Hinter der Bühne war es dunkel und muffig. Genau so, wie ich diesen Laden noch aus meiner „Kindheit" in Erinnerung hatte. Ich stolperte fast über eines der Kabel, welches am Boden mit schwarzem Panzertape befestigt war und gesellte mich mit Jan zu der Menge an Journalisten und Reportern. Sie wippten ungeduldig von links nach rechts, sahen auf ihre Armbanduhren oder telefonierten. Vor Kopf lag ein langer Flur, der zum Notausgang führte; der Raum zu unserer Rechten war vermutlich die Garderobe, in der sich die Band aufhielt. Viele der Berichterstatter schienen schon älter zu sein und wollten sich –so klang es zumindest- nur ein Foto abholen, damit der Artikel noch für die Samstagsausgabe gedruckt werden konnte.
Horst polterte verschwitzt durch die Tür und strich sich den Schweiß von der Stirn.
„Immer zwei", prustete er außer Atem und begann uns der Reihe nach in Gruppe „1" und „2" einzuteilen.
Es war ärgerlich, dass Estefania nicht hier gewesen war. Sie wär bestimmt locker genug gewesen, um die Situation für mich nicht allzu komisch wirken zu lassen.
„Du bis Begleitung, ne?", tippte Horst Jan auf die Schulter.
Jan nickte.
„Dann watte bitte hier", er ging kurz zurück in die Garderobe und kam mit einem blauen Klappstuhl wieder raus, „setz dich, Jung. Dat dauert mit Sicherheit."
„Darauf würde ich nicht wetten", lachte Jan, setzte sich breitbeinig hin und lächelte mich an, „nicht bei meiner Freundin."
Mit jedem Zweierpaar, was den Vorraum in Richtung Garderobe verließ, wurde ich nervöser. Jan hatte mittlerweile mitbekommen, dass mir die Düse ging. Er sprach mir aufmunternd zu und versicherte mir, dass das Ganze sicherlich nicht so schlimm werden würde.
Für ihn vielleicht nicht.
Er hatte zwei Monate zuvor nicht mit Samu geschlafen und dann den Kontakt zu ihm verloren.
Er nicht.
Ich knibbelte die Perforation meines Collegeblocks ab und verteilte die Schnipsel auf dem Boden, ließ den Kugelschreiber, der in den Spiralen steckte, immer wieder klacken.
Als ich als vorletzte mit Gabriele aus Recklinghausen von Horst hereingewinkt wurde, saßen die Jungs wie Hühner auf der Stange auf einem Ledersofa in der rechten Ecke des rechteckigen Raumes, der viel größer war, als ich vermutet hatte.
Der Raum wirkte nicht wie eine Garderobe; eher wie ein einladendes Wohnzimmer. Es gab einen gläsernen Couchtisch, Fernseher, Minikühlschrank, zwei Sessel, fahrbare Garderobenständer und eine lange Tafel auf der linken Seite, wo sich das Catering vor einigen Stunden ausgetobt hatte. Wahrscheinlich hatte es für Sami wieder gebrannte Mandeln gegeben, denn ein zimtiger Weihnachtsduft lag in der Luft.
Unmittelbar neben der braunen Ledercouch, auf der die Jungs saßen, gab es noch einen weiteren Raum mit der Aufschrift „Technik".
Als wir uns der Band näherten, bemerkte ich Osmos Schmunzeln, verhielt mich aber so professionell wie möglich und nickte freundlich in die Runde.
Das war ein komisches Gefühl.
Samu stand auf, zupfte seine Hose gerade und stellte sich bei uns per Handschlag nochmal vor. Gabriele hielt ihm unsicher die Kamera entgegen.
„Anna, would you?", er schaute mich an und wedelte mit dem Aufnahmegerät.
Anna?
„Emma", korrigierte ich ihn falsch lächelnd, griff nach der Kamera und wartete, bis er sich nah genug an Gabriele geschmiegt hatte und die Hand um ihre Hüfte gelegt hatte.
„Whatever", meinte Samu und grinste frech.
Ich kochte vor Wut, blieb aber ruhig, machte ein Foto und gab der Frau aus Recklinghausen die Kamera zurück. Sie nickte bedankend, schüttelte Samus Hand und wollte wieder gehen.
„No interview?", fragte er entsetzt.
„Just a picture", grinste sie, winkte in die Runde und wurde von Horst zur Tür begleitet.
Da stand ich also.
Wie das Spanferkel auf dem Präsentierteller.
Samu setzte sich wieder zwischen Raul und Riku, würdigte mich keines weiteren Blickes und begann, an seinem Handy herumzuspielen.
Osmo machte den Anfang, kam auf mich zu und drückte mich herzlich. Vermutlich war er der einzige Mensch in diesem Raum, der mir gegenüber positiv eingestellt und wirklich wohlgesonnen war.
Auf Samus Geburtstagsfeier war alles in Ordnung gewesen. Aber speziell Riku schien von dieser ganzen „Ich treffe meine Ex"-Aktion nicht sonderlich begeistert zu sein.
„You're looking really good", meinte er dennoch von der Couch aus und lächelte.
„Kiitos", nuschelte ich über Osmos Schulter hinweg, „you too."
Riku zog seinen imaginären Hut und nickte.
„Schon doof, wenn man so viele Frauen gevögelt hat, dass man sich einen Namen nicht zwei Minuten merken kann, oder?", schoss es aus mir heraus, als Osmo mich losließ und zum Minikühlschrank ging.
„Willst du eine picture?", Samu hob den Kopf, sah bewusst an mir vorbei und runzelte die Stirn.
„Nein?", gab ich entsetzt zurück.
„Good. Willst du eine interview?"
„Guck mich an, wenn ich mit dir reden, Samu. Nicht an mir vorbei."
„Why?"
Ungefragt nahm ich auf einem der Sessel Platz, nahm die Umhängetasche ab und überschlug die Beine.
„Was glaubst du, wer du bist, dass du die Menschen so behandeln kannst, wie es dir passt? Hast du überhaupt keine Erziehung genossen?"
Samu schaute wieder auf sein Smartphone und antwortete mir nicht.
Er schien sich einen Dreck darum zu scheren, wie die Situation für die anderen sein musste.
„Let's go smoking", raffte Sami sich auf und klopfte auffordernd auf die Oberschenkel und ging zu einem der fahrbaren Garderobenständer. Riku, Osmo und Raul folgten ihm; grinsten mich aber alle nochmal an.
Kaum hatten sie ihre Zigaretten aus den Taschen geholt, verließen sie wortlos den Raum. Als die Tür ins Schloss gefallen war, stieß ich entnervt Luft aus und schüttelte den Kopf.
„Willst du eine beer?", fragte Samu.
„Nein."
„Ok", sagte er und daddelte weiter an seinem Handy herum.
„Du bist unglaublich."
„I know."
„Im negativen Sinn."
„Who cares?"
„Dich sollte das vielleicht interessieren."
„Warum?"
„Warum bist du so?"
„What?"
„Kalt, emotionslos?"
„Oh", jetzt hatte ich seine Aufmerksamkeit, „du bist eine affair. Was willst du?"
„Dass du dich mir gegenüber genauso professionell verhältst, wie ich das dir gegenüber mache. Das hat was mit Respekt zu tun."
Er klatschte langsam in die Hände.
„Aber zu sagen, dass ich nicht kann remember names, weil ich habe so viele Frauen gehabt in die bed in front of the dudes is nice? Don't talk about respect, wenn hast selber keine."
„Du hast mich doch mit Absicht „Anna" genannt", fuhr ich ihn böse an.
„Who knows?"
„Verarsch mich nicht. Natürlich war das Absicht!"
„Wenn du meinst", wieder starrte er auf sein Smartphone, „ist noch something?"
„Nein."
„You know, wo ist die Tür, right?", er überschlug die Beine.
„Arschloch", wütend stand ich auf, legte mir die Umhängetasche über meine Schulter und ging in Richtung Tür.
„Have a nice evening mit die homophobic guy."
Ich blieb stehen und drehte mich auf dem Absatz um.
„Was?"
Er ließ das Smartphone auf den gläsernen Couchtisch knallen und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Glaubst du, ich habe nicht gesehen, wie ihr habt euch gekisst? Disgusting."
Samu schüttelte sich.
„Du weißt doch nicht, was Liebe ist. Was willst du also?"
„Oh yes, ich weiß."
„Nein Samu", ich ging einige Schritte auf ihn zu.
„But you know?", er begann zu lachen, „you know nothing. Du bist hier bei meine concert und pusht deine Ego mit diese guy!"
Noch bevor ich darauf reagieren konnte, flog die Tür auf und ein Silikonbomber stackste auf hohen Schuhen herein.
„Kulta", piepste Mirja aufgebracht, tippelte zu Samu, setzte sich neben ihn und küsste seine Wange.
Samu fixierte mich mit seinem Blick, legte den Arm um sie, während ich leise Würgegeräusche von mir gab.
„Ich hab ma den Jung mitgebracht", tönte es plötzlich hinter mir.
Ich drehte mich Richtung Tür und sah Horst, der eine Hand auf Jans Schulter gelegt hatte und ihn zu uns führte.
„There are no others. Don't know, where they are", formulierte er höflich.
Samu nickte Horst zu, während Jan mir einen Kuss auf die Stirn drückte.
„Emma, wir kenn uns ja. Du findes raus, oder?", fragte der Geschäftsführer noch.
„Ja", lächelte ich ihm zu, „vielen Dank."
Niemand sagte etwas, bis die Tür wieder ins Schloss fiel.
„Samu", nickte Jan.
„Jan", nickte Samu.
„Emma, not?", quiekte Mirja.
„Siehst du", ich zeigte verzweifelt mit den Handflächen auf sie, „sogar dein finnischer Atombusen weiß meinen Namen!"
„Was macht er hier?", Samu verwies mit dem Nase auf Jan, ohne auf das Gesagte einzugehen.
„Er ist meine Begleitung, wie du gerade selbst festgestellt hast. Die Frage ist eher, was sie hier macht."
„She is mein Begleitung?"
„Du vögelst sie, weil sie kein Gehirn hat und keine Widerworte gibt. Weiß sie das?"
„Du fickst mit die guy, obwohl er ist eine homophobic asshole", schrie Samu mich an, „weiß er das?"
„Was?", Jan wich von meiner Seite und sah mich entsetzt an, „du hast mit diesem Greis über mich geredet? Wann?"
„Greis?", Samu blinzelte.
„Wir haben uns in Helsinki getroffen", antwortete ich ehrlich.
„Und das ist das Erste, was du ihm erzählst?", Jan war aufgebracht, „dass ich 'n Problem mit Schwulen hatte?"
„Oh", warf Samu grinsend ein, „now you like them?"
„Wir haben über alles geredet. Nicht nur darüber", versuchte ich ihn zu besänftigen und ignorierte den Finnen, „wir haben uns gut verstanden."
„Und da hat er dir auch erzählt, dass die Silikontitten dumm sind?", Jans Stirn warf ungläubige Falten.
„Ja", nickte ich, „hat er."
„Ich will das nicht vor denen ausdiskutieren", machte Jan deutlich und stemmte die Hände in die Seiten, „lass uns zu H..."
„Was ist eine Greis?", unterbrach Samu ihn.
„Was willst du, alter Mann?", Jan wippte mit den Augenbrauen, „unterbrich mich nicht!"
„What?", plötzlich stand Samu dicht vor ihm.
Mirja und ich sahen uns entsetzt an. Zumindest wirkte sie so. Möglich, dass lediglich ihre letzte Botoxbehandlung noch nicht allzu lange her war.
„Jan", ich zerrte an seiner Schulter, „ist schon gut."
„Er soll wissen, dass er alt ist."
„Oh", schmatzte Samu süffisant, nahm die beiden Enden der offenen Krawatte zwischen die Finger, zog sie abwechselnd nach rechts und links und sah mich an, „you know, Emma or Anna or whatever. Some people left footprints. And some people not."
„Hey", maulte Jan ihn an, „rede nicht so mit meiner Freundin."
„Freundin", lachte Samu, klopfte Jan auf die Brust und wich einige Schritte zurück, „als würde dir das bedeuten etwas."
„Glaub nicht, dass euer Treffen oder eure gemeinsame Arbeit vor ein paar Jahren auch nur ansatzweise das ausmachen würde, was unsere Beziehung ausmacht und wie gering der Stellenwert deiner Person ist, im Vergleich dazu."
Stille.
Dann fing plötzlich Samu herzlich an zu lachen. So herzlich und losgelöst, dass er sich den Bauch hielt.
„You're so fucking right, dude. Alles right, yes."
„Affe", jetzt plusterte Jan sich vor ihm auf.
„Are you frustrated?"
Jan ballte die Fäuste.
„Kiss my ass, darling", Samus Augenbrauen wippten, bevor er Jan einen Luftkuss zuwarf, „tonight."
Die Halsschlagader meines Freundes pochte gefährlich.
Noch nie hatte ich ihn so erlebt.
„Hey", flüsterte ich und fasst ihm an die Schulter, „willst du schon zum Auto gehen? Ich will noch kurz zu Horst ins Büro."
„Ich warte hier", Jans Blick war versteinert.
„Bitte geh vor", versuchte ich zu schlichten, „die Stimmung droht gerade zu kippen."
Er pustete Luft aus und sog sie scharf wieder ein, ehe er meine Wange küsste, sich an mir vorbeischob, die Tür mit Wucht aufriss und dann laut ins Schloss knallte.
Ich massierte meine Schläfen mit geschlossenen Augen –in der Hoffnung, das Hämmern in meinem Kopf würde aufhören- und setzte dann ebenfalls zum Gehen an. Bevor ich die Hand an die Türklinke legte, ging ich nochmal einige Schritte zurück.
„Samu?"
„What?", Mirja lehnte mit dem Kinn an seiner Schulter.
„Du hast recht."
„What?"
„Ich pushe mein Ego mit ihm. Ich mache also genau das Gleiche wie du mit deiner Verlobten, die gar nicht deine Verlobte ist."
Samu sah zu Boden. Als würde er sich für das, was in den letzten Minuten passiert war, unendlich schämen.
„Und ja. Das hat nichts mit Liebe zu tun", schob ich trocken hinterher, ging die wenigen Schritte zur Tür, huschte hinaus und schloss sie leise hinter mir.
Gekränkt von dieser Situation verharrte ich noch einen Moment an die geschlossene Pforte gelehnt, um mich zu sammeln.
Das hätte so alles nie passieren dürfen.
Als ich hörte, wie im Inneren der gläserne Couchtisch unter einem lauten „Fuck" in vermutlich 1000 Teile zersprang, machte ich mich auf den Weg zum Auto.
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Just friends?
Fanfiction"[...] Wie wäre es, wenn sie immer da wäre? Wenn sie morgens neben mir aufwachen würde? Immer? Ich stieß einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. Keine Chance. Soweit hatte ich damals nicht gedacht; soweit sollte ich jetzt nicht mal ansatzweise de...