Ich hörte klassische Musik, als ich die Tür des Zimmers öffnete. Samu hatte mir den Vortritt in Zimmer 83 auf der sechsten Etage des denkmalgeschützten Gebäudes gelassen. Seit ich zum ersten Mal mit der Bahn hier vorbeigefahren war, wollte ich ein einziges Mal in meinem Leben eine Nacht dort verbringen. Allein das alte Gemäuer war der Wahnsinn. Zusätzlich hatte mich die Internetseite heiß darauf gemacht. Dazu kam noch, dass Samu mir erzählt hatte, wie toll der Service und die Menschen hier waren.
Ich schob die weiße Tür auf, ließ den Koffer samt Jacke neben Samu stehen und schaute auf den dunkelbraunen Dielenboden, bevor ich den in die Wand eingelassenen Schrank zu meiner Rechten bemerkte. Ich ging einige Schritte weiter durch den kleinen Flur und stoppte auf dem schwarz-weiß gestreiften Teppich, auf dem zwei Vintagesessel mit Blumenmuster und ein niedriger Glastisch standen. Auf der rechten Seite befand sich eine riesige alte Kommode, in der sich wohl auch die Minibar befand. Darauf thronte ein edler Flachbildfernseher, eine Dolce Gusto-Maschine mit süßen Kaffeetässchen und ein Lautsprecher von Marshall. Vor mir lag eine Fensterfront, die mit ockerfarbenen Vorhängen behangen war. Als ich meinen Kopf nach links drehte, sah ich das Herzstück dieses Zimmers.
Das Bett.
Und was für ein Bett es war.
Das Kopfteil sah aus wie die Hälfte einer Meeresmuschel und war mit dunkelgrünem Samt überzogen. Unzählige weiße Kissen lagen auf der dunkelbraunen Tagesdecke.
„Und?", Samu schob die Hände von hinten auf meinen Bauch.
„Ich geh nicht mit zu dem Geburtstag. Ich bleibe einfach hier. Du kannst dann heute Nacht kommen und mich massieren. Das wäre 'n guter Deal."
„Bitte?", er erhob die Stimme, „was?"
„Ich bleib hier", sagte ich bestimmend und drückte meinen Rücken gegen seine Brust, „dann kommst du, ziehst dich aus und massierst mich. Das ist mein Plan."
„Und was ist mit meine plans?"
Ich schüttelte den Kopf.
„Heute bin ich dran."
„No", Samu fing an, meinen Hals zu küssen und schob seine Hände sacht unter mein Shirt.
„Doch", versuchte ich zu widerstehen und bemerkte, wie sich eine Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitete.
Widerstand war offenbar zwecklos.
„No", er biss vorsichtig in meinen Nacken und drückte seine Knie behutsam in meine Kniekehlen, „du musst sehen die bathroom."
Samu bugsierte mich unter ständigem Liebkosen meines Nackens in das Badezimmer auf der linken Seite des Zimmers. Es gab kein Fenster, aber das Licht war bereits eingeschaltet. Wie auch die anderen Lichtquellen im Zimmer. Man merkte, dass dem Betreiber das Wohlbefinden der Gäste am Herzen lag.
„Do you like it?", wollte Samu wissen und öffnete mit einer Hand die Tür der Duschkabine, in der locker drei bis vier Personen Platz hatten.
„Du lässt mich ja nicht richtig gucken", kicherte ich.
„Du musst nicht sehen richtig", merkte er an und schob mich in die Duschkabine, „just feel."
Bevor er zu mir in die Duschkabine kam, drückte er irgendeinen Knopf an der rechten Wand, woraufhin sich ein lautes Brummen im Badezimmer bemerkbar machte.
„Was ist das?"
„Sauna", Samu wippte mit den Augenbrauen.
„Sauna? Das Teil hat eine Sauna?"
„Yes", nickte er, stemmte die Hände rechts und links neben meinem Kopf ab und kam mir ganz nah.
Nichts passte mehr zwischen uns und ich sah sein Herz durch den dünnen Stoff seines Shirts schlagen.
„Gott", sagte ich, als ich ihn anschaute und meinte damit weniger die Tatsache, dass es tatsächlich eine Sauna gab.
„Yes", sagte er wieder, beugte sich zu mir herunter und umschloss meine Lippen mit seinem Mund.
Sofort legte ich meine Hände auf seine Brust und krallte mich fest in sein Shirt.
Erst jetzt wurde mir bewusst, dass mir diese Art des Alltags besser gefiel als der, den wir in Helsinki führten. Die Wochen, die ich in Deutschland und er in Stockholm verbracht hatten, waren rückblickend wirklich schlimm gewesen. Ich hatte ihn nicht nur körperlich vermisst, sondern auch seelisch. Mir hatte in der Zeit das Zwischenmenschliche gefehlt, was so viel in unserer Beziehung ausmachte.
Samus Händen glitten wieder unter mein Shirt, zogen es mir schnell über den Kopf und pressten mich dann an die kalten Fliesen. Ich machte ein Hohlkreuz und quietschte kurz an seinen Lippen.
„Sorry", murmelte er, „gleich es wird besser."
„Wann?"
„Now", meinte er und presste seinen Mund gierig auf meinen, als ich etwas von dem kalten Wasser der Regendusche über uns abbekam.
„Es ist nicht besser", nuschelte ich und zog Samu am Nacken dichter zu mir heran.
„Wait", hörte ich und merkte Samus Hände über meinen Bauch zu dem Knopf der Jeans wandern.
Zeitgleich zog ich ihm hastig das Oberteil über den Kopf, ließ es auf den Boden der Dusche fallen und fuhr mit meinen Händen über Samus Bauch und die Brust, hinauf zu seinen Armen. Die Luft heizte sich durch das mittlerweile warme Wasser kontinuierlich auf. Und je wärmer es wurde, desto weniger Kleidungsstücke trugen wir.
„Freut mich, dass du es geschafft hast!", begrüßte uns ein großer bärtiger Mann mit Hut.
Als Samu mir gesagt hatte, dass wir theoretisch auch barfuß zu der Feier gehen konnten, war ich im ersten Moment vollkommen verwirrt gewesen, bis er mir erklärte, dass Phil –so hieß der 40-jährige Freund- im sogenannten Red Room des Sohos feierte. Der Raum war unten im Keller des Hotels und sah aus wie ein altes Kino. Das Licht war gedimmt und die klobigen roten Sessel luden mit ihren cremefarbenen Zierkissen zum Lümmeln ein.
Phil grinste und umarmte Samu freundschaftlich, bevor er sich in meine Richtung drehte.
„Und du bist?"
„Emma, hi", meinte ich und streckte die Hand aus.
„Meine girlfriend", fügte Samu hinzu und legte den Arm um mich.
„Ach", Phil schien einen Geistesblitz zu haben, „das hattest du erzählt. Hi, ich bin Phil. Schön, dass ihr da seid."
„Freut mich auch", lächelte ich und schüttelte seine Hand.
„Bedient euch an der Bar, das geht alles auf mich. Musik könnt ihr lauter drehen, wenn ihr tanzen wollt."
Wir nickten, gingen an den Tresen und ließen uns auf den ebenfalls roten Barhockern nieder.
„Du hast also von mir erzählt", lächelte ich und schielte mehr zu Samu als in die Getränkekarte.
„Yes, manchmal ich erzähle meine friends von dir", er griff nach meiner Hand, „weil du machst mich happy."
Ich musste breit grinsen.
„Du bist important for me", Samu fasste mit der anderen Hand an mein Kinn, sodass ich ihn ansehen musste, „and ich bin happy, wenn du bist auch da. Und ich bin happy, dass wir sind hier together. That's all."
Ich sah verlegen zur Seite und schmunzelte.
Das zwischen uns war an keinerlei Bedingungen geknüpft.
Noch nie in meinem Leben hatte ein Mensch mir so viel bedeutet.
Niemals zuvor hatte ich jemandem gegenüber so starke Gefühle entwickelt.
„Trinkst du eine beer?", fragte er leise.
„Two Heineken", sagte Samu zu dem Kellner, „Emmi. Look at me."
„Hm?", ich hob den Kopf.
„I like deine dress."
„Ich mag dein Hemd auch. Aber mehr das, was da drunter ist", gab ich zurück.
„That was exactly das, was I wanted to say."
„Wollen wir gehen?", ich lehnte mich zu ihm hinüber, so dass sich unsere Nasenspitzen berührten.
„In eine Stunde, ok?"
„Das schaff ich nicht."
„You have to. You're strong", grinste er verschmitzt, küsste mich flüchtig und setzte sich wieder gerade hin.
Ich musste eine weitere Flasche Bier trinken, um Samu dazu überreden zu können, mit mir auf der kleinen Fläche vor der Projektionswand tanzen zu gehen. Der Raum hatte sich mit der Zeit gut gefüllt und so hatten wir zwischenzeitlich die Möglichkeit, vollkommen ungestört zu sein. Zwar gab es immer Menschen, die Samu erkannten und ihm ein kurzes Gespräch aufzwangen, aber das war nicht die Regel. So unterhielt er sich auch nur kurz mit zwei Moderatorinnen von ProSieben und ließ sie dann wieder links liegen, weil er weiter mit seinem ‚girlfriend' tanzen wollte.
„Kannst du uns noch eine Bier besorgen?", fragte Samu irgendwann, während er ein Bein zwischen meine Beine geschoben hatte und uns im Takt wippte.
„Klar", ich strich über seine Arme und wich ein Stück zurück, „Heineken?"
„Heineken", nickte er und küsste mich zärtlich, „wait an die bar for me."
„Mach ich", wisperte ich mit dem blödesten Grinsen auf den Lippen und ging zurück zum Bartresen.
Ich bestellte zwei Bier und ein Wasser für mich und wartete darauf, dass Samu von der Toilette kam. Die Gäste hier wirkten irgendwie alle etwas arrogant und überheblich. Immer, wenn Samu irgendwelche Hände geschüttelt hatte, teilte er mir nachher –meistens mit einem Unterton in der Stimme- mit, zu welcher Person die Hand gehört hatte. Es war niemand, den ich namentlich kannte, aber wahrscheinlich hielten diese Menschen doch sehr viel von ihrer eigenen Leistung und sich selbst. Das hieß ja nicht, dass sie nicht trotzdem gut in dem waren, was sie taten.
„Sorry", Samu lehnte sich mit seinem kompletten Gewicht von hinten auf meine Schultern, „ich habe noch getroffen Olli."
Fragend drehte ich mich um, bekam einen kurzen Kuss auf die Wange und wurde bekannt gemacht.
„Olli, meine Freundin Emma – Emma, die Universalguy Olli."
„Hi", ich streckte ihm die Hand hin, „ich würde gerne sagen, dass ich schon viel von dir gehört hab. Hab ich aber nicht."
„Das musst du nicht. Ich kenn dich auch nicht", lachte er, „warum heucheln, wenn man auch ehrlich sein kann. Ich kenn dich nicht, aber es freut mich, dich kennenzulernen."
„Ganz meinerseits", nickte ich anerkennend und musste lachen.
„Aber du kennst Robin, oder? Samu meinte, ihr hättet da mal während des Praktikums zusammen gearbeitet."
„Ich hab ihn ersetzt, weil er krank war, ja."
„Oh", warf Samu ein und ging bereits einige Schritte rückwärts von uns weg, „I see, dass ihr seid good together. Redet eine bisschen, ich gehe zu die birthdayboy."
„Kann ich dann das Bier hier haben?", flüsterte Olli und lehnte sich zu mir.
„Ich denke schon", grinste ich und stieß mit ihm an.
Die Stunde, die Samu mir am Anfang des Abends eingeräumt hatte, war schon längst vorbei. Aber ich wollte eigentlich schon gerne jetzt in das Zimmer. Nicht erst, wenn die Sonne wieder aufging. Ich wollte endlich Zeit mit Samu alleine verbringen. Und vielleicht ein weiteres Mal gemeinsam mit ihm zu duschen. Selbst Olli hatte sich schon verabschiedet, weil er am nächsten Morgen einen Geschäftstermin hatte. Ich saß also alleine am Tresen und beobachtete weiter die Partygäste. Samu unterhielt sich immer noch sehr angeregt mit Phil, der zeitweise auch schon etwas genervt wirkte. Keine Sekunde ließ Samu ihn aus den Augen und quatschte ihn immer wieder an, obwohl Phil ihm deutlich signalisierte, dass er keine Lust auf ein Gespräch hatte. Als Samu endlich verstanden hatte, dass Phil nicht reden will, setzte er sich in einen der Kinosessel und sprach zwei Männer in Anzügen an, die vermutlich gerade etwas Geschäftliches besprachen. Die Männer drehten sich von ihm weg, als Samu anfing, wild mit den Händen zu fuchteln und laut zu lachen.
Wieder stand er auf, ging federnden Schrittes eine Reihe weiter nach hinten, setzte sich wieder in einen Stuhl und legte den Kopf in den Nacken. Plötzlich stand er wieder auf, schlurfte zurück zu Phil, fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und schlang seine Arme dann von hinten um seinen Hals. Erschrocken zuckte Phil zusammen, griff an Samus Hände und nahm sie von seinen Schultern.
Ich nippte an meinem Bier und fragte mich, ob das, was ich da gerade gesehen hatte, der Realität entsprach.
Schon einmal hatte ich diesen aufgekratzten Finnen genau so erlebt.
Ein einziges Mal.
Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken.
„Emmi", Samu drückte seinen Körper fest an mich und quetschte sein Gesicht eng an meins.
Ich stellte die Bierflasche auf den Tresen und drehte den Kopf so weit wie möglich von ihm weg.
„Ich würde gerne gehen."
„No."
„Doch Samu. Ich bin müde."
„Eine bisschen noch."
„Nein. Ich will jetzt gehen."
Samu löste die Umklammerung, zog den Schlüssel aus seiner Hosentasche und gab ihn mir, „ladies first."
Ich verabschiedete mich nicht, sondern verließ einfach nur den Red Room, ging schnell die Wendeltreppe hoch und drückte – an den Fahrstühlen angekommen- die Knöpfe mehrmals hintereinander. Sofort öffnete sich die Tür und ich stellte mich in die Lichtschranke, weil Samu nicht schnell genug hinterher gekommen war.
„Du kannst nicht warten, or?", hechelte Samu süffisant und stieg dazu.
Ich rollte nur die Augen.
Im Aufzug drückte ich die „6" und lehnte mich gegen die Wand.
Ich hoffte, dass das alles gerade nicht passierte und Samu mich gleich wecken würde, weil ich im Traum laut geschrien hatte. Denn so fühlte ich mich. Ich wollte schreien. Aber ich brachte keinen Ton heraus.
Samu lehnte an der gegenüberliegenden Wand und starrte mich an. Als sich die Türen des Lifts schlossen, kam er auf mich zu, drückte mich unsanft gegen die Wand und ließ seine Hände über meine Brüste, meinen Bauch, hinunter zu meinem Po wandern.
„Samu", meinte ich und schob ihn weg.
„Oh", er wich ohne Murren zurück und ließ die Augenbrauen wippen, „not hier und jetzt, ok. Ich verstehe."
Oben angekommen ließ er mir den Vortritt.
Schnell stieg ich aus und war froh, dass unser Zimmer keine zehn Meter vom Fahrstuhl entfernt war.
Noch während ich die Tür aufschloss, kam Samu hinter mich und presste uns gegen die Tür und legte seine Hände auf meinen Bauch. Wir taumelten gemeinsam durch den Flur, während er immer aufdringlicher wurde und versuchte, den Stoff meines Kleides immer weiter hochzuschieben.
„Lass das", sagte ich ernst und nahm seine Hände unter meinem Kleid hervor, „ich finde es gerade schlimm genug, mit dir in einem Raum zu sein, wenn du high bist. Da schlafe ich ganz sicher nicht mit dir."
„Oh", sofort nahm er die Hände weg, kam vor mich und beugte sich zu mir herunter, „komisch, dass die letzten 100 times doesn't matter."
Meine Miene versteinerte sich und einige Sekunden, die sich wie Monate anfühlten, blieb ich vor ihm stehen.
Als ich merkte, dass mein Körper zu zittern anfing, ließ ich ihn stehen und verschwand im Badezimmer.
Er machte darauf überhaupt keinen Hehl.
Er stand dazu.
Einfach so.
Als wäre es das normalste der Welt.
Ich hatte die Tür abgeschlossen und setzte mich auf den Toilettendeckel.
Die letzten 100 Male?
Was sollte das heißen?
Krampfhaft versuchte ich mich an Momente zu erinnern, die ähnlich wie die des heutigen Abends waren.
Ich erinnerte mich an Silvester zurück.
Wann noch?
Ich drückte mir die Fingerkuppen tief in die Schläfen.
„Komm schon, Emma", sagte ich zu mir selbst.
Wann noch?
Welche Situationen hatte ich miterlebt, in denen er sich so verhalten hatte wie jetzt? Welche Situationen passten nicht zu ihm?
Oberhausen.
Als er mit Emilia abgezogen war und mich vorher noch bloßgestellt hatte.
Bei dem Konzert in der Zeche.
Als der Tisch kaputt gegangen war.
Aber da waren wir nicht zusammen gewesen.
Wann noch?
Wann hatte er sich während unserer Beziehung komisch verhalten?
Außer an Silvester?
Ich malträtierte meine Unterlippe.
„Lenis Hochzeit", flüsterte ich vor mich hin und fasste mir an die Stirn.
Er war arschig gewesen, nachdem er von der Toilette wiedergekommen war.
Und beim Sex hatte er mich mehr als grob angefasst.
Aber das waren doch keine Anzeichen für Drogenkonsum.
Oder?
„Emma?", schrie Samu.
Ich atmete einige Male tief ein und aus.
„Emma?", jetzt schlug er mit der geballten Faust gegen die Tür.
Halloween.
An Halloween.
„Scheiße", entfuhr es mir.
Das stellte alles in Frage.
An meinem Geburtstag hatte er sich so verhalten wie heute Abend.
Wie an Lenis Hochzeit.
Tausend Fragen schossen durch meinen Kopf.
Und eine war wichtiger als alle anderen.
Auf was basierte die Beziehung, die wir hatten?
Auf der Lüge, dass er nur ein einziges Mal Drogen genommen hatte?
Ich dachte weiter nach.
„Emma paska!", brüllte er und trat gegen die Tür.
„Geh weg!", schrie ich laut und merkte, wie Tränen über mein Gesicht kullerten.
Ich spielte mit den Kettengliedern des Armbands, welches er mir geschenkt hatte und stand von der Toilette auf.
Irgendwann musste ich wieder raus und irgendwann musste ich mich der Situation stellen. Daran führte kein Weg vorbei.
Ich checkte kurz mein MakeUp im großen Spiegel über dem Waschbecken, wischte mit den Händen unter meinen Augen entlang, trat zur Tür und ging in den Wohn- und Schlafbereich.
Samu saß auf einem der Sessel und hatte ein Bein angewinkelt.
Als ich die Badezimmertür laut in das Schloss zog, drehte er den Kopf, stand auf und kam zu mir. Er zog mich in seine Arme und versuchte, den Reißverschluss meines Kleides herunterzuziehen.
Sofort stieß ich ihn von mir weg und trat die Flucht zur Seite an.
„Spinnst du?", fragte ich entsetzt.
„Bitch!", fluchte er und schlug sich mit der Hand auf den Oberschenkel.
„Du ekelst mich an! Ich merk doch, dass du drauf bist!", erhob ich die Stimme und versuchte, nicht zu flennen.
„Was ist deine problem? C'mon. Ich habe ein bisschen gefeiert. Other people would cut off something for diese package", er zeigte mit den Fingern an sich herunter und kam einige Schritte auf mich zu, „du hast diese Packet hier und bist bitchy as hell."
„Du nimmst Drogen."
„What?"
„Drogen."
„What?", er lachte, „wer sagt das?"
„Du bekommst nichts mit, oder?", ich fasste mir verzweifelt an die Stirn, „du hast mir gerade gesagt, dass du schon öfter was genommen hast."
„Yes. Maybe ich hab gelogen", wieder lachte er, „sorry for that."
„Du verstehst das nicht, oder?"
„Oh yes, ich verstehe viel."
Ich schwieg.
„Bevor ich vergesse: Wir hatten Sex here in Berlin in november. Das ist die Luge number two. Wenn du bist noch eine Zeit wach, ich habe more stuff for you."
„Warum?", fragte ich mit glasigen Augen, „warum?"
„Das ist meine life. You know that", formulierte er trocken und ging an die Schublade seines Nachttisches, „und ich kann auch. Ich habe die money. Alles. Why not, wenn es gibt mir eine good feeling more als andere things?"
„Das Zeug ist gefährlich und verändert Menschen. Du siehst doch, wie du gerade bist. Das ist nicht das, was du bist, Samu."
„Thanks for warning me. But ich weiß, was ich mache", er streckte eine hölzerne Zigarrenkiste in die Luft.
„Was ist das?"
„Maybe du willst something?", er stellte die Schachtel auf den Glastisch.
„Was?"
„Wanna taste?", er öffnete den Deckel; hervor kamen mehrere kleine weiße Tütchen mit weißem Inhalt, „du solltest testen. Vielleicht dann du bist more relaxed."
„Hör auf", meine Stimme bebte.
„Let me think about it", er tippte sich nachdenklich an die Lippe, „no."
Er setzte sich wieder auf den Sessel, schob die Kiste vor sich und nahm ein Tütchen heraus.
Sofort eilte ich einige Schritte auf ihn zu, angelte im Vorbeigehen eine Tüte aus der Box und ging ins Bad. Samu folgte und hielt meine Hände fest umklammerte, als ich das Tütchen über dem Waschbecken ausschütten wollte.
„Du tust mir weh!"
„Gib mir die Tute!", schrie er mich an und drückte fester zu.
„Du tust mir weh!"
„Lass los!"
In diesem Moment glaubte ich zu wissen, wie es sich anfühlte, von einer Würgeschlage getötet zu werden. Wenn auch an einem anderen Körperteil. Mit jeder Sekunde schien Samu fester zuzudrücken. Ich konnte zusehen, wie er mir die Blutzufuhr abschnürte.
„Hör auf!", brüllte ich ihm ins Ohr, als ich das Tütchen vor Schmerzen fallen lassen musste.
Während ich meine Finger bewegte, um wieder ein Gefühl in den Händen zu bekommen, fischte Samu die Tüte aus dem Waschbecken, sah mich böse an und ging zurück in den Wohnbereich, ohne irgendetwas zu sagen.
„Hör auf!", folgte ich ihm, „hör auf damit!"
„Chill", er saß wieder auf dem Sessel und schob bereits mit seiner Krdeitkarte das weiße Pulver zusammen.
Ich stand nur daneben und sah mir die Box an.
Sieben Tütchen voll mit Koks hatte er dabei.
Drei waren leer.
Dann wurde ich stutzig.
Auf dem Deckel stand „Gin".
Plötzlich fügte sich in meinem Kopf ein Puzzle zusammen.
Die SMS, die er immer bekommen hatte, waren von seinem Dealer gewesen.
Und er kokste nicht erst, seitdem wir wieder mehr miteinander zu tun gehabt hatten.
Sondern schon damals, als wir einen ersten Versuch gestartet hatten.
Er war ein Junkie.
Und nicht erst seit heute.
Das, was wir hatten, war eine Lüge.
Alles, was wir hatten.
Was wir waren.
Nichts war das mehr wert.
Gar nichts mehr.
„Du bist ein Junkie."
„Oh no", schmunzelte er und widmete sich wieder dem Pulver auf dem Glastisch, „just having fun."
Ich verlor die Beherrschung.
„Jahrelang lügst du mich an wegen diesem Scheiß! Alles, was wir haben, basiert auf dem Vertrauen, was wir zueinander haben. Das hier stellt alles in Frage!"
„What?", er zog seine Geldbörse aus der hinteren Hosentasche.
„Gin?", ich zeigte heulend auf den Deckel der Box, „das ist Gin. Deine scheiß Drogen sind Gin!"
„Yes", er war kühl. So kühl, wie ich ihn noch nie erlebt hatte, „but welche Frage?"
„Liebst du mich?", fragte ich weinend, „oder hast du die 100 Male nur mit mir geschlafen, weil du drauf warst? Und als die Wirkung verflogen ist, hast du gemerkt, dass du eigentlich gar nicht bei mir sein willst und bist deswegen immer abgehauen? Bist du seit Halloween drauf? Nimmst das Koks immer, wenn ich schlafe, damit du mich erträgst?"
„Nobody sagt, dass Gin ist immer nur alcohol, lady", ignorierte er mich, er zog einen 50€-Schein aus seinem Portemonnaie und rollte ihn zusammen.
„Ignorier meine Frage nicht!", flennte ich laut und schluchzte, „was ist das, was wir haben? Welche Basis haben wir? Wo ist der Samu, in den ich mich verliebt hab? Was ist mit Ehrlichkeit und Vertrauen? Du hast gesagt, wir müssen ehrlich sein. Was ist das hier?"
Er sah zu mir hoch.
Augenringe bis auf den Boden, fahler Gesichtsausdruck, müde Augen, strähnige Haare.
Das macht Koks aus ihm.
Einen abgewrackten Rockstar.
Ohne sich auch nur eine Sekunde lang meiner Frage zu widmen, setzte er den 50€-Schein an seiner Nase an und beugte seinen Kopf über den Tisch. Laut schniefte er das Koks und ließ sich wie ein nasser Sack in den Sessel sinken, als nur noch wenige Reste auf dem Tisch zurückgeblieben waren.
„Ich schau mir das nicht an", heulte ich zitternd, „ich guck nicht dabei zu, wie du dich kaputt kokst und dann krepierst. Das tu ich nicht."
Er warf den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
„Samu!"
„Fucking bitch, yes!", schrie er plötzlich, „go! Leave! Du weißt, wo ist die Tur! Ich bin tired of fucking my mom anyways!"
Wieder flossen Tränen über mein Gesicht.
In Sturzbächen.
Geistesgegenwärtig ging ich ins Badezimmer, holte meinen Kulturbeutel und warf ihn im Wohnbereich in meinen geöffneten Koffer. Anschließend räumte ich meine Seite des Kleiderschranks aus und verstaute die Teile ebenfalls in dem Gepäckstück. Ich kniete mich hin, schloss den Koffer und stellte ihn auf. Meine Handtasche hing ich mir über die Schulter.
„What's up?", lächelte er breit.
„Ich gehe", weinte ich und wischte mir die Tränen aus den Augen, um eine halbwegs klare Sicht zu haben, „ich kann das nicht."
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„Und was ist dann passiert?"
„Nothing. Sie ist gegangen. End of the story. That's all."
„Und was fühlen Sie, wenn Sie an die Situation zurückdenken?"
„Nichts."
Ich schaute zu dem bebrillten Mann, der einen grauen Pullunder trug und sich Notizen auf einem Klemmbrett machte.
„Gar nichts?"
„Nothing."
„Wirklich nichts?", fragte er nochmal.
„No. Gar nichts", ich schüttelte den Kopf.
„Ok. Dann sehen wir uns morgen Mittag zur Gruppensitzung wieder. Da können wir auf das Thema nochmal genauer eingehen."
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Just friends?
Fanfiction"[...] Wie wäre es, wenn sie immer da wäre? Wenn sie morgens neben mir aufwachen würde? Immer? Ich stieß einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. Keine Chance. Soweit hatte ich damals nicht gedacht; soweit sollte ich jetzt nicht mal ansatzweise de...