Sieben Anrufe in Abwesenheit

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Schon während des Hinflugs nach Sevilla regnete es wie aus Eimern. Selbst als der Pilot zum Landeanflug angesetzt hatte, erbarmte sich Petrus nicht; es schüttete.
Bis zuletzt hatte ich an Jan gezweifelt. Ich war mir immer noch nicht sicher, ob er seine Einstellung überdacht hatte. In den wenigen Wochen vor unserer Reise gab es allerdings keinen einzigen Tag, an dem ich etwas Schlechtes über ihn sagen konnte.
Zumindest nach außen schien er wirklich an sich zu arbeiten. Er hatte Julian und Daniel mehrere Abende zum Spielen oder gemeinsamen DVD schauen eingeladen. Etwas mulmig war mir, als er es als eine Art „Konfrontationstherapie" bezeichnete.
Das war makaber und unhöflich zugleich.
Mitunter war das ein Grund, warum ich ihn auf Abstand hielt. Wir schliefen wieder getrennt, was mir ein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit gab, nachdem er eines Nachts Ende Februar wie ein psychopathischer Massenmörder in seinem Auto auf mich gewartet hatte.
Dennoch war ich mit ihm verreist.
In der Hoffnung, er würde sich und seine Einstellung endlich ändern.
Samu hielt mich für verrückt. Es gab immer einen zweiten ersten Eindruck und den hatte Jan gehörig vergeigt. Der Finne wusste genauso gut wie ich, dass er damit im Recht war; aber keine Beziehung war einfach. Das musste sich selbst er eingestehen.
Samu und ich waren nach dem witzigen Videoanruf dazu übergegangen, mehr zu telefonieren oder zu skypen, als uns den ganzen Tag Textnachrichten zu schicken. So konnten wir tagsüber unsere Arbeit erledigen und am Abend den Tag des jeweils anderen gemeinsam Revue passieren lassen. Auch Mister Sukka war mit von der Partie, wenn Samu ein Feierabendbierchen oder Wein zischte. Leider drifteten unsere Gespräche teilweise in eine Richtung ab, die nicht wirklich in das Schema einer Freundschaft passten, sondern eher ein Fall für eine Selbsthilfegruppe waren: Samu war unzufrieden mit dem Sex, den er hatte; ich unzufrieden mit dem, den ich nicht hatte. Und wir plauderten darüber, als sei es das Normalste der Welt.
Vom Flughafen in Sevilla nahmen wir einen Reisebus für den restlichen Weg zu unserem Hotel nach Mazagón. Glücklicherweise brachen die Wolken auf, je weiter wir in Richtung Küste fuhren.
Bereits am ersten Tag geriet ich mit Jan aneinander, weil er es vorzog, einige Stunden Schlaf nachzuholen, anstatt mit mir am Strand spazieren zu gehen. Ich entzog mich der Situation und ging alleine los, sammelte bei windigen Böen Muscheln am Strand, machte Fotos und wies meine geliebten Spanier darauf hin, dass ich nun endlich im Lande sei. Sie baten mich, sobald wie irgendwie möglich am Sommerhaus vorbeizukommen, weil Éric und Inés schon vor Ort waren und bald wieder zurück nach Madrid mussten. Rocío konnte nicht da sein, weil sie in den letzten Zügen einer Seminararbeit steckte. Ich wollte dieses Treffen erst mit Jan abstimmen, so dass er sie auch endlich kennenlernen konnte.
Nachdem Jan und ich abends gemeinsam in dem Restaurant à la carte gegessen hatten, überraschte er mich mit einer Paarmassage und anschließendem Saunagang. Wir redeten wenig, obwohl es meinem Empfinden nach genug gab, was zu besprechen war.
Als wir in den weichen Frotteebademänteln zurück in unser Zimmer kamen, legten wir uns gemeinsam ins Bett und schliefen daraufhin relativ schnell ein, ohne ein weiteres Wort miteinander gewechselt zu haben.


Am nächsten Morgen stand ich früh auf, duschte ausgiebig und weckte Jan liebevoll. Er lag völlig fertig auf dem Doppelbett und hatte alle Extremitäten von sich gestreckt.
„Frühstück und dann Strandspaziergang?", ich ließ mich neben meinem Freund auf das Bett fallen.
„Ich will schlafen", murmelte er und drehte sich auf den Bauch, „aber mach du ruhig."
„Du kannst schlafen, wenn wir wieder in Deutschland sind", ich tippte ungeduldig auf meine Armbanduhr, „Inés und Éric sind schon im Ort. Ich dachte, wir könnten da heute hin und dann gemeinsam was Essen, durch den Ort bummeln?"
Er schüttelte den Kopf.
„Lass mich erst ein paar Stunden schlafen, Süße."
„Du hast acht Stunden geschlafen", meinte ich böse, „steh endlich auf."
„Ich bin echt müde."
„Alles klar", wich ich einer Diskussion aus, verstaute Handcreme, Taschentücher und Smartphone in meiner Umhängetasche, zog die von Leni geliehenen grün-orangenen Gummistiefel an und schmiss die Tür laut in das Schloss.
Mir war nicht nach Frühstück zumute.
Alleine lief ich den feinen Strand auf und ab und begegnete nur wenigen Menschen, die vorzugsweise mit ihren Hunden unterwegs waren. Das Wetter war zu kalt, um baden zu gehen; der Wind zu tobend.
Wieder fanden viele kleine Muscheln den Weg in meine Tasche, während ich unentwegt auf mein Handy starrte und hoffte, dass Jan sich doch noch melden würde, um zu merken, dass sein Verhalten falsch gewesen war.
Ich wollte Samu gerade ein Foto der Steilküsten schicken, als das Smartphone in den Telefonmodus wechselte und mir „Samantha" auf dem Display entgegen blinkte.
„Estoy aquí", ich hörte den Wind im Hintergrund rauschen, „wo bist du?"
„Strand", antwortete ich kurz und drehte mich dem Wind entgegen, „Flughafen?"
„Ja", schrie Samu, „die Wetter ist so fucking cold. Yesterday ich dachte, du are kidding me, wenn du sagst, dass es ist cold wie Finland in the summertime."
Ich lachte hell auf.
„Du kannst mir auch zwischendurch mal etwas glauben. Hattest du einen guten Flug?"
„Was?"
Die Verbindung war unheimlich schlecht.
„Flug gut?", kürzte ich ab und hielt die eine Hand schützend vor das Handy.
„Ja, very long. Ich bin geflogen über Cologne und hatte eine kurze stay there. Was ist mit deine boyfriend?"
Eigentlich wollte ich nicht darüber reden.
Die angespannte Situation zwischen Jan und mir tat mir in der Seele weh.
Es lief sogar mehr als schlecht.
Und die einzige Person, mit der ich darüber reden konnte, ohne Spott und Hohn zu ernten, saß an der Ostküste Spaniens und war gerade erst gelandet.
„Medusa? I asked you something. Was ist mit die guy? Ist better?"
„Müssen wir darüber reden? Ich bin im Urlaub", schnaufte ich.
„Mit eine idiot, yes. I don't understand, warum du bist überhaupt gefahren mit ihm after diese action mit deine twin. Aber du warst schon so immer. Alle deine guys sind crazy."
Ich schwieg.
„Nur ich bin die one who is crazy in a good way", fügte er lachend hinzu, „Tomás and Max are crazy like psychos. And Jan, too. Whatever. Ich gehe in die Hotel now, trinke eine drink und imagine, dass die weather ist besser."
„Schick mir mal ein Foto von dem Sonnenschein, wenn du ihn findest."
„No way, Emma. Ich tausche nicht deine rainy clouds gegen meine sunshine. Have a nice day!", lachte er tief und legte auf.
Während des Telefonats mit Samu hatte Éric mir geschrieben und gefragt, wo ich gerade war. Ich schickte ihm ein Panoramabild der Wohnhäuser und der Steilküste, woraufhin er mir befahl, den Schotterweg rechts in weniger als 100 Metern hochzugehen und dort auf ihn und Inés zu warten.


Erst als Jan mich anrief, realisierte ich, wie lange ich schon in dem gemütlichen Wohnzimmer gesessen und mich unterhalten hatte. Schon als ich in den alten Van eingestiegen war, fühlte ich mich sofort wieder heimisch. Es war unglaublich, was für eine Wirkung diese Menschen auf mich hatten. Schnell hatte ich Jans Unlust vergessen und war in Erinnerungen an Chile abgedriftet. Auf einen wärmenden Tee folgte ein Glas andalusischer Weißwein mit selbstgemachten spanischen Baiser-Plätzchen von Érics Mutter.
„Sí?", sagte ich und war geistig immer noch in der spanischen Unterhaltung.
„Wo bist du?"
„Ich bin bei Éric. Bist du ausgeschlafen?", ich schob die große Balkontür zur Terrasse auf, von der aus es möglich war, direkt zum Strand gehen zu können.
„Geht so. Wann kommst du zurück?"
„Ich hab gedacht, wir verbringen den Abend vielleicht gemeinsam hier", flüsterte ich in den Hörer, „Ich würde dich auch abholen. Das ist nicht so weit vom Hotel entfernt."
„Wir sind gemeinsam hier", stellte Jan klar, „ich will Zeit mit dir verbringen."
Plötzlich.
„Dagegen sage ich gar nichts, aber ich hab dir gesagt, dass ich die drei gerne wiedersehen will."
„Aber wir schlafen hier?"
„Natürlich."
„Wann soll ich wo sein?", schnaufte er unzufrieden.
„Du musst nicht kommen", entschied ich und wusste nicht, welche Welle ich damit lostreten würde.
„Was?"
„Wenn du stänkern willst, dann bleib bitte im Hotel. Ich hab mich wirklich gefreut, zwei der drei wiederzusehen. Ich will mir das von dir nicht kaputt machen lassen."
„Ich hab den Urlaub bezahlt", meinte er trocken, „ich muss das alles nicht tun."
„Dann tu es das nächste Mal nicht. Ich wäre auch ohne dich gefahren."
„Du hast mich doch gefragt, ob ich mitkommen will."
„Letztes Jahr, als alles noch in Ordnung war, ja", brach ich heraus, „es ist nicht alles gut, Jan. Eigentlich ist gar nichts gut!"
„Aber für den Urlaub reicht es?"
„Du machst nur schlechte Stimmung, merkst du das nicht?", schrie ich ihn an und zog die Balkontür hinter mir zu, „wir kommen hier an und das Erste, was du machst, ist schlafen. Dann frag ich dich am nächsten Tag, ob ich dich abholen soll und du willst das nicht. Du weißt, wie viel mir an diesen Menschen liegt und du schaffst es nicht, ein einziges Mal etwas zu machen, worauf du keine Lust hast. Das gehört dazu. Auch mal das machen, was man scheiße findet."
„Ich sehe darin keine Notwendigkeit."
„Wann hast du das letzte Mal etwas für jemand anderen getan, der nicht du selbst warst?", brüllte ich und merkte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen, „der einzige Mensch, der dir etwas bedeutet, bist du selbst! Das ist abartig!"
„Bist du fertig?", Jan holte tief Luft, „du bist doch die Person, die mich seit Wochen abblockt, wenn ich dir näher kommen will. Ich treffe mich dir zu Liebe mit deinem schwulen Bruder und seinem Macker, ertrage furchtbare DVD-Abende mit ihnen und Spiele doofe Brettspiele, die irgendwas mit einer Serie zu tun haben. Denkst du, ich mach das für mich?"
Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten und schluchzte kurz auf.
„Eben. Ich tu das für dich. Für uns. Damit du dich besser fühlst. Ich hasse diese Abende abgrundtief", er machte eine kurze Pause, „und ich dachte, dass uns der Urlaub sowohl menschlich als auch körperlich wieder näher zusammen bringt. Aber anscheinend ist das falsch. Weil du wieder nur auf dein Recht, deine blöden Freunde sehen zu wollen, bestehst. Was ich will, interessiert dich gar nicht."
„Bitte?", schniefte ich, „bereits gestern wolltest du nichts machen. Heute auch nicht. Du wolltest weder zum Frühstück in die Lounge gehen, noch sonst irgendwas. Du willst den ganzen Tag nur schlafen."
„Hast du mal darüber nachgedacht, dass ich vielleicht mit dir schlafen will? Seit Wochen enthältst du mir den Sex vor. Warum? Bist du schwanger? Hast du 'n anderen Typen?"
„Was?"
„Du hast mich schon verstanden", ich sah ihn vor mir; mahnend den Finger heben.
„Weil du so bist, wie du bist. Deine Art kotzt mich an", kreischte ich und stampfte wütend mit dem Fuß auf die Holzdielen der Terrasse, „ich will das nicht mehr, Jan. Ich lass mich von dir nicht mehr bevormunden oder mich auf meinen schwulen Bruder reduzieren, weil du ein Problem damit hast. Ich kann nicht mit jemandem zusammen sein, der so ist."
Er prustete verächtlich.
„Was bist du ohne mich?"
„Wer bist du, dass du sowas sagen kannst?"
„Komm her und lass uns reden", seine Stimme wurde plötzlich sanft, „ich will nicht, dass das alles falsch ankommt."
„Du bist doch 'n Psychopath", ich presste die Lippen zusammen, „du kannst das doch nicht ernst meinen."
„Wo bist du?", auf einmal klang er wieder böse, „ich miete einen Wagen und hole dich ab."
„Bist du besoffen?", fassungslos fasste ich mir an den Kopf und sah auf das weite Meer hinaus.
„Wo bist du?"
„Ich leg jetzt auf, wir sehen uns später. Warte nicht auf mich."
„Gib mir die Adresse, Emma."
„Du hast doch gar keine Lust, vorbeizukommen", witzelte ich, „bleib doch im Hotel und guck dir einen Film an."
„Ich will jetzt mit dir reden. Und wenn du jetzt nicht zurück zum Hotel kommst, dann komme ich zu dir."
„Ich will dich jetzt nicht hier haben, Jan. Du versaust mir alles. Vielleicht ist es besser, wenn ich heute Nacht hier schlafe und wir morgen vor dem Flug in Ruhe reden."
„Wenn du mir die Adresse nicht gibst, finde ich sie raus."
„Du bist wahnsinnig", ich schüttelte den Kopf und beendete das absurde Gespräch.
Auf Socken ging ich zurück in das Wohnzimmer, nahm meine Tasche in die Hand und kramte darin nach der angefangenen Zigarettenschachtel und einem Feuerzeug. Als ich beides gefunden hatte, schmiss ich mein Handy auf das Sofa, ging wieder nach draußen und blies gewollt –jedoch nicht gekonnt- Pseudokringel aus Rauch in die abendliche Luft. Ich schüttelte den Kopf und konnte nicht fassen, was sich in den letzten Minuten zwischen Jan und mir abgespielt hatte. Innerhalb weniger Minuten hatte er einen kompletten Seelenstriptease hingelegt und sich mir so sehr offenbart, dass ich mich selbst hätte kneifen müssen, um zu begreifen, dass das der echte Jan war.
Der Typ, in den ich mich verliebt hatte.
Der Typ, der mich dazu gebracht hatte, über sowas wie Zukunft nachzudenken.
Das Verhalten passte besser zu seinen Bevormundungen und Tadeln, als der liebe, nette, humorvolle Kerl, der auf den zweiten Blick wahnsinnige Ähnlichkeit mit Jake Gyllenhaal hatte.
Ich qualmte vor mich hin, ließ meinen Blick über das Meer gleiten und war im Besitz eines leeren Kopfes.
Inés hatte sich unbemerkt zu mir gesellt und legte ihre Hand auf meine Schulter. Ich drehte mich zu ihr um und lächelte angestrengt.
Sie hielt mir das Smartphone entgegen.
Sieben Anrufe in Abwesenheit.
Sieben Anrufe von Jan.

Just friends?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt