Eindeutig

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Nachdem ich die Einkäufe für meinen Geburtstag verstaut hatte und die erste Dekoration in Form von Halloweengirlanden und Spinnennetzen überall in der Wohnung verteilt hatte, begann ich, den ersten Kürbis meines Lebens auszuhöhlen. Aus dem Inneren wollte ich Kürbissuppe kochen und den Korpus als nette Dekoration für einen der leeren Blumenkübel vor meiner Haustür zu benutzen. Gerade als ich die Augen in den Kürbis schnitzte, gab mein Handy, das auf dem Sofa im Wohnzimmer lag, die SMS-Melodie von sich. Glücklich über diese Ablenkung, legte ich das Schnitzmesser zur Seite, krempelte die Ärmel meines Pullovers herunter und ging ins Wohnzimmer.
„Hey lady", mit einem Grinsen auf den Lippen ließ ich mich auf die Couch sinken und setzte mich in den Schneidersitz, „leider ich schaffe nicht zu deine birthday."
Ich sah auf.
Senkte den Kopf wieder.
Sah nochmal auf den Anfang der Nachricht.
„Leider ich schaffe nicht zu deine birthday", las ich laut, „ich have a lot Arbeit. Ich kann nicht weg before Monday. I'm really sorry for that. Don't hate me please. Wir sehen us bald. Have a nice day, lady. Take care. S."
Wieder sah ich auf.
Und wieder senkte ich den Kopf.
Die Wochen vor meinem Geburtstag waren wunderbar gewesen. Samu und ich telefonierten viel, skypten einen Sonntag lang und kochten sogar so gemeinsam. Er begleitete mich durch meinen Alltag und ich konnte beim besten Willen nicht abstreiten, dass ich dieses Gefühl nicht schön fand.
Und jetzt?
Jetzt machte er einen Rückzieher.
Schon wieder.
Ich hatte gehofft, dass genau das nicht der Fall sein würde. Die ganze Zeit über hatte er nicht den Eindruck gemacht, als wollte er dieses Treffen nicht auch. Natürlich musste er zwischendurch immer wieder ins Studio, zu Mikko, zu Jukka; arbeiten halt. Aber das musste ich auch.
Bevor ich antwortete, sperrte ich die Tasten und legte das Smartphone erstmal zur Seite. Mit angewinkelten Knien starrte ich von einer Gespenstergirlande zur nächsten, von einer Plastikspinne zum mit Halloweenservietten dekorierten Esszimmertisch.
Wieder nahm ich das Handy in die Hand, entsperrte das Display und fing an, in Samus Chatfenster herumzutippen.
„Hei, schade."
Gelöscht.
„Hei. Ok."
Gelöscht.
„Hei. Bis bald dann."
Gelöscht.
„Schade, dass es nicht klappt."
Gelöscht.
„Ich finds richtig doof, dass du nicht kommst. Aber wenn du nicht von der Arbeit weg kannst, dann gehts nicht. Hab einen schönen Abend."
Gelöscht.
Wieder schweifte mein Blick über die Dekoration.
„Du kannst dir nicht vorstellen, wie sauer ich bin, dass du wieder nicht den Arsch in der Hose hast, mir einfach zu sagen, dass das zu viel für dich ist und das dich das alles belastet und das du das nicht willst. Ich war schon wieder so doof und hab dieses tolle Gefühl, was ich nur bei dir fühle, zugelassen. Jetzt sitz ich hier und warte auf meine Freunde und Eltern. Obwohl ich mich so wahnsinnig auf dich –NUR auf dich!- gefreut hab. Ich hätte wissen müssen, dass es einen Haken gibt. Du wolltest dich entschuldigen und dich dann langsam wieder verpissen. Das läuft so nicht, Samu. Werd endlich mal erwachsen und sag den Leuten, wenn du sie scheiße findest."
Gelöscht.
Ich schüttelte den Kopf und lehnte ihn an das Polster hinter mir.
Das war ich nicht.
So war ich nicht.
Samu hätte nach unseren unzähligen Telefonaten die Wahrheit gesagt. Da war ich mir sicher. Zumindest hoffte ich, mir sicher zu sein. Er hatte nicht verdient, dass ich ihm mit so viel Misstrauen gegenüber trat.
„Hei Mister, alles ok. Wenn man in Arbeit erstickt, dann geht das manchmal nicht anders. Bis bald, E."
Abgeschickt.
„See you soon!!!!!", antwortete er.
Das hoffte ich.
Sehr.
Ich nahm das Smartphone mit in die Küche und widmete mich wieder dem Kürbis. Lustlos schnitzte ich große, runde Augen hinein und aus einer Laune heraus einen Mund, der nur nach Reißzähnen aussah. Als ich fertig war, sah ich auf die Uhr des Handys.
20.04 Uhr.
Es war eindeutig zu früh für das Bett.
Also bereitete ich den Teig für die Muffins und alles andere schon mal vor, so dass ich am Morgen dem Backofen die ganze Arbeit überlassen konnte, während ich mich schminkte und mein Kostüm zurechtlegte. Ich hatte mich für ein Zombieschulmädchenkostüm entschieden, das ich selbst noch irgendwie aufhübschen wollte. Dafür hatte ich mich extra in einem Karnevalsshop in der Innenstadt umgesehen und mein Konto ausgereizt. Latex, Gesichtswachs zum Modellieren, Theater-blut und –schminke und Kontaktlinsen, die das komplette Auge abdunkelten. Was alle anderen trugen, wusste ich nicht. Das war ein wohlgehütetes Geheimnis.
Nach getaner Arbeit setzte ich Teewasser auf und verzog mich mit einer Wolldecke auf die Couch.
21.34 Uhr.
Meine Lieblingsserie hatte ich verpasst. Noch besser konnte der Abend nicht werden. Kurzerhand entschloss ich mich, einfach ins Bett zu gehen. Ich nahm das Handy vom Wohnzimmertisch, legte die Fernbedienung in die Ritze des Sofas, schaltete das Licht aus und verschwand in die Decke gehüllt im Schlafzimmer. Ich hörte noch das Ploppen des Wasserkochers, störte mich aber nicht weiter daran. Den Wecker stellte ich auf 10.00 Uhr, damit ich noch genug Zeit hatte, die kleinen Küchlein in den Ofen zu schieben und das Fingerfood anzubraten. Als ich im Bett lag, scrollte ich mich nochmal durch diverse soziale Netzwerke und wollte das Smartphone gerade auf den Nachtisch legen, als es in meiner Hand zu vibrieren begann.
Unbekannter Teilnehmer.
„Holmberg?"
„Temme, guten Abend."
„Hallo."
Er hatte mir gerade noch gefehlt.
Das brauchte ich jetzt wirklich nicht.
„Wie gehts dir?"
„Gut", ich streckte mich, „dir?"
„Ja, auch. Und? Bist du aufgeregt?"
„Sollte ich?"
„Ja? Du hast schließlich in weniger als drei Stunden Geburtstag."
„Wow", gähnte ich, „Wahnsinn."
„Ist irgendwas?"
„Ich bin müde von der Vorbereitung."
„Hast du wieder keine Kosten und Mühen gescheut?"
„Für euch nur das Beste, weißt du doch", rollte ich die Augen .
„Gibt es auch Gemüsesticks?"
„Wofür?"
„Damit meine Süße ihre Figur behält", lachte er.
„Du bist so witzig", gab ich ironisch zurück und schloss die Augen.
Ekelpaket.
„Du bist aber auch empfindlich."
„Mach doch einfach mal Witze auf deine Kosten. Wie wärs damit?"
„Tut mir leid", sagte er kleinlaut, „das war nicht fair."
„Nein, war es nicht", ich atmete einige Male laut aus und wechselte dann schnell das Thema, um nicht vollkommen auszuflippen, „wann seid ihr morgen hier?"
„Ich fahr morgen ganz früh von meinen Eltern los und komm dann am Abend mit Marius und dem Rest rum. Ich freu mich so auf dich."
„Uhrzeit?"
„Passt dir 18.00 Uhr?"
„Ja", nickte ich, „Leni und Marius müssen sowieso arbeiten."
„Oder brauchst du noch Hilfe?"
„Warum?"
„Dann komm ich eher und helfe dir noch."
„Wenn ich Hilfe brauche, frag ich jemanden, der keine zwei linken Hände hat", lachte ich, „danke."
„Sag nochmal, ich würde Witze auf deine Kosten machen", grölte Jan in den Hörer, als ich im Hintergrund ein lautes Hupen vernahm, „Arschloch!"
„Bitte?"
„Der Pisser hat mir die Vorfahrt genommen", fluchte Jan, „blöde Sau!"
„Wow, komm mal runter."
„Wieso fährt er denn einfach? Mach ich doch auch nicht! War ja klar, dass er einfach weiterfährt! Prolet mit seinem BMW! Arschloch!"
„Jan!", ich versuchte, seinen Redefluss zu stoppen, „ich geh jetzt schlafen."
Ich wollte mir das nicht mehr länger anhören.
Allein sein ewiges Genörgel über mein Gewicht ging mir tierisch auf den Wecker. Ich hatte kein einziges Gramm zugenommen, seitdem ich mit ihm zusammen war. Und doch stichelte er mich damit immer wieder an.
„Arschloch!", wiederholte er.
„Gute Nacht!"
„Blödmann!", keifte er, „was? Gute Nacht?"
„Ja. Ich geh schlafen, ich bin müde."
„Schlaf gut", seine Stimme wurde wieder ruhiger, „wir sehen uns morgen. Ich freu mich auf dich. Dein Geschenk musst du auch später auspacken. Das müssen deine Eltern nicht sofort sehen. Das ist nicht jugendfrei."
„Die kommen nicht", unterrichtete ich ihn, „die wollen sich die Blöße nicht geben und mit uns jungen Hüpfern da sitzen."
„Sondern?"
„Was sondern?"
„Kommen die gar nicht."
„Ich geh mit denen nächste Woche brunchen."
„Wer sagte denn, dass sie nicht mit uns da sitzen wollen? Deine Mutter?"
„Nein, mein Vater."
„Achso."
„Bis morgen, ja?", ich wollte ihn schnell abwürgen.
„Bis dann, ich liebe dich!"
„Tschüss", sagte ich sofort, legte auf und ließ meinen Arm auf die Zudecke fallen.
Ich wusste gar nicht mehr, für wen ich diese Party überhaupt veranstaltete. Nachdem Samu mir abgesagt hatte, schien das irgendwie sinnlos. Natürlich wollte ich feiern und –um Gottes Willen- hing mein Seelenfrieden nicht mit ihm zusammen. Trotzdem wäre es schöner gewesen, wenn er gekommen wäre. Ich wollte ihn dabei haben, um ihn wieder um mich zu haben und um ein für alle Mal deutlich zu machen, dass er zu meinem Leben dazu gehörte. Eben genau wie Daniel oder Leni. Auch, wenn ich dafür böse Blicke geerntet hätte.
Diese Entscheidung hatte Samu mir aber abgenommen. Mein Geburtstag sollte nicht der Anlass sein. Wenn es überhaupt jemals einen Anlass dafür geben sollte.
Meine engsten Freunde sollten einfach nur wissen, dass er wieder da war. Und dass ich ihn auf keinen Fall wieder gehen lassen wollte.
Ein weiteres Mal öffnete ich den Nachrichtenverlauf von Samu und mir und begann zu tippen:
„Ich hätte dich wirklich gerne hier gehabt. Ich vermiss dich. Sehr."
Abgeschickt.
Keine Minute später kam die Antwort.
„Ich bin so sorry, Medusa. Next time ich bin da. Really. Ich versprechen!"
Ich sperrte die Tasten, platzierte das Handy neben meinem Kopf, damit ich den Wecker auf keinen Fall überhörte und drehte mich auf die Seite.


Das Vibrieren des Telefons in unmittelbarer Nähe meines Ohres riss mich aus dem Schlaf. Ich hatte das Gefühl, gerade erst in die Welt der Träume abgedriftet zu sein. Mit schmerzverzerrtem Gesicht setzte ich mich auf, rieb mir die Augen und nahm ab, als es gleichzeitig an der Tür klingelte.
„Ja bitte", murmelte ich müde, setzte mich auf die Bettkante, den Kopf in einer Hand vergraben.
„Happy birthday to you, happy birthday to you, happy birthday liebes Emmchen, happy birthday to you!", sang Jan schief.
„Oh", ich lachte unsicher, „danke."
Wieder die Klingel.
Ich schaltete die Nachttischlampe an.
„Ich liebe dich und wünsch dir jetzt schon alles Gute zum Geburtstag!"
„Danke!"
„Ich hoffe, dass wir heute einen ganz tollen Tag haben und du dich wohlfühlen wirst."
„Danke", wiederholte ich nochmal.
„Ich freu mich sehr."
„Ja."
„Ich freu mich so sehr auf später", wiederholte er euphorisch zum 1000 Mal an diesem Abend, „ich freu mich auf unser Wiedersehen!"
„Ja ist ja gut", ich schüttelte den Kopf.
War er betrunken?
So viel Freude konnte ein Mensch gar nicht empfinden. Vor allem nicht, wenn sein Gefühlsreichtum auf einen winzigen kleinen Teelöffel passte.
Wieder klingelte es.
„Ja doch!", schrie ich schmatzend und zupfte meinen Spaghettipyama gerade, als ich aus dem Schlafzimmer schlurfte, „ich komme schon!"
„Was? Wohin?"
„Was?"
„Wohin du kommst?"
„Ich leg auf. Es hat geklingelt."
„Es hat geklingelt?", ich meinte, ein Grinsen ins Jans Stimme zu hören.
„Ja."
„Na dann."
Eindeutig.
Ein Lachen war nicht zu überhören.
Ich wurde das Gefühl nicht los, dass irgendetwas nicht stimmte. Ich versuchte, ohne das Licht im Flur anzuschalten, irgendetwas durch das milchige Glas der Scheibe in der Eingangstür etwas zu erkennen.
Vergebens.
„Pass auf, dass du nicht stolperst", sagte er.
„Jaja."
Mir stockte der Atem.
Jan stand jetzt nicht wirklich vor meiner Tür, oder?
Das Hupen im Auto, der pünktliche Anruf, verbunden mit dem pünktlichen Klingeln an meiner Wohnungstür.
„Süße", begann Jan erneut, „ich leg dann auf, ja? Ich muss ja morgen so früh raus und du scheinst auch gerade nicht auf der Höhe zu sein."
„Jaja, du mich auch, danke für deinen Anruf", entgegnete ich.
„Bitte?", lachte Jan laut, „du mich auch?"
„Schon gut", sagte ich, drückte den roten Hörer und riss die Haustür auf.

Just friends?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt