Ich schaute Samu an. Samu schaute mich an

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„Ich hab dir gesagt, dass das nichts wird", ich stand neben Mikko vor dem Schreibtisch meines Chefs.
Samu war aus dem hoteleigenen Restaurant gestürmt, woraufhin ich Thomas anrief und die schlechte Neuigkeit verkündete. Sofort orderte er mich zurück in die Redaktion.
Ohne Umwege.
Nachdem ich alle Unterlagen schnell, jedoch gründlich in meiner Tasche verstaut hatte, war ich kurz vor dem Verlassen des Hotels in der Lobby auf Robin, Samu und Mikko getroffen. Mikko quasselte auf Samu ein, der gelangweilt neben ihm her lief und die Hände in den Jackentaschen vergraben hatte. Sowohl Robin, als auch Mikko begrüßten mich herzlich. Samu schien das zu stören, denn er sah gelangweilt und unglaublich genervt zugleich auf seine nicht vorhandene Armbanduhr. Mikko erklärte mir, dass er das Interview auf jeden Fall haben wollen würde, auch aus Promotionszwecken. Es wäre komisch, wenn gerade die Stadt, die Sunrise Avenue eine Chance auf dem Zeltfestival Ruhr gegeben hatte, schon mehrere Jahre keinen der Jungs irgendwo gesehen hätte. Ich verstand das, stieg in mein Auto und führte die Kolonne zurück in die Bochumer Innenstadt an.
Die Situation war mir unglaublich unangenehm. Bisher war mir soetwas noch nie passiert. Vor Aufregung knibbelte ich den grauen Nagellack von meinem linken Daumen.
Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass Samu so unprofessionell sein konnte. Das Aufeinandertreffen hätte für mich auch nicht länger als fünf Minuten dauern müssen.
Acht bis zehn Fragen und dann wieder zurück nach Helsinki.
Auf nimmer Wiedersehen.
Auch ich hatte Probleme mit seiner Anwesenheit.
Mir hatte das auch keinen Spaß gemacht.
Samu hingegen schien mir das Leben mit seiner Art und Weise so fies wie möglich machen zu wollen. Auf meine Fragen antwortete er wie ein kleiner, störrischer Junge.
Oder gar nicht.
Thomas verdrehte die Augen und sah vom Bildschirm auf.
„Herr Haber möchte nicht von mir interviewt werden", machte ich deutlich.
Er sog genervt die Luft ein.
„What's the problem?", er wendete sich direkt an Mikko.
„They know each other", meinte der Manager knapp.
„I already know. Emma told me."
„The relationship between them isn't easy."
Ich hoffte, Mikko würde nicht erzählen, was für eine Art Beziehung das vor zwei Jahren gewesen war.
Und ich hatte Glück.
Er spann sich irgendwelche Meinungsverschiedenheiten aus dem Praktikum bei Universal zusammen, die damals schon nicht behoben werden konnten.
Das sprach nicht wirklich für mich, aber es war besser, als Thomas zu sagen, dass wir miteinander geschlafen hatten und er mich nach einem Streit aus seinem Haus geschmissen hatte.
Mein Vorgesetzter bedankte sich bei Mikko für die ehrliche Unterhaltung, entschuldigte sich aufrichtig und versprach, augenblicklich einen anderen Kollegen zu schicken.
„Bist du von allen guten Geistern verlassen?", maulte er, nachdem er sich vorerst von Mikko verabschiedet hatte und die Tür ins Schloss fallen ließ.
„Was?"
„Warum sagst du nicht, dass das mit euch nicht funktioniert?"
„Ich hab dir schon vor Wochen gesagt, dass ich Probleme mit dem hatte und das Interview deswegen nicht machen will", blaffte ich sauer, „und trotzdem hast du mich da hin geschickt."
„Kann ich wissen, dass ihr so unüberbrückbare Differenzen habt?", er warf die Arme in die Luft und klemmte den Telefonhörer zwischen Gesicht und Schulter, „nimm dir die Karten für heute Abend und mach Feierabend."
„Ich hab doch noch gar nichts gemacht", merkte ich erschrocken an.
„Ich weiß. Aber ich will hier keinen Disput. Schlechte Presse können wir nicht gebrauchen. Nimm die Karten und geh."
„Es tut mir leid, ich hab ve..."
Thomas schnaubte.
„Nimm einfach die Karten und verzieh dich. Wir sprechen uns noch. Aber nicht mehr heute", er holte zwei Tickets unter seiner Schreibtischunterlage hervor und hielt sie mir hin, „schreib eine gute Kritik. Wir sehen uns morgen."
„Sorry."
„Ich schätze deine Arbeit sehr, aber das geht nicht", versöhnlich legte er eine Hand auf meine Schulter, „ich hab dich nach deinem Volontariat nur aus diesem Grund übernommen. Du bist gut in dem, was du tust. Es kann immer mal passieren, dass jemand einen schlechten Tag hat, aber das darfst du dem Kunden nicht zeigen."
„Es bringt nichts, wenn ich dir jetzt sage, dass es nicht meine Schuld war, oder?"
Er lächelte mich schief an.
„Nein, gar nichts."
„Ok, dann wünsch ich dir noch einen schönen Tag", ich grinste verunsichert, verließ das Büro und hörte, wie das Telefon in Fraukes Büro klingelte.


Frustriert und gleichzeitig irgendwie niedergeschlagen wegen der ganzen Situation mit Thomas, holte ich meine Tasche aus dem Büro und eilte anschließend über den Flur in Richtung des Fahrstuhls.
Mein erster richtiger Monat in der Redaktion und Samu versaute ihn mir durch seine blöde Art, die er für ein einfaches Interview nicht vergessen konnte oder wollte.
Als hätte es nicht gereicht, dass ich ihn auf Grund seiner Abfuhr vor zwei Jahren hasste.
„Blödes Arschloch", flüsterte ich vor mich hin und schrieb Jan eine SMS, dass ich mit frischen Brötchen zu ihm kommen würde, weil ein Interview nicht nach den Vorstellungen meines Vorgesetzten abgelaufen war.
„Who is Jan?", fragte Samu und lehnte sich mit verschränkten Armen an der weißgestrichene Wand neben dem Aufzug.
Skeptisch blinzelte ich ihn an und steckte das Handy in die Tasche des Trenchcoats.
„Hast du kein eigenes Leben?"
„For sure."
„Was willst du dann?"
„Nichts von dir", grölte er laut, „only wanna know who is Jan."
„Das geht dich überhaupt nichts an", ein Beben in meiner Stimme machte sich bemerkbar.
Samu stand neben mir und sagte nichts mehr. Nach gefühlten Stunden des Wartens öffneten sich endlich die Türen des Lifts. Ich huschte hinein und drückte den Knopf in das Erdgeschoss.
„Hast du problems mit deine Boss wegen mir?", er vergrub die Hände in den Hosentaschen und atmete laut aus.
„Was kümmert es dich?"
„You know me. Don't wanna get your ass in trouble because I was unprofessional. Ich bin keine egoist", sein Fuß blockierte die Lichtschranke.
„Nicht?"
„Wenn du bist zu unprofessional for this job you can apply fur eine job, bei die du kannst tragen meine umbrella vor die show."
„Du bist das Allerletzte."
„Oh. Two years before ich war die Letzte. Allerletzte ist besser maybe?"
„Schämst du dich eigentlich nicht für dich selber?"
„Let me think", er zog eine Schnute und ließ seinen Blick schweifen, „no."
„Solange du dir selbst gefällst", winkte ich ab und betätigte den Tür-zu-Knopf, ohne Samu eines weiteren Blickes zu würdigen.


Das Einkaufen der Rundbürste legten wir vorerst auf Eis. Ich holte verschiedene Brötchen von dem Bäcker meines Vertrauens und verbrachte den Tag bei Jan, bevor wir am Abend gemeinsam zu meiner Wohnung fuhren, damit ich mich umziehen konnte. Eine Schwimmtasche sollte ich ebenfalls packen.
Ich trug meine Haare zu einem lockeren Zopf gebunden und hatte nur wenig Make-Up aufgelegt. Premiere hin oder her: Das war „nur" mein Job. Wäre ich privat ins Theater gegangen, wäre die Auswahl des Stückes eine andere gewesen.
Jan und ich hatten zwei gute Plätze auf der Empore.
Während er das Stück verfolgte und immer wieder versuchte, meine Hand mit seinen Fingern zu streifen, notierte ich fleißig alles Wichtige, was mir in Bezug auf das Stück ein- und auffiel. Die Schauspieler waren toll und sehr authentisch. Der Regisseur hatte das Stück nah an der Vorlage umgesetzt. Das wusste ich aber auch nur, weil ich das Buch damals in der Oberstufe lesen musste.
„Ich freu mich auf später", flüsterte Jan mir ins Ohr, als die Szene wechselte.
„Was?", irritiert hob ich den Blick von meinem karierten Notizblock.
„Was glaubst du, warum ich dir gesagt hab, dass du eine Schwimmtasche packen sollst?"
„Du willst wirklich hier nach noch ins Schwimmbad?"
„Bis wir hier raus sind ist es gerade mal 20.00 Uhr. Da geht noch was. Was dachtest du denn?"
„Ich dachte für morgen vielleicht?", sagte ich leise, „und ich lass die Sachen bis dahin in deinem Wagen?"
„Träum weiter", er küsste meine Wange und drehte sich wieder der Bühne zu.


Erst als wir das Ortseingangsschild von Herne passierten, wusste ich, wohin Jan mich bringen wollte.
Wie selbstverständlich bezahlte er den Eintritt und reichte mir das schwarze Armband mit integriertem Chip für die Therme. Als kleines Kind war ich immer dort gewesen und hatte meine gesamten Wochenenden in den Solebädern und dem Wellenbecken verbracht.
Entgegen meiner Vermutung, das LAGO sei mittlerweile in die Jahre gekommen, wurde ich bereits beim Passieren der Eingangstüren eines Besseren belehrt. Der Bereich war völlig umgestaltet worden. Die Rezeption war aus nussbaumfarbenem Holz und passte perfekt zu den Loungemöbeln aus dunklem Rattan. Die grau-gesprenkelten Steinfliesen ersetzten die grauen. Der Eingangsbereich war komplett von Glas umgeben, so dass er sehr hell und freundlich wirkte, obwohl es draußen bereits tiefste Nacht und vor allem Winter war.
Sogar die Umkleidekabinen erstrahlten in neuem Glanz und ich staunte, als ich nach dem Anziehen meines schwarzen Triangelbikinis den holzfarbenen Spind mit dem integriertem Chip in dem Armband durch das Gegenhalten an einen Knopf öffnen und auch wieder schließen konnte.
Es war nicht viel los, als wir mit Badetüchern über den Schultern den Schwimmbereich betraten. Durch die große Fensterfront konnte man den Schneesturm sehen, der draußen tobte. Im Innenraum hingegen war alles in ein schummeriges Wohlfühl-Licht getaucht war. Die wenigen Menschen in dem Solebecken vor uns ließen sich von den Wasserspielen den Rücken massieren oder zogen zu leiser Entspannungsmusik ihre Bahnen.
Jan nahm ungefragt meine Hand und zog mich sanft nach rechts in Richtung der Außenbecken und Saunen. Viele –vor allem ältere- Menschen lagen hier auf den Liegen, die überall auf dem marmorgefliestem Flur standen und entspannten vermutlich nach der Soleinhalation, die die Therme ebenfalls im Angebot hatte.
„Rechts rum", wisperte Jan.
„Familien- und Textilsauna", las ich leise, als ich den Kopf hob.
„Ich wollte dir nicht zu viel zumuten", grinste er frech und schubste mich um die Ecke zu den Duschen, bevor wir die Sauna betraten.
„Nicht ehrlich, oder?" entfuhr es mir schockiert, als ich direkt beim Öffnen der Tür des Dampfbades Mikko, Samu und Robin auf der mittleren Bank sitzen sah.
Alle hatten die Hände auf die Oberschenkel gestützt und schauten mich verschwitzt an.
„Was willst du hier?", fragte Samu und kämmte sich die Haare mit der flachen Hand aus dem Gesicht.
„Das könnte ich dich auch fragen."
„Ist deine sauna oder was?"
„Nein?"
„Good. Where is Medusa?"
„Ah, du bist so witzig."
„I know", zwinkerte er, „everybody likes the funny Haber."
„Du mich auch", meinte ich außer mir und wollte die Sauna direkt wieder verlassen ohne sie überhaupt wirklich betreten zu haben.
Leider hatte ich Jan dabei völlig vergessen und stolperte ihm in die Arme.
„Was ist?"
„Können wir gehen? Mir ist schlecht."
„Ehm", er guckte mir etwas verwirrt über die Schulter und zog eine Braue hoch, „ich muss das nicht verstehen, oder?"
„You are Jan, aren't you?", äußerte Samu sich freundlich, bevor ich irgendetwas sagen konnte.
Jan sah mich entsetzt an.
„Er war das Interview, was heute Morgen schief gegangen ist", versuchte ich beiläufig mitzuteilen, „Jan Samu, Samu Jan."
„Hi", Jan grinste ihn über meine Schulter hinweg an und nickte, „zum Glück gibt es hier noch andere Saunen."
„Die finnische Sauna outside ist closed", wendete Samu ein.
„Solebecken?", zwinkerte Jan zu mir herunter.
„Solebecken", bejahte ich und schob ihn mit meinen Händen auf seiner Brust aus der Sauna heraus.
Warum war Samu immer noch in Deutschland? Ich hatte gedacht, er säße schon längst wieder in einem Flugzeug und war auf dem Weg nach Helsinki. Die Begegnung mit ihm hatte mich verstört. Ich war erneut nicht darauf vorbereitet gewesen. Es war weniger schlimm als das Aufeinandertreffen heute Morgen, aber nicht weniger schlimm als überhaupt.
Aber der gleiche Schmerz wie vor zwei Jahren war plötzlich wieder da.
Der Schmerz über diesen abrupten Abbruch war wieder allgegenwärtig.
Es tat weh ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen.
Sehr weh.
Als würde mir jemand einen Pflock ins Herz rammen.
Ich hatte es bisher immer geschafft, irgendwie damit zu leben, weil er mir eben nicht jeden Tag über den Weg lief. Jetzt war ich sogar zwei Mal an einem Tag auf ihn getroffen. Einmal beruflich und einmal in der Sauna mit seiner roten Badehose, die er damals am See schon getragen hatte.
Auf dem Weg in den Außenbereich nahm Jan wieder meine Hand und streichelte diese beruhigend mit seinem Daumen. Es war schön, dass er da war und mir ein Gefühl von Sicherheit entgegen brachte.
Nach einigen Metern durch den Flur zurück in den ersten Bereich, bogen wir scharf rechts ab und gingen die Stufen in das außerhalb liegende Becken hinunter. Als ich das circa 40 Grad heiße Wasser an meinen Fesseln und die kalte Luft an meinem Kopf spürte, übersäte es meinen Körper mit einer Gänsehaut. Jan schubste mich sanft durch den plastikähnlichen Vorhang, der als eine Art Schleuse zwischen Innen- und Außenbereich fungierte. Sofort tauchte ich auf Grund der Kälte bis zu den Ohren in das warme Salzwasser, tippelte zu einem der acht leeren Massageplätzen und hakte mich rechts und links in die Metallstangen, um von dem starken Unterwasserstrahl nicht in die Mitte des Beckens gespült zu werden. Ich presste mich fest gegen die Massagedüsen und ließ meine Schulterblätter durchkneten, während ich ein älteres Ehepaar, Händchen haltend den Flur im Inneren auf und abgehend, beobachtete.
„Was ist mit dem Greis?", wollte Jan wissen, als er sich mir gegenüber hinsetzte.
„Welchem?", ich schloss genießerisch die Augen.
„Dem Alten."
„Jan", kicherte ich, „er ist nicht alt."
„Er ist auf jeden Fall älter als ich. Also ist er alt."
„Weil du 100 bist."
„31. Das ist kurz vor knapp."
„Du spinnst!", ich schüttelte lachend den Kopf und trat etwas Wasser in seine Richtung.
„Ah", stieß er plötzlich hervor, „Salz! Salz!"
Erschrocken schaute ich zu ihm hinüber. Er drückte die geballten Fäuste, die gerade noch unter Wasser gewesen waren, schützend auf seine Augenhöhlen und hielt sich vermutlich mit den Beinen irgendwie am Platz.
„Nimm die Hände runter", ich ließ mich von der starken Massagedüse zu ihm herübertreiben, „nicht reiben!"
„Es brennt!"
Ich griff an seine Handgelenke und positionierte seine Hände an den Metallstangen rechts und links von ihm. Er hatte den Kopf in den Nacken geworfen und kniff mit schmerzverzerrtem Gesicht die Augen zusammen.
„Ich bin blind!", rief er laut und blinzelte mich mit seinen grau-grünen Augen an.
Eine Haarsträhne war ihm wieder in das Gesicht gefallen.
„Wären wir mal doch in den Laden gefahren. Dann hättest du das Haarspray kaufen können", schmunzelte ich und strich die Strähne mit etwas Wasser nach hinten.
„Wegen dir bin ich blind. Da hilft mir auch kein Haarspray."
„Du armer Junge", schmunzelte ich.
„Arm und blind."
„Aber dafür jung", ich legte meine Arme auf seine Schultern.
„Immerhin das, oder?", seine Hand umfasste meine Taille, mit der anderen hielt Jan sich weiterhin an den Metallstäben fest.
„Geht wieder?", ich küsste vorsichtig seine Wange.
„Jetzt schon", seine Lippen formten ein Lächeln.
„Gut", meinte ich und legte den Kopf schief, als ich Samu und die Jungs durch die Scheibe erspähte. Sie standen offensichtlich schon länger dort und beobachteten uns.
Vor allem Samu fixierte mich.
Die Arme verschränkte er erwartend vor der Brust, nachdem er seine Haare wieder in den Surferlook zurückgebracht hatte.
Erschrocken wich ich mit dem Kopf von Jan zurück.
„Kneifen ist nicht", wisperte er und drückte seine Lippen sanft auf meine.
Ich schaute Samu an.
Samu schaute mich an.
Er schüttelte fassungslos sein Haupt, lachte und ging den Flur entlang.
Erst danach schloss ich die Augen.

Just friends?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt