„Aber für den Fall, dass wir heute nicht sterben, was würdest du noch gerne erleben wollen? Was würdest du machen, wenn wir aus diesem Aufzug gerettet werden?", wollte Dan wissen.
Eve überkam eine dunkle Vorahnung darüber, was ihrer Meinung nach passieren würde, sollten sie doch gerettet werden. Sie beschloss sich die Hoffnung zu erlauben, wirklich lebend hier herauszukommen „Wahrscheinlich komme ich zuerst ins Krankenhaus. Ich denke aber, nicht allzu lange, das ist ja nur ein Kratzer. Also werde ich dann heute Abend vermutlich zu meinem Hotel fahren, in dem ich die ganze Nacht wach liege, weil ich einfach nicht schlafen kann mit all diesen Bildern in meinem Kopf", sie schluchzte laut. Nein, nein, das durfte einfach nicht sein. Das Mädchen, der Schuss, das ganze Blut. Blut, überall Blut. Das Mädchen springt freudestrahlend durch die Gegend und plötzlich liegt es auf dem Boden, mit einem Loch mitten im Kopf und überall Blut. „Nein!", Eve schüttelte heftig den Kopf, während sie sich auf dem Bauch drehte, und die Stirn auf den Boden fallen ließ. „Psst, Süße, beruhige dich, es ist alles in Ordnung."
„Nichts ist in Ordnung. All diese Menschen sind tot. Und das kleine Mädchen. Überall Blut." Eves Körper zitterte unaufhaltsam. Dan bewegte sich auf sie zu und zog sie das letzte Stück an sich heran. Ihr Kopf verweilte nun auf seiner Brust. Innerhalb von Sekunden war sein Shirt von ihren Tränen durchtränkt. Der Schockzustand schien nun scheinbar vollständig nachzulassen, denn sie begann zu realisieren, was gerade geschehen war. Warum sie hier angeschossen im Aufzug lagen. Welche Ausmaße all das angenommen hatte. Doch Dans Nähe hatte eine seltsam beruhigende Wirkung auf sie. Ihr Herzschlag verlangsamte sich wieder etwas und ihr Körper zitterte nicht mehr ganz so schlimm, während er ihr immer wieder beruhigende Worte zuflüsterte. Er drückte ihre Hand fest und hielt sie mit dem anderen Arm umklammert. Eve wusste, dass er ebenso viel Angst hatte, wie sie selbst, auch er wollte nicht sterben. Sie konnte es spüren. Fühlte wie sein Körper kämpfte. Roch den Kampfgeist mit dem er seiner eigenen Panik entgegenwirkte. Und sie war ihm wahnsinnig dankbar dafür, dass er trotz allem nicht die Kontrolle verlor. Diesen Kampf mit sich selbst, gewann er nur für sie. Beinahe konnte sie hören, wie er sich selbst immer wieder vorsagte, dass er nicht panisch werden durfte. Sie spürte jede einzelne seiner Emotionen in ihrer eigenen Brust. Ihre Herzen schlugen gemeinsam im Takt. Ihre Finger hatten sich fest ineinander verkeilt. In diesem Moment waren sie eines. Niemand auf dieser Welt existierte, nur Danilyn.
„Dan, darf ich dich um etwas bitten?" Es war unfair diese Frage zu stellen, denn sie wusste, dass er niemals ablehnen würde, egal worum sie nun bat. In diesem Moment würde er sein Leben für sie geben. Das war ihr klar, und sie würde das gleiche mit ihrem tun.
„Die Antwort auf deine Bitte laute Ja, Evelyn."
„Aber du weißt doch gar nicht was ich fragen wollte."
„Ich werde diese Nacht mit dir verbringen." Sie atmete hörbar ein, woher wusste er, worum sie ihn bitten wollte? Als sie darüber nachgedacht hatte, war es ihr unmöglich vorgekommen, alleine in einem Hotelzimmer einzuschlafen. Bei dem Gedanken daran, wie sie im Bett eines sündteuren Hotels liegen würde, hatte sie nur gesehen, wie die Wände, gleichzeitig mit der Decke, immer näher kamen, bis sie sie schlussendlich erdrückten. Wenn sie jedoch Dan in ihren Gedankengang hinzufügte, schien das nicht zu passieren. Doch anstatt ihr eine Antwort auf die Frage zu geben, warum er wusste, was in ihren Kopf vorging, sprach er einfach weiter: „und wenn du danach immer noch Angst davor hast alleine zu sein, werde ich auch jede weitere Nacht mit dir verbringen. So lange bis du mich nicht mehr an deiner Seite haben willst. Ach weißt du was, es ist mir eigentlich egal, ob du irgendwann glaubst, dass du mich nicht mehr bei dir haben willst. So lange bis wir diese Wunschliste abgearbeitet haben, von der du zuvor gesprochen hast, wirst du mich nicht los." Er grinste sie liebevoll an und sie fühlte, wie die Panik in Daniels Brust etwas nachließ, was zur Folge hatte, dass auch sie wieder etwas freier atmen konnte. Es kam ihr nicht eine Sekunde komisch vor, dass sie seine Emotionen wahrnehmen konnte.
„Hast du etwas zu schreiben in deinem Koffer?", fragte er.
Vorsichtig griff sie nach ihrem Handgepäck und zog Block und Bleistift heraus. Er nahm die Schreibutensilien an sich und schrieb „Erstens" auf das Stück Papier.
„Was willst du unbedingt noch machen, bevor du stirbst?", wollte er wissen.
„Die nötigen Papiere unterzeichnen, damit ich meinen Ex endgültig los werde", sagte sie.
„Das machst du sowieso. Ich spreche von Dingen, von denen man nur träumt und sie immer auf später verschiebt, bis es irgendwann zu spät ist, sie zu tun."
„Fallschirmspringen", antwortete sie wie aus der Pistole geschossen. Davon hatte sie schon immer geträumt, auch wenn es nicht gerade ungewöhnlich war, aber aufgrund ihrer Höhenangst hatte sie sich immer wieder eingeredet, dass noch nicht der richtige Zeitpunkt dafür gekommen war.
Dan schrieb es auf. „Wie sieht es mit dir aus? Was wolltest du immer schon mal machen?", fragte Eve.
„Das hört sich wahrscheinlich wahnsinnig doof an, aber ich möchte einfach mal eine Nacht durchfeiern."
Eindringlich blickte sie ihn an. Feiern? Das war alles? Das würde doch einfach gehen, warum hatte er das denn nie gemacht. Als könnte er ihre Gedanken lesen, sagte er: „Weißt du als Profisportler ist das nicht so einfach." Gedankenverloren sah sie ihm in die Augen. Natürlich als Athlet sollte man sich mit Ausschweifungen wahrscheinlich zurückhalten. Sie fragte sich, ob er sich als Nächstes wünschen würde Fast Food zu essen und musste unwillkürlich grinsen. Diese Abwechslung kam genau recht.
„Du bist wieder dran, Süße."
Sie überlegte und blickte ihn an, dann lächelte sie über das ganze Gesicht: „Ich möchte mich tätowieren lassen."
Er kicherte leise, aber sein Grinsen schien vollkommen aufrichtig zu sein. „Was wirklich? Was möchtest du dir denn unter die Haut stechen lassen?"
Ja was eigentlich? Früher hatte sie öfter darüber nachgedacht, ihre Haut mit Farbe zu verzieren. Aber wenn sie ehrlich war, hatte sie kein richtiges Hobby oder etwas dergleichen. Nichts was so viel Bedeutung für sie hatte, dass sie es verewigen lassen wollte. Klar, sie mochte Musik, hatte jedoch zu wenig Ahnung davon um sich beispielsweise einen Notenschlüssel stechen zu lassen. Außerdem mochte sie Filme, aber sich Harry Potter auf die Haut zu tätowieren, kam ihr irgendwie dämlich vor. Es gab einfach nichts, das wichtig genug war. Nichts außer dem hier. Es war ein schrecklicher Tag für die Geschichte der Menschheit, aber wenn sie ihn überleben würde, würde er für immer ein Teil ihres Lebens bleiben. Ganz bestimmt würde sie sich bis an ihr Lebensende an jedes Detail dieses Tages erinnern und deshalb sagte sie ohne lange zu überlegen: „Ich möchte mir gerne unsere Finger tätowieren lassen, wie sie zu einem Herz geformt waren. Als Vorlage möchte ich das Foto nehmen, das wir vorhin geschossen haben." Für einen Moment sah er sie schockiert an und sie wusste was er dachte. Eve wollte sich einen Teil seines Körpers unwiderruflich auf ihren einprägen lassen. Den Finger eines Mannes, den sie gerade mal einen Tag kannte. Doch das war es nicht, was es für sie bedeutete und das schien sogleich auch Dan zu verstehen. Es bedeutete viel mehr. Es bedeutete alles. Es bedeutete leben oder sterben, Erinnerung oder Vergessen, Stärke oder Opferrolle. Er nickte grinsend, riss das Blatt Papier ab und begann auf dem nächsten zu kritzeln.
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Seelentattoos
RomanceAls Evelyn am Flughafen auf Daniel trifft, wirkt er auf sie genau wie der Typ Mann auf den sie sich nie wieder einlassen will. Mit all den Tattoos und seiner arroganten Art, macht er ihr bereits bei ihrer ersten Begegnung klar, dass er ganz genau we...