Epilog

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Nervös zupfte Eve an ihren Haaren herum. Sie stand in einem Hotelzimmer auf Kuba und fühlte sich plötzlich zwei Jahre zurückversetzt. Ja, es hatte noch ganze zwei Jahre gedauert, bis sie es endlich geschafft hatten einen Termin für die Hochzeit zu vereinbaren. Nicht, weil sie sich unsicher waren oder weil sie sich unbedingt Zeit lassen wollten, sondern weil es einfach schwer war die ganze Hochzeitsgesellschaft auf eine Insel im Atlantik fliegen zu lassen. Dabei noch einen Termin zu finden, der allen Gästen in die Zeitplanung passte, war wirklich eine Herausforderung gewesen und das obwohl Eve eigentlich nicht vorhatte sich nach jemandem zu richten. Deshalb gab es auch nur Zweiundzwanzig geladene Gäste auf ihrer Hochzeit und das war vollkommen in Ordnung, genauso wie die Tatsache, dass es sich nur um eine kleine Party handelte, anstatt um ein pompöses Fest, wie Dan es gerne gehabt hätte. Das war Eves zweite Hochzeit und ihr ging es nicht mehr um dieses Prinzessinnen-Feeling. Sie wusste, dass diese Äußerlichkeiten rein gar nichts mit der Bedeutung dieser Zeremonie zu tun hatten. Deshalb schien es ihr auch nicht notwendig, sich ein weiteres Mal in ein weißes Kleid zu zwängen. Ganz im Gegenteil, es wäre ihr sogar vollkommen übertrieben vorgekommen, hätte sie ein zweites Mal so ein Kleidungsstück gewählt. Neben ihren und Dans Eltern, waren natürlich ihr Bruder und das Basketballteam eingeladen. Wie Daniel vermutet hatte, war Emma Evelyns Trauzeugin. Die Wahl seines Bestmans hatte Eve aber dann doch verwundert. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass jemand aus seinem Team oder möglicherweise Johnny sein Trauzeuge wäre. Stattdessen durfte sie aber gestern eine weitere Person kennenlernen, die eine tragende Rolle in Dans Leben spielte. Gedankenverloren streifte sie über das roséfarbene Kleid, während sie an Stephan dachte. Sein Cousin, den er zwar schon einige Male erwähnt hatte, aber zu dem sie sich bisher kein Bild machen konnte. Es hatte jedoch nur eine Sekunde gedauert, um ihn in ihr Herz zu schließen. Stephan war genau wie Daniel. Nicht nur vom Charakter her, war er ihrem zukünftigen Ehemann sehr ähnlich, auch das Aussehen ließ nicht viel Zweifel daran, dass es vieles gab was die beiden verband. Zu den vielen bunten Bildern, die sich nicht nur auf Dans sondern auch auf Stephans Haut befanden, kamen bei dem gleichaltrigen Cousin auch noch eine Reihe Metall, die seinen Körper zierten. In der Nase hatte er einen Ring und in den Ohren befanden sich mehrere kleine Stecker. Im krassen Gegensatz dazu stand Stephans Stiefbruder, der ebenfalls eingeflogen war, um an der Zeremonie teilzunehmen. Schon als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, wusste Eve, dass sie ihn nicht ausstehen konnte. Von weitem konnte man ihm ansehen, dass seine höfliche Art nur gespielt war, dazu hatte sie außerdem das Gefühl, dass er seine Frau Nina, die mit ihren gemeinsamen Zwillingen ebenfalls angereist war, schlecht behandelte, wenn keiner hinsah. Seine Frau und ihre Kinder waren Evelyn sofort an das Herz gewachsen, aber mit dem Kerl konnte sie einfach nichts anfangen. Als Eve gestern Abend mit Daniel über Patrick, den fadenscheinigen Stiefcousin gesprochen hatte, nahm der ihn zwar in Schutz, aber sie konnte spüren, dass das nur halbherzige Versuche waren den Frieden zu wahren. Eigentlich hätte sie Patrick lieber nicht bei ihrer Hochzeit gehabt, aber er gehörte nun mal zur Familie, auch wenn sie nicht blutsverwandt waren, und Familie stand bei den Keene-Cousins nun mal an erster Stelle.

Gedankenverloren streichelte Eve über die Wölbung ihres Bauches und lächelte dann. Sie würde ganz bestimmt mit diesem Patrick klarkommen, alleine schon deshalb, weil es ihr gefiel, dass das kleine Würmchen in ihrem Bauch so die Möglichkeit bekam, mit den Zwillingen aufzuwachsen, die fast gleich alt waren wie Eves Bauchzwerg. Ja, es würde nicht mehr lange dauern, dann wären Dan und Eve Eltern eines wunderschönen kleinen Babys. Das Geschlecht hatten sie sich nicht verraten lassen, weil es einerseits keine Rolle spielte und sie andererseits nicht nur dem Schicksal vertrauten, sondern auch dem Engel, der seinen Umhang schon so oft über ihre Schultern gelegt hatte. Eve hatte sich dazu hinreißen lassen, nach verschiedenen Lichtgestalten zu googeln und war nun der festen Überzeugung davon, dass es der Erzengel Michael war, unter dessen persönlichen Schutz sie standen. Es war ihr egal, dass sich das für einige Menschen seltsam anhörte, sie hatte nicht vor, es an die große Glocke zu hängen, aber es fühlte sich richtig an. Deshalb hob sie den Blick über den Spiegel und flüsterte ein leises „Danke".

So gut sie konnte, kämpfte sie gegen die aufsteigenden Tränen an. Eve hatte keine Ahnung, warum genau sie so viel Glück hatte. Warum sie es war, die ihren Seelenpartner finden durfte. Aber sie nahm diese Gewissheit keinesfalls als selbstverständlich hin und versuchte so dankbar wie möglich durchs Leben zu gehen. Obwohl sie es nicht für möglich gehalten hätte, musste sie bisher keinen einzigen Tag ohne Dan einschlafen. Jeden Abend vor dem Schlafengehen und jeden Morgen nach dem Aufwachen führte sie mit Daniel dabei ein liebgewonnenes Ritual aus. Sie teilten sich gegenseitig mit, warum sie sich liebten. Zu schmerzlich war ihnen, nach ihrer gemeinsamen Vergangenheit bewusst, wie schnell alles vorbei sein konnte und sie wollten somit sichergehen, dass sie jeden Tag einige herzliche Worte austauschten. Denn in einer Zeit die so schnelllebig war, konnte man sonst leicht darauf vergessen.

Durch das Öffnen der Tür wurde sie aus den Gedanken gerissen. Emma stand hinter ihr und schlug sich die Hand vor den Mund: „Du siehst wunderschön aus, Süße." Die Tränen schossen ihr in die Augen und Evelyn warf sich in ihre Arme, weil sie wusste, dass sie dank ihrer Hormone gleich mitheulen musste. „Ich fühle mich eher wie ein Elefant", erklärte sie lachend. Emma ließ etwas von ihr ab um sie von oben bis unten zu betrachten. „Du bist fast so heiß wie dieser neue tätowierte Kerl da draußen", sie deutete auf die Tür und Eve verdrehte die Augen. Dennoch musste sie kichern. Diese Mädchengespräche waren in letzter Zeit wieder mehr geworden und sie wusste, dass Emma nur zu gerne mit ihr getauscht hätte. Ihre beste Freundin wünschte sich nichts mehr als ebenfalls ihren Traummann zu finden. Eve bezweifelte jedoch, dass es eine gute Idee war, sich in Daniels Familie umzusehen. „Glaub mir Emma, er ist nicht dein Typ. Du sagst doch immer du hättest gerne ein geregeltes Leben. Stephan ist eher das genaue Gegenteil von geregelt, wenn ich den Aussagen meines zukünftigen Ehemanns glauben kann, ist er genauso impulsiv wie es in der Familie Keene üblich ist." Sie grinste, aber ihre Freundin ließ nicht locker. „Ich weiß zwar, dass das heute dein Tag ist, aber würdest du mir bitte mehr erzählen?" Eigentlich kam die Abwechslung ganz recht, denn Eve war ohnehin schrecklich nervös, deshalb ließ sie sich dazu hinreißen noch ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern: „Er ist Sozialarbeiter und hilft nicht nur Obdachlosen und Drogensüchtigen, sondern auch misshandelten Frauen. Dazu reist er überall in der Welt herum und hält sich mit verschiedenen Jobs über Wasser. Nicht gerade das, was du dir für deine Kinder wünscht, hab ich recht?" Wissend blickte Eve ihre Freundin an. „Er hat keinen richtigen Job?", fragte sie entsetzt. „Im Moment hat er wohl eine Anstellung, bei einer gemeinnützigen Einrichtung, bei der er online Hilfestellung für misshandelte Personen leistet, aber das lässt ihn wahrscheinlich auch nicht gerade im Wohlstand baden. Wie wäre es, wenn du dich lieber bei den bodenständigeren Männern in Dans Team umsiehst, die passen wohl eher zu dir, oder vielleicht Johnny. Ja, Johnny wäre doch perfekt." Evelyn lachte, weil sie genau wusste, dass ihre Freundin den Tätowierer nicht ausstehen konnte. Genauso wenig wie er sie. Emma blickte sie böse an, bevor sie ebenfalls lächelnd hinzufügte: „Ich denke, wir sollten uns ohnehin zuerst um dein Liebesleben kümmern, ehe wir meines in Angriff nehmen. Komm mit, Süße. Es ist so weit. Dein Mann wartet schon auf dich." Evelyn hakte sich bei ihrer Freundin unter, die sie bis zum Eingang des Beachhouse führte, dort übernahm dann ihr Vater ihren Arm und Emma brachte sich in Position vorne, wo auch bereits Daniel wartete. Die Musik setzte ein und Evelyn trat mit ihrem Vater am Arm um die Ecke. Sie hoffte inbrünstig, dass diesen Moment jemand auf Kamera festgehalten hatte, denn Daniels Augen strahlten, als er den ersten Blick auf sie erhaschte. Er wirkte genauso gelassen wie immer, während er ihr fest in die Augen blickte. Evelyns Dad drückte ihr ein Küsschen auf die Schläfe und übergab sie dann an ihren zukünftigen Ehemann. Genauso wie er es schon einmal gemacht hatte. Aber damals war alles anders. Damals hatte sie nicht mal annähernd das Gefühl verspürt, welches sie jetzt fühlte. Sie begutachtete ihn von oben bis unten. Er sah wahnsinnig gut aus in diesem eleganten, dunkelblauen Anzug. Erst als sich die Standesbeamtin räusperte, bemerkte sie, dass es an der Zeit war ihre Aufmerksamkeit nach vorne zu lenken. Das war aber auch egal, immerhin würde sie ihr restliches Leben Zeit haben, ihren Mann anzuschmachten. Daniel griff nach ihrer Hand zog sie ganz nahe an sich heran und legte dann den zweiten Arm um ihre Taille. Seine Finger streichelten zärtlich über ihren Babybauch. „Ich liebe euch", flüsterte er, bevor die Standesbeamtin begann seine Rede zu halten. Und Evelyn wusste, dass sie nun endlich angekommen war. Hier war alles perfekt. Ganz genau hier gehörte sie hin. In Daniels Arme. Egal, ob es nun auf Kuba war oder in Spanien in ihrem gemeinsamen Haus. Sie würde diesen Mann überall hinbegleiten.

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Gleich kommt noch ne Kleinigkeit ❤️

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