie vor nicht präsent in meinem Leben und schien das auch nicht ändern zu wollen. Aus einer von Jans Erzählungen erfuhr ich, dass sie –seitdem ich nicht mehr „da" war- sehr viel Zeit mit Marius verbrachte, so dass Jan kaum noch die Gelegenheit bekam, seinen besten Freund alleine zu sehen. Zwei Mal in der Woche kam Marius zum Training und lästerte jedes einzelne Mal über meine beste Freundin, die ihm die Luft zum Atmen nahm. Aus diesem Grund hatte Jan Leni und ihn am heutigen Abend zum gemeinsamen Kochen eingeladen. Ich war nicht davon überzeugt, dass sie wirklich zusagen würde, aber wie es der Zufall wollte, tat sie es doch. Jan musste später hinzustoßen, weil er für die Mittagsschicht eingeteilt war und sich auf die Schnelle niemand gefunden hatte, der seinen Dienst mit ihm tauschen wollte. Aus diesem Grund machte ich mich alleine auf den Weg zum Supermarkt und besorgte alles, was man für einen Abend mit Freunden brauchte.
Leni lehnte am Türrahmen der Küche, während Marius und ich die Pilze bürsteten um sie dann in kleine Stücke zu schneiden.
„Pack das Handy doch mal weg und hilf uns", wendete Marius ein.
„Was soll ich denn machen? Die Pilze nach dem Bürsten nochmal küssen und ihnen danken, dass sie heute auf meinem Teller landen?", Leni knallte ihr Smartphone empört auf die Arbeitsplatte.
„Wenn du willst, kannst du den Tisch decken", freundlich lächelte ich, legte Pilz und Messer zur Seite und öffnete den Hängeschrank mit dem Geschirr.
„Von wollen kann keine Rede sein", blaffte Leni und nahm widerwillig vier Teller aus dem Schrank.
Jan kam früher als gedacht nach Hause und strahlte bis über beide Ohren, als er nach dem Essen mit zwei Flaschen Bier für sich und seinen besten Freund auf der Couch Platz nahm. Ich räumte das Geschirr in die Spülmaschine, während Leni unbeteiligt vor der Spüle stand und ohne Unterbrechung auf ihr Handy starrte.
„Ich bin nicht gerne hier."
„Ich weiß."
„Gut. Wie war Berlin?"
„Das ist schon zwei Wochen her, Leni. Fragst du, weil es dich interessiert, oder weil du fragen musst?"
„Letzteres."
„Wer zwingt dich?"
„Marius."
„Warum?"
„Weil er der Meinung ist, dass wir uns vertragen sollten."
„Wo er recht hat", grinste ich, „warum haben wir uns so gestritten?"
Leni zuckte mit den Achseln.
„Keine Ahnung. Weil du den Finnen verheimlicht hast, glaube ich."
„Ach ja", meinte ich beiläufig und stellte meiner besten Freundin ein Sektglas vor die Nase.
Ich sagte ihr nicht, dass ich wieder Kontakt zu Samu hatte. Das wäre in der aktuellen Situation alles andere als vorteilhaft gewesen. Immerhin hatte ich sie schon so weit, dass sie mit mir redete.
Nach dem in alkoholgetränkten Abend arbeiteten Samu und ich seit zwei Wochen krampfhaft daran, den Abend zu rekonstruieren. Wenn einem von uns etwas einfiel, schrieb er dem jeweils anderen eine Nachricht. Dabei kam es aber auch vor, dass wir zwei Tage nicht miteinander schrieben.
„Und warum stört dich das so sehr?", wollte ich wissen und mischte Lenis Sekt mit etwas Bananensaft, den ich extra für sie gekauft hatte.
„Hast du Kontakt zu Samu?", entgegnete sie sofort und nahm einen großen Schluck.
„Nein."
„Schön."
„Warum, Leni?"
„Weil du verliebt in ihn warst?"
„Es ist nicht mehr als ein Wochenende gewesen."
„Na ja", sie tippte mit ihren blau-lackierten Fingernägeln auf den Rand des Glases, „eigentlich warst du ja länger in ihn verliebt als ein Wochenende."
„Es lief aber nur ein Wochenende lang was. Nenn das davor Schwärmerei und gut."
„Wie fühlt man sich eigentlich, wenn man mit einem Rockstar geschlafen hat? Die Jungs waren in den letzten Jahren super erfolgreich und hatten fast nur ausverkaufte Konzerte. Ist man dann sowas wie eine Trophäe?"
„Was? Ich hab es nie an die große Glocke gehangen, dass ich mit Samu geschlafen hab."
„Fühlt sich das anders an?"
„Nein."
„Ok."
„Was soll das?", ich rollte mit den Augen und ging an Leni vorbei ins Schlafzimmer. Sofort folgte sie mir und schlug die Tür hinter uns zu.
„Die andere Frage ist, warum du nie darüber reden willst."
„Weil das kein Thema mehr ist. Es ist Vergangenheit und damit hat sich das für mich erledigt", ich warf eine Leggings aus meinem Kleiderschrank auf das Bett, „ich weiß nicht, warum du immer wieder auf Samu zurückkommst, wenn wir uns treffen. Ich habe keinen Kontakt zu ihm und betrüge Jan demnach auch nicht."
„Zick doch nicht gleich", meine beste Freundin ließ sich auf die Matratze sinken.
„Du wolltest Silvester nicht mit mir feiern, weil ich Jan nicht gesagt hab, dass ich an einem Wochenende mit ihm geschlafen hab", ich wurde lauter, „erzähl du mir nichts von zickig sein."
„Habt ihr in diesem Bett miteinander geschlafen? Du und Samu?"
„Bist du beim FBI oder was? Ermittelst du undercover für irgendjemanden?"
„Ich bin interessiert", lächelte sie falsch.
„Dann sei woanders interessiert", ich pellte mich aus der engen Jeans und angelte die schwarze Leggings vom Bett, „du bist richtig ätzend, meine Liebe."
Leni begann nervös an ihren Fingernägeln zu knibbeln und sich über die Oberschenkel zu reiben.
„Ich will nur sicher gehen", sie blinzelte unsicher.
„Dass was?"
„Dass das mit dir und Jan was Richtiges ist."
„Weil du heiraten willst und Jan und ich Trauzeugen sein sollen?", machte ich mich lustig.
„Lach nicht darüber", sagte sie ernst.
„Du denkst nicht wirklich darüber nach, oder?", entsetzt zog ich die Leggings hoch und warf Leni einen meiner Hoodies zu, „du willst nicht wirklich heiraten."
„Jetzt komm mal runter. Das hätte nur Vorteile für uns."
„Hat er dich gefragt?"
„Wir haben gemeinsam darüber nachgedacht", meinte sie trocken und knüpfte ihre Bluse auf, „wenn wir zusammenziehen und heiraten würden, hätten wir mehr Geld. Wegen der Steuern."
„Bekommt ihr 'n Kind?"
„Emma, nein", genervt legte sie die Bluse zerknüllt auf die Bettdecke und schlüpfte in den viel zu großen Pullover, „wir würden diesen Schritt gerne irgendwann in diesem Jahr gehen wollen. Weil wir uns lieben. Mit euch zusammen."
„Weiß Jan davon?"
Meine beste Freundin nickte.
„Was hat er dazu gesagt?"
„Er war nicht so entgeistert wie du."
Das war es also.
Sie wollte sicher gehen, dass ich dieses Jahr nicht auf die Idee kommen würde, mich von Jan zu trennen, damit sie keine Angst um ihre Hochzeit haben müsste.
Irgendwie war das schräg. Auf der anderen Seite fand ich Lenis Nachfragen –im Nachhinein- gar nicht mehr so schlimm.
Und sie wollte nur sicher gehen. Vermutlich hätten wir uns nicht gestritten, wenn sie sofort etwas gesagt hätte.
„Mach dir keine Gedanken", ich legte meine Hände versöhnliche auf ihre Schultern, „das wird alles."
„Also gibt es den Finnen nicht mehr?"
„Die Antwort ist die gleiche wie letztes Jahr, Leni."
„Also nein?"
Also nein", umarmte ich sie.
Leni hatte sich auch noch eine Jogginghose von mir geliehen und betrat gemeinsam mit mir das Wohnzimmer. Unsere Männer saßen gemütlich auf der Couch, tranken Bier und sahen fern. Leni setzte sich neben Marius und übersäte ihn mit Küssen, während ich mich gezielt vor mein DVD-Regal hockte.
Ich räusperte mich einige Male um die Aufmerksamkeit der drei zu bekommen und zeigte dann auf die Filmsammlung. Mal nickte Marius, mal verneinte Jan, mal zeigte Leni mit dem Daumen nach oben. Christian Bale als Batman machte letztendlich das Rennen. Obwohl wir durch das Essen mehr als vollgefressen waren, hatte ich das Gefühl, nach diesem ungewöhnlichen Geständnis meiner besten Freundin Schokolade oder irgendeine andere Süßigkeit essen zu müssen. Kaum hatte ich die DVD eingelegt, verschwand ich in der Küche und öffnete die Süßigkeitenschublade unter dem Ceranfeld. Ich bereitete Schüsseln mit Flips, Schokoladenriegeln und Weingummi vor, als Jan plötzlich hinter mir stand und über meine Seiten strich.
„Achte auf deine Linie, Süße", flüsterte er mir ins Ohr und küsste mein Ohrläppchen.
„Arschloch", kicherte ich und zog die Schultern hoch.
„Habt ihr geredet?"
Ich nickte.
„Alles wieder gut?"
Wieder nickte ich.
„Was hast du da eigentlich an?", seine Hände umfassten fest meinen Bauch, „du siehst aus wie aus der Altkleidersammlung."
„Haha."
„Mal ehrlich", mit einer gezielten Handbewegung drehte Jan mich zu sich um, „wir haben Besuch und du sieht aus wie aus dem Altkleidercontainer. Das kannst du doch nicht anziehen."
„Meinst du das ernst?", ich legte die Hände auf seine Brust, „oder ist das wieder eine dieser Spitzen?"
„Der Pulli hat schon mal bessere Zeiten gesehen, oder?"
„Leni trägt auch Gammelklamotten."
„Aber Leni ist mir egal, Süße", sanft küsste er meine Stirn, „ich hab doch auch keine Sportklamotten an, weil ich die bequemer finde."
„Könntest du vor unseren Freunden aber tun."
„Will ich aber nicht", seine Stimme wurde unruhig, „und ich möchte nicht, dass meine Freundin so rumläuft."
Ich konnte ihn plötzlich ganz schlecht einschätzen. War das ein Witz?
Oder wollte er mich aufziehen?
„Jan, hör auf. Das ist doch Bullshit", lachte ich, „nimm die Süßigkeiten mit ins Wohnzimmer und setz dich zu Marius."
„Ich werd von dem Kram nichts anrühren", lachte er spießig, „dann muss ich nicht zum Training gehen.".
„Dann ess ich die Schokolade alleine mit meiner besten Freundin", meinte ich, streckte ihm die Zunge raus und schob mich mit zwei der drei Schalen an ihm vorbei.
Nachts um 01.00 Uhr verabschiedete ich Marius und Leni an der Wohnungstür. Ich räumte die leeren Schüsseln vom Tisch und verschwand danach sofort im Schlafzimmer. Jan und ich hatten während des Films kein Wort miteinander gewechselt. Ich fühlte mich von ihm irgendwie bloßgestellt, vor allem, weil unsere besten Freunde hören konnten, was er in der Küche zu mir gesagt hatte. Einige Tage zuvor hatte er sich über meinen abgeblätterten Nagellack mokiert. Ich könnte so auf keinen Fall in die Öffentlichkeit treten, alle Menschen würden denken, ich sähe immer so aus. Das schockierte mich zutiefst, auch, wenn er relativ zügig danach gemeint hatte, es sei ein Scherz gewesen.
„Entschuldige", sagte Jan als er sich neben mich legte, „ich wollte nicht, dass Marius und Leni denken, wir hätten 'n Problem miteinander. Der Pullover ging aber wirklich gar nicht. Das kann ich doch wohl sagen."
„Aber nicht so, Jan", stur zog ich mir einen Teil der Decke über den Kopf.
„Du bist unfassbar."
„Du auch. Schlaf gut."
„Ich will das jetzt ausdiskutieren, Emmchen."
Wütend setzte ich mich auf.
„Du willst immer alles ausdiskutieren. Wo sind wir denn hier? Bei Anne Will oder was? Ich fand unpassend, was du gesagt hast. Und du nicht. Ist doch in Ordnung. So hat jeder seine Meinung."
„Du bist eine Zicke", meinte Jan und drehte sich mit dem Gesicht von mir weg, „ich darf dir doch sagen, was ich denke."
„Erst gefiel dir der Nagellack nicht, heute Morgen war es der Jogginganzug, mit dem ich einkaufen gegangen bin und heute Abend der Pulli. Kleide mich doch einfach ein. Dann haben wir solche Probleme nicht mehr."
„Schön!"
„Find ich den alten Pulli, ja", ich blies die Wangen auf, „was ist denn nur in dich gefahren?"
„Das könnte ich dich fragen."
„Schämst du dich etwa für mich?"
„Wenn du rumläufst wie ein Penner, dann ja."
„Na danke, Herr Temme", ich schlug die Decke zurück, schnappte mir Handy und Zigaretten vom Schreibtisch und ging aus dem Schlafzimmer.
„Wo willst du hin?", rief er mir hinterher.
„Weit weg!", schrie ich, zog meinen schwarzen Mantel über und ging in Flipflops vor die Tür.
Meine Füße wurden zu Eisblöcken, während ich rauchte.
Dieser Mann war unfassbar.
Wenn er sich für mich schämte, dann sollte er sich ein anderes Bett suchen, in dem er Tag für Tag schlief.
Ich war es leid, immer zurückzustecken und in die Opferrolle gedrängt zu werden.
Ich trat die Zigarette aus, schloss die Tür wieder auf und warf den Stummel in den Aschenbecher in der Küche.
Gerade als ich zurück ins Schlafzimmer gehen wollte, stürmte Jan mir entgegen.
„Ergreifst du jetzt die Flucht, weil du dir nicht anders zu helfen weißt?", fragte ich.
An der Tür angekommen schüttelte er nur den Kopf und verließ fluchtartig die Wohnung.
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Just friends?
Fanfiction"[...] Wie wäre es, wenn sie immer da wäre? Wenn sie morgens neben mir aufwachen würde? Immer? Ich stieß einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. Keine Chance. Soweit hatte ich damals nicht gedacht; soweit sollte ich jetzt nicht mal ansatzweise de...