„Können wir auch erst frühstücken?", fragte ich scheu, bevor wir die Lobby durch die glasklaren Schiebetüren betraten, „ich hab seit gestern Nachmittag nichts mehr gegessen."
„Sure", Samu nickte mir zu und ließ mir den Vortritt in das Hyatt Regency Hotel. Seit meinem letzten Besuch hatte sich hier nicht viel verändert. Lediglich die riesigen Palmen vor den Glasfronten waren ausgetauscht worden.
Es war komisch, wieder da zu sein.
Hier hatte ich Tomás in flagranti mit Melanie erwischt.
Und hier hatte ich auf unendliche viele Taxen mit den Jungs gewartet, um zu irgendeiner Veranstaltung zu kommen.
Aber weder Tomás noch Melanie waren da.
Vielleicht hatte man sie noch ein weiteres Mal erwischt und rausgeworfen?
Selbst wenn.
Das war Vergangenheit und lag hinter mir.
Wäre ich ihm begegnet, hätte ich freundlich genickt und ihn vielleicht sogar gegrüßt.
„Hier breakfast ist ok fur dich?"
„Natürlich."
„No bad feelings hier?", Samu ließ den Kopf durch die Eingangshalle kreisen.
„Bisher nicht, nein."
„Dann let's go", er schmunzelte und wies mir den Weg zum Speisesaal.
Wie schon vor zwei Jahren hatte ich die Wahl zwischen zwei Sorten Brot, Kürbis- Roggen- oder Weizenbrötchen, Müsli mit Nüssen, Müsli mit Früchten, Cornflakes, Rührei, Spiegelei, armer Ritter, Frischkäse, Schmierkäse, Scheibenkäse, Salami, Mortadella und Kochschinken, sowie zwischen Latte Macchiato, Cappuccino, Espresso, Kakao und verschiedenen, frischgepressten Säften.
Nichts Neues also.
Nacheinander legten wir einiges davon auf unsere weißen Teller und setzten uns dann etwas abseits der anderen Gäste auf die bequemen Stühle. Während Samu wie ein Wasserfall redet, mümmelte ich das Roggenbrötchen mit einer Scheibe mittelaltem Gouda in mich hinein. Er fragte mich unter anderem, wie es in meinem Job lief und warum ich zu spät am Bahnhof gewesen sei. Ich antwortete immer nur kurz und starrte dann wieder auf das Brötchen in meiner Hand. Diese Art der Unterhaltung schien ihm aber irgendwann zu mühselig zu sein. Er schmierte sich Butter auf die obere Brötchenhälfte, räusperte und setzte sich aufrecht hin, schielte dann auf seine Nase, zog mit beiden Daumen die Mundwinkel nach oben und grunzte leise. Anschließen schnitt er weitere Grimassen und ich musste mich beherrschen, meinen gerade getrunkenen Schluck Kakao nicht über dem Tisch zu verteilen.
„Ok", meinte er und lehnte sich zu mir herüber, „now ich bin back in business, no?"
„Danke, dass du mich eingeladen hast", schmunzelte ich und trank einen weiteren Schluck.
Er nickte, strich Kirschmarmelade auf das Brötchen und biss hinein, bevor er wieder anfing zu reden.
„Danke, dass du bist hier. Dass du bist wirklich gekommen. Maybe it was strange for you. Aber ich wusste no other way als das mit die Packchen."
„Danke dafür", sagte ich wieder sah verlegen auf den Teller vor mir.
Mir war dieses Gespräch irgendwie unangenehm. Ich kam mir vor wie bei einem ersten Kennenlernen. Dabei kannte ich Samu schon lange und gut.
„Ich bin really sorry. I was an asshole."
Ja. Das war er gewesen. Mehr als das.
„Ja", meinte ich ehrlich, „warst du."
„Es ist important fur mich, dass du weißt, dass ich bin anders now."
„Ich kenn dich, Samu."
„I know. Deswegen I wanna show you the real finnish dude."
„Den kenn ich auch."
„You know, dass ich bin different like in Oberhausen."
„Gezeigt hast du das immer nur kurz."
„Because I was not ich. You know me in eine andere way. And you know me since a long time. Du hast die andere guy kennengelernt."
„Stimmt", nickte ich und steckte mir das letzte Stück des Brötchens in den Mund.
Es tat ihm leid. Das konnte ich sehen. Die ganze Zeit über hatte er seinen Kopf zur Seite geneigt und sah mich an wie ein Hundewelpe, der von seiner Mutter verstoßen worden war.
„Ich würde dir nach die breakfast gerne dein Zimmer zeigen", er nutzte meine Gesprächspause, „wenn du willst dann wir konnen gehen in die city oder zu Niila in die hall schon."
„Ich hab heute Morgen schon Fans gesehen."
„I know", er lachte, „they are all over. Now alle senden Penispumpen zu Niila instead zu mich. Ich bekomme nicht mehr."
„Ist das gut?"
„Yes", er nickte, „I felt peinlich a little bit. But now es ist nicht mehr my problem."
„Sondern Niilas", grinste ich.
„Yes", Samu faltete die Hände vor seinem Teller, „soll ich dir deine room zeigen now?"
„Gerne."
Samu holte meine Schlüsselkarte an der Rezeption ab, während ich den gläsernen Aufzug geholt hatte und davor auf ihn wartete. Es ertönte das typische Fahrstuhl-Plingen, die Türen öffneten sich und wir stiegen ein. Samu stellte den Weekender auf den Boden und lehnte sich erwartend neben das Bedienfeld.
„Wo müssen wir hin?"
Samu grinste verschmitzt, drückte die „12" und verschränkte die Arme vor der Brust, als sich die Türen des Lifts schlossen.
12.
Die 12. Etage.
Auf der hatten wir während meines Praktikums gewohnt.
Die Band und ich hatten zu Beginn dieser Reise vor mehr als zwei Jahren besprochen, dass wir uns –auch aus Kostengründen- einen kompletten Hoteltrakt mit Zimmern im Hyatt Regency teilen wollten. Ich hatte damals ein Einzelzimmer mit Blick über Düsseldorf bekommen, die Jungs teilten sich die restlichen drei Zimmer des Flurs. Oft kam ich abends von einer Besprechung mit Veranstaltern aus der Region ins Hotel zurück und fand die erwachsenen Männer auf dem Flur sitzend vor, die nur darauf gewartet hatten, endlich Essen gehen zu können.
Ungläubig blinzelte ich Samu entgegen, der jedoch seinen Kopf nicht einen einzigen Zentimeter zu mir drehte, sondern weiterhin grinsend geradeaus stierte.
Oben angekommen öffneten sich die Türen, Samu nahm meinen Weekender und bat mich, zuerst auszusteigen.
„Wohin?", ich wackelte unbeholfen mit den Händen in der Luft herum.
Samu zog die Schlüsselkarte, die er vorhin an der Rezeption abgeholt hatte, aus der hinteren Hosentasche und gab sie mir.
„You know the way."
Ich schüttelte den Kopf.
„Nein."
„Sure."
„Samu, nein."
„Emma, yes", griente er.
„Nein."
„Doch."
„Wenn es das ist, was ich de..."
„Dann es ist die same floor and die room, yes", unterbrach er mich nickend.
Ich trat vor, zog die Karte durch den Karteleseschlitz, die Doppeltür öffnete sich und die kleinen Halogenlampen, die in der Decke eingelassen waren, erhellten augenblicklich den Korridor. Wie jedes Mal, als ich diesen Flur betreten hatte, kniff ich die Augen zusammen. Die Wände waren in einem cremigen Weiß gestrichen, der Teppichboden war, wie im Vorraum, königsrot.
Immer noch.
Die schweren Eichentüren wirkten hoheitlich.
Immer noch.
Meine Füße trugen mich von selbst zum Ende des Flures.
Zu meinem alten Zimmer.
Meine Hände strichen verträumt über die Tür, auf der damals sowas wie mein persönliches Poster geprangt hatte.
„Girl's room" hatte darauf gestanden.
Es hatte ein Eselsohr.
Oben links.
Ich zog die Karte durch den Schlitz neben der Tür, wartete auf ein leises Klacken, betrat mein Zimmer und schaltete mit einem gekonnten Griff nach rechts das Licht an.
Das Badezimmer auf der rechten Seite des kleinen Vorraums war mit weißem Marmor gefliest.
Immer noch.
Die weißen Vorhänge vor der Fensterfront im Wohn- und Schlafbereich waren weit geöffnet, so dass die Sonne auf das Kingsize-Bett schien. Auf einem kleinen runden Tischchen neben dem Fernseher lagen frische Handtücher. Der weiße Kleiderschrank stand in der rechten Ecke des Zimmers.
Immer noch.
„Welcome back", ich hatte nicht bemerkt, dass Samu hinter mir her gekommen war und stand nun im Türrahmen zum Wohn- und Schlafbereich, während ich in der Mitte des Zimmers stand und mich weiterhin fasziniert umsah, obwohl es nicht das erste Mal war, dass ich in diesem Zimmer war.
Meine finnische Begleitung stellte den Weekender ab, lehnte sich an die Wand und vergrub die Hände in den Hosentaschen.
„Now city?"
„Wo schläfst du?", fragte ich interessiert nach, „im gleichen Zimmer?"
„Of course."
„Wahnsinn", ich sah mich weiter um und fuhr mit der flachen Hand über die Tagesdecke des Kingsize-Bettes, „ich hätte nicht gedacht, dass ich hier nochmal hinkomme."
Samu kicherte und ließ den Kopf lachend sinken.
„Was?", lachte ich ebenfalls.
„Nothing."
„Sag."
„No", energisch schüttelte er den Kopf, „City now? Oder in die hall zu Niila?"
Ich tippte mir an die Unterlippe.
„Ist es ok für dich, wenn wir uns in gleich unten treffen?"
„Wann?"
„Gleich. 10 Minuten maximal. Ich will mich eben auspacken."
„Du", Samu verstört zeigte auf mich, „willst dich auspacken? What do you mean? Changing clothes?"
„Meinen Koffer!"
„You said „mich auspacken"."
„Mich", stammelte ich ihm entgegen und suchte nach einer vernünftigen Begründung dafür, „das sagt man halt so."
„Jaja", prustete Samu und ging Richtung Tür, „you know, wo ich bin, ok? You can come, wenn du bist ready. Ich will nicht warten in die Lobby half an hour."
„So bin ich nicht."
Er sah mich von unten durchdringend an.
„Na gut", gab ich nach, „manchmal."
„Du kommst?"
„Ja", bestätigte ich, „ich komm gleich rüber."
Samu drückte die Türklinke herunter, um die Tür zu öffnen.
„Bis gleich."
„Bis gleich!", sagte ich abwesend und hörte die Tür ins Schloss fallen.
Wir waren mit einem Taxi in die Innenstadt gefahren und durchstreiften verschiedene Läden. Samu war einem Kaufrausch verfallen und kaufte drei neue Hosen, zwei neue Shirts, ein weißes Hemd für das Konzert am Abend und zwei paar Chucks. Hätte ich es nicht besser gewusst, wäre ich davon ausgegangen, dass er kaufsüchtig war. Meine anfängliche Skepsis Samu gegenüber wich allmählich. Mit jeder Minute, die wir miteinander verbrachten, wurde ich gelassener und glaubte ihm mehr und mehr, dass er sein Verhalten wirklich bereute. Wir unterhielten uns gut, lachten viel und redeten sogar über Jan, Emilia und Mirja; weil es sich so ergeben hatte und die Situation zwischen uns wieder sehr vertraut war. Emilia hatte sich erneut für ihr Verhalten entschuldigt und war danach von der Bildfläche verschwunden. Samu hatte gedacht, sie würde nachtragend sein, aber das war sie nicht. Kein böses Blut, keine negative Presse, nichts. Seine Busenfreundin –im wahrsten Sinn des Wortes- Mirja war immer nur zwischendurch präsent. Nach dem Auftauchen von Emilia hatte sie gemerkt, dass Samu kein romantisches Interesse an ihr hatte, so dass der Kontakt mehr oder weniger abbrach. Sie arbeitete laut Samu sehr viel, was dieses Zwischenmenschliche schwierig werden ließ. Während unseres Bummelns war er sehr bemüht um mich und mein Wohlbefinden. Er fragte er mich ständig, ob es mir gut ginge, ich Durst oder Hunger hätte oder wollte von mir eine Meinung zu einem der Kleidungsstücke, die er sich –so dachte ich- auch ohne meine Zustimmung gekauft hätte. Ich selbst hielt mich zurück und ergatterte nur eine Skinny Jeans in bordeaux, passend zu meinem Nagellack. Nachdem wir unterwegs bei einem Bäcker noch eine Kleinigkeit gegessen hatten, machten wir uns zurück auf den Weg in das Hotel, um uns vor dem Konzert nochmal frisch zu machen. Ich duschte ausgiebig, legte leichtes Make-Up auf und rundete es mit tiefschwarzgetuschten Wimpern und einem dramatischen Lidstrich ab. Danach zog ich mir schwarzen Chucks, die bordeauxfarbene Jeans und ein schwarzes, ärmelloses Top mit Volant an und flechtete die Ponypartie nach hinten, um sie dort mit Haarnadeln zu befestigen.
Gerade sprühte ich mit dem Haarspray im Badezimmer rum, als es an der Tür klopfte.
Zwei Mal lang, zwei Mal kurz.
Als ich öffnete, lehnte Samu mit einer Hand am Türrahmen und hielt in der anderen seine Lederjacke. Er trug –passend zu meiner Jeans- bordeauxfarbene Chucks, eine schwarze Hose von Diesel, sein Lieblingsmodell: Tepphar; und das weiße Hemd, was wir gemeinsam ausgesucht hatten – Den ersten Knopf hatte er offen gelassen. Seine Haare waren wieder nach hinten gegelt, dieses Mal allerdings anders als am Morgen. Nicht schmierig. Sondern gepflegt. Alltagstauglich irgendwie.
„Wow", dachte ich, als ich ihn so musterte.
„Lady", er ließ die Augenbrauen tanzen, „you're looking really good."
„Du auch", ich deutete mit den Händen an ihm rauf und runter, „ich mag das Hemd."
„Irgendeine Frau hat gesagt, ich soll diese Ding kaufen."
„Da hat sie 'ne gute Idee gehabt", zwinkerte ich.
„Are you ready?"
„Brauch ich was?"
„Deine ticket."
Ich klopfte auf meine Gesäßtasche.
„Und deine mobile fur photos."
Ich tastete mich ab, ging dann zurück in den Wohnbereich und stöpselte das Handy von der Ladestation.
„Noch was?", wollte ich wissen, als ich wieder neben Samu an der Tür stand.
„No."
„Dann können wir los", sagte ich, nahm die Schlüsselkarte aus der Halterung und zog die Tür hinter mir ins Schloss.
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Just friends?
Fanfiction"[...] Wie wäre es, wenn sie immer da wäre? Wenn sie morgens neben mir aufwachen würde? Immer? Ich stieß einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. Keine Chance. Soweit hatte ich damals nicht gedacht; soweit sollte ich jetzt nicht mal ansatzweise de...