Wir waren schweigend nebeneinander hergelaufen. So wohler ich mich gefühlt hatte, je länger das Konzert angedauert hatte, desto unterkühlter war ich Samu gegenüber plötzlich wieder. Und das, obwohl mich seine Lederjacke warm hielt.
Als wir am Hotel ankamen, war die Lobby wie ausgestorben. Kein Mitarbeiter weit und breit. Samu drückte den Knopf, um den Aufzug zu holen und ließ mir den Vortritt, als sich die Türen öffneten. Wir standen uns gegenüber, grinsten und schauten dann wieder zu Boden. Der Weg in die 12. Etage war mir noch nie so lang vorgekommen. Oben angekommen zog er seine Schlüsselkarte durch die Doppeltür, woraufhin sie sich sofort öffnete. Er ging geradewegs in Richtung seines Zimmers, öffnete sie und ließ die Tür offen stehen.
„Ich hole eben meine keys fur die car", rief er laut.
„Ok", antwortete ich, ging in mein Zimmer, pellte mich aus Samus Lederjacke, um mir meine eigene anzuziehen und ging dann –mit seiner Jacke über dem Arm- wieder zurück auf den Flur, wo ich auf ihn wartete. Keine Minute später kam er grinsend heraus, schnappte sich die Jacke, die über meinem Arm hing und schob mich zurück in den Fahrstuhl.
Nach einer kurzen Lagebesprechung einigten wir uns auf den kleinen Italiener im Norden der Stadt, bei dem wir damals vor meiner Abreise nach Chile gegessen hatten. Im Radio lief irgendwas von Madonna, was Samu leise mitsummte und dabei auf dem Lenkrad rhythmisch mitklopfte. Das hatte er schon immer getan.
Er parkte unmittelbar vor der Tür und lächelte mir kurz zu, bevor er sein Portemonnaie aus der Mittelkonsole nahm, mich angrinste und dann verschwand, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Während ich wartete, fingerte ich das Handy aus meiner Hosentasche und spielte eine Runde Quizduell gegen meinen Zwilling, die ich haushoch verlor. Am oberen Rand blinkte plötzlich eine Nachricht einer finnischen Telefonnummer auf; untermalt von einer Vibration.
„Don't look angry ;-)", las ich laut und sah in die Trattoria hinein. Samu stand an der Kasse und winkte mir zu. Ich winkte zurück und hasste mich für mein verschlossenes Verhalten ihm gegenüber. Wir waren auf einem so guten Weg gewesen und ich igelte mich aus irgendeinem Grund wieder komplett ein und sprach nicht mit ihm.
„Hab verloren. Quizduell :-(", antwortete ich und schaute wieder in den Laden.
„Which kategory?"
„Technik."
„Oh. Das ist auch nicht meine. But ich bin gut in „music & hits" ;-)"
„Das glaube ich gerne :-D"
„Give me a smile, Medusa."
Ich runzelte die Stirn und konnte sehen, wie Samu darüber lachte.
„Smile."
Ich lächelte.
„More."
Ich zeigte Zähne.
„Bist du die weiße Hai?", schrieb Samu.
„Yes, Sir!"
Er schüttelte den Kopf, woraufhin ich grinste und den Kopf zur Seite neigte.
„That's a natural smile! Ich mag this one :o)"
„Spinner", schrieb ich und wechselte in das Chatfenster von Jan und mir, um ihm zu schreiben, dass Samantha und ich noch etwas essen gehen würden. Ich wollte nicht, dass er mich nochmal anrief und ich wieder vor Samu flüchten musste. Wahrscheinlich müsste ich das gar nicht. Aber die Situation in der Tonhalle war mir unangenehm gewesen und ich wollte weder Jan noch Samu mehr aneinander heranlassen; wenn auch nicht körperlich.
„Fuck, es ist so hot", Samu riss die Tür auf und warf mir den Pizzakarton auf den Schoß, „wait!"
Er ging wieder zurück in den Laden und kam mit zwei Flaschen Cola und einer durchsichtigen Plastiktüte wieder raus. Bevor er einstieg, stellte er die Getränke auf den Boden und die Plastiktüte samt Styroporverpackung auf den Pizzakarton.
„Everything ok?", fragte Samu und schaltete den Motor an.
„Yes", schmunzelte ich zu ihm herüber, „danke für das Essen."
„Don't say „danke". Du weißt nicht, was ist in die packing."
„Was Essbares wäre gut."
Samu schüttelte den Kopf und setzte ein panisches Gesicht auf.
„Kein Essen?", ich schob die Unterlippe nach vorne.
„No, sorry", antwortete er gespielt betroffen und fuhr in Richtung Stockumer Kirchstraße und bog am Ende der Straße nach rechts ab.
„Wo fahren wir hin?"
„I don't know", er suchte mit zusammengekniffenen Augen nach Straßenschildern, „was ist mit diese Parkplatz hier links?"
Ich sah kurz raus und sah nur wenige Autos dort parken.
„Gerne."
Samu blinkte, navigierte uns so, dass wir letztendlich etwas abseits von den anderen parkenden Autos, aber dennoch in unmittelbarer Nähe einer Laterne, mit dem Heck in Richtung Rhein standen.
„Take a seat in die trunk", forderte er mich auf.
„Kofferraum?"
„Don't ask", dirigierte Samu und nahm mir die Essensverpackungen ab, „c'mon. Go."
Ohne auch nur eine Diskussion anzufangen stieg ich aus, ließ die Tür leise in das Schloss fallen, öffnete den Kofferraum und lehnte mich gegen die Lehnen der Rücksitze. Samu kam ebenfalls herum, stellte den Pizzakarton und die Plastiktüte wieder auf meinen Schoß, um sich richtig hinzusetzen.
„Now you have to try die Pasta", meinte er, hob den Styroporkarton aus der Tüte, zog eine Gabel mit heraus, öffnete die Verpackung für mich und piekste eine Gabel hinein, „try."
Etwas widerwillig führte ich die Gabel zum Mund und kaute auf dem Stück Fisch herum.
„Und? Es ist better, wenn ich mache selbst. But es ist gut, oder?"
„Ich mag nicht so gerne Fisch", schluckte ich, „aber das geht wirklich ja."
„Noch mal?"
„Nee", ich griff in die Plastiktüte nach den Pizzabrötchen und der Kräuterbutter.
„Ok, dann nicht", Samu nahm die Verpackung auf den Schoß und begann zu essen. Wieder schwiegen wir.
Die ganze Zeit, während wir aßen.
Nicht mal die typischen Floskeln wie „schmeckt es dir?" hatten einen Platz in diesem Kofferraum.
Geschweige denn in diesem Gespräch.
Welches wir nicht führten.
Ich mümmelte die Pizzabrötchen in mich hinein und starrte auf das Wasser, welches sich wegen des Windes schneller von A nach B zu bewegen schien. Diese Stille zwischen uns war mir total unangenehm. So waren wir nie gewesen.
Irgendwann fühlte ich mich so unwohl, dass ich wortlos aufstand, nach vorne zum Beifahrersitz ging, die Schachtel Zigaretten aus meiner Tasche im Fußraum holte und damit wieder zurück zum Kofferraum ging. Ich zog einen Glimmstängel heraus, zündete ihn mir an und warf die geschlossene Box zu Samu in den Kofferraum, der mich nur unverständlich ansah, bevor ich mich wegdrehte und wieder auf den Rhein sah.
„Was ist?", seine Stimme klang irgendwie böse, „was ist deine problem?"
„Ich hab keins."
„But ich", ich hörte, wie er wütend die offenbar leere Pasta-Verpackung in die Plastiktüte pfefferte, „was ist fucking los mit dir?"
„Nichts", ich zog an der Zigarette, die mir augenblicklich von Samu aus der Hand gerissen wurde, als er neben mir stand.
„Du bist different", merkte er an, stemmte den Ellenbogen in die Handfläche der anderen Hand und blies auf die glimmende Glut der Zigarette, bevor er daran zog, „ich habe gesagt 1000 times, dass ich bin sorry fur die things in the past. Fur alle things. I organized all that stuff to make you feel good. Hyatt, die Tonhalle, our Trattoria, our food und wir sind an our place. But du bist immer noch strange. Es ist sogar die same parking lot."
„Das bin ich nicht."
„Sure. Du sagst, du bist nicht böse any longer and you forgive me", er aschte ab, „but you act like a stranger. You behave superficial, wenn ich try to be normal. And wenn ich bin nice and handsome you ignore me. Das ist really scheiße."
„Das stimmt doch nicht."
„Emma", er sah zu mir herunter und zog die Augenbrauen zusammen, „you do. The whole day. Not only tonight. Ich kann nicht machen more. What should I do? Sag und I would try. You don't talk to me. Bei die concert du warst so fucking reserved. I don't know you that way. We aren't strangers. We know each other for so long. Tell me what I did wrong. Was ist es, dass du bist so reserved? A little bit ist ok, but that?"
Ihm war es also doch aufgefallen.
Wahrscheinlich nicht zu wenig.
Mist.
Ich wusste nicht, dass ich ihn meine Unsicherheit so sehr spüren ließ. Er hatte gar nichts falsch gemacht. Er hatte mir den Arsch hinterher getragen, was er nicht hätte tun müssen. Er wollte ständig wissen, ob es mir gut ging oder ob ich irgendetwas brauchte.
Aber ich hatte Angst.
Angst davor, mich ihm wieder zu öffnen und ihm damit eine riesige Angriffsfläche zu bieten.
Viel zu oft hatte er –wer weiß ob gewollt oder nicht- auf meinen Gefühlen –welcher Art auch immer- herumgetrampelt.
„Now du bist wieder die quiet person. Thank you, really", wieder zog er an der Zigarette, blies danach den Qualm in die Nachtluft und trat sie auf dem asphaltierten Boden aus, „du redest nicht, wenn wir gehen von die hall back in die hotel, du redest nicht, wenn du hast eine dinner with me. But you talk in eine große hall with me, wenn there sind people all over? Thank you. Ich wusste nicht, dass es ist so fucking schlimm for you, wenn wir sind alone."
Er machte kehrt, schlug wütend den Kofferraum zu, setzte sich zurück in den Wagen und schaltete Licht sowie Motor an.
Schnell ging ich nach vorne, setzte mich auf den Beifahrersitz, griff über die Mittelkonsole, schaltete den Motor aus und zog anschließend den Schlüssel aus dem Zündschloss.
Ich wollte mich erklären.
Nicht rechtfertigen.
Aber erklären.
„Ich hab Angst."
Samu lehnte sich an seine Tür und beäugte mich kritisch.
„Angst? Fur?"
Ich ließ mich in den Sitz fallen und spielte mit dem Autoschlüssel; klappte ihn immer wieder auf und zu.
„Wir waren so oft an einem Punkt, der gut war. Dann wurdest du arschig. Ich will das nicht wieder."
„Was willst du sagen damit?"
„Jedes Mal, wenn du wieder ein Teil meines Lebens warst, hast du früher oder später mit einer Axt alles kurz und klein geschlagen", mein Blick war immer noch auf den Schlüssel gesenkt, „das hat mir jedes Mal so wehgetan. Du bist nun mal kein Bekannter für mich, bei dem es nicht auffällt, wenn er für Wochen, Monate oder Jahre von der Bildfläche verschwindet."
„What?", Samu lehnte sich zu mir herüber, „does this all feel like I'm leaving you again? After all diese things? You really think, dass ich gehe wieder? Deswegen du bist so reserved?"
„Findest du den Gedanken überzogen?", fragte ich vorsichtig und schmiss den Schlüssel in das Leder des Schaltknaufs, um mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
„No", antwortete er schnell und legte die Stirn in Falten, „but I can't believe, dass du denkst ich gehe again. Why should I? After today? After die Packchen? Warum? Ich bin maybe eine asshole. But ich bin nicht eine liar or even eine faker. I want you to feel good again. Next to me."
„Ich fühl mich gut."
„No", Samu lachte laut auf und warf den Kopf in den Nacken, „you act like feeling good. But you feel like „I hope es ist bald finish". I don't even know, was ist die schlimmere feeling at the moment. Dass du denkst, ich gehe again oder dass du denkst, ich bin nicht ehrlich. I did a..."
„Danke", ich unterbrach ihn, „ich danke dir wirklich. Für alles, was du organisiert hast. Das ist alles toll geworden und ich genieße das. Ich bereu das nicht, dass ich hier bin. Überhaupt nicht. Ich würde das wieder tun. Aber das hat alles einen bitteren Beigeschmack, wenn ich zurück denke. Ich denke nicht, dass du ein Lügner bist. Aber du bist sehr sprunghaft und das weiß ich leider."
„You not?"
„Das habe ich nicht gesagt."
„So yo..."
„Darum geht es auch gar nicht, Samu. Wenn ich dich wieder in mein Leben lasse, gebe ich dir die Möglichkeit, mir wieder weh zu tun. Und wieder und wieder und wi..."
Plötzlich legte er die Hand an meine Wange und strich mit dem Daumen über meine Lippen, um meinen Redeschwall zu stoppen.
„Emma", flüsterte er mit tiefer Stimme, „du denkst really, dass ich gehe now, after I organized all that und ruin das now? Ich gehe nicht, ok? Es ist nicht meine plan nach today. I promise."
Ein Kribbeln breitete sich in meinem Körper aus, als er die Fingerkuppe sanft über meine Unterlippen wandern ließ und mich mit seinen blauen Augen durchdringend ansah.
„I did this wrong", die Finger der Hand, die nicht an meiner Wange lag, ließ er zwischen uns hin und her wandern, „hundert times and ich weiß das. I wasn't fair in so viele situations und I really feel sorry. Ich gehe nicht again."
„Ok", ich hatte einen Kloß im Hals und räusperte mich, „das ist... schön."
Einen Moment lang sahen wir uns nur an und sagten nichts.
Kein Wort.
Gar nichts.
„Schutzmechanismus", versuchte ich mein Verhalten zu rechtfertigen, brach damit die Stille und nahm seine Hand von meinen Wangen in meine Hände, „das machen Frauen so."
„Das ist eine fucking Erfindung", lachte er, zog seine Hände zurück und steckte den Autoschlüssel in die Hosentasche, „das ist eine Ding, die saved yourself from alles."
„Außer vor Kalorien", grinste ich und drehte mich in Richtung Kofferraum, „essen wir noch die Pizza?"
„No, die ist without Fleisch. But ich komme with you."
„Was ist es denn?", ich öffnete die Autotür.
„Gemuse", antwortete Samu, als er ausgestiegen war, „remember two years ago."
Grinsend schüttelte ich den Kopf.
Selbst das hatte er nicht vergessen.
Nachdem wir die kalte Pizza im Kofferraum doch geteilt hatten, fuhr Samu zurück ins Hotel. Dort angekommen brachte er mich zu meinem Zimmer und drückte mich zum Abschied fest. Ich bedankte mich für den Abend und den tollen Tag und entschuldigte mich für mein Verhalten ihm gegenüber.
Ich ließ mir ein Bad ein, während ich mir im Wohnbereich die Schuhe von den Füßen strampelte und mich aus der Jeans pellte. Als ich das endlich geschafft hatte, zog ich die Jacke aus, warf sie auf den Boden, ließ ich mich auf das Bett fallen und setzte mich dann in den Schneidersitz.
Ich war noch gar nicht müde.
Und eigentlich hatte ich den Wein dabei, der in dem Paket von Samu gewesen war.
Ich zog die Hose schnell wieder über, ging in Socken auf den Flur, wartete, bis sich die Halogenspots in der Decke anschalteten und wollte gerade an Samus Zimmertür klopfen, als er sie mir schon öffnete.
„Zu dir wollte ich", ich ging einige Schritte zurück, „ich hab den Wein dabei, den du mir geschickt hast."
Samu blinzelte verwirrt.
„Und ich habe Teleshopping", schmunzelte er und deutete mit dem Daumen in sein Zimmer.
„Kommst du?", fragten wir gleichzeitig.
Wir nickten.
Gleichzeitig.
Wir lachten auf.
Gleichzeitig.
„Ich komme", Samu zog offenbar die Schlüsselkarte aus dem Schlitz hinter ihm, denn das komplette Licht in seinem Hotelzimmer erlosch, „wenn du nicht hast Teleshopping, wir gehen zu mich."
„Ok", stimmte ich zu und lief auf meinen rot-gepunkteten Socken wieder zurück in das Zimmer.
Samu zog die Tür hinter sich ins Schloss und folgte mir.
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Just friends?
Fanfiction"[...] Wie wäre es, wenn sie immer da wäre? Wenn sie morgens neben mir aufwachen würde? Immer? Ich stieß einen Seufzer aus und schüttelte den Kopf. Keine Chance. Soweit hatte ich damals nicht gedacht; soweit sollte ich jetzt nicht mal ansatzweise de...