Kapitel 18

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Seit dem innigen Kuss und dem darauffolgenden Trockensex hatte sich Daniel ziemlich distanziert Eve gegenüber verhalten. Es war für sie nicht überraschend gewesen, dass er plötzlich ziemlich abrupt von ihr abgelassen hatte, denn sie konnte den Anflug von Panik in ihrer Brust spüren, der ihn überkommen hatte. Immer noch fühlte sie seine Emotionen und immer noch schien es ihr nicht mal ansatzweise komisch zu sein. Dieses Mal wusste sie, dass es nicht an ihr lag, nichts damit zu tun hatte, dass er sie nicht wollte und eigentlich war sie im Nachhinein auch ganz froh darüber, dass er es abgebrochen hatte. Denn sie wollte ihm körperlich doch gar nicht näher kommen. Na ja, wollen, das war so eine Sache. Sie durfte aber auf keinen Fall, denn dieser Kuss hatte schon genügend Empfindungen in ihr ausgelöst, um wieder zu befürchten, dass es für sie mehr bedeuten könnte, als nur harmlose Ablenkung. Auch wenn sie sich eingestand, dass sie es sehr genossen hatte, wünschte sie sich jetzt, sie hätte ihn nicht geküsst. Dieser Abstand auf den er nun peinlich genau achtete, wenn sie sich nur ein wenig zu lange ansahen, war beinahe unerträglich. Zehn Tage waren seither vergangen und sie hatten in den letzten Tagen gelebt, als wären sie Bruder und Schwester. Abgesehen von den Küsschen die er ihr hin und wieder stahl. Manchmal vollkommen unerwartet, aber immer in Situationen in denen es sie überhaupt nicht störte. Beinahe jede Nacht, um sie aus einem Alptraum aufzuwecken und selten, weil er sie selbst brauchte, um seine Traurigkeit zu überspielen. Bisher hatten sie sich vierundzwanzig Stunden am Tag in seinem Haus eingeigelt, also genau das Falsche gemacht um mit der Situation fertig zu werden. Doch ab heute würde sich das wieder ändern. Heute hatte Dan nicht nur den Termin im Krankenhaus um die Fäden aus seinem Bein zu entfernen, sondern sie beide hatten ebenfalls einen Termin beim Psychologen. Es würde die erste Sitzung von vermutlich dutzenden werden und Evelyn graute bei der Vorstellung daran, vor einem Fremden über ihre Erinnerungen sprechen zu müssen. Doch sie wusste, dass es absolut notwendig war, weshalb sie versuchte so ruhig wie möglich zu bleiben und sich die Klamotten, die sie sich bei einem Online-Versandhaus bestellt hatte anzog. Nach zehn Tagen Basketballshorts und Trikots sah sie nun endlich wieder einmal wie eine Frau aus, während sie hier in der Küche stand. Jedoch saßen die Klamotten etwas zu weit. Scheinbar hatte sie in den letzten Tagen ein wenig abgenommen, was sie auch nicht wunderte. Die Geschehnisse schlugen ihr auf den Magen. Nicht nur ihr, sondern auch Daniel. Das wusste sie. Nach diesem Kuss waren etliche Anrufe auf seinem Handy eingegangen und er hatte keinen einzigen von ihnen beantwortet. Sie wusste nicht, ob er eigentlich dazu verpflichtet war, sich bei seinem Team zu melden, traute sich aber auch nicht zu fragen, weil sie sich nicht zu sehr in seine Privatangelegenheiten einmischen wollte. Dennoch waren auch positive Dinge geschehen seit sie hier war. Die restlichen Papiere ihres Ex-Mannes waren angekommen und sie hatte sie bereits an David zurückgesendet. Damit war sie nun offiziell ein freier Mensch und musste nie wieder mit ihm sprechen, wenn sie nicht wollte.

Unruhig ließ sie sich vor dem Esstisch fallen und rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, bevor sie wieder aufsprang und vor ein Fenster trat. Obwohl sie zuerst ins Krankenhaus fahren wollten, ehe sie die Privatpraxis von Dr. Apple besuchen würden, war sie schrecklich nervös. Der Name des Psychologen beruhigte sie seltsamerweise ein wenig. Jedoch nicht genug, dass ihre Hände aufhörten zu zittern. Vorsichtig kämmte sie sich mit den Fingern durch die Haare, als Dan von hinten an sie herantrat und seine Arme um ihre Taille legte. Es kam ihr vor, als wäre eine Ewigkeit vergangen, seit sie ihm das letzte Mal so nahe war. Aber das war typisch für ihre Freundschaft. Er spürte, dass sie Angst hatte und war für sie da. Niemals brachen sie beide zur gleichen Zeit in Panik aus. Jedes Mal blieb einer der beiden für den anderen stark.

Er drückte ihr ein Küsschen in den Nacken. Eine Geste, die ihm für einen Augenblick selbst zu überraschen schien. Auch sie war eine Sekunde lang etwas überrumpelt, jedoch ließ dieses Gefühl sofort wieder nach und sie hatte Mühe, den Kopf nicht nach hinten zu legen um ihm noch mehr Fläche zum Küssen zu bieten. Seine Hände waren nun um ihren Bauch verschränkt.

„Evelyn, es gibt keinen Grund nervös zu sein. Hörst du?"

Sie nickte leicht, auch wenn sie sicher war, dass es tausend Gründe dafür gab.

„Ich werde die ganze Zeit über an deiner Seite sein und wenn du dich nicht mehr wohl fühlen solltest, können wir jederzeit gehen. Auch für den Fall, dass dir Dr. Apple nicht sympathisch ist, musst du es nur sagen." Er drückte sie noch fester an sich, während er ihr von der Seite eindringlich ins Gesicht blickte.

Ohne Vorwarnung kullerten ihr die Tränen über die Wangen. Sie befreite sich aus seinem Griff und drehte sich so, dass sie vor ihm stand. Selbständig legten sich seine Arme um ihren Rücken, während er sie etwas verdutzt ansah. Sie ließ den Kopf an seine Brust fallen und schluchzte laut. „Bitte, Dan, mach das nicht mehr."

„Wovon sprichst du, Liebling?"

„Ich bin mir nicht sicher, warum du in den letzten Tagen so auf Distanz gegangen bist, aber ich brauche deine Berührung so sehr. Nur wenn du mich in den Arm nimmst, fühle ich mich so, als würde ich das alles doch überstehen." Diese Antwort kam aus den Tiefen ihres Herzens. Es war die absolute Wahrheit und sie hatte nicht einmal darüber nachgedacht, bevor sie es ausgesprochen hatte. Es musste einfach gesagt werden. Denn diese Kälte, die sie spürte, wenn er so akribisch versuchte sich von ihr fernzuhalten, war unerträglich.

Daniel blickte einen Moment traurig zu Boden und wirkte beinahe so, als würde er sich dafür schämen, wie er sich in letzter Zeit benommen hatte. Dann zog er sie an sich, griff nach einem Taschentuch auf der Anrichte und trocknete ihre Tränen damit.

„Es tut mir leid", flüsterte er, anschließend räusperte er sich und sprach etwas lauter weiter: „Weißt du, ich hatte nicht selten das Gefühl, dass du mich gerne näher bei dir hättest, aber dann habe ich mir eingeredet, dass diese Empfindung daher kommen musste, dass ich dich einfach gerne näher bei mir gehabt hätte und ich wollte dich keinesfalls zu etwas drängen, zu dem du nicht bereit wärst. Ich dachte, du würdest einen Schritt auf mich zu machen, wenn du wolltest, dass ich dir nahe wäre."

Natürlich hätte sie sich auch an ihn schmiegen können, gerade abends, wenn sie gemeinsam im Bett lagen, hätte sie die Möglichkeit dazu gehabt, aber sie empfand sein Verhalten als Ablehnung und wäre sich dämlich vorgekommen, hätte sie um Aufmerksamkeit gebettelt. Denn wie immer konnte sie einige seiner Emotionen spüren und das was sie fühlte, war der Kampf den er innerlich austrug, jedoch war ihr dabei nicht ganz klar gewesen, ob sie in diesem Kampf eine Rolle spielte. Offensichtlich tat sie das und sie bereute, dass sie dieses Thema nicht schon viel früher angesprochen hatte. Aber egal wie sie es zu drehen und wenden versuchte, jetzt war es ohnehin zu spät.

„Würdest du bitte zukünftig auf dein Gefühl hören, Dan? Dein Kopf hat scheinbar nicht immer recht."

Er nickte und streichelte ihr über den Rücken.

„Lass uns los, sonst verpassen wir den Termin im Krankenhaus." Zärtlich schob er sie zur Tür.

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