Er machte mich vollkommen

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Ich sah aus dem Fenster, während Samu uns zum Flughafen fuhr. Der Winter bestimmte auch jetzt –Anfang Februar- immer noch das Klima in Helsinki. Umso mehr freute ich mich über die Tatsache, für einige Tage den Schnee und die Finsternis hinter mir lassen zu können und ein wenig deutsche Sonne zu genießen; denn nichts anderes war für die kommende Woche vorhergesagt.
Direkt an dem Tag nach Neujahr hatten wir beide angefangen, wieder Vollzeit zu arbeiten. Samu flog nach Stockholm, um mit den Jungs im Studio zu arbeiten, während ich einige Nächte in Deutschland verbrachte, um die Locations für Niilas Konzerte zu organisieren. Zugegeben; das Gefühl, ohne Samu in meiner Wohnung zu schlafen, war befremdlich und komisch. Aber wir skypten miteinander, wenn es sein Terminplan zuließ; denn ich musste abends nicht noch zu irgendwelchen Terminen mit Geschäftspartnern. Ich verbrachte die abendlichen Stunden mit Julian und meinem Bruder im Bochumer Bermudadreieck oder bei meinem Vater, der sich alle Mühe gab, mir einen schönen Aufenthalt zu ermöglichen. Jeden Abend kochte er frisch und servierte zum Nachtisch Eis, selbstgemachte Schokoladenkugeln oder Zimtschnecken. Am Tag meiner Abreise hatten sie mich zusammen zum Flughafen gebracht. Von meiner Mutter und Leni hatte ich nichts gehört. Aber mit nichts anderem hatte ich gerechnet. Und vor allem hatte ich nichts anderes erwartet.
Zu Hause in Helsinki hatte Samu mich voller Vorfreude erwartet. Wir hatten uns zwei Wochen nicht gesehen und ich hatte festgestellt, dass wirklich etwas mehr als nur ein kleiner Teil von mir fehlte, wenn er nicht in meiner Nähe war.
Er machte mich vollkommen.
Auch, wenn ich oft an die Silvester und das Kokstütchen denken musste.
Auch jetzt. In genau diesem Moment.
Nach dem ganzen Hin und Her mit Samu hätte ich mir denken können, dass bei dem Zusammenstoß unserer zwei Lebenswelten soetwas irgendwann passieren würde. Sie waren so verschieden gewesen, dass ich damit eigentlich hätte rechnen müssen. Denn Samu war kein Bürohengst oder ein Angestellter im Tierheim. Dass es leicht für ihn war, an Drogen heranzukommen, lag auf der Hand. Genauso wie die Tatsache, dass es ihm mit Sicherheit schwer gefallen war, „nein" zu sagen, wenn jemand mit einem Tütchen vor seiner Nase herumfuchtelte oder weil er selbst Leute kannte, die regelmäßige Konsumenten waren. Natürlich wollte ich nicht, dass Samu Drogen nahm. Wer wollte das von seinem Freund schon? Rückblickend konnte ich mir vorstellen, dass es in den letzten Jahren bestimmt Situationen gab, in denen er etwas genommen hätte, wenn er die Möglichkeit bekam. Aber ich war mir sicher, dass er es nicht genommen hatte, während wir zusammen waren. Er hatte kein Problem. Kritisch war ich an jenem Abend dennoch gewesen.
„Hei", Samu legte seine Hand auf meinen Oberschenkel, „what's going on? Was du denkst? Es ist wegen die drugs noch, right?"
Beänstigend, wie gut er mich kannte.
„Ich vertrau dir", ich legte meine Hand auf seine.
Und das tat ich. Voll und ganz.
„Hei", er streichelte mein Bein und schielte zu mir, „ich verstehe das. Don't worry. Really. Es war just diese eine Mal. Du musst keine Angst haben, dass ich nehme wieder."
„Ich vertrau dir", sagte ich wieder und lächelte, „voll und ganz."
„Ich bin stupid. Now I know that. But ich wollte nicht sein eine liar for you. Und du musst nicht sein scared. I promise, dass es war nur diese eine Mal."
Er musste sich gar nicht weiter rechtfertigen.
Ich glaubte ihm.
Und ich liebte ihn.
„Ich vertraue dir, Samu", wiederholte ich nochmal und küsste seine Wange, „und ich freu mich sehr auf die Tage in Berlin."
„Ich mir auch", grinste er und sah wieder konzentriert auf die Straße.


Emma war kurz nach dem Start an meiner Schulter lehnend eingeschlafen. Vermutlich hatte sie sich langsam daran gewöhnt, die Zeit zwischen zwei Terminen sinnvoll zu nutzen. Die Zeit, in der wir getrennt waren, um zu arbeiten, war schwierig für mich. Ich vermisste sie sehr. Umso größer war die Freunde, als ich sie vom Flughafen abholte und wir den Abend bei einem Glas Wein miteinander ausklingen ließen. Emma distanzierte sich zwar nicht von mir; aber dennoch bemerkte ich, dass sie etwas beschäftigte.
Ich konnte nicht mehr tun, als sie immer wieder zu beruhigen und ihr zu versprechen, dass es nicht mehr dazu kommen würde. Es war dumm von mir gewesen und es tat mir aufrichtig leid.
Und ich schätzte es sehr, dass sie mir vertraute.
Doch jetzt standen erstmal einige freie Tage in Berlin an. Ein Freund, den ich in meiner Zeit als Juror bei The Voice of Germany kennengelernt hatte, feierte seinen 40. Geburtstag. Natürlich nahm ich mir die Zeit dafür. Selbstverständlich auch, weil Emma und ich ein paar Tage alleine gut gebrauchen konnten. Zu meiner eigenen Verwunderung hatte ich die drei Tage gut durchgeplant, ohne, dass wir uns stressen mussten. Dass ich überhaupt etwas erfolgreich geplant hatte, ließ mich stutzig werden. Denn eigentlich war Organisation gar nicht mein Steckenpferd. Ich wollte mit Emma ins Gym, hatte ihr eine Massage für den Tag der Abreise gebucht und wollte mit ihr die Dampfsauna testen, damit wir gut gelaunt und erholt zurückfliegen konnten.
In Berlin gelandet, bestellte ich ein Taxi über die TaxiApp, die ich seit Jahren hatte und bei jeder Gelegenheit nutzte.
„Du hast gar nicht gesagt, wo wir schlafen", merkte Emma an, als sie sich den Gurt umlegte.
„Das ist eine surprise, lady."
„Aha?", sie lehnte sich zu mir herüber und küsste mich kurz, „eine suprise also."
„Yes", nickte ich und konnte nicht abwarten, ihr Gesicht zu sehen, wenn sie sah, wo wir schliefen.
Ich war ständig Gast in diesem urbanen Hotel. Es hatte Charme und war während der ganzen Zeit mit Sunrise Avenue und The Voice of Germany fast ein zweites Zuhause geworden. Hier konnte ich mich frei bewegen und musste keine Angst haben, dass irgendwelche verrückten Fans auch Gäste waren. Niemand starrte mir morgens meinen Joghurt weg und niemand durfte mich fotografieren, wenn ich ihn aß.
Der Mercedes fuhr an Berliner Großmarkt vorbei, durch den Ortsteil Moabit und immer weiter die Straße runter, bis wir die Torstraße erreichten und auf einen Hinterhof fuhren.
Emma stieg aus und sah an dem Gebäudekomplex hoch, während der Fahrer und ich die Koffer auf dem Kofferraum hievten.
„Verarsch mich nicht", brachte sie hervor.
„What? Once in a lifetime man muss sein hier for eine paar nights", lachte ich.
„Aber hier?", sie breitete die Arme aus und sah mich an, „hier?"
Ich bezahlte den Taxifahrer und zog Emmas Koffer neben meinem her, bevor ich ihn neben sie stellte.
Sie grinste.
Wie ein Honigkuchenpferd.
Ganz eigennützig hatte ich bei der Auswahl des Hotels nicht gehandelt. Ich wusste, dass Emma schon immer mal hier einchecken wollte. Ich hatte ihr von dem tollen Service und der Atmosphäre unter den Menschen erzählt; ganz zu schweigen von dem tollen Essen und der Aussicht über der Stadt.
„Kann ich?", schmunzelte sie breit.
„Yes", nickte ich zufrieden, „say it, lady."
„Hello Soho!"

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