Wieder

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Ich lehnte mit angezogenen Beinen an der Kopflehne des Bettes, während Samu breitbeinig auf der Bettkante saß sich durch die verschiedenen Kanäle zappte. Der typische Trash war dabei, ebenso wie Wiederholungen irgendwelcher Serien, die bereits zur Primetime liefen. Als er bei den unzähligen Teleshoppingsendern hängen blieb, sah er kurz über die Schulter zu mir und ließ die Augenbrauen tanzen.
„You can choose", er stand auf und warf mir die Fernbedienung zu, „ich kummere mich um die Wein."
Wortlos wechselte ich zwischen den einzelnen Kanälen hin und her. Samu hatte sich ins Badezimmer verzogen und war wahrscheinlich gerade dabei, den Wein zu öffnen.
„Schmuck, Gartengeräte oder Stützstrümpfe? Bauchweg-Hosen sind aus", rief ich laut, damit er mich hören konnte.
Einen Moment lang kam keine Antwort. Als müsste er wirklich darüber nachdenken.
„Socks", Samu kam zwei halbvolle Weingläser schwenkend aus dem Badezimmer und reichte mir eins, bevor er sich neben mich setzte, „es ist mehr eine ritual als jewelery. Mit Mister Sukka maybe."
Ich grinste dämlich, weil ich an Samus Besäufnis vor ein paar Monaten denken musste und legte die Fernbedienung zwischen uns.
„Kippis", Samu prostete mir zu, „auf uns und die schöne day."
„Auf uns", wiederholte ich zustimmend und ließ mein Glas an Samus klirren.
Lange saßen wir nebeneinander, tranken den sündhaft teuren Wein und lauschten dem Verkaufstalent der jungen Moderatorin. Immer wieder kommentierten wir ihr Tun und lachten über ihre unglaublich schlechte Überzeugungskraft. In den Werbepausen wechselten wir auf den Schmuckkanal, auf dem ein Mann billigen Bernsteinschmuck vertickte, der zudem auch noch unglaublich hässlich war.
Nach unserem Gespräch im Auto war eine riesige Last von mir abgefallen. Samu wusste jetzt, was mich verschreckt hatte und tat so ziemlich alles dafür, um mich von dem Gegenteil zu überzeugen. Ich im Gegenzug empfing ihn offener als am Morgen und bemühte mich, ihn nicht wieder vor den Kopf zu stoßen. Er wollte nicht wieder gehen und ich wollte Samu auch nicht wieder gehen lassen.
Eine klassische Win-Win-Situation.
Seine Anwesenheit war Balsam für meine Seele. Auch nach allem, was zwischen uns vorgefallen oder gestanden hatte, wurde ich das Gefühl nicht los, dass wir einfach zu einem Punkt zurückspulen konnten, an dem alles noch in Ordnung gewesen war.
Und da machten wir weiter.
„Wie ist mit Leni und ihre marriage?", wollte Samu wissen, als er aufstand, um die Flasche aus dem Badezimmer zu holen.
„Ich denke gut", sagte ich unsicher, „ich rede nicht gerne mit ihr darüber."
„Why?"
„Sie ist nicht ganz einfach."
„Warum?", fragte Samu lauter; jetzt aus dem Bad heraus.
Als er wieder neben mir saß, erzählte ich von den dauernden Gefühlsausbrüchen meiner besten Freundin. Von ihren Schwankungen bezüglich der Farbe irgendwelcher Tischendecken bis hin zu dem ständigen Wechsel der Blumengestecke.
„Und du gehst mit Jan?", Samu füllte unsere Gläser, schwenkte seins hin und her und nahm einen Schluck.
Ich nickte und schaltete zurück auf den Kanal mit den Stützstrümpfe.
„Hm", brummte er zustimmend vor sich hin.
„Ja", sagte ich kurz und zwang mich zu einem Grinsen.
„Bist du happy damit?"
„Womit?"
„Mit Jan und alles."
Ich schwieg einen Moment und sah nachdenklich auf die rote Tagesdecke, auf der wir saßen.
Samu stieß mich an der Schulter an.
„Are you happy?"
„Zufrieden", ich drehte den Kopf in seine Richtung, „ich bin zufrieden."
„Hm", wieder brummelte er, „das ist nicht the same, not?"
„Nein", mein Kopf landete zwischen meinen angewinkelten Knien, „aber es ist ok so. Das ist alles irgendwie alltäglich. Ich weiß gar nicht, wie ich das beschreiben soll. Es ist ok, dass er da ist."
Samu lachte und trank noch einen Schluck Wein.
„Diese „Ok" ist nicht gut for eine relationship. Weiß er, dass du bist hier?"
„Ja", druckste ich, „aber er denkt, ich wäre mit Samantha hier."
„You are", schmunzelte er triumphierend, legte einen Arm hinter mich auf die Rückenlehne des Bettes und küsste meine Schläfe, „that's not a lie."
„Ich weiß", ich rutschte näher an ihn heran und stieß mit meinem Glas nochmal an seins, „ich würd dich gerne wieder offiziell treffen dürfen."
„Ah", er schnalzte mit der Zunge, „ich weiß nicht, ob das geht mit meine management. Maybe du solltest anrufen Mikko und dann wir machen aus eine private Termin."
Ich boxte ihm auf die Brust.
„Au", lachte er, „bitch. Now I have to talk to Mikko, weil hier ist eine lady, die ist very aggressive."
Ich piekste ihm in die Seite.
„Security!"
„Übertreib mal nicht", ich piekste ihm erneut zwischen die Rippen.
„Help me!", er stellte das Weinglas auf das Nachtischchen neben sich und nahm mir meins ebenfalls ab, „diese lady ist gefährlich!"
Wieder piekste ich ihm in die Rippen.
Schneller als ich gucken konnte, hatte wir die Rollen getauscht.
Samu hatte sich auf mich gestürzt und mich unter seinem Gewicht begraben.
Ich war das Opfer in dieser Situation und er machte sich einen riesigen Spaß daraus, die Finger abwechselnd zwischen meine Rippen zu drücken. Ich krümmte mich wie ein Pendel immer wieder von rechts nach links und stieß quietschende Töne aus. Alles Trommeln auf seine Schultern und Brust half nicht im Geringsten. Genauso gut hätte ich einen Pottwal an der Fluke kitzeln können. Das Ergebnis wäre das Gleiche gewesen.
Keine Reaktion.
Bestenfalls ein gelangweiltes Gähnen und überhebliches Schmatzen.
„Du hast zugenommen", merkte ich an, als Samu seine Ellenbogen neben meinem Kopf abstützte.
„Oh no."
„Klar. Mindestens fünf Kilo."
„Be careful, Lady", seine Miene verfinsterte sich und seine Augenbrauen wippten schnell.
„Sonst?"
„Don't challenge mich."
„Sinds mehr als fünf?", grinste ich.
„Emma", er strich eine Haarsträhne aus meinem Gesicht und legte seine Hände an meinen Hinterkopf.
„Mehr als zehn?"
„Lov", sagte er mit Nachdruck und legte den Kopf zur Seite, „stop it."
„Fünfzehn?", provozierte ich ihn und grinste, „oder noch mehr?"
Samu setzte sich auf, verschränkte die Arme vor der Brust und sah auf mich hinunter.
„Lass das", sagte er wieder.
„Wenn nicht?", feixte ich zurück und verschränkte die Arme ebenfalls vor meiner Brust.
„Just saying", er beugte sich zu mir herunter, stemmte die Hände rechts und links neben meinen Kopf und legte seine Lippen sanft an meine Stirn.
Reflexartig schloss ich die Augen und legte meine Hand flach an seine Brust. Als Samu sich von mir löste, öffnete ich langsam die Augen und blinzelte ihm einige Male entgegen. Er schmunzelte und beugte sich mir immer weiter entgegen. Das Blut in meinen Adern gefror mit jedem weiteren Millimeter, den er zwischen uns überbrückte. Vorsichtig legte Samu seine Stirn an meine und strich mit seiner Nasenspitze an meiner entlang. Sein Atem streifte meine Oberlippe und schickte eine Gänsehaut über meinen Körper. Wieder schloss ich die Augen und streichelte sacht mit den Fingern durch Samus Dreitagebart, woraufhin er leise brummte.
„Just saying", wiederholte er flüsternd und richtete sich dann auf, um von mir herunter zu steigen und im Badezimmer zu verschwinden.
Mich ließ er zurück.
Mit diesem Schmetterling im Bauch, von dem ich dachte, dass er nicht mehr da wäre und sich ein für alle Mal von mir verabschiedet hätte.


Eine gefühlte Ewigkeit später kam Samu aus dem Badezimmer und fuhr sich durch die Haare, bevor er sich mit den Händen am Kopf an den Türrahmen lehnte.
Ich stand auch auf, sah zu ihm hoch und lächelte kurz, als ich an ihm vorbeiging und ebenfalls im Badezimmer verschwand. Ich drückte die Klinke in das Schloss und atmete erleichtert auf, als ich das Klacken der Zarge hörte. Anschließend drehte ich den Wasserhahn auf und stemmte ich mich mit beiden Händen auf das Waschbecken.
Ich dachte, das wäre vorbei.
Ich dachte, ich hätte mich ein für alle Mal genug von ihm distanziert, damit mir genau dieses Gefühl erspart blieb.
Ich hatte es verdrängt, dann zugelassen. War damit auf die Nase gefallen. Verdrängt. Wieder zugelassen; mit mäßigem Erfolg, weil Samu mich relativ schnell leid war und mich aus seinem Haus geworfen hatte. Danach war ich in ein Loch gefallen. In ein unendlich tiefes Loch. So tief, dass ich Angst hatte, nie wieder daraus zu kommen und mich für den Rest meines Lebens in diesem Zustand zu befinden. In diesem Zustand, der mich nicht mehr fühlen ließ, der, der trostlos war. Darauf folgte eine ganze Zeit lang nur noch Hass, der sich mit der Hilfe meiner besten Freundin langsam zu so etwas wie Gleichgültigkeit entwickelt hatte. Als ich ihn im November erneut getroffen hatte, war dieses Gefühl eigentlich unverändert gewesen. Nur durch seine doofe Art und Weise hatte ich mich aufgeregt und war wütend auf ihn, weil seine Aktion mich den Job hätte kosten können. In Berlin dann war alles ok. Wir hatten uns auf neutralem Boden getroffen, geredet, getrunken, gelacht, geknutscht. An diesem Abend beging ich vermutlich einen Fehler: Ich gab Samu meine neue Handynummer.
Ich wusch mir das Gesicht mit dem kalten Wasser und sah eine Kopie meiner selbst in dem sauberen Spiegel an der Wand.
Diese Handynummer hatte den Stein wieder ins Rollen gebracht. Wir schrieben Nachrichten, telefonierten und skypten. Trafen uns wieder und hatten Sex, der uns beiden gefallen hatte. Ich war sogar extra zu ihm geflogen und hatte wieder mit ihm geschlafen. Mich vor ihm ausgezogen, obwohl Jan zu Hause auf mich wartete. Danach wurde Samu arschig, ließ mich links liegen und warf mir Beschimpfungen an den Kopf. Also zog ich mich zurück und versuchte ihn zu verdrängen. Zu vergessen. Aber ich hatte mich in dieses vertraute Gefühl verliebt. Ich hatte mich in ihn verliebt. Wieder. Über beide Ohren. Und ich war der Ansicht, dass es ihm ähnlich gegangen war. Wir waren uns viel zu nah gekommen; sowohl körperlich als auch geistig, als das unser Zusammensein weiterhin nur Sex sein konnte. Er gab mir wieder dieses Gefühl von Geborgenheit, was auch nicht nur ansatzweise mit dem Jan gegenüber zu vergleichen war. Samu jedoch sah das alles nüchterner; anders. und schubste mich wieder näher an das Loch, an den Abgrund, heran. Doch dieses Mal war ich nicht hineingefallen. Aber ich merkte, dass ich wieder fallen würde, wenn dieses Wochenende in genau in diese Richtung laufen würde, die wir beide vor einigen Monaten ausgeschlossen hatten.
„Are you ok?", Samu klopfte zaghaft an die Tür.
Ich drehte das Wasser ab und fuhr mir mit den noch feuchten Händen durch die Haare, legte sie nach vorne über die Schulter und öffnete ihm die Tür.
Er lehnte an der gegenüberliegenden Wand, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und den Kopf zur Seite geneigt.
„Alles gut", grinste ich und schaltete das Licht im Badezimmer aus.
„Good", nickte er, „wollen wir gucken eine bisschen noch?"
„Ja", ich ging an ihm vorbei; zurück in den Wohnbereich.
„Maybe wir bekommen eine girlfriend for Mister Sukka."


Ich schob die gläserne Duschwand zur Seite und regulierte das Wasser an der Mischbatterie, ehe ich mich auszog und mir das große Badetuch auf die vordere Ecke des Waschbeckens legte. Ich nahm die kleinen Dusch- und Shampooproben, die neben dem Waschbecken standen, mit unter die Dusche, seifte mich ein und erschrak, als ich durch die beschlagene Duschwand Samu nur in Boxershorts im Türrahmen der offenstehenden Pforte stehen sah.
Ich wusste nicht, wie lange er schon dort gestanden hatte und mich beobachtete.
Schützend hielt ich mir die Arme vor die Brust und drehte mich mit dem Körper zur Wand.
„Nichts, was du mir nicht gezeigt hast", brummte er tief und kam auf mich zu.
Er strich sich die Haare nach hinten und stieg wie ganz selbstverständlich zu mir in die Duschwanne.
„Was wir...", fing ich an und wurde von Samu unterbrochen, der seinen Daumen auf meinen Mund presste, während die anderen Finger meine Wange streichelten.
„Let yourself go", flüsterte er mir ins Ohr und drückte seine Lippen fest auf meine, während er mich mit der anderen Hand zu sich zog. Ich umschloss seinen Nacken mit meinen Händen und zwirbelte die Haare in seinem Nacken ein. Das warme Wasser prasselte unaufhörlich auf uns nieder und erhitze die Situation unnötigerweise zusätzlich. Samu küsste mich, streichelte über meinen Rücken; währenddessen verschwanden meine Hände immer wieder in seiner Boxershort.
„Du bist more dirty, wenn wir bleiben hier", flüsterte er mir ins Ohr, bevor er plötzlich Schnarchgeräusche von sich gab.
Immer und immer wieder.
Vollkommen ungeniert schnarchte er mir ins Ohr.
Irritiert öffnete ich die Augen und hörte eine Stimme sagen, wie toll sich die Tagescreme mit dem Augen Roll-on kombinieren ließe und dieser auch im Tagesangebot zu kaufen wäre.
Die Sendung mit dem billigen Schmuck war mittlerweile vorbei.
Und ich war eingeschlafen und hatte geträumt.
Von einem Finnen, der jetzt den Arm um mich gelegt hatte und in mein Ohr schnarchte.

Just friends?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt