Weit gefehlt

472 14 1
                                    

„Du hast mir nicht gesagt, dass du mich nicht bei dem Geschäftstermin dabei haben willst", hüstelte Emilia und lehnte am Türrahmen.
Ich zog die Krawatte gerade und rollte die Augen, bevor ich wieder in den Spiegel sah.
Natürlich hatte ich.
Vielleicht nicht direkt.
Aber unterschwellig.
„Nerv ich dich?", fragte sie, kam näher, schob die Unterlippe nach vorne, legte die Arme von hinten um mich und ihr Kinn auf meine Schulter.
„Es war nicht die plan und das habe ich gesagt", antwortete ich ehrlich, „we had fun and good sex."
„Du hast mich also benutzt", stellte sie fest.
Ich nahm ihre Hände von meinem Bauch, drehte mich genervt zu ihr um und fasste sie an die Schultern.
„Ich habe gesagt, dass ich will sehen, wohin sich das entwickelt. At the beginning I told you, dass ich will nur sex. You were agree."
„Aber wir waren zusammen in einer Klatsch-Zeitung."
Wieder rollte ich die Augen.
„Just once, yes."
„Und trotzdem hast du nichts unternommen."
„Warum ich sollte?", ich legte den Kopf in den Nacken, „es ist keine problem fur mich und you. Everyone in this world soll denken, was er will about me. Ob ich habe eine girlfriend oder nicht."
„Aber ich gehöre jetzt dazu. Ich stehe jetzt mit in der Öffentlichkeit."
„No. Das war just one picture. Und deswegen ich gehe alleine zu diese event. We aren't in a relationship."
„Auf eine Art und Weise irgendwie schon", sie wich einen Schritt zurück und warf ihre langen blonden Haare über die Schulter, „man hat uns zusammen gesehen. Als du mich geküsst hast. Mein Postfach quillt über vor lauter Interviewanfragen. Alle haben gedacht, du seist immer noch mit Vivianne zusammen. Wir müssen das nutzen."
„For?", ich verstand nicht und streckte ihr fragend den Kopf entgegen.
„Das ist alles PR."
Ich wusste es.
„PR?", gab ich zurück und wippte mit den Augenbrauen.
Sie nickte.
„Das ist doch super, wenn ihr im Gespräch bleibt."
„Bei our fans wir sind immer da."
„Aber vielleicht bekommt ihr die Möglichkeit in größeren Hallen zu spielen."
„Größere? Wir haben gespielt everywhere in Germany. In every hall. We don't need bigger places. Außerdem it doesn't matter, wie groß ist die place. We started with ten people. Und wenn wir spielen vor eleven in a few years, das ist ok. There is no need to."
„Aber Samu", Emilia fasste mir an die Schulter, „du kannst mir doch nicht sagen, dass du das nicht nutzen willst, dass du auf der Titelseite warst."
„Sure", ich drehte mich wieder zum Badezimmerspiegel und strich mir durch die Haare, „but maybe du brauchst eine springboard fur eine career."
„Nein? Wie kommst du auf sowas?"
„Sure?", ich zog die Augenbraue hoch, „since we left Cologne in june you were like meine shadow. No problem. But you took my breath away in a bad way. Du bist immer da. Wie eine nuisance. Sorry, aber es ist nicht meine Job zu machen dich more popular in deine business und das ich will auch nicht machen."
Emilia war Mitte 30 und hatte uns von Anfang an als Beleuchterin auf der Tour begleitet. Dass sie Emilia hieß und mich dadurch an zeitweise sehr an Emma erinnerte, war ein blöder Zufall. Irgendwann hatte es sich auch verselbstständig, dass ich sie „Emmi" nannte. Emilia machte einen guten Job und wollte sich mit ihrem besten Freund Tim schon längere Zeit selbstständig machen. Ich verstand mich auf Anhieb gut mit ihr, hatte aber auf Grund von zu viel Bier an dem Abend nach dem Konzert in Köln mit ihr geknutscht. Zu Beginn schien sie locker zu sein und dieses Geschehnis als Ausrutscher und einmalige Sache abzutun. Aber schon an dem Abend des Konzerts in Schweinfurt war sie super anhänglich und machte mir dauernd Komplimente und eindeutige Angebote.
Und weil ich ein Mann bin, ging ich erstmal darauf ein.
Unverbindlich natürlich.
Ich landete sogar mehrere Male mit ihr im Bett und genoss es, von ihr als Mann bestätigt zu werden.
Und landete mit einem Kuss nach einem Konzert schließlich auch in der einen oder anderen Frauenzeitschrift auf der ersten Seite.
Als wir das letzte Konzert in Oberhausen gespielt hatten, verschwand ich mit Emilia schnell in meinem Hotelzimmer und dachte eigentlich, dass sich danach unsere Wege trennen würden; eben weil sie sich selbstständig machen wollte und ihr Vertrag befristet war.
Weit gefehlt.
Weil ich frei hatte und auch bei Emilia und Tim den Sommer über keine Projekte anstand, ließ ich mich zu einigen Dates hinreißen und fand wirklich Gefallen an ihr. Sie sah gut aus und war begeisterungsfähig für neue Dinge.
So kam es, dass ich sie Mitte Juli nach Espoo in das Mökki einlud, um Zeit mit ihr zu verbringen und festzustellen, wo das zwischen uns hinführte.
Und da war sie geblieben.
Bis heute.
Der Sex mit ihr war gut und sie war wahnsinnig attraktiv.
Und sie war anders, als meine Bettgeschichten vorher.
Aber in den letzten Wochen beschlich mich immer mehr das Gefühl, dass sie klammerte. Auf eine unangenehme Art und Weise. Sie wollte, dass ich sie meinen Freunden vom Eishockey vorstellte und schlug sogar einen Besuch bei meiner Mutter vor.
Da war ich eigen und vielleicht auch etwas altmodisch: Das ging mir viel zu schnell.
Sie sagte mir immer wieder, wie gern sie mich hatte und drängte mich im gleichen Atemzug, gemeinsame Fotos auf verschiedenen Plattformen hochzuladen und sie darauf zu verlinken.
Das ließ mich aufhorchen.
Ich wollte Emilia in Ruhe kennenlernen und dann entscheiden, ob das mehr werden konnte als nur Freundschaft. Das Grundgerüst war schließlich da.
Sympathie.
Die letzten Tage hatten mir jedoch gezeigt, dass es von meiner Seite aus nicht für mehr reichte.
Ich wurde durch ihre Aufdringlichkeit skeptisch.
Und vorsichtiger.
Ich wurde den Gedanken nicht los, dass sie mich als eine Art prominentes Sprungbrett nutzen wollte, nachdem sie vor allem in den deutschen Medien jetzt sowieso schon bekannt war. Zumindest konnte man ihr Gesicht jemandem zuordnen. Und das war schon viel wert. Das reichte aus, um beim Bachelor die letzte Rose zu bekommen und anschließend ins Dschungelcamp zu ziehen. Tim –ihr bester Freund- war für kleinere Veranstaltungen immer mal wieder in Deutschland unterwegs. Aber um aus Seniorenfeiern und Kleingartenfesten etwas Richtiges und vor allem Größeres zu machen, bedurfte es einem Hilfsmittel.
Mir.
Und das war für mich definitiv nicht drin.
Ich wollte kein Mittelsmann für irgendeine Frau sein.
Natürlich half ich immer gerne; Niila hatte ich schließlich auch unter die Arme gegriffen.
Aber dieses Rumgevögel dafür zu nutzen schien selbst mir etwas affig und eigenartig. So tief würde ich niemals sinken.
Ich hatte einen wichtigen und offiziellen Geschäftstermin mit den Leuten von ContraPromotion aus Bochum. Hätte ich Emilia dabei gehabt, wären Stimmen laut geworden, dass es sich um etwas wirklich Offizielles handelte und ich hätte mich vielleicht zu früh zu irgendwas entscheiden und bekennen müssen, was ich nicht wollte.
Vor allem nach ihrer Drängelei nicht, die mir komisch vorkam.
„Und jetzt?", maulte sie, „soll ich hier dumm rumsitzen, während du deinen Spaß hast?"
„I don't know your intention, aber ich will nicht, dass du bist dabei. That's my point. And that's all."
„Was denkst du denn, was ich will?", säuselte Emilia, griff wieder um mich und ließ ihre Hände über meine Brust zu meinem Schritt wandern, „ich hab keinerlei Interesse an irgendwelchen Sprungbrettern. Aber das mit uns ist nett. Warum nicht einfach da weiter machen, Samu?"
„Weil du nimmst mir Luft und du bist nicht honest", ich trat zur Seite und fixierte meine Frisur mit Haarspray, „irgendwas ist crazy mit dir. I don't know.All I want is you to leave soon."
Das hatte ich plötzlich über das Knie gebrochen. Sie sollte nicht noch länger die Füße unter meinen Tisch setzen. Das war mir zu riskant. Auf so vielen Ebenen.
„Wie soon? Schaffen wir noch eine Runde?", ihr Spiegelbild zwinkerte mir zu, als würde sie mich nicht ganz ernst nehmen.
Zum ersten Mal in meinem Leben verstand ich, warum Riku es vorzog, alleine zu sein.
Frauen waren anstrengend.
Und schwer von Begriff.
„Du verstehst nicht, oder?"
Sie schüttelte den Kopf und drehte ihre Haarspitzen wie ein kleines Mädchen ein.
„Es gibt keine future between uns, weil ich kann nicht trust you und I noticed, dass ich nicht bin in love. You're alles andere als ho..."
„Sex reicht doch auch erstmal, oder?", unterbrach sie mich.
Ich atmete genervt aus.
„Ich bin nicht in love", wiederholte ich und wurde deutlicher, „und ich will nicht sein eine puppet für deine fucking business. Please pack your things, take eine taxi to the airport und take eine Zimmer, wenn du nicht kannst fliegen back to Germnay tonight. Send me the bill and everything is ok."
„Was?", Emilia starrte mich entsetzt an, „ich soll wirklich gehen?"
„Yes. You're so intelligent."
„Wir haben doch Spaß miteinander, oder nicht?"
„I'm too old fur fun und falsche humans in meine life", klärte ich sie auf, schob mich an ihr vorbei, schaltete das Licht im Badezimmer aus, ging die Treppe runter in den Wohnbereich des Mökkis und ließ mich auf das Sofa fallen, um nochmal meine Mails zu checken.
Emilia trottete mir hinterher und hatte ihren Kulturbeutel in der Hand, als sie auf dem Treppenabsatz stand.
„Danke", schmunzelte sie, „die Zeit mit dir war wirklich schön. Du bist nur unfair, we..."
Ich unterbrach sie, indem ich die Hand hob.
„I'm sick of this kind of conversation. Just pack your things."
„Ich hätte sowieso nach Hause gemusst. Meine Schwester hat Geburtstag", sagte sie schnippisch und ging wieder nach oben.
Glücklicherweise hatte sie hier aus dem Koffer gelebt, sonst hätte Emilia vermutlich Stunden gebraucht, um ihre Sachen zusammenzusuchen. Auch ich würde nach diesem Geschäftstermin endlich wieder nach Hause kommen. Ich war schon viel zu lange im Sommerhaus.
Während ich darauf wartete, dass sie auch wirklich alles mitnahm und nichts vergaß, was ich ihr später hinterherschicken musste, rief ich ihr ein Taxi, um sie schneller loszuwerden, beantwortete einige Mails, schrieb Sanna, dass ich die Katzen morgen abholen würde und verfolgte die Nachrichten in einem Newsticker.
„Samu?", Emilia trug ihren schwarzen Koffer nach unten, „tut mir leid."
Ich hatte also doch recht.
Sie war nicht aufrichtig gewesen.
Innerlich gab ich mir selbst ein high five, weil ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen hatte und es mich nicht enttäuscht hatte.
„Deine Taxi", ich grinste, sah wieder auf das Macbook und deutete mit dem Daumen nach draußen, „waiting for you."
„Danke."
„Du findest die way out?"
„Du bist ja vielleicht ein Gentleman", sie pfiff durch ihre Zahnlücke, „Arschloch."
„Welcome to my life!", rief ich laut lachend und hörte die Tür laut ins Schloss knallen.
Das hatte ich das letzte Mal von Emma gehört.
Vor zwei Monaten.


Das Treffen war –trotz Hemd und Krawatte- mit den Jungs von ContraPromotion war hervorragend. Die Vorbereitungen für das neue Album liefen bereits auf Hochtouren, so dass alle Anwesenden zufrieden und zuversichtlich waren, dass wir eine intimere Tour –ähnlich wie das Geheimkonzert in Bochum- planen konnten. Vor allem, um den Fans die Wartezeit zu verkürzen und den Marktwert der neuen Songs zu testen.
Zu Hause in Munkkiniemi angekommen, ließ ich die Sporttasche mit meinen Anziehsachen aus dem Mökki im Flur fallen, schaltete die Kaffeemaschine ein und zog während des Vorheizens meine Schuhe, die Stoffhose, die Krawatte und das Hemd aus. Vielleicht sollte ich mehr der Businesstyp sein, aber ich liebte Jeans und ausgeleierte Shirts. Ich kochte mir einen Espresso, kippte das koffeinhaltige, warme Getränk hinunter und holte nur noch den Laptop aus meiner Tasche, um damit nach oben im Bett zu verschwinden.
Ich las nochmal die neuesten Nachrichten der vergangenen 24 Stunden, um mich zu versichern, nichts verpasst zu haben, als mir angezeigt wurde, dass ich eine neue E-Mail von Mikko empfangen hatte.
„Hapa: 15.09., Tonhalle Düsseldorf. Niilas ensiesiintymisen. Älä unohda! ;-)"
Als würde ich Niilas Tourauftakt vergessen. Ich war vielleicht alt. Aber nicht so alt, dass ich soetwas wichtiges vergessen würde.
„Kerro Emma siitä. Sinun pitäisi kirjoittaa artikkeli ;-)", kam hinterher.
Was?
Wieso sollte ich Emma informieren, damit sie den Artikel für ihre Zeitung schrieb?
Kannte Mikko durch die Jungs von ContraPromotion nicht auch irgendeine andere Journalistin, die das erledigen konnte?
Klar, der Artikel über das Konzert in Helsinki kam super an und Emmas Chef hatte sie dafür gelobt. Aber dass sie das gleich nochmal machen sollte?
Ich kratzte mich nachdenklich am Bart.
Ich hatte jeglichen Kontakt zu ihr verloren und abgebrochen.
Was sie wohl gerade machte?
Ob es ihr gut ging?
Ich ertappte mich dabei, wie ich darüber nachdachte, ihr von Emilias Versuch, sich ein prominentes Sprungbrett zu sichern, erzählte.
Sie war nie so gewesen.
Emma hatte unsere, insbesondere meine Popularität, nie ausgenutzt, um sich dadurch einen Vorteil zu verschaffen.
Ich durfte ihr nicht mal die CDs kaufen.
Ich seufzte.
Sie hatte mit ihren Anschuldigungen vielleicht gar nicht so Unrecht gehabt.
Ich war fies und unausstehlich zu ihr gewesen, obwohl sie mir nichts getan hatte.
Einen kurzen Augenblick lang überlegte ich, ihr eine Nachricht zu schreiben. Nicht, weil Mikko eine rasende Reporterin für den Abend haben wollte, sondern weil ich mich entschuldigen wollte.
Mich entschuldigen, weil ich das Arschloch gewesen war, dass sie –und nicht nur sie- mich schimpfte. Je länger ich über unseren Streit in Oberhausen nachdachte, desto häufiger meldete sich mein Gewissen und trat mir mit voller Wucht gegen das Schienbein. Wir hatten uns immer gut verstanden. Dass sie sich wieder in mich verliebt hatte, konnte ja keiner ahnen. Ich hatte prophezeit, dass es dazu kommen würde.
Ich hatte recht behalten.
Aber trotzdem war ich unfair zu ihr gewesen.
Gemein.
Fies.
Hässlich.
Warum waren wir so verbohrt und konnten nicht wie normale Menschen miteinander umgehen und nebeneinanderher existieren? Jeder für sich, aber doch auf einer freundschaftlichen Ebene gemeinsam?
Ich seufzte wieder.
Mir fehlten diese ganz normalen Gespräche mit ihr.
Und ja; je länger ich darüber nachdachte: Irgendwie vermisste ich sie um mich herum.
Entschuldigen wäre der erste Schritt.
In der Hoffnung, sie würde diese annehmen.
Doch ein Blick auf die Uhr des Macbooks hielt mich davon ab.
02.06 Uhr war vielleicht doch zu spät, um einer Journalistin eine ernstgemeinte Entschuldigung zu texten. Ihr erster Gedanke würde einer Alkoholleiche gelten; also würde sie mich nicht ernst nehmen.
Das wollte ich nicht riskieren.

Just friends?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt