Prolog

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Gedankenverloren stopfte Eve einige ihrer Klamotten in einen kleinen Koffer. Sie würde nur mit diesem winzigen Gepäckstück und einem fast genauso großen Trolley als Handgepäck von Madrid nach Miami reisen. Eigentlich wäre es besser gewesen sofort nach Fort Myers zu fliegen, weil das Haus ihrer Schwiegereltern nur wenige Kilometer von dem örtlichen Flughafen entfernt lag. Da der Direktflug nach Miami aber weniger Zeit in Anspruch nahm, hatte sie sich dennoch für Miami als Ziel entschieden. Auch wenn sie dann noch einige Zeit mit den Auto fahren müsste. Eigentlich wollte sie nie mehr zurück nach Florida, aber das konnte sie sich nun mal nicht aussuchen. Außerdem würde das hoffentlich ohnehin ihre allerletzte Reise in die USA sein. Ein letztes Mal musste sie ihrem Ex-Ehemann noch unter die Augen treten, nur um ihren rechtmäßigen Besitz untereinander aufzuteilen. Dann würde sie endgültig frei sein. Beinahe hätte sie gelacht. Frei sein, was bedeutete das schon? Sie war doch die ganze Zeit über frei gewesen, denn ihr Ex-Mann hatte sie ohnehin immer sich selbst überlassen und war niemals da gewesen. Jedoch hatte sie ihre Freiheit nicht so ausgelebt, wie er seine. Viel zu spät war sie dahinter gekommen, an welchen Einsätzen er wirklich arbeitete, während er vor ihr den liebevollen Ehemann mimte. Sie hatte ihm geglaubt, als er vorgab vollkommen uneigennützig sein Land zu verteidigen, indem er sich jahrelang dazu verpflichten hatte lassen, an einem US-Stützpunkt an der Grenze Rumäniens zu dienen. Die Army war auch der Grund gewesen, warum sie sich überhaupt erst kennengelernt hatten, wurde David doch vor seiner Verpflichtung in Rumänien, für ein Jahr an eine Außenstelle in Spanien versetzt, und war ihr dabei ganz zufällig über den Weg gelaufen. Zu gerne hätte Eve das jetzt rückgängig gemacht. Ihre Ehe war ein einziger Reinfall gewesen und sie fühlte sich, als hätte sie versagt. Alles hatte sie für diesen Mann aufgegeben. Sie war sogar mit Sack und Pack nach Florida in das Haus ihrer Schwiegermutter gezogen. Wie blöd konnte man auch sein? War das nicht schon ein sicheres Zeichen dafür, dass es niemals funktionieren konnte? Mit dem Schwiegerdrachen unter einem Dach und das auch noch, die meiste Zeit, vollkommen alleine.

Warum ihr Ex-Mann noch bei seinen Eltern wohnte? Weil er natürlich ohnehin nie zuhause war, genau wie sein Vater, der die meisten Tage auf Sauftour verbrachte und seiner Ehefrau damit weitere Gründe lieferte ihre Wut an Eve auszulassen. David, ihr Ex, bekam von alldem natürlich nichts mit. Immerhin befand er sich über 300 Tage im Jahr im Einsatz in Rumänien. Jedoch bezweifelte sie, dass das der einzige Grund war. Er wollte auch gar nichts mitbekommen. Es war nicht so, als hätte Eve nicht von Anfang an gewusst worauf sie sich einließ, wenn sie David heiratete, aber sie hatte seinen Versprechungen geglaubt, die er ihr bei ihrer Hochzeit gegeben hatte. Er war ein Lügner gewesen, der behauptete, dass dieser der letzte Vertrag gewesen wäre, den er mit der Army schließen würde. Anfangs war es nur ein Vier-Jahres-Vertrag gewesen. Vier Jahre, in denen sie ihn nur zu ausgewählten Feiertagen sehen konnte. Sie dachte, das würde ihre Liebe überstehen. Erst als sie nach dieser langen Zeit, beim Aufräumen, zufällig, die Unterlagen für ein weiteres Zwei-Jahres-Abkommen mit dem amerikanischen Militär gefunden hatte, war sie misstrauisch geworden. Ihrem Mann war es scheinbar nur recht so weit von ihr entfernt zu sein.

Aber das war nicht das einzige Problem, er hatte offensichtlich auch Geheimnisse vor ihr. Schon zu diesem Zeitpunkt fragte sie sich, warum er sie damals überhaupt heiraten wollte. Doch das waren nicht die einzigen Gedanken die sie quälten. Das Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter war während der Abwesenheit Davids immer schlechter geworden, und plötzlich zog sie doch sein Angebot in Betracht, welches er ihr von Beginn an gemacht hatte. Nun war es plötzlich doch eine Option eine Weile mit ihm nach Rumänien zu kommen. Bukarest um genau zu sein. Hätte sie das bloß mal nicht gemacht. Aber was hatte sie schon für eine andere Möglichkeit? Sie wollte ihrer Ehe eine Chance geben. Wie dumm konnte man sein? Dabei waren all die Anzeichen doch so offensichtlich gewesen. Eve konnte nur den Kopf über sich selbst schütteln, nachdem was sie jetzt wusste. Eindeutig war sie zu jung und naiv gewesen um die Zeichen zu erkennen, die es im Überfluss gab und die ganz offensichtlich belegten, dass die heile Beziehung, in der sie dachte zu leben, nur in ihrem Kopf existierte.

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