Kapitel 5

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„Willst du denn wirklich hier sitzen bleiben?" fragte Eve an Dan gerichtet. Er lachte und schenkte ihr danach einen Blick den sie nicht deuten konnte: „Ach komm, es hat uns beinahe einen halben Tag gekostet, um uns anzufreunden und in zwei Stunden werden wir schon wieder getrennte Wege gehen, da spricht doch nichts dagegen jetzt noch ein wenig Zeit miteinander zu verbringen?" Wieder zog er seine Mundwinkel nach oben und sah ihr dann tief in die Augen. „Weißt du, ich mag dich. Und das ist etwas, das wirklich selten vorkommt. Ich treffe tagtäglich Leute, die ich nicht ausstehen kann. Einer anstrengender als der andere und dazu meistens auch noch wahnsinnig anhänglich. Aber mit dir habe ich endlich jemanden gefunden, mit dem man ein anständiges Gespräch führen kann, ohne dass sich alles nur darum dreht, wer ich bin."

Das kam ihr irgendwie ein wenig seltsam vor, wenn sie so über die letzten Stunden nachdachte. Ein anständiges Gespräch hatten sie doch wirklich nicht geführt. Ganz im Gegenteil, sie hatten sich beschimpft, ignoriert, böse angefunkelt und dank ihres leicht überkochenden Temperaments war er sogar Opfer einer Brötchenattacke geworden. Wie konnte er jetzt nur sagen, dass er sie mochte? Jeder normale Mensch würde sie für vollkommen durchgeknallt halten. Selbst ihr kam ihr Verhalten nun mehr als fragwürdig vor. Sie hatte doch tatsächlich über ein Stück Gebäck geleckt, nur um ihn davon abzuhalten es zu essen. Und er war zu allem Überfluss vollkommen unbeeindruckt von ihrer kindischen Aktion gewesen und hatte es trotzdem gegessen, obwohl sich überall daran ihr Speichel befunden hatte. Man könnte sagen diese Auseinandersetzung war unentschieden ausgegangen. Außerdem waren sie schlussendlich gemeinsam auf einem Sitzplatz gelandet und eingeschlafen als wären sie ein Liebespaar, obwohl sie in Wirklichkeit zwei vollkommen Fremde waren. So etwas Unwahrscheinliches passierte nicht mal in den Schnulzen, die sie immer guckte. Er legte einen Arm über ihre Schultern und grinste sie an. Vollkommen unrealistisch. Schon wieder. Ohne darüber nachzudenken schmiegte sie sich in seine Armbeuge. Als sie bemerkte was sie da tat, wurde sie rot, beruhigte sich aber gleich wieder. Jetzt war es ohnehin schon zu spät. Besonders dafür, so zu tun, als wäre gar nichts passiert. Das hätte sie sich schon vor einigen Stunden überlegen müssen. Aber wer wusste schon, was hier wirklich los war? Es gab immerhin immer noch die Möglichkeit, dass es sich hierbei nur um einen Traum handelte und sie eigentlich zuhause in ihrem Bett lag.

Emma hätte sie jetzt wahrscheinlich ausgelacht. Ihre beste Freundin seit Kindergartenzeiten, die schon immer genau das Gegenteil wollte, was Eve sich für sich gewünscht hatte. Während Emma darauf hoffte, früher oder später ihren Traummann zu treffen, Kinder zu kriegen und bis an ihr Lebensende glücklich und zufrieden mit ihnen zu leben, hatte sich Eve geschworen, sich in ihrem ganzen Leben nie wieder richtig zu verlieben. Natürlich sehnte sie sich dabei in ihrem tiefsten Herzen schon nach Liebe, aber die Angst davor verletzt zu werden, übertönte diese Sehnsucht. Einsam zu sein, kam ihr bei weitem wünschenswerter vor, als erneut für eine Hure sitzengelassen zu werden. Dennoch verzehrte sie sich nach Berührungen. Das war ihr heute nicht zum ersten Mal bewusst geworden. Schon viel früher, sogar in der Zeit als sie noch mit David zusammen war, hatte sie sich gewünscht von jemanden in den Arm genommen zu werden. Dass Dan jetzt genau das machte, fühlte sich wahnsinnig gut an. Jedoch achtete sie peinlich genau darauf, dass es sie nicht zu tief berührte. Nein, dieser Mann würde ihr das Herz nicht rauben und ganz bestimmt auch kein anderer. Es war vorbei. Evelyn Kramer gab es nur alleine und das würde sich bis an ihr Lebensende nicht mehr ändern. Sollte sie sich nochmals auf etwas einlassen, dass auf eine Beziehung hinauslief, würde sie es auf platonische, ungefährliche Weise tun. Trotzdem konnte sie sich dem Gefühl nicht verwehren, dass sie überkam, als er sanft die Luft über ihr Ohr blies. Fast unmerklich zuckte sie zusammen und streichelte über die Gänsehaut an ihren Armen, die er damit verursacht hatte. Dennoch blieb sie an ihn gekuschelt. So sehr sie es auch wollte, es wäre eine zu große Qual gewesen sich seiner Zärtlichkeit zu entziehen. „Zwei Stunden", sagte sie sich in Gedanken vor, „genieß es doch einfach." Als könnte dieser Mann ihre Gedanken lesen, zog er sie fester an sich heran und sie ließ es ohne Widerworte geschehen. Gerade, als sie den Arm einfach um seine Taille werfen wollte, um ihn noch näher zu sein, kam die Stewardess und reichte ihnen sechs bestellte Gerichte. Dan richtete den Sitz auf, stellte das Essen am Boden ab und holte sich nur das erste Tablett. Er löste den Deckel und starrte darauf. Darunter befand sich etwas, das ziemlich eklig aussah. Eine braune Pampe mit großen Fleischstückchen. Ziemlich unpassend für die erste Klasse einer Fluglinie. Gleichzeitig fingen Eve und Fire an ausgelassen zu lachen. „Ich denke, das heißt, du willst das auch nicht essen", stellte er amüsiert fest. Energisch schüttelte sie den Kopf und er blickte sie mit einem vielsagenden Blick an. „Auch ich hoffe inständig, dass noch etwas Besseres zum Vorschein kommen wird", scherzte er und griff zum nächsten Behälter. Gespannt sah Eve darauf. Nachdem er den Deckel geöffnet hatte, stellte sie fest, dass sich darunter ausschließlich Köstlichkeiten befanden. Es handelte sich wohl um eine italienische Antipasti-Platte. „Was davon hättest du gerne?", fragte Dan. „Alles", antwortete sie grinsend. „Gut dann teilen wir uns einmal alles. Mund auf", sagte er. Es war gar keine Zeit geblieben, um darüber nachzudenken. Eve hatte einfach gemacht, was er von ihr verlangte und schon schob er ihr ein Stückchen Melone mit Rohschinken in den Mund. Genussvoll kaute sie, während er das Stückchen nahm, von dem er gerade abgeschnitten hatte. Als er sie mit der Hälfte dieser Portion gefüttert hatte, fühlte sie sich bereits ziemlich satt. Jedoch hatten sie noch viel mehr vor sich. Gespannt blickte sie zu Dan, während er einen weiteren Behälter mit Essen öffnete. Bei der neuen Speise handelte es sich um verschiedene Sushi Spezialitäten. „Oh Mann, ich liebe Sushi", seufzte Eve. „Dann wird das wohl wieder in einer Streiterei enden, denn ich liebe es noch viel mehr", sagte er, packte die Essstäbchen aus und stopfte sich ein Stückchen Lachs Sake in den Mund. Eindeutig hatte er schon des Öfteren mit Stäbchen gegessen, beherrschte er das doch wirklich gut. Er schnappte sich eine California Roll und führte sie ebenfalls zu seinem Mund. „Hey, Moment mal", schrie Eve. Dan lachte und biss hinein. Mit großen Augen starrte sie ihn an. „Du hast meine California Roll gegessen", kreischte sie gespielt empört. Lachend wollte er sich auch noch die zweite schnappen, doch sie war schneller. Sie hatte zwar weder Besteck noch Stäbchen, aber in diesem Fall mussten auch die Finger reichen. Vorsichtig tunkte sie das Sushi in die Sojasauce, während er mit den Stäbchen auf ihre Finger klopfte. Dann legte er das Esswerkzeug beiseite und griff sich ebenfalls mit den Fingern das zweite Sake. „Nein", rief sie entsetzt. Er hielt es kurz in die Sauce und ließ es dann für ein paar Sekunden abtropfen. Grinsend hob er es an und führte es zu seinem Mund. Jedoch verschlang er es nicht, so wie den Rest des Sushis, sondern biss einfach in der Mitte ab und hielt ihr dann, die andere Hälfte, vor die Lippen. Lächelnd aß sie es und er beobachtete sie dabei aufmerksam. Während sie schluckte, legte er die Hand auf ihre Wange huschte mit den Augen jedoch zu ihren Lippen. Für eine Sekunde verharrte er so, biss selbst leicht in seine Oberlippe und rührte sich erst nach wenigen Augenblicken wieder. Eve hatte die Luft angehalten. Es war ihr vollkommen schleierhaft was hier gerade geschah, aber sie wusste, dass Daniels Gedanken nicht bei dem Essen waren. Mit dem Daumen fuhr er sacht über ihre Unterlippe, auf die sich ein Tröpfchen Sojasauce verirrt hatte, und wischte es zärtlich weg. Ein wenig zu lange war sein Finger dabei auf ihrem Mund verharrt und ihre Haut begann gefährlich zu kribbeln.

Verdammt, so etwas sollte sie nicht fühlen. Schüchtern blickte sie ihm in die Augen. Er nahm die Hand weg und leckte über seinen Daumen. „Evelyn mit Sojasauce, das ist wirklich köstlich", schwärmte er. Während sie noch versuchte zu verstehen was seine Worte bedeuteten, fügte er hinzu: „Ich wünschte, ich könnte mehr davon kosten." Beschämt wandte sie den Blick ab. Ja, sie war für gewöhnlich nicht auf den Mund gefallen und hatte immer eine passende Antwort parat, aber in diesem Fall war alles anders. Daniel verwirrte sie. Er war in einem Moment so überheblich und gefährlich und im Nächsten so zuvorkommend, als wäre er der perfekte Gentleman. Welcher dieser beiden Charaktere wohl seinem wahren Ich entsprach? Eigentlich war es Evelyn egal. Es war die Mischung die sie mochte. Ein gefährlicher Gentleman. Fuck, schon wieder drifteten ihre Gedanken ab. Natürlich war ihr im Laufe dieses Fluges mehrmals bewusst geworden, dass diese gegenseitigen Sticheleien eher von Anziehung zeugten, als davon, dass sie ihn wirklich nicht ausstehen konnte. Aber solange sie noch dachte, dass das alles nur einseitig war, war es okay gewesen, denn sie würde es sich sowieso nicht erlauben ihn zu nahe an sich heranzulassen. Doch jetzt wo er ganz offenkundig klargemacht hatte, dass es sich von seiner Seite wohl auch eher um Begierde handelte, hatte sie Angst davor, was passieren könnte, wenn sie weiterhin so ausgelassen herumalbern würden. Zum Glück hatte sich Dan abgelenkt, indem er die nächste Portion verspeist hatte. Eve war der Appetit nun endgültig vergangen. Jedoch wollte sie auch nicht wegen einer blöden Aussage seinerseits ein riesen Drama machen, weshalb sie sich gegen den Rückenteil ihres Sitzes lehnte und abermals die Augen schloss.



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Ich gratuliere chichison recht herzlich zum Geburtstag <3 <3

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