Ich liebe dich

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„Ich bin jetzt gelandet :-) Alles ok?"
„Ok."
„Danke. Für das Interview und alles andere ;-)"
„Yes."
„Samu?"
„?"
„What's wrong?"
„Nothing."
„Stimmt was nicht?"
„No."
„Samu?"
...
„Samu?!?!"
...
„Hottest guy from Finland?"
Keine Antwort.


Auch eineinhalb Monate hatte ich von ihm immer noch nichts gehört. Ich wusste, dass die Tour bereits gestartet war; aber das hielt ihn schließlich auch nicht davon ab, Fotos für seine Fans in den sozialen Netzwerken zu posten. Warum hatte er also keine Zeit für eine kurze Nachricht? Bevor ich die Redaktion am Abend verließ, um mich das erste Mal seit meiner Rückkehr mit Jan zu treffen, weil er mich eingeladen hatte und reden wollte, loggte ich mich an meinem Laptop bei Skype ein und scrollte durch die Liste der Onlinekontakte. Es wäre so viel einfacher gewesen, Samu eine SMS zu schreiben, aber auf die antwortete er schlichtweg einfach nicht. Mit einem Doppelklick auf sein Chatfenster begann mein Herz wahnsinnig schnell zu schlagen. Diese Nervosität hatte ich schon lange nicht mehr verspürt.
„Hello", tippte ich zögernd und schickte die Nachricht erst Minuten später ab.
„Hi", kam sofort zurück; gefolgt von einer Frage zu einem Anruf.
Ohne Kamera.
Ich ließ erst einige Male das typische Geräusch ertönen, bevor ich annahm und mir die Kopfhörer aus meiner Schreibtischschublade in die Ohren und den Laptop stöpselte, weil ich beschäftigt wirken wollte.
„Good evening", mir lief ein Schauer über den Rücken, als ich seine Stimme hörte.
„Hey", hustete ich, um meine Freude nicht zu sehr zum Vorschein zu bringen, „alles klar?"
„Ja."
„Wie ist die Tour?"
„Good. Die Anfang was really nice."
„Gab es bisher was besonderes?"
„No."
„Ok."
Einen Moment schwiegen wir uns an, bis Samu das Gespräch wieder aufnahm.
„Bei dir everything fine?"
„Ja. Bei dir auch?", wiederholte ich.
„You already asked that."
„Ich weiß."
„So yes. Everything is ok."
„Das freut mich sehr. Wie geht es den Jungs?"
„Everything ok."
Was war nur los mit ihm? Er hatte sich um 360 Grad in eine andere Richtung gedreht. In eine Richtung, die ich nicht vorhatte, mit ihm einzuschlagen. Er sollte sich einfach nur wieder normal verhalten. Aber dieses Gespräch war alles andere als normal.
„Wie geht es Sanna und dem Rest deiner Familie?"
„Auch gut. Mirja is auch very good. Wir treffen öfter now und sie ist total in die Band."
„Aha", formulierte ich beiläufig.
Das war wohl etwas, was ich nicht wissen wollte. Es war mir egal, wie es der mit Silikon aufgepumpten Brünetten ging. Und wenn sie sich ihre Haare blondiert und sich die Implantate aus den Brüsten hätte operieren lassen; wen interessierte das?
„Jan macht sich auch gut", log ich dreist; hatte ich doch nur sporadischen Kontakt zu ihm.
Aus Rache für den Spruch mit Mirja.
„Aha", lachte Samu etwas ungläubig.
„Samu?"
„What?"
„Haben wir 'n Problem miteinander?"
„No."
„Hast du eins mit mir?"
„Why?"
„Weil wir nicht mehr gesprochen haben, seit ich in dieses Flugzeug gestiegen bin."
„Yes."
„Warum?"
„Weil ich nicht habe more contacts zu meine affairs."
Das hatte gesessen. Noch vor seinem Geburtstag schienen wir uns vor allem wieder freundschaftlich anzunähern. Unabhängig davon, dass wir miteinander geschlafen hatten. Unerklärlich, warum er mich so dermaßen vor den Kopf stieß.
„Wow, ok", gab ich trocken zurück.
„We only have sex. Wir haben gesprochen darüber already. Just sex, nothing more."
„Ich dachte, dass es hier auch irgendwie um Freundschaft geht."
„You thought wrong. No friends, just sex."
„Das hörte sich bei dir vor ein paar Wochen noch anders an", ich war angefressen, „was ist das Problem, miteinander befreundet zu sein?"
„Emma", er stieß entnervt Luft aus, „ich will nicht sein in eine friendship mit one of my affairs. That doesn't work. Wie soll gehen eine Freundschaft oder sex, wenn wir uns sehen twice a year? That was sex, ok? Nothing more. There isn't an exclusive right for you because we were in love long time ago. Just sex, no friendship. No friendship, no contact. That's all."
„Ok", ich nickte vor mich hin und bemerkte, wie mir Tränen der Wut in die Augen schossen, „dann viel Spaß noch."
„Thank you", meinte er und legte ohne ein weiteres Wort zu sagen einfach auf.
Einfach so.
Fassungslos stemmte ich den Kopf in die Hände und presste die Handballen auf meine Augäpfel. Er war derjenige, der meinte, dass wir Freunde mit gewissen Vorzügen seien. Und jetzt machte Samu –warum auch immer- komplett dicht. Ich wollte nicht, dass er mir einen Antrag machte oder die Welt zu Füßen legte, weil ich noch in Helsinki wieder dabei war, mich in ihn zu verlieben. Ich wusste, dass er da rationaler war und klarer denken konnte als ich, so dass es zu keinen tieferen Gefühlen seinerseits kommen würde. Ich hatte für Samu meine schlecht funktionierende Beziehung zu meinem Freund und die ebenfalls momentan eher schlechte Freundschaft zu Marlen auf das Spiel gesetzt, weil ich mich in seiner Nähe verstanden und gut aufgehoben fühlte. Vielleicht hätte ich ihm dafür danken sollen, dass es mir jetzt so viel besser ging. Leni rückte mir seit meiner Rückkehr nicht mehr auf die Pelle und versuchte nicht mich zu belehren, Jan hingegen fand langsam aber sicher den Weg zurück in mein Leben. Den ersten Schritt hatte er bereits gemacht, indem er mich heute Abend zum Essen einlud; eigentlich wollte ich das nicht. Aber welchen Grund hatte ich gehabt, ihm abzusagen, ohne, dass er bei Leni petzen würde.
Samu und ich hatten die Monate über eine stabile Basis aufgebaut. Aber jetzt schlug er mit einem Hammer dieses ganze Fundament in seine einzelnen Bestandteile.
Mein Handy begann vor Vibration auf dem Schreibtisch hin und her zu surren. Ich schielte halbherzig darauf und las ein „bin da" von Jan. Bevor ich das Büro verließ, schaltete ich den Laptop aus, verstaute ihn in der untersten Schublade meines Schreibtisches und ging mit einem äußerst schlechten Gefühl zum Aufzug.


„Wein?", fragte Jan, als der Kellner des Mongo's auf der Massenbergstraße an unserem Tisch die Bestellung aufnahm.
Ich schüttelte den Kopf, orderte gegrilltes Hähnchenbrustfilet in roter Currysauce mit Gemüse und frischer Ananas.
Schon den ganzen Weg zum Restaurant hatte ich nicht mehr hervor gebracht, als ein „hallo". Jan hatte mir von seinem Arbeitstag erzählt, während ich schweigend vor mich hin nickte.
„Es gibt einen Grund, warum wir hier sind", lächelte Jan und fuhr mit seinen Fingern über den Rand des Glases, welches die Servicekraft keine Minute nach dem Aufgaben unserer Bestellung an den Tisch gebracht hatte.
„Ja?"
Kein Antrag.
Bitte kein Antrag.
„Wir waren hier mit Julian und Daniel essen, erinnerst du dich?"
Ich nickte.
„Ich weiß nicht, ob Daniel erzählt hat, dass wir uns getroffen haben, während du in Helsinki warst?"
Mit aufgerissenen Augen schüttelte ich den Kopf.
„Ok", grinste er, „das habe ich mir fast gedacht. Jedenfalls haben wir uns getroffen, weil ich ihn darum gebeten habe."
„Aha?", ich legte den Kopf zur Seite, „und warum?"
„Kennst du noch Philipp?"
„Der Biertrinker von der Arbeit?"
„Genau der."
„Du weißt, dass ich gut mit ihm befreundet bin und ihn auch schon seit der Ausbildung kenne. Als du in Finnland warst, war ich bei ihm, weil er Geburtstag hatte. Und da war sein Freund auch da."
„Ja und?"
„Sein Freund. Sein fester Freund", nuschelte Jan und kratze sich an seinem Jake Gyllenhaal-Bärtchen, „er ist seit über sieben Jahren mit diesem Mann zusammen. Ist das nicht verrückt?"
„Bist du positiv oder negativ überrascht?"
„Ich war im ersten Moment total sprachlos, weil ich es nie gemerkt habe."
„Und was hat Daniel damit zu tun?"
„Du weißt, dass ich dich liebe", augenblicklich bildete sich ein Kloß in meinem Hals, „ich bin mit dieser ganzen Homosexualität total überfordert. Ich komme vom Dorf und bin in einer unglaublich katholischen Gemeinde aufgewachsen. Dann komm ich hier hin und werde mit Dingen konfrontiert, mit denen ich mich nie auseinandersetzen musste, weil ich es nicht kannte. Wir sind ja auch irgendwie im 21. Jahrhundert angekommen."
Ich blinzelte.
War das wahr, was er da sagte?
„Ich will nicht", fuhr er fort, „dass unsere Beziehung an meiner Engstirnigkeit zerbricht. Es waren schlimme Wochen. Schlimme Monate, die wir mehr oder weniger miteinander verbracht haben. Ich will nicht mehr der Typ sein, wegen dem es dir schlecht geht."
„Und wieso Daniel?"
„Daniel deswegen, weil ich mit jemandem darüber reden musste. Leni war so nett und gab mir seine Nummer. Wir haben stundenlang mit Julian über meine Homophobie geredet, die nur durch Vorurteile gestützt war. So schlimm ist das alles gar nicht. Also wirklich nicht."
„Verarscht du mich?"
Er schüttelte energisch den Kopf.
„Nein. Wirklich nicht. Ich will diese Beziehung mit dir. Ich will, dass wir gemeinsam in eine Richtung blicken und nicht immer aneinander vorbei. Ich weiß, dass das eines der größten Probleme ist, die wir haben. Dazu kommt noch ein Hang zum Perfektionistischen."
Der Kellner brachte die Teller an den Tisch. Still bedankten wir uns nickend.
„Ich finde es nicht schlimm, wenn dein Nagellack abblättert."
„Aber du denkst, dass die Leute draußen denken, dass es schlimm sei", ich stocherte in das Hähnchenbrustfilet und starrte auf den Teller.
„Sieh mich an", befahl Jan leise.
Ich hob den Kopf und ließ die Gabel auf den weißen Teller klirren.
„Ich hab mit Daniel und Julian Frieden geschlossen, ehrlich. Ich liebe dich. Wirklich. Und ich will alles tun, um diese Beziehung zu retten."
„Jan, bitte", seufzte ich, „mach dich doch nicht selbst so klein."
„Das tu ich nicht. Aber ich habe begriffen, dass ich für diese Beziehung etwas tun muss, wenn ich will, dass sie funktioniert", seine Hand wanderte über den Tisch zu mir, „oder ist es zu spät?"
Ich griff nach ihr.
„Wollen wir das Essen mitnehmen und zu mir fahren?"
„Was?"
„Essen einpacken, mitnehmen, Auto, zu mir?", wiederholte ich.
„Aber", stammelte er, „wi..."
Ich unterbrach ihn.
„Lass uns das Essen einfach mitnehmen."


Ich zerrte vorsichtig an den Knöpfen von Jans hässlichem lila-schwarz kariertem Hemd, als die Wohnungstür hinter uns ins Schloss fiel. Meine Handtasche mit dem mitgenommenen Essen glitt von meiner Schulter auf den Boden, bevor Jan seine Hände um meine Hüften legte und mich zu einem Kuss nah an sich heranzog.
Das erste Mal seit meiner Rückkehr spürte ich ein latentes Kribbeln in meinem Bauch.
„Schublade?", nuschelte er an meinen Lippen.
„Was?"
„Sind die Kondome in der Schublade?"
Ich nickte und knöpfte nun auch den untersten Knopf seines Hemdes auf.
Gut für ihn, dass er nach Verhütung gefragt hatte. Weil ich die Pille nahm und Samu und ich immer relativ schnell zur Sache kamen, hatten wir auf jegliche Art eines Verhütungsmittels verzichtet. Wahrscheinlich hatte ich mich auf Grund seiner Bettgeschichten mit allen möglichen Geschlechtskrankheiten angesteckt, weil er auch immer sehr schnell zum Wesentlichen kam. Ich musste dringend einen Termin bei meinem Gynäkologen machen.
„Ich geh schnell ins Bad", flüsterte ich und küsste Jans Wange, ehe ich das Hemd über seine Schultern streifte.
Er nickte, küsste meine Stirn und ging seine Hose öffnend ins Schlafzimmer.
Ich stand in Unterwäsche vor dem Spiegel und reckte den Kopf zur Seite, um zu sehen, inwieweit der riesige Knutschfleck von Samu immer noch zu sehen war. Die letzten Wochen hatte ich peinlich genau darauf geachtet, dass ich ihn mit etwas Concealer überdeckte und einen leichten, sommerlichen Schal trug. Aber heute Abend schien das Glück auf meiner Seite zu sein.
Er war komplett weg. Selbst die gelben Stellen, an denen Samu sich besondern festgesaugt hatte, waren verschwunden.
Genau wie Samu selbst.
„Emma?", hörte ich Jan rufen und gegen die Badezimmertür klopfen, „du bist schon viel zu lange da drin. Gleich komm ich rein."
„Eine Minute", lachte ich künstlich und zog mir die noch die Strümpfe von den Füßen, bevor ich die Tür öffnete.
„Schon besser", grinste er, zog mich in eine Umarmung und küsste die Stelle am Nacken, an der Samu vor Wochen den Knutschfleck drapiert hatte. Ich bekam eine Gänsehaut, die Jan nicht verborgen blieb.
„So sehr hast du mich also vermisst?", war er sich sicher und ekelte mich damit unglaublich an.
Ich war definitiv nicht halb nackt im Flur gelandet, weil Jan die Liebe meines Lebens war. Eigentlich war es Samu, der mich dazu getrieben hatte. Der blöde Finne mit seinem „Du bist nur eine Affäre"-Spruch. Er hatte mich damit unheimlich verletzt; von der Wut ihm gegenüber ganz abgesehen.
Ich schlag meine Arme fest um Jans Nacken und fuhr mit den Fingerspitzen seinen Haaransatz hoch.
„Bitte", Jan schnaubte, „nicht die Haare."
Was?
Nicht die Haare?
Er wollte Sex – was war mit den Haaren?
Hauptsache die Haare liegen?
Ich war fassungslos.
„Entschuldige mich nochmal kurz", meinte ich knapp, löste mich von ihm, angelte meine Handtasche und schlug Jan die Badezimmertür vor der Nase zu.
„Emma?", fragte er verwirrt.
„Ich muss ganz dringend noch eine Mail beantworten. Das kann nicht warten", log ich, während ich hastig das Display meines Smartphones entsperrte und den Chat von Samu und mir bei WhatsApp öffnete. Irgendetwas wollte ich schreiben. Samantha war gerade online und schrieb vermutlich mit einer Bettgeschichte. Das Profilbild hatte er geändert und zeigte ihn zusammen mit Mirja, die –total cool und lässig- ein Victoryzeichen in die Kamera machte und damit den größten Teil seines Gesichts verdeckte.
Sie war wirklich eine Dumpfnudel.
Aber Samu schien Gefallen an ihr zu haben.
Wenn auch nicht intellektuell.
Dumm fickt gut.
Kurz überlegte ich, ihm –statt eines Textes- einen lachenden Smiley zu schicken, um damit sein neues Anzeigebild zu kommentieren. Aber vielleicht würde er das so nicht verstehen.
Stattdessen verwarf ich den Gedanken komplett, switchte in Lenis Chat und schrieb ihr das erste Mal seit unserem Streit in Helsinki wieder eine Nachricht.
„Kein Samu mehr, ich verspreche es. Jan ist hier, wir haben geredet. Alles gut."
Und sperrte die Tasten.
Es machte überhaupt keinen Sinn, sich weiter mit Samu über irgendwas, was es zwischen uns eben nicht gab, zu unterhalten.
Ich wollte mich nicht wieder Hals über Kopf in den Rockstar verlieben, der mir mehr weh tat als Jan, der seine Ansichten für mich über Bord warf.
Auch, wenn er viel Wert auf seine Haare legte.
Das Handy glitt wieder in meine Tasche, ehe ich die Badezimmertür wieder öffnete.
„Tschuldigung", schmunzelte ich Jan entgegen und zog ihn an der Hand ins Schlafzimmer.
Wie kopflos von mir.

Just friends?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt