Drei Wochen waren seit dem Streit mit Marlen vergangen. Das war gleichzeitig auch der Abend gewesen, an dem ich das letzte Mal etwas von ihr gehört hatte. Es war in Ordnung für mich, dass sie wie ein kleines Mädchen zickte, wenn es um ihre Hochzeit ging. Aber ich sah keinen Grund darin, mich für etwas zu entschuldigen und zu rechtfertigen, was sie nicht betraf. Es war ganz allein meine Entscheidung gewesen, ob und wieso ich mich von Jan getrennt hatte.
Samu war präsenter in meinem Leben als jemals zuvor und wir telefonierten jeden Abend, wenn es uns möglich war. Aber die Zeit war alles andere als auf unserer Seite. Er arbeitete wie ein Irrer und flog zwischen Finnland, Schweden und Estland hin und her, während ich an meinem Schreibtisch saß und vorarbeitete, damit mein Chef Thomas mir den Urlaub über Weihnachten und Neujahr ohne Murren gewährte. Denn ein Wiedersehen war uns aus Zeitgründen leider erst wieder dort möglich. Ich hatte Daniel schon darauf vorbereitet, dass ich dieses Jahr weder bei unserer Mutter, noch bei unserem Vater anwesend sein würde. Er hatte nur gelächelt, mit den Schultern gezuckt und „wenn es für die Liebe ist" gesagt.
Und damit hatte er recht.
Ich lächelte, wenn ich morgens aufstand, weil ich wusste, dass Samu mir geschrieben hatte, als er ins Bett gegangen war.
Ich lächelte, wenn ich abends die Redaktion verließ, weil ich wusste, dass Samu mich anrief, wenn er zu Hause war.
Ich lächelte nur noch.
Weil ich verknallt war wie ein hirnloser Teenager.
24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.
Aber es war schön. Dieses Kribbeln im Bauch, wenn ich nur an ihn dachte, machte jeden Tag um einiges erträglicher. Ein einziger Gedanke an sein verschmitztes Lächeln vernebelte meine Sinne im Positiven und brachte mein Herz zum Rasen. Und die Vorfreude auf Weihnachten und Silvester mit ihm halfen, meinen sonst eher öden Alltag zu vergessen.
„Ihr seid dann dieses Jahr an Weihnachten bei mir, richtig?", fragte meine Mutter bei dem Geburtstagsbrunch, den ich schon wochenlang vor mir her schob.
„Dieses Jahr musst du dich mit Daniel arrangieren", grinste ich und steckte mir eine eingelegte Mozzarellakugel in den Mund.
„Warum das?", sie ließ das Messer an den Teller klirren.
„Sie ist wahrscheinlich nicht da", meinte Daniel und schielte zu mir herüber.
„Sag", forderte Mama und legte den Kopf zur Seite, „gibts 'n neuen Typen nach Jan und diesem Reinfall von Skandinavier?"
„Susanne", ermahnte sie mein Vater, „du kannst doch nicht immer von dir auf andere schließen. Der Skandinavier heißt Samu. Und er war nett."
Meine Mutter rollte die Augen und seufzte.
„Aber es sollte nicht sein", fuhr er fort, „kein Grund, deiner Tochter ein schlechtes Gefühl zu geben."
Papa. Der Superpädagoge.
„Jaja", winkte sie ab und wandte sich wieder an mich, „also Schatz. Wo bist du über Weihnachten, wenn du schon nicht zu deiner alten Mutter kommen kannst?"
„Bei dem besagten Skandinavier", meinte ich trocken und steckte mir eine weitere Mozzarellakugel in den Mund.
„Bitte?", sie hustete, „wo?"
„Ich fahr über Weihnachten zu Samu, wenn ich Urlaub bekomme. Im Januar bin ich dann wieder da."
Mama schaute entsetzt auf ihren Teller und suchte dann Blickkontakt zu Papa. Keine Chance. Er grinste mich an.
„Aha?", sagte er fragend, „wie kommt es dazu?"
Gerade wollte ich anfangen, das Nötigste zu erzählen; aber Daniel war schneller.
„Samu war an ihrem Geburtstag schon hier und hat Emma den Kopf verdreht. Ihr hättet wirklich dabei sein sollen. Immer, wenn die sich gesehen haben, haben die sich mit den Augen ausgezogen, jedes verdammte Mal. Julian und ich haben schon gewettet, wann das alles eskaliert und Emma Jan sagt, dass er endlich verschwinden soll, damit sie mit Samu im Schlafzimmer verschwinden kann. Jedenfalls sind d..."
Ich trat Daniel unter dem Tisch gegen das Schienbein und schickte ihn mit einem bösen Blick in die Hölle. Das ging überhaupt niemanden etwas an. Das, was er da an meinem Geburtstag gesehen hatte, entsprach zwar der Wahrheit; aber das musste er doch nicht erzählen. Und schon gar nicht meiner Mutter, die mehr Anti-Samu war als mein Vater.
„Also seid ihr zusammen?", mein Vater grinste, „dieses Mal wirklich und richtig?"
Er war von Anfang an Samus Fan gewesen. Als Leni mich wie ein Häufchen Elend wieder aufgepäppelt hatte, war Papa öfter vorbeigekommen, um mich abzulenken oder zu unterhalten. Er hatte gesehen, wie schlecht es mir gegangen war und wäre Samu am liebsten mit ausgestrecktem Bein in den Rücken gesprungen. Das änderte aber nichts daran, dass er sich mit ihm gut verstanden hatte und ihn eigentlich mochte. Sei es bei meinem Auszug aus der Wohngemeinschaft oder an Daniels Hochzeit. Außerdem kam er aus einem skandinavischen Land. Das verschaffte ihm zusätzliche Pluspunkte. Das er mir das Herz gebrochen hatte, war Papa bewusst.
Deswegen hatte er es vermieden, über ihn zu reden, wenn ich den Anfang nicht gemacht hatte. Und das war während der ersten Wochen nach meiner Rückkehr aus Finnland wirklich hilfreich gewesen.
Mama starrte entsetzt zu mir rüber und dann wieder zu meinem Vater.
„Du hast nicht wirklich gerade gefragt, ob deine Tochter mit dem Norweger zusammen ist, oder?"
„Finne!", sagten Daniel und ich gleichzeitig.
„Es ist mir egal", sie senkte den Kopf und schaute uns von unten mit ihren großen Augen an, „aus welchen kalten Land er kommt. Ehrlich. Den Nordpol würde ich ihm gönnen. Da würden ihm vielleicht ein paar Körperteile abfallen, die ihn beim Denken behindern."
„Ach Mama", ich lächelte, „es ist alles gut."
„Bis er sich wieder dazu entscheidet, dir dein Geburtstagsgeschenk wegzunehmen und dich rauszuwerfen", meine Mutter tippte sich auf das Dekolleté, „ist das die Kette? Die Kette?"
„Ja, das ist sie."
„Wie einfallsreich die gleiche Kette nochmal zu verschenken. Nur mit einem anderen Anhänger."
„Ich hab sie ihm zurückgegeben, als ich gegangen bin."
Sie klatschte in die Hände.
„Toll, wie ehrenhaft von dir. Da hat er schön auf deinem Stolz herumtrampeln können. Glaubst du, es hat mir Spaß gemacht, mein Kind so am Boden zerstört zu sehen?", sie erhob die Stimme und deutete in die Runde, „glaubst du, wir fanden es toll, dich so zu sehen? Du warst überhaupt nicht mehr Herr der Lage, hast geweint wie ein Schlosshund, weil der Idiot dich nicht wollte. Und jetzt fährst du wieder hin? Warum? Um das gleiche nochmal zu erleben? Kein Wunder, dass das mit Ja..."
„Ich bin es leid, mich ständig für irgendetwas aus meinem Leben zu rechtfertigen", ich tupfte mir den Mund mit einer grünen Serviette ab, „ich bin dieses Jahr an Weihnachten nicht da, weil ich hoffe, bei einem Menschen zu sein, den ich mag und mit dem ich Zeit verbringen möchte. Das ist alles. Es tut mir leid, Mama, dass es dieses Jahr nicht klappt."
„Ist das ein „ja"?", flüsterte Papa Daniel zu, weil ich seine Frage nicht beantwortet hatte.
Mein Bruder zuckte mit den Schultern.
„Das ist ein „nein"", gab ich etwas flapsig von mir, „ich hab ihn sehr gern und das ist alles. Ich muss auch nicht mit euch darüber reden, wenn ich nicht will."
„Es ist ein „ja"", schmunzelte Daniel überheblich und erntete dafür einen weiteren Tritt gegen sein Schienbein.
Samu und ich waren kein Paar. Es war schön, dass sie sich für mich interessierten, aber die Sticheleien von Mama gingen viel zu weit. Sie war verständlicherweise besorgt, aber ich war alt genug, um selbst zu entscheiden, wen ich wann und warum treffen würde. Und es fiel dieses Jahr auf das Weihnachtsfest. Aber damit musste sie auch irgendwann zurecht kommen. Wenn ich verheiratet gewesen und Kinder gehabt hätte, dann wäre ich an Heiligabend auch nicht bei ihr gewesen, sondern bei meiner eigenen Familie.
„Lov, reichst du mir mal ein Croissant?", versöhnlich blinzelte mein Zwilling mich an.
„Zu Fuß?", fragte ich Daniel.
„Nur, wenn du deine Finger nicht vorher anleckst oder drauf spuckst."
Ich saß auf dem Bordstein vor dem Studio und hing mit den Gedanken nicht da, wo ich eigentlich sollte. Jukka hatte mich zu einer Zwangspause verdonnert, weil ich ständig meinen Einsatz verpasst hatte und unaufmerksam gewesen war. Ich sollte das Mädchen doch endlich herholen, wenn das meine Arbeit positiv beeinflussen würde, damit er endlich mit dem Schneiden und Mixen beginnen konnte. Jukka hatte keine Ahnung, von welchem Mädchen er da sprach. Früher hatten sie einige Male miteinander telefoniert; aber dass Emma genau DAS Mädchen war, wusste er nicht. Er war vermutlich immer noch der Meinung, dass ich mich mit Mirja traf. Oder Emilia. Oder sonst irgendwem. Dabei hatte ich beide schon ewig nicht mehr gesehen und hatte auch kein Interesse daran.
Ich blies den Qualm der Zigarette in die Luft und zog anschließend den Kragen meiner Winterjacke hoch. Es war arschkalt und eigentlich wäre mir Australien zu dieser Jahreszeit lieber gewesen, aber die Arbeit im Studio hielt mich hier fest. Ebenso der Gedanke daran, dass Emma in weniger als einem Monat kommen würde. Noch war ihr Urlaub zwar nicht genehmigt, aber sie schob unentwegt Überstunden und meldete sich freiwillig für alles, was anfiel oder von anderen nicht gemacht werden wollte.
„Ready?", Jukka stand mit den verschränkten Armen in der Tür und signalisierte mir, dass ich wieder reinkommen sollte.
Ich nickte und folgte ihm in das warme Innere, schüttelte michfröstelnd und streifte mir die Jacke über, bevor ich wieder in der Kabine verschwand.
Nachdem ich einige Zeilen eingesungen hatte, winkte Jukka mich zu sich und schüttelte den Kopf.
Ja, ich wusste, dass ich nicht bei der Sache war.
Und ja, ich wusste, dass Emma daran schuld war.
Aber ich war verrückt nach dieser Frau.
Ihre Augen, ihr Mund, ihre Haare, die in alle Richtungen abstanden, wenn sie wieder auf die Idee kam, diese komischen Schaumstoffteile über Nacht zu tragen, ihr unsicheres Lächeln, wenn sie mich sah. Allein der Gedanke daran, ihre Stimme am Abend wieder zu hören, versetzte mich in eine Art Delirium. Und ich konnte es nicht abwarten, sie endlich wieder in die Arme zu schließen, sie aus ihren Klamotten zu schälen und über sie herzufallen.
„Alter", meinte Jukka in meiner Muttersprache, „leg mal wieder Hand an. So wird das nichts."
„Fick dich", gab ich lachend zurück und strich meine Haare unter der schwarzen Mützen gerade.
„Lässt die Kleine dich nicht ran, dass du so aufgeregt bist und dich wie ein Zombie verhältst? Wir können so nicht arbeiten."
„Bei mir läuft es bestens."
„Oh Gott", Jukka schlug die Hände vor den Mund, „sie lässt dich echt nicht ran."
„Aber sicher", zwinkerte ich.
„Also nie", schien er zu kombinieren und tippte sich auf die imaginäre Armbanduhr am Handgelenk, „wir machen einen letzten Versuch. Wenn das nichts wird, gehen wir was trinken und du erzählst mir von ihr."
„Träum weiter", erwiderte ich und verzog mich zurück in die Kabine.
Ich hatte meine Eltern, sowie meinen Zwillingsbruder, gerade verabschiedet, den Tisch abgeräumt und die Spülmaschine angestellt und stand nur in Unterwäsche vor dem Kleiderschrank, um mich umzuziehen. Ich zog eine Hotpants aus dem untersten Regalboden, als mein Handy klingelte. Sofort warf ich die Hose auf das Bett und rannte ins Wohnzimmer, schnappte mir das Smartphone und ließ mich rückwärts auf die Couch fallen, bevor ich auf das Display sah.
Anonym.
Ich haderte mit mir.
Rangehen oder klingeln lassen?
Ich wollte nicht mit Leni reden. Aber sie wusste genau, dass ich nicht abnehmen würde, wenn jemand als unbekannter Teilnehmer anrief.
Rangehen?
Vielleicht war es auch meine Mutter, die sich entschuldigen wollte.
Klingeln lassen?
Vielleicht war es Samu, der wieder irgendwo angerufen hatte und nicht wollte, dass der Anrufer seine Nummer.
„Hallo?", sagte ich freundlich.
„Emma?"
„Ja? Hallo?"
Nicht Samu.
Ganz eindeutig nicht Samu.
„Hier ist Thomas. Hast du einen Moment?"
Mein Chef.
Was wollte er denn? Es war bereits nach 22.00 Uhr. Was war so wichtig, dass es nicht bis Montag warten konnte?
„Ja bitte?"
„Stör ich gerade?"
„Kommt drauf an, was du möchtest", lachte ich, „Artikel überarbeite ich erst wieder am Montag."
„Hm", grübelte er, „kannst du in der Redaktion vorbeikommen?"
„Wann?"
„Jetzt?"
„Kann das nicht bis Montag warten?"
„Es ist wirklich wichtig, Emma."
Ich atmete genervt aus. Dann musste ich mich wieder anziehen und das Telefonat mit Samu auf später oder morgen verschieben. Das wollte ich eigentlich nicht. Als würde es nicht reichen, dass ich den finnischen Spinner wie eine Gestörte vermisste und unter Entzug litt, wenn ich seine Stimme nicht hören konnte.
„Ich würde dich nicht bitten, wenn es am Telefon gehen würde", sagte Thomas mit Nachdruck.
Ich überlegte.
„Gib mir 20 Minuten, ok?"
„Super, vielen Dank!", sagte er und legte auf.
Ich legte das Telefon auf den Tisch und ließ den Arm einige Sekunden von der Couch baumeln, bevor ich mich auf die Seite –mit dem Gesicht zur Lehne- drehte und die Beine anzog. Eigentlich wollte ich wirklich nicht raus in die Kälte. Wirklich wirklich nicht.
Als ich die Vibrationstöne meines Handys hörte, rollte ich auf die andere Seite und griff müde danach.
Eine SMS von Samu.
Sofort war ich wieder wach und setzte mich auf
„Ich gehe noch in die Bar mit die Jukka. I'll call you, wenn ich bin at home. Today we have to Skype. Can't wait bis Weihnachten, Lady. Wanna see your face tonight. xo"
„Ich fahr jetzt nochmal in die Redaktion. Thomas will irgendwas. Grüße an Jukka :-) Ich freu mich so sehr auf dich! xoxo", antwortete ich und schleppte mich zurück ins Schlafzimmer, um mich wieder anzuziehen.
Jukka bestellte an der Bar die zweite Runde Bier, als sich jemand von hinten auf meine Schulter lehnte und mich umarmte.
„Heiiiii", quietschte es und ich wusste ganz genau, wer das war.
Mirja.
Der finnische Atombusen.
Sie erdrückte mich mit ihrem Silikon, presste sich an mich und drückte mir einen Kuss in den Nacken. Ich drehte mich um, umarmte sie kurz, tätschelte ihren Rücken und war froh, dass Jukka schon zurück war und mir das Glas Bier vor die Nase stellte. Er verwickelte sie in ein Gespräch, unterhielt sich kurz mit ihr und verabschiedete sich dann ganz uncharmant, indem er sich einfach umdrehte, wieder mir gegenüber Platz nahm und ein Gespräch mit mir anfing. Zugegeben, wenn ich das ein oder andere Mal genauso gehandelt hätte, wäre mir die ein oder andere Nacht mit ihr mit Sicherheit erspart geblieben. Aber ich hatte Notstand gehabt und war gerne etwas zutraulicher, wenn ich dafür das bekam, was ich wollte.
„Also die würde dich auf jeden Fall wieder ranlassen", Jukka stieß gegen mein Glas und nahm einen großen Schluck, „aber du sie offensichtlich nicht."
„Alter", ich tippte mir an die Schläfe, „ich rede nicht mit dir über meine Frauengeschichten."
„Warum nicht? Ich kann dir auch was erzählen."
„Du bist zwei Mal im Jahr zu Hause und willst mir von deinen Bräuten aus Las Vegas erzählen?"
„Achso?", Jukka zog die Augenbrauen hoch, „man kennt sie also. Ist sie von hier?"
„Das habe ich nicht gesagt."
„Komm schon, Hapa. Wer ist sie? Ist es diese Emilia?"
„Oh Gott", lachte ich, „nein."
„Sag doch!"
„Du musst nicht alles wissen."
„Vögelst du ein Groupie?"
„Was?", ich kippte das Bier herunter.
„Du nimmst wieder Groupies mit auf die Zimmer? Sind sie wenigstens mittlerweile über 18?"
Ich schlug Jukka auf die Schulter und grölte. Ich kannte ihn einfach zu lange und zu gut. Ich wusste, dass er mich aus der Reserve locken wollte, damit ich redete. Aber da war er bei mir an der falschen Adresse. Natürlich hatte er recht gehabt. Früher war ich ständig mit Frauen im Bett, die gerade mal 18 Jahre alt gewesen waren. Und am besten jeden Abend mit einer anderen, damit es nicht langweilig wurde. Das war kein Geheimnis, aber ich hing es nicht unbedingt an die große Glocke. Die, die es wussten, wussten es. Dazu gehörte die Band, Jukka mit eingeschlossen. Vivianne zum Beispiel wusste nur, dass ich „wilde Zeiten" gehabt hatte. Aber niemals hatte ich auch nur ein Wort über die Anzahl an Frauen verloren.
Mit Emma hatte ich da weitaus mehr Glück gehabt. Durch die freundschaftliche Ebene, die wir von Anfang an gehabt hatten, waren wir beide in dieser Beziehung offener gewesen. Ich wusste von ihren Versagertypen und sie kannte im Gegenzug meine Frauengeschichten und wusste, dass ich nichts anbrennen und fast keine Gelegenheit auf Sex aus ließ. Selbst jetzt, mit meinen 42 Jahren wusste ich mir zu helfen und gerade jüngere Frauen um den Verstand zu bringen. Ein verschmitztes Lächeln, etwas englisch-deutsches Kauderwelsch, einmal die Tür aufhalten und ich konnte mit 70%iger Wahrscheinlichkeit sagen, dass ich nicht alleine nach Hause ging. Die anderen 30% waren verheiratete Frauen mit Kindern. Mir genügte aber diese eine Frau, die mich mit nur einem Gedanken an sie zum Lächeln bringen konnte. Ein wohliges Kribbeln durchzog meinen Körper, wenn ich abends ihre Stimme hören konnte, nachdem ich den ganzen Tag unterwegs gewesen war. Dieses ewige Hin und Her mit Emma hätte ich mir sparen können, wenn ich nicht so ein Dickschädel gewesen wäre. Als ich sie im Juni auf unserem Konzert in der ersten Reihe gesehen hatte, hatte mein Herz für einen Moment ausgesetzt. Ich war nach meinen fiesen Aktionen ihr gegenüber überrascht, dass sie immer noch den Kontakt zu mir suchte. Es war unglaublich schön, sie zu sehen und eigentlich wäre es einfach gewesen, ihr an dem Abend zu sagen, dass unsere Treffen für mich auch schon lange nicht mehr reine Sexdates waren. Aber ich war zu stolz gewesen, um mir irgendwas einzugestehen und fühlte mich von Emmas Geständnis vermutlich auch ein wenig überfahren. Außerdem gab es Emilia, die auch irgendwann mehr wollte als nur Sex. Ich aber nicht. Weil ich mit meinem Gedanken schon weiter war und wusste, dass ich mich nicht weiter dagegen sträuben konnte, tiefe Gefühle für Emma zu haben. Ich war verknallt. Das war schließlich kein Verbrechen. Aber es hatte letztes Mal auch nicht geklappt. Aber bisher funktionierte es ganz gut und ich war jeden Abend erneut voller Vorfreude auf sie.
„Samu!", Jukka schnipste vor meinem Gesicht herum, „ist sie etwa unter 20?"
„Hell, no", meinte ich, kippte den letzten Schluck Bier herunter und bemerkte das Klingeln meines Handys erst, als Jukka auf dem Tisch darauf zeigte.
Emil.
„Das ist dieser Freund, oder?", schielte er zu mir herüber.
„Ja", ich nahm das Smartphone in die Hand und wollte aufstehen, als Jukka mich am Arm festhielt.
„Alter, bist du schwul?"
„Ich liebe nur dich, das weißt du doch", lachte ich, warf ihm eine Kusshand zu und schob mich mit gesenktem Kopf durch die Menschen; nach draußen.
„Hei Lady", ich lehnte an der Fassade und stemmte einen Fuß dagegen.
Und wieder grinste ich.
Von einem Ohr zum anderen.
„Samu?", Emma schniefte.
„Ich bin da", wiederholte ich, „are you ok?"
„Bist du ok? Ich hab gedacht, ich ruf einfach mal an, um deine Stimme zu hören."
„Ich bin ok. But was ist mit dir?"
„Hast du Spaß? Wie gehts Jukka?", wich sie aus.
Ich hörte ihre Stimme zittern. Mit jedem einzelnen Wort brach ein weiteres Stück davon weg. Als würde sie weinen.
„Alles ok", antwortete ich, „so tell me was ist los mit dir."
„Nichts. Ich wollte nur deine Stimme hören", sagte sie wieder und zog hörbar die Nase hoch, „ich fahre jetzt nach Hause. Rufst du später an?"
„What's wrong?", bohrte ich nach, „irgendwas ist nicht right."
„Doch, es ist alles gut. Meld dich, ja? Ich freu mich auf Weihnachten mit dir!", sagte sie schnell und legte auf.
Und ich rief sofort zurück.
Irgendetwas war komisch. Sie hörte sich unglaublich verheult an, versuchte das aber zu unterdrücken, sobald sie redete.
„Ich fahr gerade Auto", schniefte sie wieder, „ich rufe gleich zu..."
„So schnell du bist nicht auf die Straße", unterbrach ich sie, „tell me was ist passiert. Ist something mit Daniel? Mit Mama und Papa?"
„Nein."
„But?"
Stille.
„Fuck man", ihre Stimme brach komplett weg. Ich hörte nur noch schluchzen am anderen Ende der Leitung.
„Ich hab meinen Job verloren", stammelte sie unsicher und schniefte.
„Was?"
„Ich bin die letzte Person, die gekommen ist. Also geh ich zuerst."
„Warum?"
„Stellenabbau", antwortete sie kurz, „was mach ich jetzt, Samu? Scheiße man", sie heulte.
„Pack your things and come to me", bestimmte ich.
„Was?", das Hochziehen der Nase unterbrach ihr Weinen.
„You need holidays and the Samu Haber care-package. Pack deine suitcase and nimm die next flight tomorrow. I'll pick you up."
Wieder Stille.
Musste sie wirklich darüber nachdenken, ob sie kommen würde?
Plötzlich hörte ich, wie sie sich die Nase putzte.
„Tschuldigung", näselte Emma.
„You need deine winter jacket. That's all. Hier es ist winter wonderland."
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Just friends?
Fanfiction"[...] Wie wäre es, wenn sie immer da wäre? Wenn sie morgens neben mir aufwachen würde? Immer? Ich stieß einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. Keine Chance. Soweit hatte ich damals nicht gedacht; soweit sollte ich jetzt nicht mal ansatzweise de...