Kapitel 2

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Die Zeit bis zum Boarding hatte Eve mit ein paar Einkäufen überbrückt, die, wie auch alles andere, von der Kreditkarte ihres Ex-Mannes abgebucht werden würden. Einige Frustkäufe waren nun ebenfalls unter ihren Errungenschaften, denn nachdem sie einen weiteren Fehler in ihrer Reiseplanung entdeckt hatte, hatte sie es für dringend notwendig gehalten, neben Schmuck, Parfüm und einer neuen Sonnenbrille, ihren Reiseproviant auch noch mit einem Jahresvorrat Schokolade, im Duty Free Shop, aufzufüllen. Dieser Flug war online gebucht und bezahlt worden, dabei war sie davon ausgegangen auch den teuren Fensterplatz zu bekommen den sie ausgewählt hatte. Das stellte sich jetzt aber als falsch heraus, wurde sie doch von der Dame des Bodenpersonals eines besseren belehrt. Scheinbar war es jemanden eine Menge Geld wert gewesen, genau ihren Sitzplatz zu bekommen. Die Angestellte der Airline war äußert bemüht gewesen, sie mit einigen Gutscheinen für ihren nächsten Flug davon zu überzeugen, dass auch ein Gangplatz reizvoll war. Nun würde sie nämlich genau dort sitzen. Klar, war das auch noch gemütlich, hatte eine Reihe in der First Class doch ohnehin nur vier Sitze, aber trotzdem war es nicht das, wofür sie das hart erarbeitete Geld ihres Ex' ausgeben wollte. Wie eine Furie hatte sie um ihren Sitzplatz gekämpft und erst aufgegeben, als ihr die Hälfte des Ticketpreises von der Mitarbeiterin der Fluglinie zugesprochen wurde. Es verstand sich von selbst, dass das Konto, das sie für die Rückerstattung angegeben hatte, natürlich ihr eigenes war.

Im Moment fragte sich Eve, warum sie vorhin so blöd gewesen war, zu ihren Einkäufen auch noch eine große Flasche Wasser zu packen. In der First Class würde es bestimmt genug Wasser geben. Dank all ihrer Anschaffungen, war ihr Handgepäck ziemlich schwer geworden. Zum zweiten Mal am heutigen Tag, musste sie sich abschleppen. Beim Gate angekommen stellte sie fest, dass das Boarding bereits begonnen hatte. Aufgrund ihres teuren Tickets durfte sie die Schlange der Economy Passagiere passieren und sofort durch den Priority Boarding Eingang laufen. Sie war noch nie First Class geflogen und staunte nicht schlecht, als sie in das obere Stockwerk des riesigen Flugzeuges geführt wurde. Genau wie sie es auf dem Online Sitzplan der Fluglinie gesehen hatte, gab es hier acht Plätze. Es war überwältigend, jedoch nicht so überwältigend, dass es das Gefühl übertönte, das in ihr aufkeimte, als sie sah, wer auf dem Platz saß, den sie ursprünglich für sich gebucht hatte.

Er. Mr. Arrogant höchstpersönlich. Wutentbrannt funkelte sie ihn an und versuchte angestrengt ihn durch reine Willenskraft zu töten. Dieser Arsch saß an ihrem Fenster. Leider wurde es nicht gerade besser, als sie feststellte wo sich ihr neuer Sitzplatz befand. Die komfortablen Flugzeugstühle waren so angerichtet, dass jeweils einer am Fenster stand und zwei in der Mitte der Maschine. Eve saß doch tatsächlich in der gleichen Reihe wie das rücksichtslose Arschloch, und was noch viel schlimmer war, zwischen ihnen befand sich nur ein Gang, der immer enger zu werden schien, je weiter sie an ihren Sitz herantrat. Immer noch starrte sie Mr. Arrogant wütend an, während sie in Gedanken aber bereits einen Schritt weiter war. Ihr Handgepäck wog nach all den Einkäufen ziemlich sicher an die fünfzehn Kilogramm und sie war mit ihren 1,60m nicht gerade ein Riese. Wie würde sie das Gepäckstück jetzt in die Ablagefläche über ihren Kopf bringen.

Die Antwort war, gar nicht.

Für einen Moment wandte sie die Augen von dem gutaussehenden Kerl ab um einen Blick nach oben zu werfen. Das Unterfangen, ohne Hilfe ihre Tasche dort hinauf zu bekommen, schien ihr schier unmöglich zu sein, weshalb sie sich auf ihren Platz fallen ließ und ihr Gepäckstück umarmte, wie ein trotziges, kleines Kind. Sie musste wohl einfach einen Flugbegleiter auffordern, ihr zu helfen, sobald einer in Sicht war. Denn sie würde sich niemals der Blamage hingeben Mr. Arrogant um Hilfe zu bitten. Nicht mal, obwohl er ohne Zweifel bemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte, was sie daran festmachte, dass er eine Augenbraue nach oben zog und einen grübelnden Blick zu ihr hinüber warf. Schnell griff sie sich ihr Handy, ihre Kopfhörer und ihren E-Book-Reader aus dem Handgepäck. Das war wohl alles was sie brauchen würde. Als dann eine Stewardess geradewegs auf sie zukam, wollte sie schon ansetzen sie um Unterstützung zu bitten, doch leider musste sie feststellen, dass die Frau vollkommen auf ihren Sitznachbarn konzentriert zu sein schien. Hastig stöpselte sie die Kopfhörer an ihr Handy. Eve fand den Blick der Flugbegleiterin bereits zum Fremdschämen, da wollte sie auf keinen Fall auch noch hören, was sie zu sagen hatte. Trotzdem konnte sie sich nicht davon abhalten, einige missbilligende Blicke zu den beiden hinüberzuwerfen. Die Frau strahlte Mr. Arrogant an und auch er machte den Eindruck als würde er ganz ungeniert mit ihr flirten. Abermals verdrehte sie die Augen. In den nächsten Minuten schaffte sie es nicht, sich vollkommen von ihnen abzuwenden, obwohl sie wusste, dass es eigentlich besser wäre die beiden zu ignorieren. Mr. Arrogant tippte mittlerweile auf seinem Smartphone herum. Eve betete, dass diese Frau nicht auch noch so naiv war, ihm ihre Handynummer zu geben. Zu ihrem Leidwesen, ertönte die Musik aus ihrem Headset immer leiser werdend. Sie versuchte entgegenzuwirken, aber der Lautstärkenregler wandelte immer wieder wie von Geisterhand zu tonlos. Frustriert riss sie sich die Kopfhörer aus den Ohren und schaltete ihr Handy aus. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Das Schicksal hasste sie offensichtlich. Ganz bestimmt war das ein Fehler des neuen Softwareupdates, doch warum musste das genau in dieser Situation passieren? Leider ließ es sich jetzt nicht mehr vermeiden, auch einige Fetzen des Gespräches aufzuschnappen, welches sie ganz bestimmt nicht verfolgen wollte. Die Flugbegleiterin säuselte vor sich hin: „Mr. Keene, ich und die Airline hoffen, dass es Ihnen auf diesem Platz besser gefällt, als auf ihren ursprünglich zugeteilten." Ja, ja der Esel nennt sich immer zuerst, dachte Eve und musste beinahe Kichern, weil sie doch tatsächlich in Gedanken ihre Deutschlehrerin aus der Zehnten zitierte. „Es tut uns sehr leid, dass Sie nicht von Anfang an auf diesen Platz gebucht waren, aber er war eigentlich schon von jemanden reserviert." Dieser Satz veranlasste Eve dazu, wieder böse zu ihm hinüber zu sehen. Zu ihrem Entsetzen zwinkerte er ihr zu. „Ja, darüber wurde ich in Kenntnis gesetzt, aber ich habe es mir einiges kosten lassen, den lästigen Passagier von hier zu vertreiben." Sichtlich amüsiert zwinkerte er nochmals zu ihr hinüber und Eve schoss vor Wut das Blut ins Gesicht. „Der Vorteil dieser Klasse ist, dass man hier vollkommen ungestört ist, aber dieser Platz schien mir noch ein wenig ruhiger zu sein." Er blickte etwas genervt zu der Stewardess, bevor er etwas leiser hinzufügte: „Zumindest dann, wenn ich mich nicht unterhalten muss." Man könnte meinen die Flugbegleiterin hätte den Wink aufgefasst, aber sie strahlte ihn weiterhin an. „Wissen Sie, es liegt mir wirklich viel an meiner Privatsphäre", setzte er nach, aber immer noch machte die Stewardess nicht den Anschein als hätte sie vor, ihn in naher Zukunft alleine zu lassen. Was Eve jedoch im Moment mehr zusetzte, als die Hartnäckigkeit dieser Frau, war die Frage, ob dieser Keene-Arsch vielleicht wusste, dass das ursprünglich ihr Platz gewesen war auf dem er nun saß? Hatte er das vielleicht sogar mit Absicht gemacht? Einige, ziemlich vulgäre Worte, waren kurz davor ihr über die Lippen zu rutschen, auch wenn sie sich ziemlich sicher war, dass das alles nichts mit ihr zu tun haben konnte. Als sie dann jedoch sah, wie die Flugbegleiterin ihm ganz unabsichtlich über die Hand streichelte, hielt sie sich mit dem Fluchen zurück und schnaubte stattdessen laut. Er hatte sie doch abblitzen lassen und sie versuchte immer noch unablässig mit ihm zu flirten. Jedoch hatte die Geste der Dame Eves Aufmerksamkeit nun auf seine Finger gelenkt. Erst jetzt bemerkte sie, dass sich über seine gesamte Hand und jeden einzelnen seiner Finger Tattoos zogen.

Verdammt, sie hatte eine Schwäche für tätowierte Männer und für einen Augenblick fragte sie sich, ob sich unter seinen langen Ärmel wohl noch weitere Kunstwerke befanden. Hastig schüttelte sie den Kopf. Das wollte sie ganz bestimmt nicht wissen. Nein, nein, wenn er jemanden beeindrucken wollte, sollte er es mit dieser naiven Frau machen, mit der er sprach. Eve würde bestimmt keines seiner Opfer werden.

„Wie lange bleiben Sie denn in Miami, Mr. Keene? Wissen Sie, die Belegschaft dieses Fluges inklusive mir fliegt auch erst in vier Tagen wieder nach Spanien zurück." Es grenzte beinahe an ein Wunder, dass sich die Dame vom Bordpersonal nicht mittlerweile auf seinen Schoß gesetzt hatte, so wie sie ihn anschmachtete. Dass dieses dumme Stewardess-Püppchen, diesem arroganten Mistkerl jetzt auch noch bestätigte, wie heiß er war, ging Eve jedoch gehörig gegen den Strich. Ihr reichte es ein für alle Mal weswegen sie sich an die Flugbegleiterin wendete: „Entschuldigen Sie, Ma'am, könnten Sie mir bitte helfen, mein Handgepäck in das Ablagefach zu heben?" Einen winzigen Moment funkelte sie die Stewardess böse an, bevor sie ein professionelles Gesicht machte und zu ihr herüberkam. Gespielt bemüht, versuchte sie Eve das Gepäckstück abzunehmen, jedoch konnte man jetzt schon sehen, dass das so nichts werden würde. Erst als die Dame vom Bordpersonal einen Blick über ihre Schulter warf, wurde Eve bewusst, warum sie sich so blöd anstellte. „Mr. Keene?", fragte die großgewachsene Frau zuckersüß, „Könnten Sie mir bitte helfen? Ich komme da leider nicht ran." Das war ganz offensichtlich eine dreiste Lüge.

„Vielleicht schaffe ich es doch selbst", warf Eve hektisch ein, sprang auf und schenkte der Flugbegleiterin den dunkelsten Blick, den sie zu Stande brachte, nur um ihn dann zu Mr. Arrogant schweifen zu lassen. Der hatte sich erhoben und war mit einem großen Schritt direkt neben ihr zu stehen gekommen. Seine Anwesenheit sorgte dafür, dass die Luft um Eve herum für eine Sekunde ziemlich dünn wurde. Diese Präsenz, die er ausstrahlte, war bestimmt schon vielen Frauen zum Verhängnis geworden. Aber bei Eve zog das nicht. Nicht mehr. „Soll ich Sie etwa mit diesem Koffer auch noch schlagen?", fauchte sie erzürnt und funkelte ihn dabei böse an. Wie bereits beim Schalter, führte er seine Lippen wieder an ihr Ohr und flüsterte: „Wenn Sie darauf stehen." Dann riss er ihr das Gepäckstück aus der Hand und hievte es nach oben, als hätte es überhaupt kein Gewicht. Nun schenkte er ihr einen belustigten Blick, den sie abermals mit einem bösen Funkeln bestrafte. Dieses Mal wurden Sie von einer männlichen Stimme aus ihrem Starrkampf gerissen. „Fire?", fragte jemand hinter ihnen. Fire? Brannte es etwa? „Ja", antwortete Mr. Arrogant neben ihr. Eve prustete los: „Fire Keene? Was ist das für ein bescheuerter Name? Hört sich eher wie eine Krankheit an." Vollkommen entsetzt starrten sie der Mann hinter ihr und auch die Flugbegleiterin an. Nur das Arschloch schien zu ihrer Verwunderung ebenfalls amüsiert. Scheinbar mochte er es nicht, wenn ihm andere hören konnten, denn er kam ihr wieder viel zu nahe und flüsterte: „Soll ich Sie etwa damit anstecken?" In Sekundenschnelle jagten diese Worte einen Schauer über ihren Körper und sie konnte sich nicht verwehren darüber nachzudenken, wie er wohl gedachte das zu tun.

„Mr. Keene, wenn Sie sich nicht mit ihrer Sitznachbarin verstehen, können wir ihr gerne einen anderen Platz suchen", hörte sie die Flugbegleiterin sagen. „Großartig, vielleicht bekomm ich dann endlich meinen Fensterplatz zurück", fauchte Eve in ihre Richtung. „Evelyn und ich verstehen uns blendend, Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen", antwortete Fire Keene auf den Vorschlag der Frau. Evelyn? Woher kannte er denn bitte ihren Namen? War das vielleicht alles nur ein blöder Scherz ihres Ex-Mannes. „Woher wissen Sie wie ich heiße?", fragte sie erzürnt.

„Stand auf Ihrem Gepäckanhänger", er lachte, „Hat ein wenig gedauert und mich einiges gekostet, die Dame vom Bodenpersonal dazu zu überreden, mir Ihren Platz zu überlassen." Was? Warum bitte war er so erpicht darauf gewesen, genau auf ihren Platz zu sitzen? „Ich wusste nicht, ob Sie das wirklich stören würde, aber der Blick den Sie mir geschenkt haben, als Sie mich hier entdeckt haben, war es absolut wert gewesen. Jetzt habe ich meinen Triumph ausgekostet, Sie können Ihren Platz wieder zurückhaben, wenn Sie gerne möchten."

Auch wenn Eve das Gefühl hatte, dass es sich hierbei um eine Falle handelte, wollte sie sich das nicht zweimal sagen lassen. Wütend griff sie sich ihren E-Book-Reader und die Kopfhörer, ließ das Handy in ihre Hosentasche gleiten und stampfte auf den freien Sitz zu. Mr. Arrogant setzte sich lächelnd in der Mittelreihe nieder, während die Flugbegleiterin und der fremde Mann das Schauspiel immer noch schockiert beobachteten.

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