Obwohl sie fand, dass es vollkommen übertrieben war, sie zu behandeln als wäre sie eine Schwerverletzte, nur wegen diesem kleinen Kratzer an ihrer Hüfte, ließ sie sich von einem Sanitäter zu einem Krankenwagen bringen. Dan hielt sie an der Hand und humpelte neben ihr her. Ein weiterer Rettungsassistent stützte ihn von der anderen Seite. „Entschuldigen Sie bitte, Sir, Sie müssen mit mir mitkommen, wir fahren mit diesem Krankenwagen." Er deutete nach links. „Nein!", sagten Eve und Dan gleichzeitig. „Ich werde keine Sekunde von Evelyns Seite weichen", fuhr Dan fort. „Sind Sie denn verwandt?", wollte der Sanitäter wissen. Beinahe hätte Eve den Kopf geschüttelt, bis ihr klar wurde, dass ihnen dann wohl verboten werden würde, gemeinsam ins Krankenhaus zu fahren. Beide nickten. „In welchen Verwandtschaftsgrad stehen Sie zueinander?", wollte der Rettungsassistent wissen. Ihre Blicke trafen sich für eine Sekunde, bevor sie gleichzeitig sagten: „Wir sind verlobt." „Wir wollen heiraten", fügte Dan hinzu. Das bedeutete wohl, dass sie noch nicht verwandt waren, aber sie beide wussten, dass eine Verlobung ausreichen würde, um nicht getrennt zu werden.
„Das ist ja interessant, ich habe bisher noch gar nicht mitbekommen, dass Fire Keene kurz davor steht sich ewig zu binden." Wissend blickte der Sani zwischen den beiden hin und her. „Wo ist denn ihr Ring, Ma'am?" Daniel setzte an etwas zu sagen, doch Eve wies ihn an still zu sein, indem sie seine Hand drückte. „Er befindet sich in meinem Portemonnaie, meine Finger waren auf dem Flug so angeschwollen, dass ich ihn abgemacht habe. Sie griff nach ihrer Geldbörse und fischte ein schmales Schmuckstück heraus. Jedoch kostete es sie einiges an Überwindung, um ihn sich anzustecken. Seit dem Tag ,an dem sie David bis zum Freudenhaus gefolgt war, hatte sie ihn nicht mehr getragen und eigentlich wollte sie ihn einfach nur zurückgeben. Immer noch wirkte der Rettungsassistent skeptisch. „Sie ist sehr minimalistisch veranlagt", sagte Dan, wohl um den Diamanten an ihrem Finger zu rechtfertigen, der ihrer Meinung nach jedoch sogar ziemlich groß war. Scheinbar nicht Fire Keene groß, denn der sagte: „Es ist mir egal, ob dir das gefällt, Liebling, aber dein Ehering wird bestimmt einige Nummern größer ausfallen." Um das Schauspiel aufrecht zu erhalten, verdrehte sie genervt die Augen. Der Sanitäter führte sie zu einem Krankenwagen, vor dem ein anderer Mann wartete, der gerade ansetzte, genau die gleichen Fragen zu stellen, wie sein Kollege, als Dan sich umständlich vor Eve niederkniete, das verletzte Bein dabei seltsam verdreht von sich wegstreckte und laut und deutlich fragte: „Liebling, willst du mich heiraten?" Entsetzt tapste sie einen Schritt nach hinten. Das war der zweite Heiratsantrag in ihrem Leben. Mit solchen Dingen sollte man für gewöhnlich nicht scherzen, aber sie wusste, dass er das alles nur tat, um sie nicht alleine lassen zu müssen. Einzig und alleine ihretwegen. Weswegen sie sich ein Lächeln abrang und laut: „Ja", sagte. „Seid ihr jetzt alle zufrieden?", fragte er, während ihm Eve wieder auf die Beine half. Zärtlich zog er sie an sich und drückte ihr ein Küsschen auf die Lippen. Instinktiv hatte sie die Augen geschlossen, als sie sie jetzt wieder öffnete, ertappte sich dabei, wie sie sich nach mehr sehnte. Mehr Berührungen, die alle negativen Gedanken und Erinnerungen daran, was gerade geschehen war, für eine Sekunde ausblendeten. Im Moment hatte sie nicht mehr die Kraft, sich selbst daran zu erinnern, dass sie so nicht fühlen durfte.
Dan wurde gestützt, während er in den Krankenwagen stieg und sich auf der Trage ablegte. Sie selbst nahm einfach auf einem leeren Autositz, ebenfalls im hinteren Teil des Wagens platz. Wie selbstverständlich griff sie zu seiner Hand und er streichelte ihr sanft über die Finger. Mit der anderen Hand packte sie sich ihr Handy und begann zu tippen. Kurz angebunden ließ sie ihre Freunde via Textnachrichten wissen, dass sie gerettet wurden und sie sich melden würde, sobald sich die Aufregung etwas gelegt hatte.
Im Krankenhaus wurde ihnen mitgeteilt, dass Dan gleich in den OP gebracht werden würde, um unter örtlicher Betäubung, die Kugel entfernt zu bekommen. Eve war bereits im Krankenwagen versorgt worden. Wie vermutet war ihrer Verletzung nicht weiter schlimm und musste nur desinfiziert werden. Die ganze Zeit über hatte sie sich gefragt, ob das Mädchen wohl überlebt hätte, wäre sie selbst nur ein paar Zentimeter weiter links gestanden. Wäre die Kugel dann in ihr stecken geblieben? Hätte sie das denn selbst überlebt? Ihr war natürlich bewusst, dass sie auf all diese Fragen niemals eine Antwort bekommen würde. Trotzdem ließen sie sie einfach nicht los. Gerade als Dan an ihr vorbei in den OP geschoben werden sollte, hielt er sich an ihrer Hand fest. „Ohne Evelyn gehe ich da nicht rein", erklärte er. Auch sie hätte ihn am liebsten durchgehend um sich gehabt, hatte sie doch die Befürchtung, dass sie ansonsten ihren eigenen schrecklichen Gedanken zum Opfer fallen würde. Doch sie wusste, dass es für seine Gesundheit wichtig war, rational zu bleiben, weswegen sie ihm einfach tief in die Augen blickte. Er musste wissen, dass sie es im Moment auch ein paar Minuten ohne ihn aushalten würde. Doch in seinen Augen lag etwas ganz anderes. Durchdringende und vollkommen entsetzliche Angst. Eve verstand sofort, dass die nicht daher rührte, dass er sich vor dieser Operation fürchtete, seine Augen sandten ein ganz anderes Zeichen.
„Dan, ich werde dich nicht verlassen. Ich werde genau hier auf dich warten." Eindringlich sah sie ihn an. Sein Blick wurde weicher. Er glaubte ihr, das wusste sie. Langsam beugte sie sich über ihn und drückte ihm ein Küsschen auf die Schläfe. Sofort ließ er seine Finger in ihre Haare gleiten, sah ihr noch einmal tief in die Augen und ließ anschließend von ihr ab.
Es dauerte keine zwanzig Minuten, bis Dan wieder aus dem OP geschoben wurde. Er grinste, als er sie im Warteraum sitzen sah. „Alles in Ordnung?", fragte sie ihn. „Ja, es geht mir gut", antwortete er immer noch lächelnd. „Es sieht aber ganz danach aus, als hätten wir jetzt einen Termin mit der Polizei", ließ er sie wissen. „Danke", sagte er dann an das medizinische Personal gerichtet. „Ich schaffe es auch ohne Sie zum Verhör." Er richtete sich im Bett auf und sofort fühlte Eve den Drang ihn aufzufordern, liegen zu bleiben und auch die Pfleger machten Anstalten ihn davon zu überzeugen, doch er sprang auf einem Bein auf den Boden.
„Mr. Keene, Sie können nicht einfach laufen. Es wird noch ein wenig dauern bis ihre Wunde gut genug verheilt ist. Legen Sie sich bitte wieder auf das Bett", forderte ihn eine Schwester auf. Doch er schien nicht gerade überzeugt von dieser Idee, denn er schüttelte den Kopf: „Ich bin ein Profisportler. Da werde ich es doch schaffen, ein paar Meter auf einem Bein zu springen." Eve griff nach seiner Hand und blickte ihn flehend an. Auf keinen Fall wollte sie, dass er sich noch mehr verletzte. Aber auch ihr gegenüber, schien er diese Bitte ablehnen zu wollen. Das lag weniger daran, dass er ein Problem damit hatte eine Verletzung zu haben, als daran, dass er sich wahnsinnig unselbstständig fühlte, wenn sich andere Leute um ihn kümmern mussten. Dabei war seine Wunde zum Glück eine ziemlich harmlose. Die Ärzte hatten ihm sogar versichert, dass er wieder Basketball spielen könnte. Jedoch war er sich nicht so sicher, ob er das jetzt überhaupt noch wollte. Dieses Attentat hatte ihm klar gemacht, dass es noch so viele wichtigere Dinge auf dieser Welt gab als seine Profikarriere. Und er fühlte sich plötzlich auch für andere verantwortlich. Er spielte mit dem Gedanken eine Weile eine Auszeit zu nehmen, um sich etwas zu widmen das die Welt verändern könnte. Was genau das sein würde, wusste er noch nicht, aber er musste einfach gegen die schlimmen Dinge auf dieser Welt kämpfen. Doch was ihm an dieser Sache fast noch wichtiger zu sein schien, war es, Evelyn davon zu überzeugen, es gemeinsam mit ihm zu machen.
In der Hektik hatte er sie nicht mal gefragt, was sie eigentlich beruflich machte. Ob es wohl Platz in ihrem Leben für ihn gab? Er nahm an, dass sie es sich wahrscheinlich nicht leisten konnte, einfach mal eine Pause einzulegen, aber er war auch gewillt, alles nötige zu tun, um sie bei ihm zu behalten.
Warum? Weil er eine beinahe erschreckende Bindung zu ihr spürte. Seit sie in diesem Aufzug waren, konnte er ihre Emotionen spüren. Er wusste was sie dachte. Fühlte, wenn sie Angst hatte. Erkannte, dass sich hinter ihrer Zurückhaltung nur die Angst versteckte, abermals betrogen zu werden. Diese Angst war jedoch vollkommen unbegründet, denn egal was sich aus dieser Freundschaft entwickeln würde, er würde sie niemals hintergehen. Sie war die Frau, die ihm das Leben gerettet hatte. Gleichzeitig war sie auch die einzige Frau, die er bisher kennengelernt hatte, die sich mit ihm messen konnte. Sie konnte ihm das Wasser reichen. Die meisten Menschen versuchten das in seiner Gegenwart nicht einmal und das hatte ihn bisher wahnsinnig gelangweilt. Aber jetzt hatte er Eve an seiner Seite und er würde sie nicht gehen lassen, bis er wusste, was das zwischen ihnen war. Insgeheim hoffte er, dass sie dann, wenn sie es herausfinden würden, ganz von alleine bleiben wollte. Gedankenverloren blickte er sich um. Eve war verschwunden. Panisch ließ er den Blick durch den Raum schweifen, beruhigte sich aber sofort wieder, weil er ihre Anwesenheit noch spüren konnte. Ja, es mochte sich seltsam anhören, doch er wusste, dass sie immer noch hier war. Wie aufs Stichwort trat sie wieder in das Zimmer. Vor sich schob sie einen Rollstuhl her.
„Setz dich", forderte sie Dan auf. Doch der schenkte ihr nur einen verachtenden Blick. „Meine Beine funktionieren noch. Ich kann laufen, Evelyn und ich bin sehr dankbar dafür." Die Krankenschwester schüttelte den Kopf.
„Sei kein Dickkopf, Dan", sagte Eve.
Wie ein trotziges Kind schüttelte er den Kopf. „Ich lasse mich doch nicht von dir herumkutschieren." Er schnaubte laut. Evelyn schien zu überlegen, grinste dann leicht und sagte: „Dan, ich muss los. Wir treffen uns dann beim Verhör. Mein Ex-Mann wartet auf mich, er ist extra nach Miami gefahren, als er gehört hatte, was los war. Mir soll es recht sein, so kann ich diese Geschichte jetzt gleich über die Bühne bringen." Ohne sich nochmals umzudrehen, rannte sie auf den Fahrstuhl zu. Eigentlich hatte sie sich bereits zuvor dafür entschieden die Treppe zu nehmen, aber für den Fall, dass ihr Plan aufging, musste sie wohl noch einmal mit Dan in einen Aufzug. Innerhalb weniger Augenblicke saß er im Rollstuhl neben ihr. Eve grinste in sich hinein.
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Seelentattoos
RomanceAls Evelyn am Flughafen auf Daniel trifft, wirkt er auf sie genau wie der Typ Mann auf den sie sich nie wieder einlassen will. Mit all den Tattoos und seiner arroganten Art, macht er ihr bereits bei ihrer ersten Begegnung klar, dass er ganz genau we...