... maybe the lie you life is all they really want

442 14 0
                                    

„Guten Abend Bochum! Alles gut?", begrüßte er uns mit seiner tiefen Stimme und erntete tosenden Applaus, „wir haben gedacht, wir machen eine kleine stop hier in die wunderschöne Ruhrgebiet, gucken uns an die Stadt again, visit the guys from ContraPromotion, do some shopping und yes. Habe eine nice evening with all of you."
Der Saal bebte.
Trotz der wenigen Leute schienen sich lautstärkemäßig mindestens 1000 hier aufzuhalten.
„Riku, go on", befahl Samu kopfnickend, drehte die Gibson, die über seiner Schulter hing, vor seinen Bauch und ließ die Finger über die Saiten fliegen.
Schon an dem ersten Akkord erkannte ich „Destiny" aus dem On the way to wonderland-Album. Vermutlich spielten sie einige Songs aus der aktuellen Tour; ansonsten wäre das einer der Songs, der eigentlich nicht auf die Setliste der Jungs gehörte, eben weil er schon so alt war.
„Wohl doch ein Fan, oder?", schrie Estefania mir entgegen, weil ich immer noch die Hände auf den Mund presste.
„Bleibst du hier?", lenkte ich schnell ab und deutete in die Menge.
„Ich geh da nicht rein", sie schüttelte den Kopf, „das wäre Mord. Wenn du es überlebst, kannst du mir die Bilder gerne schicken."
Sofort griff ich nach meiner Kamera, ging um den Tisch herum, um näher an der Bühne sein zu können und versuchte so nah sie möglich an Samu und die anderen heranzukommen. Ich drängelte mich durch die erste Reihe, blieb zwischendurch immer wieder stehen, machte ein Foto, ging weiter, änderte den Blickwinkel, knipste ein weiteres Bild und erntete ernste, teilweise böse, Blicke der aufgeregten Frauen. Das tat ich drei Songs lang, bis ich mich langsam aber sicher wieder zu unserem Tisch kämpfte. Durch das Drängen der Menschenmasse war ich nassgeschwitzt und froh, dass ich endlich das mittlerweile lauwarme Bier ansetzen konnte.
Estefania schob mir ihre Visitenkarten über den Tisch und grinste.
„Danke schon mal", zwinkerte sie und klatschte weiter im Takt mit.
Samu ließ sich einen Stuhl bringen und machte Witze mit dem Publikum, während ich immer noch nach Luft schnappte. Die Luft stand in der großen Halle, als wäre die Klimaanlage ausgefallen. Ein großes Samuraischwert hätte nicht zum Schneiden der Hitze ausgereicht; so sehr stand die Luft.
„Die next song is „Sunny day". Ich weiß, heute war already eine heiße Tag und ich schwitze wie eine piglet", Samu knüpfte sein Hemd auf und ließ seine Augenbrauen tanzen, während die Mädchen in der ersten Reihe laut schrien. Dann drehte er sich um und streifte das Hemd von seinen Schultern.
Darunter trug er ein ebenfalls weißes Muskelshirt.
Schade.
„Sorry girls", zwinkerte er und wendete sich halb von dem Mikrofon ab, „Horst? Können wir haben more air condition? Es ist so hot."
„Moment", hörte man den Ruhrpottler rufen.
„Merkt ihr die air?", fragte er das Publikum.
Alle brüllten durcheinander.
Was sie brüllten, verstand keiner.
Es war ein Kauderwelsch aus „Samu", „ja", „nein" und „oh mein Gott".
Ich jedoch bemerkte die kühle Luft, die plötzlich von oben kam.
Estefania schüttelte sich.
In dem Moment sprang Samu auf sah in unsere Richtung.
„Work?", sprach er sie direkt an.
„Work!", bejahte die Blondine, nickte und reckte die Daumen in die Luft.
„Fine", schmunzelte er ihr noch zu und blieb dann mit seinen blauen Augen plötzlich an mir haften.
Ich stand so versetzt zu ihr, dass der Blick zurück ins Publikum unweigerlich über mich führen musste.
Einige Sekunden schien er die Luft anzuhalten.
„Wenn es wird nicht besser, wir open the doors", rief er, ohne den Blick von mir abzuwenden.
„Allet klar", rief Horst laut.
„Was ich habe gesagt?", Samu strich sich verlegen durch die Haare, ging zurück zu seinem Mikrofonständer und stemmte sich auf den Hocker.
„Sunny day!", rief die Menge.
„Hell, yes", er schmunzelte über beide Ohren und animierte das Publikum mit immer wiederkehrenden „Hey"-Einwürfen, bevor er zu singen begannen.
Der Blick, mit dem er mich angesehen hatte, schien Bände gesprochen zu haben.
Von einem neutralen „was machst du denn hier?" bis hin zu einem verhassten „verschwinde!" war alles dabei gewesen.
Ich drückte die Ellenbogen auf den runden Tisch, legte den Kopf auf den Händen ab und sang einige Passagen mit, wenn ich mich noch an den Text erinnern konnte und hatte den Fokus auf den Bühnenrand gelegt, um nicht nochmal in Samus Fadenkreuz zu landen.
„Ich dachte, du brauchst 'ne Abkühlung", Jan legte plötzlich den Arm um mich und stellte mir eine kalte Sprite vor die Nase.
„Danke", ich freute mich ehrlich über diese Art von Erfrischung und setzte sofort den Flaschenhals an.
„Wie läufts?", flüsterte er in mein Ohr und strich eine Haarsträhne dahinter.
„Alles soweit erledigt. Ich höre jetzt Musik und warte darauf, dass es vorbei ist."
„Auch nett!", entgegnete Jan undeutlich, „dann geht es ja bald endlich nach Hause und ins Bett."
„Wie viel hast du getrunken?", lachte ich, weil ich einen lallenden Unterton hörte.
„Das hier", er hob die Hand, in der er die Flasche hielt, „ist mein viertes. Alles noch im grünen Bereich. Fahren geht noch."
„Du lallst schon", ich kicherte und legte die mittlerweile komplett entknotete Krawatte richtig um seinen Kragen.
„Weil hier drin 100 Grad sind und ich schwitze wie ein Schwein."
„Da bist du nicht der Einzige", ich deutete mit dem Kopf auf Samu, dessen weißes Shirt langsam aber sicher durchsichtig wurde.
„Der Greis", belustigt zeigte Jan auf ihn, „das will doch echt keiner sehen."
„Jan!", schnalzte ich mit der Zunge, „sag das nochmal und die Mädels steigen dir hier auf das Dach."
„Ok", er schloss seinen Mund mit einem unsichtbaren Schlüssel ab und warf ihn metaphorisch, „ich sag nichts mehr."
Während ich souverän mitklatschte und alle Schikanen der Band wie jeder andere Gast auch über mich ergehen ließ, suchte Jan immer wieder meine Nähe. Er küsste meine Haare, zog mich an der Hüfte zu sich und fuhr mit seinen Händen unter mein Shirt. Als ich ihm sagte, dass mir das unangenehm sei, weil einige der Damen schon dumm aus der Wäsche schauten, konnte er sich zusammenreißen und strich nur noch über meine Hände, wenn sie auf dem Tisch lagen.
„Wir haben geändert spontan die Setlist etwas, weil ihr seid so eine supergeile audience", sagte Samu und warf einige seiner Plektren in die Menge, nachdem sie Songs wie „All because of you" und „Fairytale gone bad" performt hatte, „danke Bochum!"
Das Publikum applaudierte und schrie, während ich in die entsetzten Gesichter der Jungs sah.
Diese Änderung war ganz klar nicht abgesprochen.
Samu machte eine Runde auf der Bühne und schien den Jungs den nächsten Song anzukündigen. Raul und Sami nickten, während Osmo sparsam zu mir herunter sah.
„You woke up to hate your life again. Feeling it's all been said and seen today, woke up to fake your smile again. You're not the one; you're not the one", sang Samu, deutete ins Publikum und umklammerte anschließend das Mikrofon mit beiden Händen.
„Das mag ich!", Estefania war total im Fangirlmodus und sang laut mit.
Hätte ich mich durch diesen Song nicht auf den Schlips getreten gefühlt, hätte ich vermutlich auch mitgesungen.
Provokant spielte ich mit Jans Finger und stemmte unsere Ellenbogen auf den Tisch, so dass Samu –für den Fall der Fälle- sehen konnte, dass ich mit meinem Freund da war, mich auch ohne ihn prima amüsierte und nicht auf ihn angewiesen war.
Ich zog Jan einige Male zu mir und küsste ihn inniger, als ich es jemals in der Öffentlichkeit tun würde und schielte anschließend zu Samu, der meinem Blick auswich, als er sah, dass ich ihn anschaute.
„Maybe the diamonds are not for everyone, maybe the lie you live is really all they want", sang er in meine Richtung und schloss anschließend die Augen, „you stay silent, watching all dreams around you fading slowly, slowly, more away from you."
Rikus Solo setzte ein und Samu begann zu tanzen.
Mister I-Don't-Dance schwang die Hüften, drehte sich um die eigene Achse und klatschte in die Hände.
Die Frauen in der ersten Reihe flippten völlig aus und wollten ihm an die Wäsche.
Streckten ihre Hände in die Luft, an dem Mann von der Security vorbei, der sich keinen Zentimeter rührte.
Nach der kleinen Tanzeinlage und der letzten Strophe ließ Samu sich auf den Hocker fallen und fuhr sich durch die angeklatschten Haare.
„Guys", atmete er laut in das Mikrofon, „last song of the night."
Die Masse buhte.
„Morgen wir müssen sein in Cologne. Wer ist da?"
Allgemeines Gekreische.
„Oh. Really all? Außer die dudes von die Zeitung on the right side", deutete er lachend auf Estefania und mich, weil wir nicht reagierten und wandte sich wieder dem Publikum zu „do you remember „Bye bye"?"
Wieder allgemeines Gebrüll der weiblichen Fanfraktion.
Jan hielt mich im Arm, während Samu die Zeilen des letzten Songs des Abends voller Elan herunter sang.
Er umgarnte jede einzelne Frau mit seinem Charme und Sexappeal und zwinkerte den Mädels vereinzelt zu und benahm sich wie ein Platzhirsch. Als würde er sie zu einer Nacht in seinem Hotelzimmer überreden wollen.
„Find someone who is sick enough for you, thank you!", rief er laut, trommelte die Jungs vorne zusammen, verbeugte sich und verschwand ohne eine Zugabe sofort hinter der Bühne.
Kurz und schmerzlos.
„Willst du im Auto warten?", fragte ich Jan, als sich die ersten Fans auf den Weg zum Ausgang machten.
„Ich hab 'n Backstagepass", seine Stirn warf Falten, „natürlich warte ich nicht im Auto! Wenn ich schon mal hier bin, will ich auch was davon haben."
„Ich warte, bis der erste Trubel vorbei ist und gehe rauchen", grinste Estefania.
„Ok", nickte ich ihr zu, nahm Jan an die Hand, ging zu dem Mann der Security vor der Bühne und zeigte ihm meinen Pass.
„Ohne Bier", brummte er, warf den Kopf zur Seite und ließ uns passieren.

Just friends?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt