„Du bist nicht schwanger", versuchte ich einen witzigen Gesprächseinstieg zu starten, ohne ihr direkt auf die Nase zu binden, was mich an ihrem Verhalten störte, „gratuliere!"
„Ich hab jeden Tag mindestens 120 verschiedene Kinder. Wenn ich mir dann noch einen zusätzlichen Namen merken muss, sprengt das meine Kapazitäten", Marlen winkte ab, „du bist auch nicht schwanger, Glückwunsch dazu."
„Da wirst du lange warten müssen", sagte ich selbstsicher.
Ich wollte keine Kinder. Meine Angst, ihnen eine schlechter Mutter zu sein, war viel zu groß, als dass ich dieses Risiko eingehen wollte.
Schweigen.
Stille zwischen uns.
Wir schlenderten immer weiter durch den großen Festsaal und machten am noch leeren DJ-Pult Halt. Ich tippelte einige Male hin und her und sah mich unsicher um, bevor Leni das Gespräch wieder aufnahm.
„Wie ist Schweden?"
„Gut. Kalt momentan."
„Das glaube ich. Warst du schon Schlitten fahren?"
„Nee, Sleigh Cross Park ist mir zu voll", ich schüttelte den Kopf und war unfassbar froh, dass ich ein Schnee- und Skigebiet kannte. Das machte mich –so hoffte ich- überzeugender.
„Aso", Leni lächelte.
Wieder Stille.
„Hör mal", sie stellte das Sektglas auf das Pult und stemmte die Ellenbogen rechts und links davon ab, „es tut mir leid, dass ich so scheiße zu dir war. Ich find es toll, dass du heute hier bist und das alles einrichten konntest. Daniel sagte, dass du viel zu tun hast momentan."
„Ja", log ich und sah zu Samu herüber, der sich köstlich amüsierte und gerade über irgendetwas lachte. Wie gerne hätte ich getauscht und mir dieses aufgezwungene Gespräch erspart.
„Macht es Spaß?"
„Schon."
„Und wie lange noch?"
„Wie lange was?"
„Wie lange musst du noch bleiben?"
„Hier?"
„Bist du betrunken?", Leni lachte herzlich, „in Schweden!"
„Oh", ich kratze mich nervös am Kopf, „je nachdem, wie die Verhandlungen laufen. Das ist immer unterschiedlich. Ich stehe aber mit Thomas in Kontakt. Er entscheidet das."
„Wahnsinn. Und du bekommst das alles bezahlt?"
„Ja."
„Und dein Schwedisch ist besser geworden?"
„Etwas, ja", lächelte ich und nippte an dem Sektglas.
Meine Schwedischkenntnisse waren unterirdisch. Alles, was ich mal sagen konnte, wurde von finnischen Vokabeln verdrängt, weil das vor allem in Helsinki viel notwendiger war, als sonst irgendwo. Jeder verstand mich dort auch auf Englisch, aber ich wollte schon nach der ersten Woche meine Brötchen beim Bäcker nicht mehr auf einer anderen Sprache bestellen, weil ich mir dabei dumm vorkam. Schließlich kannte die Verkäuferin mein Gesicht.
„Und der Finne?", Leni zeigte mit dem Finger in Richtung des Stuhlkreises.
Wieder sah ich rüber.
Mittlerweile hatten sich zwei andere Menschen dazugesellt und unterhielten sich sowohl mit Daniel und Julian, als auch mit Samu. Er trommelte mit den Fingern auf seinen Beinen rum und nickte den Leuten aufmerksam zu.
Ich lächelte.
„Was meinst du?"
„Was meine ich?", Leni rollte die Augen und trank einen Schluck, „ihr habt Kontakt?"
„Ich wäre nicht mit ihm hier, wenn wir keinen hätten, oder?"
„Dann wärst du mit jemand anderem hier", sagte sie trocken und exte den restlichen Inhalt ihres Glases.
Ok. Der Kampf war eröffnet. Sie hatte den ersten Stein geworfen. Dann sollte sie auch in der Lage sein, den nächsten zu fangen.
„Willst du wirklich darüber reden?", ich pustete genervt Luft aus.
„Hm?", sie blinzelte mich an und grinste falsch, „was meinst du?"
„Ich hab keine Lust über Jan zu reden, Leni."
„Habt ihr schon geredet?"
„Wer?", ich zog die Stirn kraus.
„Du und Jan?"
„Nein, warum auch?"
„Um miteinander zu reden?"
„Über?", fragte ich mit Nachdruck und zog die Schultern hoch, „das Wetter?"
„Über eure Beziehung."
Ich tippte mir entsetzt mit dem Zeigefinger an den Kopf.
„War nur ein Witz", Leni stieß mir an die Schulter.
„Kein guter."
„Ach Emma, stell dich nicht so an."
„Das sagst du?", ich stierte sie an, „du?"
„Was soll das jetzt?"
„Ich stell mich bestimmt nicht an", mein Kopf beugte sich zu ihr, „du aber schon."
„Was?", Marlen riss die Augen auf und trat einen Schritt zurück, um sich theatralisch an die Brust zu fassen, „ich? Was mache ich?"
„Du hast Samu an der Kirche nicht begrüßt", formulierte ich trocken aber präzise.
„Bitte?"
„Du hast ihn nicht begrüßt. Du hast ihn ignoriert. Warum kannst du nicht einfa..."
„Was? Ich hab gar nichts gemacht", schnitt sie mich ab.
„Natürlich", ich rollte die Augen, „ein einfaches „hallo" hätte ausgereicht. Du sollst ihn nicht heiraten."
„Bin ich ja auch schließlich schon", sie wackelte mit dem Ringfinger und präsentierte stolz ihren Ehering, „hat er geweint, weil ich ihn nicht begrüßt hab und musste sich dann an deiner Schulter ausweinen?"
„Sind wir gerade wieder hasserfüllt und schlecht gelaunt? Du solltest mal darüber nachdenken, ob du nicht vielleicht Baldriantropfen nehmen solltest", ich trank den Sekt in einem Rutsch herunter und knallte das Glas auf das Pult, „so 'n Herzinfarkt mit Anfang 30 ist vielleicht nicht unbedingt in deinem Leben eingeplant."
„Doch. Ist berücksichtigt", keifte sie mich leise an.
„Das freut mich für dich. Hoffentlich weiß Marius schon von deinem baldigen Ableben", meinte ich wütend und ging ohne auf eine Antwort zu warten zurück zu meiner Selbsthilfegruppe.
Leni war meine beste Freundin. Ich wollte einfach nur, dass sie den Mann an meiner Seite endlich akzeptieren lernte. Ich verlangte von ihr keine falsche Freundlichkeit, aber eine einfache Begrüßung hätte sich doch wohl einrichten lassen. Das, was ich zu ihr gesagt hatte, war vielleicht etwas böse gewesen. Aber ich fand das –gerade nach ihrer Äußerung- mehr als angemessen und auch gerechtfertigt. Dass sie auf meine Frage so patzig reagierte, hatte ich nicht erwartet.
Just als ich wieder neben Samu Platz nehmen wollte, tippte mich erneut jemand von hinten an. Ich stieß genervt Luft aus, drehte mich und sah Marius hinter mir stehen.
„Bist du gleich bei dem Gruppenfoto dabei, bevor ich und Leni die Tanzfläche eröffnen?", fragte er freundlich lächelnd.
Der Esel nennt sich immer zuerst.
Ich war mir nicht sicher, wie ich reagieren sollte. Warum fragte er mich sowas? Ich würde früher oder später sowieso tanzen gehen, weil ich mir Julians Robotertanz nicht entgehen lassen wollte. Und wenn ich vorher nicht dabei war; wen interessierte das?
Ich schaute an ihm vorbei in Richtung des DJ-Pults. Aber da stand nur jemand, der Kopfhörer trug und den Kopf wie eine Taube nach vorne und hinten bewegte.
Entweder wollte Marius einfach nur freundlich sein, oder Leni hatte ihm alles erzählt. Von unserem Streit vor einigen Monaten und jetzt.
„Emma? Bist du dabei?", wollte er nochmal wissen.
„Aber sicher", nickte ich, „klar."
„Das freut mich. Bring die beiden Jungs dann gleich einfach mit, ok?"
„Es sind drei", berichtigte ich ihn.
„Ach stimmt. Der Sänger", nuschelte er hörbar, drehte sich um und ging zurück an seinen Tisch.
Ich kam mir vor wie in einem falschen Film. Meine beste Freundin war nicht in der Lage, Samu zu grüßen und ihr Mann blendete ihn einfach aus. Mir fielen spontan tausend Dinge ein, die ich wie ein Mantra vor mich hin sagen wollte. Aber ich beschränkte mich auf das Zusammenpressen meiner Lippen und das Ballen der Fäuste.
„Bitte halten Sie sich die Hände vor das Gesicht!", rief die Fotografin und wedelte mit den Händen in der Luft umher, „es soll so aussehen, als würden sie sich schämen."
„Ich muss gar nicht so tun", meinte ich leise und hielt mir die rechte Hand vor die Augen.
Daniel stand hinter mir stupste mich mit dem Ellenbogen an.
„Bitte denken Sie daran, sich seitlich zueinander zu drehen", wies die Fotografin an.
Allgemeines Gemurmel unter den Gästen. Alle positionierten sich neu und ich fragte mich derweil, ob die Fotografin die gleiche war wie in der Kirche.
„Lady? Wo bist du?", hörte ich Samu sagen, „ich kann dich nicht sehen!"
Schmunzelnd nahm ich die Hand von den Augen, legte sie an Samus Handgelenk und umklammerte es fest.
Auf Grund der plötzlichen Helligkeit kniff er die Augen zusammen und streichelte meinen Daumen. Vorsichtig stellte ich mich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.
„Hey, Sie da rechts!", schrie die Fotografin.
Sofort drehte ich meinen Kopf zu ihr.
„Nix da. Wir machen jetzt das Foto!", sie schüttelte den Kopf und ließ die Kamera sinken.
Auch Leni aus der ersten Reihe hatte sich zu mir gewandt. Sie rollte die Augen und blies wütend die Wangen auf.
„So", die Fotografin erhobt wieder ihre Kamera, „bitte lächeln und Augen zuhalten. Und Sie grinsen!"
Ich vergrub meinen Kopf an Samus Brust, er legte seinen auf meinen Scheitel.
„Bitte nicht gucken!", befahl die Fotografin, „einfach beschämt die Hände vor das Gesicht halten."
„Jaja", genervt nuschelte ich in Samus weißes Hemd, „ich kann auch gucken und mich schämen."
„What?", lachte er, „nichts verstanden."
Ich hob meinen Kopf.
„Ich muss mir die Hand nicht vor das Gesicht halten. Ich schäme mich auch so", wiederholte ich, immer noch die Hand auf meinen Augen.
„Du bist bitchy, suosikki", ich hörte ein Lachen in seiner tiefen Stimme.
„Was?"
„Bitchy."
„Das andere. Sikki was?"
Plötzlich spürte ich Samus Hände rechts und links auf meinen Wangen. Ich öffnete langsam die Augen, blinzelte wegen der Helligkeit und musste grinsen, weil er mich irgendwie verschlafen ansah.
„Suutele minua suosikki", flüsterte er grinsend.
„So gut ist mein Finnisch nicht", murmelte ich leise zurück, „ich kann mit Mühe und Not 'n Kakao bestellen."
„Ich kann dir lernen", seine Augenbrauen wippten und das Grinsen auf seinen Lippen wurde breiter.
„Es ist was Schweinisches", kombinierte ich, „sonst würdest du nicht so süffisant grinsen."
„Denkst du?"
„Ja, glaube ich", lächelte ich.
„Wenn ich Sex will, dann ich sage makaa kanssani."
„Schade", ich zog eine Schüppe und brachte Samu damit offenbar aus dem Konzept, denn er schloss die Augen unkontrolliert hintereinander.
„Use this fur später, Lady", sein Gesicht näherte sich meinem, „repeat after me: suutele minua."
„Suelte minua", wisperte ich.
„No", Samu schüttelte leicht mit dem Kopf, „suutele nicht suelte. Es ist nicht spanish."
„Suutele minua", versuchte ich es nochmal.
„Ok", nickte Samu ab und legte seine Lippen auf meine.
Suutele minua.
Küss mich.
Ich zog ihn an dem Kragen seines Sakkos näher zu mir und plötzlich war mir gar nicht mehr so kalt wie noch vor einigen Minuten.
Vorsichtig hielt er mein Gesicht in seinen Händen und umschloss meinen Mund immer und immer wieder mit seinen Lippen. Ich würde davon wohl niemals genug bekommen. Ob jetzt, heute, morgen, noch in 100 Jahren.
Nie.
Sacht löste ich den Griff um den Kragen und sah ihm tief in seine ozeanblauen Augen.
Zu Beginn meines Praktikums bei Universal Music in Berlin war ich durch Zufall mit Sunrise Avenue in Kontakt gekommen. Ein Kollege war erkrankt und musste dringend ersetzt werden. Dass ich anschließend die Koordination der nächsten Termine für die Band in die Hände gelegt bekommen hatte, hätte ich damals nie gedacht. Dass ich jetzt mit Samu hier für ein Hochzeitsfoto Modell stand, hätte ich niemals für möglich gehalten. Am Anfang konnte ich den Hype um seine Person überhaupt nicht nachvollziehen. Klar, er war Sänger einer Popband, wow. Das machte ihn aber nicht unbedingt zu einem DER attraktivsten Männer überhaupt.
Und doch zog er mich in seinen Bann.
Jeden verdammten Tag.
Mit jedem Lächeln, dass er mir schenkte.
Mit jedem Augenbrauenwippen.
Mit jeder seiner Berührungen schickte er einen Blitz durch meinen Körper.
In seiner Nähe fühlte ich mich geborgen, aufgehoben. Und wie ein verknallter Teenager. Ich liebte die Art, wie er mich küsste und wie er nach dem Sex auf mir zusammensackte. Ich liebte jede noch so kleine Falte in seinem Gesicht; um die Augen herum, an den Mundwinkeln. Nur bei ihm konnte ich mich komplett fallen lassen. Samu akzeptierte mich so, wie ich war. Wir aßen gemeinsam Pommes oder Chips, ohne dass er mir anschließend ein schlechtes Gewissen machte. Bei ihm konnte ich endlich ich selbst sein und das fühlte sich großartig an.
Ich liebte ihn. Ohne Wenn und Aber.
Bedingungslos.
„Ic..."
„Dankeschön!", unterbrach mich die Fotografin und applaudierte allen mit den Händen über dem Kopf , „danke, dass Sie bei der Kälte so tapfer durchgehalten haben. Ich würde das Brautpaar gerne noch einen Moment hier behalten."
„Das wurde auch Zeit", maulte mein Bruder und legte die Hände auf meine Schultern, um mich zum Gehen aufzufordern, „ich frier mir den Arsch ab."
Ich schaute Samu an.
Samu schaute mich an.
Ich lächelte.
Er drückte mir einen Kuss auf die Schläfe, nahm meine Hand und lotste mich durch die vielen Menschen zurück in den Festsaal des Restaurants, in dem das Brautpaar feierte.
Leni hatte mich falsch angegrinst, bevor sie die Tanzfläche mit Marius zu dem Song „I can't help falling in love with you" von Elvis gestürmt hatte. Gesprochen hatten wir nicht. Der Hochzeitstanz war schön und auch das schummerige Licht trug viel zu der romantischen Stimmung bei. Die Gäste, die mit ihrem Partner gekommen waren, standen nah beieinander und schienen sich den Text gegenseitig aufzusagen, bevor sie sich küssten. Als ich sah, wie irgendwelche schmierigen Verwandten von Marius die Zunge des jeweils anderen in sich aufnahmen und sich gegenseitig zu verschlingen drohten, stieß ich ein Ekelgeräusch aus und drehte den Kopf in die Richtung von Daniel und Julian, die –zum Glück- nur händchenhaltend mitschunkelten.
„Alles ok?", flüsterte Samu mir ins Ohr, als er von der Toilette zurückkam und legte die Hände auf meinen Bauch, „habe ich verpasst something?"
„Nichts, was sehenswert ist", ich drehte den Kopf zu ihm und küsste seine Wange.
„Elvis was eine good guy, but die song ist nicht die richtige decision fur Leni. Sie needs was mit more bass."
„Was schlägst du vor?"
„Irgendwas von Rammstein maybe?"
„Rammstein?"
„Es gibt diese song wo alle tragen costumes und singen „ich habe nicht die Lust zu bewegen" or something like that."
Ich lachte.
„Ich habe keine Lust mich zu bewegen", zitierte ich mit tiefer Stimme.
„Das ich meine!", Samu lachte, legte seinen Kopf auf meiner Schulter ab und begann, mitzusummen.
Langsam schloss ich die Augen und legte meine Hände auf Samus, die er immer noch auf meinen Bauch platziert hatte, und schunkelte mit ihm mit.
Er hauchte mir einen Kuss auf den Hals und streichelte mit dem Daumen über meinen Bauch.
So schlimm war das Schunkeln dann doch nicht mehr.
Man musste nur die richtige Person dabei haben, die das mit einem selbst tat.
Grinsend strich ch über seinen Handrücken und drückte meinen Rücken eng gegen seine Brust, bevor ich lauten Applaus und Jubel vernahm. Fast erschrocken riss ich die Augen auf und sah, dass der Kuss von Marius und Leni auf der Tanzfläche der Auslöser dafür gewesen war. Ich klatschte auch einige Male gezwungenermaßen in die Hände, ehe der DJ das Lied wechselte und das Brautpaar die Gäste zu sich winkte. In Scharen tanzten alle zu „Dragostea din tei" von O-Zone und warfen die Hände in die Luft. Daniel und Julian eingeschlossen.
Ich drehte mich zu Samu um, der mich ebenfalls etwas hilfesuchend anstarrte.
„Willst du noch was trinken?", fragte ich auf Zehenspitzen an seinem Ohr, weil sie Musik wahnsinnig dröhnte.
„Alcohol", gab Samu trocken zurück, legte seinen Zeigefinger gekrümmt unter mein Kinn und legte seine Lippen zaghaft auf meine.
Ich schmunzelte in mich hinein und bekam Gänsehaut am ganzen Körper.
„Alcohol und maybe etwas von die fruits ohne die chocolate", wiederholte er.
„Fruits hast du hier", ich deutete auf einen weißen Tisch hinter ihm, auf dem eine große Obstschale und ein Schokoladenbrunnen abgestellt war.
„Dann nur die alcohol, lady."
Ich nickte lächelnd, wollte gerade gehen, als Samu mich an der Hand festhielt, mich zu ihm zog, eine Haarsträhne achtsam hinter mein Ohr strich und die Hand auf meiner Wange parkte.
„Du bist fucking schön tonight. Ich kann nicht warten to take off your clothes after diese party", flüsterte er und stupste mit seiner Nase an meine, bevor er die Stirn an meine legte.
„Damit bist du nicht allein", sagte ich leise, „den ganzen Abend schon versuch ich, dich nicht anzustarren. Klappt leider nicht."
„Nicht?"
„Nee, gar nicht."
„Poor Emmi", sein Daumen streichelte mein Gesicht, „he stares, too."
„Wer?"
„Jan."
„Lass ihn starren", meinte ich und zog Samu zu einem innigen Kuss an dem Kragen des Sakkos zu mir, bevor ich zur Bar ging, um irgendetwas Alkoholisches zu besorgen.
„Schatz, ich fahre jetzt", hörte ich meine Mutter hinter mir sagen, nachdem ich zwei Cocktails bestellt hatte, „dein Vater fährt mich. Ich bin müde und muss morgen wieder früh raus."
Ich drehte mich zu ihr um und drückte sie etwas halbherzig, weil ich ihr immer noch übel nahm, dass sie kein gutes Wort an Samu gelassen hatte.
„Ist Papa schon weg?"
„Ja, er holt gerade den Wagen."
„Achso. Dann schlaf gut und grüß ihn von mir."
„Das mache ich, hab noch viel Spaß mit Leni und deinen Freunden."
„Danke!"
Sie drückte mir einen Kuss auf die Wange und ging dann in die Richtung des Ausgangs. Ich drehte mich wieder zu der Bardame um, wollte gerade die zwei Longdrinkgläser von der Theke nehmen, als ich hörte, wie ihre Heels in meine Richtung über das Parkett klackerten.
„Hast du was vergessen, Mutter?"
Sie beugte sich zu mir.
„Bitte geh nicht mit älteren Männern mit, weil sie dir schöne Augen machen."
„Was?", ich runzelte die Stirn.
„Geh nicht mit dem alten Kerl mit, nur, weil er gut aussieht", machte sie klar, „ich will dich nicht an irgendeiner Ecke tot auffinden."
„Was?", fragte ich nochmal und traute meinen Ohren nicht.
„Ohne Samu", sie rollte die Augen, „verstehst du das jetzt? Er tut dir nicht gut. Das hat er noch nie."
„Achja?", ich stellte die Gläser zurück und lehnte mich mit verschränkten Armen an den Bartresen, „woher weißt du das?"
„Du bist meine Tochter. Ich weiß sofort Bescheid, wenn etwas schlecht läuft."
„Ja?"
„Ja."
„Dann überleg doch mal, wie oft du in den letzten Woche gemerkt hast, dass etwas schlecht oder gar nicht läuft."
„Was meinst du?"
„Ich meine, dass es dich sonst auch nicht interessiert, was ich mache. Du kennst immer nur Eckpfeiler, hast aber prinzipiell keine Ahnung, was bei mir gerade passiert."
„Natürlich", Mama sah mich erschrocken an, „ich merke doch, wenn meine Tochter wieder auf dem Weg ist, sich in jemanden zu verlieben, der nicht gut für sie ist. Ich will dich nur vor einer weiteren Misere schützen."
„Das ist keine einmalige Sache, Mama."
„Och Emma", sie legte den Kopf in den Nacken und atmete laut aus, „für ihn bist du das aber. Ich fand Jan wirklich nett. Was ist denn mit dem? Er hat dich den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen."
Ich drehte mich fassungslos zur Bar und steckte Strohhalme in die Gläser.
"Wenn ich Samu heirate, hab ich für immer ausgesorgt. Hast du schon daran gedacht?", sagte ich ironisch.
Geld war das allerletzte, was ich von Samu wollte. Darum war es mir nie gegangen. Aber vielleicht ließ meine Mutter mich so zufrieden.
„Was? Du willst den heiraten? Das lässt er doch nicht mit sich machen. Du bist doch nu..."
„Nur das kleine, naive Mädchen, was von ihm gefickt wird, ja", vervollständigte ich ihren Satz und schob mich kopfschüttelnd mit den beiden Gläsern in der Hand and ihr vorbei; zurück zu Samu.
„Was ist deine problem?", lachte Samu und hatte die Arme vor der Brust verschränkt.
„Ich kann deine Freundin nicht leiden, das ist alles", antwortete Jan und versuchte, durch das Recken seines Halses größer zu wirken als Samu.
Ohne nennenswerten Erfolg.
„Looks different."
„Es ist mir egal, was du davon hältst, alter Mann."
Ich ging vorsichtig einige Schritte zurück, um dem Gespräch weiterhin lauschen zu können, ohne, dass ich großartig auffiel.
„Du hast angefangen to talk to me. Just leave and everything is ok."
„Oh, du bist aber schlagfertig. Wenn das jetzt wenigstens noch Deutsch gewesen wäre."
„Jan, really", Samu fasste sich an die Stirn und strich darüber, „shupt up and do whatever you wanna do. But stop being eine fucking stalker, ok?"
„Weil du das sagst? Du? Der große Samu Haber?"
„Du bist just eine langweilige guy. No problem", Samu wollte an Jan vorbeigehen; er ließ ihn nicht.
Schnell ging ich auf die Beiden zu und hielt Samu den Cocktail hin. Das war definitiv das Letzte, was ich jetzt noch gebrauchen konnte. Erst Leni, dann Marius, dann meine Mutter und jetzt Jan. Als hätten sie kein eigenes Leben und waren nur dazu geboren worden, um mir in meins reinzureden.
„Gehen wir noch rauchen und fahren dann?", ich schenkte Jan keinen einzigen Blick.
„Hallo Emma", meinte Jan, „fahrt ihr dann jetzt gemeinsam nach Teneriffa über Weihnachten?"
„Hi", ich drehte mich kurz zu ihm, ignorierte seine spitze Bemerkung bezüglich der Weihnachtsfeiertage und wand mich dann wieder an Samu, „ich bin müde und will endlich mit dir allein sein."
„Sure", er küsste meine Stirn und stellte den Cocktail auf den Tisch mit dem Obst, „let's drive home now."
„Oh, ist der alte Mann müde?", mischte Jan sich wieder ein und schob die Unterlippe nach vorne, „schlaft ihr zusammen in einem ranzigen Tourbus, weil er dir nichts besseres bieten kann?"
Samus Augen waren mit einem Mal schmale Schlitze geworden.
„Das ist er nicht wert", flüsterte ich, aber Samu schob mich sanft zur Seite und ging auf Jan zu.
„Was ist deine fucking problem?", er stieß Jan an der Schulter an und nickte ihm herausfordernd zu.
„Fass mich nicht nochmal an", Jan zog sein Sakko gerade.
„Stop kicking out please. It doesn't look nice mit diese tie", Samu tippte auf Jans Krawatte.
„Wir gehen vor die Tür und klären das dort", er ging einige Schritte zurück.
„What?", Samu lachte hell, „I don't hit Leute, die aussehen wie eine bookkeeper. If I need eine tax consulatant, dann I call you."
Jan starrte ihn mit offenem Mund an.
„Do you need eine cock fur deine mouth?", Samu zog sein Sakko, inklusive Hemd nach oben und öffnete den oberen Knopf seiner Hose.
„Hör auf", in Jans Augen stieg Wut auf.
Samu griff in die Obstschale, angelte eine Banane heraus und schälte sie.
„Willst du erst eine bisschen üben maybe?"
„Du bist alt", begann Jan, „alt und hier vollkommen unerwünscht. Ist dir das nicht aufgefallen? Keiner hat dich hier willkommen geheißen und du setzt dich hie..."
„Oh god, Jan", unterbrach Samu stöhnend Jans Vortrag und ließ die Banane immer wieder in seinen Mund gleiten, „oh god!"
„Das ist ja widerlich", äußerte Jan, „wie kindisch du bist."
„Oh god", wieder stöhnte Samu, „fuck. Fuck me. C'mon!"
„Du bist bemitleidenswert. Das ist alles. Ich hab einfach nur Mitleid mit dir. Mehr nicht."
Wieder ging Samu ein paar Schritte auf ihn zu, brach ein Stück der Banane ab und steckte dieses in Jans Sakkotasche.
„Fuck you", grinste Samu, nahm mir den Cocktail ab, stellte ihn ebenfalls auf den Tisch und griff nach meiner Hand. Ganz vielsicher führte er uns zum Ausgang.
„Gehst du schon?", fragte Leni, als Samu mir die Tür aufhielt.
„Ihr."
„Was?"
„Ihr", ich deutete auf Samu, „wir sind zu zweit gekommen. Ich muss hier raus, sonst werde ich wahnsinnig."
„Warum?"
„Warum? Du fragst nach dem Warum?"
„Ja", Marlen nickte und wollte nach der Hand greifen, die Samu nicht hielt; ich ließ es nicht so weit kommen.
„Was ist das hier für eine verdammte Freakshow?"
„Was ist denn passiert?"
„Hast du Wahrnehmungsstörungen?", ich riss mich von Samu los und begann, heftig zu gestikulieren.
„Emma, jetzt beruhig dich mal und setz dich mit uns hier hin. Willst du was trinken?"
„Ich will gar nichts mehr. Hast du mitbekommen, wie ihr euch alle den ganzen Tag über verhalten habt?"
„Was meinst du?"
Ich massierte meine Schläfen und atmete drei Mal tief ein und aus.
„Du hast Samu nach der kirchlichen Trauung ignoriert, du hast ihm hier die kalte Schulter gezeigt und hast auch jetzt gerade so getan, als würde er nicht existieren."
„Für mich ist er das auch nicht", sie schaute auf ihre Fingernägel, „er hat dich so sehr verletzt und jetzt tauchst du wieder mit ihm hier auf, weil du Jan noch eins auswischen willst, nachdem du ihn so gedemütigt hast?"
„Was hab ich gemacht?"
„Ihn gedemütigt und eiskalt abserviert. Für irgendeinen Typen, der 15 Jahre älter ist als du und dich nur ficken will, weil du jung bist. Nächste Woche muss ich dich dann wieder aus einem Loch holen und dich aufpeppeln, weil du dich wieder verliebt hast."
Ich kochte vor Wut.
Diese ganzen Vorwürfe wollte ich mir nicht mehr anhören. Nie wieder. Irgendwann war auch meine Geduld ausgereizt und das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen.
„Seit Jahren muss ich genau so sein, wie ihr alle das gerne möchtet. Ihr alle tragt Forderungen und Wünsche an mich heran, die ich überhaupt nicht erfüllen kann, weil ich es einfach nicht will. Schon immer hab ich genau das gemacht, was ihr von mir gewollt habt. Hauptsache, das Bild für die Außenwelt stimmte. Ihr habt euch keine Sekunde gefragt, wie es mir dabei geht."
Die Musik des DJs verstummte.
„Ihr habt mich in eine Rolle pressen wollen, die ich nicht sein will. Ich will keine Hochzeit. Ich will kein verschissenes Reihenhaus am Stadtrand und drei kleine Kinder, die um mich herumlaufen. Ich will nicht von meinem Freund gesagt bekommen, dass ich aufpassen soll, was ich esse, damit die Bikinifigur nicht flöten geht. Ich will mich nicht mehr verstellen müssen, damit euer Bild nicht zerstört wird und ich in eure kleine, heile Welt passe."
„Manchmal muss man unangenehme Dinge tun, um etwas richtiges zu tun. Du hättest mit der Zeit gemerkt, wie toll es ist, jemanden zu haben, der zu Hause auf dich wartet, wenn du nach Hause kommst."
„Ich weiß, wie sich das anfühlt", gab ich kühl zurück und deutete auf Samu, der immer noch die Tür offen hielt und mich ansah, „wegen diesem Mann."
„Was?"
„Ich liebe ihn, Leni."
„Was?", sie blinzelte, „du verarscht mich."
„Weil er mich zum Lachen bringt, mir meine Ängste nimmt und für mich da ist, wenn ich ihn brauche. Ich fühl mich sicher in seiner Nähe, geborgen. Einfach gut aufgehoben. Er gibt mir das Gefühl, besonders zu sein. Und er nimmt mich, wie ich bin. Ob mein Nagellack nun absplittert oder nicht."
„Das kannst du doch gar nicht sagen", spottet Leni und lachte, „wie lange vögelt ihr? 'Ne Woche? Liebe, pah."
„Ich wohne bei ihm, Leni. Ich wurde nämlich nach meinem Geburtstag gekündigt und hab meinen Job verloren. Wenn du dich auch nur etwas für mich interessieren würdest, hättest du das vielleicht gewusst."
„Was?"
„Ich habe keinen Auftrag in Schweden. Ich bin seit November bei Samu und lebe in den Tag hinein", ich grinste hochnäsig.
„Sag, dass das ein schlechter Scherz ist."
„Ist es nicht", ich schüttelte den Kopf, „manchmal schlafen wir gemeinsam aus und gehen erst nachmittagsvor die Tür. Und glaub mir, das fühlt sich verdammt gut an."
„Aber ihr habt doch gar keinen Kontakt gehabt. Wie hintergeht man seine Familie und Freunde denn, ohne, dass es jemand merkt?"
Oh. Mit Wertung.
Samu ist Samantha", offenbarte ich schnell und Leni hielt sich die Hände schockiert vor den Mund.
Sollte sie von mir denken, was sie wollte. Sie schien das Problem nicht zu verstehen und ich war es satt, mich ständig für irgendetwas zu erklären.
„Du belügst uns alle für diesen Typen?", entsetzt zeigte sie mit beiden Händen auf Samu, „du hintergehst Jan für den?"
„Ich bin glücklich mit diesem Typen!", brüllte ich, „ich war todunglücklich mit der Beziehung zu Jan. Ich hab mich ständig euren Idealen angepasst, damit ihr glücklich seid! Aber ich war es so nicht. Mein Wohl stand niemals an erster Stelle und ich bin es leid, mein Leben nach euren Vorstellungen zu leben. Es ist mein Leben. Und es kotzt mich an, dass ihr euch immer und immer wieder einbringen müsst, weil euer eigenes Lebens vielleicht zu langweilig ist. Das ist das, was ich will. Was ich immer gewollt habe."
Im ganzen Saal war es mucksmäuschen still.
Leni schüttelte fassungslos den Kopf und sah zu ihrem Mann herüber, der mit offenem Mund neben ihr stand.
„Du kannst die Musik wieder lauter machen", rief ich dem DJ zu und drehte mich zur Tür, „die Show ist vorbei."
Ich wollte schnell durch die Tür gehen, aber Samu hielt mich fest.
„Wait."
Er huschte rüber an die Bar, nahm sich eine der geschlossenen Sektflaschen hinter dem Tresen weg, nickte der Bardame freundlich zu und kam wieder zu mir.
„Wenn du auch nur eine Seku...", Leni hatte die Zähne aufeinander gepresst und mit dem Finger auf Samu gezeigt.
„Ich danke mom and dad", Samu hob die Flasche wie einen Pokal in die Luft, „fur diese nice Preis. Eine ganz große „fuck you" geht an die Lady mit die ugly jumpsuit. Thank you for alles und have a nice evening!"
Er verbeugte sich nochmal vor allen und ging rückwärts in meine Richtung zur Tür, was die geladenen Gäste offenbar nicht so lustig fanden.
„Freakshow", sagte er kopfschüttelnd, zeigte sich einen Vogel und bat mich heraus.
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Just friends?
Fanfiction"[...] Wie wäre es, wenn sie immer da wäre? Wenn sie morgens neben mir aufwachen würde? Immer? Ich stieß einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. Keine Chance. Soweit hatte ich damals nicht gedacht; soweit sollte ich jetzt nicht mal ansatzweise de...