Darling

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Emma war im Badezimmer verschwunden, als ich zur Tür gegangen war.
Gott sei Dank hatte Osmo geklingelt um schlimmeres zu verhindern. Keine Ahnung, was in mich gefahren war. Normalerweise vermied ich Nähe, wenn es sich einrichten ließ und es nicht um Sex ging. Dieses Mal hatte ich mich von etwas anderem fehl leiten lassen. Ein Kuss, andere Zärtlichkeiten eingeschlossen, außerhalb der eigentlichen Sache, stand ganz oben auf der verbotenen Liste. Osmo klopfte mir zur Begrüßung auf die Schulter, drückte mir eine Flasche Salmiakki und Sekt in die Hand und ging zielstrebig in den Wohnbereich.
Meine diesjährige Geburtstagsparty stand unter dem Motto „Cocktailparty", für die ich extra noch meinen schwarzen Smoking aus der Reinigung geholt hatte. Ich ging die Treppe hoch und stieß auf dieser fast mit Emma zusammen.
Sie sah umwerfend aus und trug die schwarzen Heels, mit denen sie vorher in Unterwäsche vor mir herumstolziert war. Ihr blaues, knielanges, trägerloses Kleid war schlicht, jedoch elegant und stand ihr ausgezeichnet. Es wirkte königlich. Die roten Haare waren über eine ihrer nackten Schultern gelegt und in ihren Ohren baumelten große Ohrringe.
„Osmo is waiting in die Esszimmer. Ich muss anziehen meine smoking."
Sie nickte mir zu und wollte sich an mir vorbei schieben.
Ich hielt sie am Oberarm fest.
„You're looking really really good, Emma."
„Danke", sie schenkte mir ein verlegenes Lächeln.
„Can't wait to take it off later", flüsterte ich.
„Versprich nichts, was du nicht halten kannst", wisperte sie mir zwinkernd entgegen und stieg die Wendeltreppe hinab.
Es war kribbelig zwischen uns, keine Frage. Emma war wahnsinnig attraktiv und törnte mich mit ihrer ganzen Art unglaublich an. So schlimm war die Situation vor zwei Jahren nicht gewesen. Sie war reifer geworden, war nicht mehr so verklemmt und ließ sich die Butter nicht vom Brot nehmen. Das schindete bei mir Eindruck; mal außer Acht gelassen, dass sie das mit ihrem Lappen von Freund nicht geregelt bekam.


Ich schluckte schwer, als Samu die Treppe herunter kam, den Smoking am Kragen zurecht rückte und einen Fuß vor den anderen setzte. Ich hatte ganz vergessen, wie gut er in Anzügen und Hemden aussah. Innerlich rieb ich mir die Hände, weil ich wusste, was mich nach dieser ganzen Feierei erwarten würde.
Osmo reichte ihm einen der Plastikbecher und wollte den Sekt öffnen, was Samu mit einer abwertenden Gestik unterband und holte aus einem Hängeschrank drei Sektgläser.
„Die beakers sind for später", formulierte er, „now wir sind unter uns, also wir können benutzen die good one."
Wir tranken einige Gläser und leerten die Flasche, die Osmo offensichtlich mitgebracht hatte, ehe es erneut an der Tür klingelte.
Samu stellte das Glas auf die Arbeitsplatte, nickte uns zu und ging zur Tür, um zu öffnen.
„How long?", fragte der Keyboarder und drehte das Sektglas am Stiel.
„What?"
Wusste er, dass wir miteinander schliefen?
Hatte Samu was erzählt, obwohl er selbst gesagt hatte, dass das Selbstmord wäre?
„Are you in love with him."
Das klang mehr wie eine Aussage, als eine Frage.
Ich war nicht verliebt.
Weder in Jan, noch in Samu.
Er war unaussprechlich attraktiv und ja, ich schlief gerne mit ihm.
Nicht nur wegen seiner verdammten Oberarme.
Aber verliebt?
Niemals.
Den Fehler hatte ich bereits einmal begangen.
Nochmal wollte ich das auf keinen Fall.
„What?"
„C'mon", Osmo stieß mich an der Schulter an, „I saw your face."
„You observe me?", grinsend prostete ich an sein Sektglas und trank einen weiteren Schluck.
„Everytime. I'm your bodyguard", schmunzelte er mir zu.
Ich lachte hell.
„Really", Osmo beugte sich zu mir herüber, „what happend between you?"
„We are friends again and I have a job here. Concert with Niila, maybe you know him. Samu offered his sofa to me. That's all."
„That's all?"
„That's all", nickte ich.
„Where's the girl?", ein großer Mann mit blauem Hemd und schwarzer Cap, gefolgt von einem kleineren, braunhaarigen mit Hut kam klatschend in die Küche. Beide begrüßten mich freundlich und stürmten anschließend auf Osmo los. Sofort folgte ein finnischer Sprachschwall, denn offenbar war er ebenfalls mit den beiden befreundet. Samu stand mit verschränkten Armen neben mir und beugte sich zu mir herunter.
„Niila ist die mit die hat. Die andere guy ist Felix Zenger. Er ist die beatboxing dude. Die concert ist tomorrow. Wir können gehen hin oder wir bekommen photos von die guys", er machte eine Kunstpause, „I know things which are even better than the concert. But you have to choose."
Ich trank den Rest meines Sekts.
„Ist das Konzert eine Option?", flüsterte ich.
„Not really, no", meinte Samu knapp und lächelte spitzbübisch, „we're making photos today and the interview, too. The questions are in the studio upstairs."
„Jetzt?"
„Folge mich unauffällig", sagte er leise und ging einige Schritte rückwärts, bis er sicher gehen konnte, dass Osmo einen Moment mit den beiden Quasselstrippe alleine zurecht kam.


„Du siehst unverschämt gut aus in deinem Smoking", meinte Emma und zupfte an meiner Fliege herum, als wir im Obergeschoss ankamen, „ich weiß nicht, ob ich mich heute Abend beherrschen kann, dir nicht an die Wäsche zu gehen."
„Oh Lady", schmunzelte ich und strich über ihre Taille.
„Du siehst toll aus, Samu."
„Es ist die Inhalt, die ist important."
„Oh, ein Philosoph", kicherte sie, streichelte über meine Brust und reckte sich mir entgegen, um ihre Lippen unterhalb meines Kehlkopfes zu platzieren.
Sie wusste ganz genau, dass mich das aus dem Konzept brachte.
„We have to work", sagte ich mit geschlossenen Augen und griff an ihre Handgelenke.
„Du hast Geburtstag. Heute ist dein freier Tag", sie hauchte flatternde Küsse über meinen Hals und öffnete die Knöpfe des Smokings, „let yourself go."
„Nicht jetzt", lachte ich und schob sie sanft von mir weg.
„Wow. Das war 'n Korb", stellte sie ernüchtern fest und fasste sich nervös an den Unterarm.
„Just for the moment. Die guests sind upstairs, dann wir können nicht hier oben haben Sex."
„Und wenn ich leise bin?"
„You're not able", zwinkerte ich und küsste ihren Scheitel, „later, ok? I'll promise. You can believe me, dass ich würde lieber haben sex."
„Wann ist aus dir dieser rücksichtsvolle Kerl geworden?"
„Emma", ich rollte die Augen.
„Ich wollte dir nur sagen, dass ich ihn nicht besonders mag", grinste sie und zog die Knöpfe des Smokings wieder durch die Löcher, „er ist heiß, aber ich mag ihn nicht."
Ich schüttelte lachend den Kopf, griff nach einem Ordner in einem der Ablageflächen und hielt ihn Emma hin, die bedankend einen Knicks machte, ehe wir zurück zu den anderen gingen.


Ich verzog mich mit Niila und seinem Beatboxer Felix sofort in das Wohnzimmer, während Samu Nudel- und Pizzableche bei irgendeinem Italiener bestellte. Es war blauäugig von mir gewesen, ohne Vorbereitung in dieses Interview zu gehen. Ich suchte mir aus Samus loser Blattsammlung einige Fragen zusammen, die ich für angemessen hielt. Mein Handy ließ ich für die Aufnahme mitlaufen und überlegte mir nach dem Stellen jeder Frage, was die Leser noch interessieren könnte. 20 Minuten lang ging es um erste Bühnenerfahrungen, das erste Konzert, den ersten Rückschlag, die Unterstützung der Familie und Freunde.
Beide waren sehr angenehme Interviewpartner und hatten ein Nachsehen mit mir, weil ich mich nicht vorbereitet hatte. Niila hatte gemeint, dass Samu mir den Ordner früher hätte geben können.
„What about groupies?", fragte ich direkt heraus, um auch etwas zu bekommen, was weder auf Samus Zettel stand, noch bisher in irgendeiner Zeitschrift veröffentlicht wurde. Darüber hatte ich mich nämlich informiert.
Niila schüttelte den Kopf, während Felix komplett schwieg.
„What are you doing tonight?", preschte er hervor.
Niila und ich sahen uns an und begannen zu lachen.
„What about a drink?", fragte Felix und legte den Kopf zur Seite.
„Afterwards, yes", nickte ich und wiederholte meine Frage, „do you have groupies?"
„Yes", antworteten sie unisono.
„Did you ever use them?", hakte ich nach und malte bei dem Wort „use" Gänsefüßchen in die Luft.
„No", kam es gleichzeitig wie aus der Pistole geschossen.
Ich drückte den Aufnahmeknopf des Handys und nickte.
„Kiitos", lächelte ich freundlich und erntete langsamen Applaus von einer Person hinter mir.
Als ich mich im Sessel sitzend umdrehte, lächelte Riku mir entgegen. Er klatschte Felix und Niila ab, die sich sofort auf den Weg in die Küche machten.
„Don't forget our drink", schmunzelte Felix mir zu und machte deutlich, dass er mich für den Abend im Auge behalten würde.
Riku nahm auf der Couch Platz und faltete die Hände.
Ich war nervös.
Nervös, was er sagen würde, mich hier zu treffen.
Ich hatte mich nach dem Desaster nie wieder bei ihm gemeldet.
Er holte tief Luft.
„Believe me or not, but I never thought that I see you again, sitting in Samus house drinking alcohol and working with Niila and his beatboxer."
Ich nickte.
„How are you?"
„Good."
„Fine", er sah umher, „Samu and you..."
„We're ok", sagte ich schnell und versuchte so natürlich wie möglich zu lächeln.
Er nickte.
„I'm happy to see you again. Really", Rikus Gesicht hellte auf, „but what are you doing now? After you did your job?"
„Partying?", meinte ich unsicher und hoffte, dass seine Stimmung nicht wieder umschlagen würde und er mich an Ort und Stelle einen Schlag in den Nacken gab.
„Right answer", er stand auf, streckte mir seine Hand freundlich entgegen und lief mit mir zurück in die Küche, die mittlerweile aus allen Nähten platzte. Wie ein Haufen Ameisen standen alle an der Arbeitsplatte und versorgten sich mit Alkohol oder Softdrinks, anstatt sich auf der kompletten Etage zu verteilen. Sitzmöglichkeiten gab es jetzt ausreichend. Samu lehnte ebenfalls an der Küchenzeile und nickte mir zufrieden zu, bevor er in das Wohnzimmer ging, die Musikanlage einschaltete und die aktuellen Charts mit einer Auswahl seiner Lieblingslieder spielte. Zurück in der Küche zeigte er einige Leuten den Esszimmertisch, anderen das Sofa im Wohnbereich, so dass sich der Bulk an Menschen langsam auflöste. Auch das Treffen mit den anderen Bandmitgliedern war positiver, als ich erwartet hatte. Nachdem ich Raul, Sami und Mikko begrüßt hatte, stellten sie mich ihren Frauen als „Mädchen für alles" vor. Das war ich vor zwei Jahren gewesen, von daher war das für mich vollkommen in Ordnung. Sie nahmen mich augenblicklich wieder in ihre Mitte auf, ohne auch nur eine Sekunde lang auf Samus und meine Liaison einzugehen. Wir lachten und alberten herum wie damals.
Allerdings war ich überrascht, so wenig bekannte Gesichter zu sehen. Ich war immer der Meinung gewesen, dass Samu eine Person war, die mit viel mehr Prominenz feiern würde. Traurig, dass ich erst jetzt bemerkte, wie bodenständig und einfach er eigentlich war. Zu seinem Freundeskreis gehörten –neben den Bandmitgliedern- ganz normale Menschen, die morgens Zeitung austrugen, Brötchen verkauften, Ware am Kassenband abscannten oder in einem Callcenter arbeiteten. Einige finnische Berühmtheiten gab es aber dennoch. Stolz wie Oskar zeigte Samu unauffällig auf einen der biertrinkenden Schränke, der vor Kopf an dem Esstisch saß. Er spielte in seinem Lieblingsverein dem IFK Eishockey, der Typ daneben ebenfalls.
Ein weiteres Mal an diesem Abend klingelte es.
Samu ging federnden Schrittes zur Tür und kam mit einem Strauß roter Rosen und einer Brünette im Arm zurück in die Küche, die sechs riesige Verpackungen eines Lieferdienstes vor ihrem Busen balancierte. Sie stellte die Styroporverpackungen auf den Küchentisch und blieb wie angewurzelt davor stehen, während Samu den Strauß in eine Vase mit Wasser stellte.
Missbilligend ignorierte ich die aufgedonnerte Erscheinung, holte eine weitere Flasche Sekt aus dem Kühlschrank, füllte meinen Plastikbecher und stellte mich rücklings mit verschränkten Armen an die Küchenzeile und ließ den Blick durch die Masse schweifen. Den Männern standen die Münder offen und der Sabber schien an ihren Mundwinkeln herunterzutriefen.
Niemand redete mehr.
Außer Liisa und Suzanna.
Sie hatten die Köpfe eng zusammengesteckt und lästerten. Als sie bemerkten, dass ich sie beobachtete, rollten sie die Augen und deutete mit dem Kopf zaghaft in Mirjas Richtung.
Ich grinste.
Mirja war immer noch die gleiche Person wie damals.
Braune, toupierte Haare, rosafarbener Lippenstift auf ihren gemachten Lippen, dunkel-geschminkte Augen, zu viel Make-Up, zu viel Rouge, zu viel Highlighter, zu wenig Stoff. Das schwarze Cocktailkleid ging nicht mal bis über die Knie und war fast bis zum Bauchnabel ausgeschnitten. Einen BH trug sie nicht, da war ich mir sicher. Brauchte sie auch nicht. Ihre falschen Brüste konnten nichts anderes als gerade stehen und den letzten Fetzen Stoff halten.
„Hello", winkte sie quietschend in die Runde.
„Hi", sagten die Männer im Chor.
Wieder schaute ich zu Suzanna und Liisa.
Beide schüttelten den Kopf.


Als sich die Masse langsam wieder beruhigt hatte und alle Männer wieder Luft bekamen, nachdem Mirja ausnahmslos jeden mit Küsschen rechts, Küsschen links begrüßt hatte, nahm sie sich einen Becher und einen Pappteller und lächelte mich an.
„Your face", piepste sie, „I know you."
„Yes", nickte ich und trank einen Schluck.
„Don't say a word, darling. I swear I remember your face."
Darling.
„Yes", meinte ich wieder.
Nachdenklich tippte sie sich an die Stirn. Als wäre irgendwas anderes in ihrem Kopf als Luft.
Die Zeit verging. Sie kräuselte die Nase, runzelte die Stirn und schien wirklich zu überlegen, wer ich war.
Als wüsste sie das nicht.
Selbst Osmo hatte mich nach einmaligem Treffen in einer Diskothek wieder erkannt.
Betrunken.
„Sorry", sie schüttelte schmatzend ihr braunes Haar, „your face is too normal. Every girl has a face like yours. Can't remember, sorry."
„No problem", grinste ich falsch und kippte den restlichen Sekt in mich hinein.
„I'm Mirja", feixte sie und streckte mir die Hand entgegen, „Samus fiancée."
Erschrocken riss ich die Augen auf und hielt eine Hand vor den Mund, um den Alkohol nicht ausspucken zu müssen.
„I know who you are", ich schüttelte überschwänglich ihre Hand, nachdem ich den Plastikbecher auf den Kühlschrank gestellt hatte, „Emma. We know each other for two years."
„Sorry, I can't remember", quietschte sie und rückte ihre unechten Brüste unter dem engen Kleid zurecht, ging zu Samu an den Tisch und legte ihre Hände –ebenso wie ihr Doppel-Z-Körbchen - auf seinen Rücken.
Er drehte sich zu ihr um, grinste mich an und griff dann nach ihrer Hand.
Kein Ring.
Sie war doch nicht tatsächlich seine Verlobte.
Oder?
Nein.
Samu war Peter Pan.
Und Peter Pan heiratete nicht.
Nie.
Niemanden.
„Emma?", eine Hand legte sich auf meine Schulter und riss mich aus meinen Gedanken.
Ich hob den Kopf und sah in das breite Grinsen auf Felix' Gesicht.
„You owe me a drink."
„Sure", nickte ich, reichte Felix zwei Pappteller, öffnete den Kühlschrank und holte die Zutaten für den Cosmopolitan heraus.

Just friends?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt