Kapitel 38

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„Daniel, würdest du mir bitte erklären, was das alles zu bedeuten hatte?", fragte Eve, als sie das Tattoostudio nach getaner Arbeit verließen. „Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du Sam kennenlernst. Eigentlich wollte ich sie selbst auch nicht wiedersehen. Das ist einfach scheiße gelaufen, aber wir haben jetzt unsere Tattoos und sollten es einfach dabei belassen." Hastig wandte er den Blick ab, griff aber trotzdem nach ihrer Hand, um sie vom Studio wegzuziehen. Sie hatten sich schon ein ganzes Stück entfernt, als sie empört schnaubte. Er wollte es dabei belassen? Nach all den Beschimpfungen, die ihr diese Frau an den Kopf geworfen hatte, wollte er ihr nicht mal erklären, warum sie das gemacht hatte? Abrupt blieb Eve stehen und befreite ihre Hand aus seinen Fingern. Drei Schritte vor ihr hielt auch Daniel an. Natürlich hatte er gefühlt, wie schlecht es Eve ging, während sie in diesem Studio gewesen waren, aber er wollte sich den Kopf nicht mehr über diese intrigante Tätowiererin zerbrechen müssen. Unsicher drehte er sich um und seufzte dann laut. Seine Stimme klang genervt und unfreundlich. „Ich habe wirklich keine Lust über Sam zu sprechen. Also komm wieder runter, Evelyn", fauchte er sie an. „Du hast keine Lust über sie zu sprechen?", wieder schnaubte sie laut. Dachte er denn wirklich sie würde das alles einfach so stehen lassen? „Das wirst du aber müssen, Daniel und zwar sofort. Falls du es nicht bemerkt hast, hat sie mich mehrmals beschimpft. Sie hat mich nicht nur eine Tussi, sondern auch eine Schlampe genannt. Scheinbar war dir das aber ziemlich egal, denn du hast nicht mal den Anschein gemacht, als wolltest du mich verteidigen." Sie zwinkerte mehrmals, um die Tränen zurückzuhalten, die ihr in die Augen stiegen. „So ist das doch gar nicht. Du machst aus einer Mücke einen Elefanten, Eve." Er stöhnte laut auf, als wäre ihr verhalten vollkommen übertrieben. „Wir beide werden diese Frau ohnehin nicht wiedersehen, deswegen ist es doch scheißegal was sie gesagt hat. Ignoriere sie einfach."

Daniel drehte sich wieder um und lief, ohne auf Eve zu warten, weiter in die Richtung ihres Hotels. Das konnte nicht sein ernst sein. Vollkommen überrumpelt stand Eve da und blickte ihm nach. Fast hätte sie erwartet, dass er sich jeden Moment wieder an sie wenden und sich entschuldigen würde, aber stattdessen ging er einfach geradeaus. Eine Träne rollte ihr über die Wange. Wollte er nun etwa, dass sie ihm nachlief? Auf diesen Scheiß hatte sie bestimmt keinen Bock. Wenn er glaubte, dass er sie so behandeln konnte, war er auf dem falschen Dampfer. Denn eines hatte sie sich schon vor einem Jahr geschworen: Ein Mann würde nie wieder so abwertend mit ihr umspringen. Entschlossen drehte sie sich um und stapfte in die entgegengesetzte Richtung. Auch wenn es ihr schwerfiel, schaffte sie es, nicht zurückzublicken. Wo sie hinwollte, wusste sie zwar nicht, aber sie war in Miami, irgendetwas würde sich schon finden, was sie machen konnte, um Daniel für ein paar Stunden aus dem Weg zu gehen. Unwillkürlich liefen ihr ein paar weitere Tränen über die Wangen, die sie sich jedoch sofort wegwischte, als sie bemerkte wo sie angelangt war. Ohne nachzudenken war sie einfach geradeaus gelaufen und jetzt wieder dort angekommen, wo sie eigentlich nur wegwollte. Dort, wo der Ursprung ihres Problems lag. Sansabi Tattoo, stand in großen Lettern an der Tür. Als würde das nicht schon reichen, befand sich jetzt auch noch Samantha in ihrem Blickfeld, am Gehsteig vor dem Studio. Sie unterhielt sich angeregt mit Johnny. Jedoch nur bis die beiden Eve bemerkten. Sofort wollte sie kehrtmachen, jedoch hatte sie keine Lust Samantha diese Genugtuung zu geben. Erhobenen Hauptes Schritt sie auf die beiden zu, betend, dass sich in dieser Richtung irgendetwas befand, wo sie hinlaufen konnte. Würde es sich hier nämlich um eine Sackgasse handeln, müsste sie sogar noch ein zweites Mal bei ihnen vorbei. Ihr Handy vibrierte in ihrer Hosentasche und sofort war sie erleichtert, dass sie jetzt noch nicht mal mit den beiden Tätowierern sprechen musste. Jedoch änderte sich das, als sie sah wer anrief. Dans Name leuchtete auf ihrem Display. Beinahe hätte sie laut aufgestöhnt. Wie konnte dieser Tag nur innerhalb weniger Stunden in eine Katastrophe ausarten? Genervt drückte sie den Anruf weg. „Na, Ärger im Paradies?", vernahm sie dann auch noch Samanthas herablassende Stimme. „Lass sie in Ruhe!", fauchte Johnny seine Kollegin an, „Wolltest du nicht gerade gehen?" Sam schenkte ihm ein hinterfotziges Lächeln. „Verschwinde endlich!", befahl er ihr und zu Eves Erleichterung, wechselte sie wirklich die Straßenseite und entfernte sich vom Studio. „Komm!", sagte Johnny und hielt ihr dabei die Glastür zu seinem Studio auf. „Was ist passiert?", fragte er dann. „Ist es denn so offensichtlich, dass etwas passiert ist?", stellte sie eine Gegenfrage, während sie seiner Einladung nachkam. „Du siehst so aus, als hättest du gerade noch geweint", antwortete er. „Na toll. Das ist bestimmt auch Samantha nicht entgangen." „Mach dir keine Gedanken über sie. Es ist doch vollkommen egal, was sie denkt. Also los, erzähl! Was hat Daniel dir getan?", wollte er wissen. „Nichts!", antwortete sie, „Aber das ist auch irgendwie das Problem." Wie schon vorhin, ging Johnny zu seiner Kaffeemaschine und bereitete einen weiteren Cappuccino zu. „Was meinst du damit?", fragte er, während er die Milch unter den Aufschäumer stellte. Sie seufzte laut: „Ich wollte einfach nur wissen, warum er mich nicht verteidigt hat, als Sam mich als Schlampe, und was weiß ich noch alles, bezeichnet hatte. Aber er ist meinen Fragen nur ausgewichen." Vorsichtig verschränkte sie die Finger ihrer Hände und blickte dann zu Boden. „Weißt du, meine Vergangenheit war geprägt von Betrug. Mir ist klar, dass ich manchmal ein wenig überreagiere, aber er kennt meine Geschichte und er weiß auch, wie sehr ich darunter leide. Warum sagt er mir denn nicht einfach, was da zwischen ihm und Samantha läuft?" „Da läuft nichts, Eve", beruhigte Johnny sie, „Es stimmt, dass da mal etwas gelaufen ist, aber das war niemals etwas Ernstes. Wie ich dir vorhin schon gesagt habe, weiß ich nicht, warum Daniel ihr etwas zu schulden scheint, genauso wenig wie ich weiß, womit sie ihn unter Druck setzt, aber ich bin sicher, das Alles hat nichts mit dir zu tun. Samantha ist eine durchtriebene, kleine Schlampe, die Dan nur deshalb will, weil sie ihn nicht haben kann." Er stellte ihr den Cappuccino vor die Nase und legte seine Hand dann auf ihren Unterarm. „Weißt du was, ich erzähle dir alles, was ich über damals weiß. Dann wirst du sehen, dass die Dinge zwischen den Beiden immer vollkommen unverfänglich waren. Er hat sie nicht einmal so angesehen, wie er dich ansieht." Eve schnaubte laut, diese Aussage ließ sie zwar wieder Hoffnung schüren, jedoch verdrängte es nicht die Tatsache, dass sie es nicht ausstehen konnte, wenn etwas zwischen ihnen stand. Bisher hatte sie immer das Gefühl, dass sie vollkommen aufrichtig zueinander waren und das es keine Geheimnisse zwischen ihr und Dan gab. Und plötzlich war diese Samantha gekommen und hatte diesen Umstand ihrer Beziehung einfach zunichte gemacht. Sie hasste diese Frau. Womit hatte sie es überhaupt verdient, sie kennenlernen zu müssen?

Fragend blickte sie zu Johnny, der leicht mit den Schultern zuckte: „Ich bin sein Freund und will ihm keinesfalls in den Rücken fallen, aber damals, vor ungefähr fünf Jahren, als er begonnen hatte sich all die Bilder auf seinen Körper stechen zu lassen, ist er eines Tages in meinem Studio aufgetaucht. Sein Ego war zu dem Zeitpunkt riesig. Er war ein überhebliches Arschloch. Was man ihm wahrscheinlich jedoch nicht wirklich verübeln konnte. So schnell auftauchender Ruhm, verändert Menschen. Immerhin war er ein gefragter Sportler, der wirklich großartige Ergebnisse für sein Team erzielte und die Frauen standen Schlange, nur um einmal in sein Bett zu dürfen." Wieder zuckte er mit den Schultern, wohl um sie mit seinen Worten nicht zu verletzen. Eve hatte aber ohnehin das Gefühl, dass Daniel sich seitdem vollkommen verändert hatte. Es war ihr deshalb egal, was in seiner Vergangenheit vorgefallen war. Alles. Abgesehen von den Dingen mit Samantha, weil sich die ganz offensichtlich noch in die Gegenwart zogen. „Dan hat sich verändert seit damals. Dieser Kerl ist er nicht mehr. Es war ganz eindeutig zu sehen, wie viel ihm an dir liegt und dass er dich nicht, als eine seiner Bettgeschichten ansieht", untermauerte Johnny ihre Vermutung nochmals. „Egal ... das ist es nicht worauf ich eigentlich hinaus will. Samantha hatte zu diesem Zeitpunkt gerade in mein Studio gewechselt. Sie war eine begnadete Tätowiererin und feierte erste internationale Erfolge ihrer Modelkarriere. Damals war ich ebenfalls ziemlich geblendet von ihrem Aussehen. Klar, sie vollbrachte auch einmalige Arbeit und zog dank ihres Äußeren viel männliche Kundschaft an Land, aber ihren Charakter habe ich dabei wohl irgendwie übersehen. Gleich zu Beginn hat sie mir ganz offen gesagt, dass sie sich niemals auf ernsthafte Beziehungen einließ und eher auf die lockeren, sexy Dinge im Leben stand." Er setzte einen entschuldigenden Blick auf. „Ich bin auch nur ein Mann und sie lebte genau den gleichen Lifestyle, wie ich damals. Natürlich habe ich sie einige Male gevögelt. Es war, wie wir vorher vereinbart hatten, nichts Ernstes. Trotzdem hat sie mich irgendwie dazu gebracht ihr die Hälfte des Studios zu überschreiben. Damals dachte ich auch noch, das sei eine gute Idee. Als Daniel dann plötzlich ein Tattoo haben wollte, war Samantha sofort Feuer und Flamme. Sie dachte, es würde ihren Erfolg in Europa ausbauen, wenn sie sich in der Öffentlichkeit neben einem angesehen Basketballspieler zeigen würde. Damit hatte sie natürlich auch nicht unrecht und Dan gefiel es ganz offensichtlich sich mit schönen Frauen zu schmücken, weshalb er sich wohl darauf einließ. Jedoch hatte er ebenfalls von Anfang an klargemacht, dass er sich nicht auf eine feste Beziehung einlassen würde. Aus Daniels Mund heißt das aber gar keine Bindung, denn Untreue kam für ihn niemals in Frage, auch wenn sich Samantha wohl so etwas wie eine offene Beziehung gewünscht hätte. Hauptsächlich deshalb, damit sie sich ständig an seiner Seite zeigen konnte. Er ist mit ihr umgesprungen, wie mit all den anderen Frauen, die er traf. Nicht gerade Gentlemanlike und eines Tages hat er wohl das Interesse verloren. Samantha hat das nicht verkraftet und ist sogar für eine Zeit nach Spanien, nur um ihn davon zu überzeugen, dass sie so weitermachen sollten, wie sie es getan hatten. Als sie wieder nach Amerika zurückkam, weil sie in Europa scheinbar keinen Erfolg mit ihren Verführungsversuchen hatte, war sie noch unausstehlicher als je zuvor. Sie hatte plötzlich Drogen genommen und Alkoholexzesse standen auf der Tagesordnung. Eines Tages hat sie es dann übertrieben. Als sie ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hatte man auch Daniel verständigt, der sofort in die USA zurückgekommen war, um sie am Krankenbett zu besuchen. Er tat das jedoch nicht ihretwegen, sondern weil er ein schlechtes Gewissen hatte. Seitdem verhalten sich die beiden äußerst seltsam. Daniel ist danach, mit heute eingerechnet, nur noch drei weitere Male in meinem Studio aufgetaucht. Samantha hat einige Zeit gebraucht, um wieder von den Drogen wegzukommen. Selbst in der Zeit nach ihrem Entzug, hatte sie noch einige Halluzinationen. Damals hat sie ständig von einem Kind geschwafelt, dass sie wohl sehen konnte. Irgendwie gruselig, wenn du mich fragst. Seit Sam wieder clean ist, war sie darauf versessen Daniel zurückzuholen, und das obwohl sie ganz bestimmt kein richtiges Interesse an ihm hat. Denn falls es doch so wäre, hätte sie eine sehr ungewöhnliche Art und Weise das zu zeigen." Gedankenverloren blickte Johnny zur Tür. „Es tut mir leid, dass ihr nun ihretwegen Stress habt, aber ich kann Dan schon irgendwie verstehen. Er hatte genug Probleme, dank Sam. Wahrscheinlich will er einfach nur ein für alle Mal damit abschließen." Er seufzte laut: „Das Alles ist doch irgendwie meine Schuld. Ich hätte mich erkundigen sollen, ob sie auch wirklich nicht mehr in das Studio kommt. Sorry, Eve." Sie rang sich ein Lächeln ab. „Du kannst bestimmt nichts für Samanthas blödes Verhalten", beschwichtigte sie sofort. „Ich fühle mich trotzdem irgendwie schuldig. Kann ich das denn irgendwie wieder gut machen? Wie wär's mit Abendessen? Ich kenne ein leckeres kubanisches Restaurant. Du bist eingeladen!" Das hörte sich doch nach einem Plan an. So konnte Evelyn Daniel noch eine Zeit aus dem Weg gehen. Dankbar nickte sie.

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