Kapitel 12

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„Ich dachte dein Ex-Mann ist hier irgendwo?", fragte Dan, als ihm Eve die Tür zu dem Krankenzimmer, welches notdürftig zu einem Verhörraum umgestaltet worden war, öffnete. „Wir haben uns entschieden die ganze Angelegenheit doch über den Postweg zu regeln", lachte sie. Ihr war klar, dass sie sich auf eine Retourkutsche einstellen konnte, jetzt wo er wusste, dass sie ihn ausgetrickst hatte. Doch im ersten Moment schien ihm das gar nicht so wichtig zu sein. „Was meinst du mit Postweg?"

„Ich habe ihn gebeten mir die Unterlagen per Express zu deinem Haus zu schicken und er hat sich darauf eingelassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Unterlagen auf so einem kurzen Weg verloren gehen, schien ihm wohl um einiges geringer, als wenn er sie nach Madrid geschickt hätte. Denn diese Bitte hatte er mir immer ausgeschlagen. Ist das denn in Ordnung für dich? Würdest du mir deine Adresse verraten?", bat sie.

„Ja, natürlich kein Problem." Er fuhr an den Tisch heran, griff sich ihr Handy und tippte seine Adresse ein. Er hatte auch seinen Namen eingetippt. Jedoch löschte sie den wieder und ersetzte ihn durch ihren eigenen. Sie versuchte sich daran zu erinnern, ob David ein Basketballfan war, stellte aber dabei nur abermals fest, wie wenig sie über ihren Ex-Mann wusste. Für den Fall, dass er jedoch Basketballspiele verfolgte, würde er ihn vielleicht kennen. Zu gerne hätte sie ihm unter die Nase gerieben, dass sie die nächsten Tage mit einem Mann verbringen würde, der bei weitem heißer war als er. Aber dann wäre sie wohl nicht viel besser, als ihr blöder Ex, weswegen sie diese schadenfrohen Gedanken verdrängte. David würde ihn spätestens dann zu Gesicht bekommen, wenn sie Punkt fünf auf ihrer Wunschliste abarbeiten würden. Dem Arschloch sagen, dass es eines war. Obwohl ihr vor dieser Vorstellung graute, wusste sie, dass es sich dabei um etwas handelte, dass sie machen musste, um glücklich sterben zu können. Sie schickte Dans Adresse an ihren Ex Mann und wandte sich dann wieder an den Tätowierten. Eigentlich wusste sie nicht genau was sie zu ihm sagen wollte, aber es brauchte auch keine Worte. Sie sah ihm nur gespannt in die Augen und er griff augenblicklich nach ihrer Hand, ohne den Blick auch nur für eine Sekunde abzuwenden. Irgendetwas an der Tatsache, dass sie scheinbar mit ihm kommunizieren konnte, ohne auch nur den Mund aufzumachen, gab ihr Kraft. Sie fühlte, was er im Moment fühlte, wusste, dass sein Herz ein klein wenig schneller schlug, nur weil sie mit dem Daumen über seine Fingerkuppeln streichelte. Spürte die Sehnsucht, mit der er sie zu gerne in seinen Arm gezogen hätte. Er wartete jedoch auf ihre Erlaubnis und die konnte sie ihm im Moment nicht geben. Zu viel Nähe durfte sie einfach nicht zulassen. Egal wie gerne sie sich an ihn geschmiegt hätte. Das wäre zu gefährlich gewesen. Dan kapierte, denn sein Blick wurde ein wenig härter. Auch er verstand was sie sagen wollte, ohne dass sie wirklich sprach. Es befand sich ein unsichtbares Band zwischen ihnen und sie wusste, dass sie nicht die einzige war, die dieses Band erahnen konnte.

Erst als die Türe geöffnet wurde, wandte sie den Blick von dem Tätowierten ab. Zwei Polizeibeamte traten ein. „Guten Abend Mr. Keene, Mrs. Kramer. Wie geht es Ihnen?" Was für eine äußerst blöde Frage, nach all dem was ihnen heute widerfahren war. Das schien auch Dan so zu sehen, denn er zuckte genervt mit den Schultern. „Könnten wir das bitte schnell hinter uns bringen, dieser Tag war äußerst anstrengend und ich möchte Evelyn nur ungern noch mehr Stress aussetzen." Sie griff nach seiner Hand und drückte sie leicht, um ihm mitzuteilen, dass es schon in Ordnung war, aber eigentlich war es das nicht, denn ihr war bewusst, dass sie sich in den nächsten Minuten mit den Geschehnissen dieses Tages auseinandersetzen musste. Auch wenn sie die ganze Zeit über versucht hatte, nicht über diese Dinge nachzudenken, verursachten die Bilder, die immer wieder in ihrem Kopf herumkreisten ein schreckliches Gefühl, der Angst, Trauer und Panik. Wenn sie jetzt aktiv versuchen musste, sich an alle Einzelheiten zu erinnern, würde es wahrscheinlich noch viel schlimmer werden.

Der größere der beiden Polizisten sah Dan eindringlich an: „Mr. Keene, wir wissen, dass das alles nicht einfach für sie beide ist. Aber es wird Ihnen ohnehin nicht ausbleiben darüber zu sprechen. Sich in einem solchen Fall zu isolieren, zieht schreckliche Konsequenzen nach sich. Es wäre ein großer Fehler sich aus der sozialen Welt zurückzuziehen. Weswegen Ihnen, genauso wie allen anderen Beteiligten und Angehörigen, im Anschluss an diese Befragung ein Seelsorger zur Verfügung steht."

Dan schüttelte den Kopf und nickte dann: „Sie mögen recht damit haben, dass wir diese Dinge verarbeiten müssen und sich dazu professionelle Hilfe zu suchen, ist ganz bestimmt auch nicht verkehrt, aber ich werde mich selbst um einen Psychologen kümmern. Wir sind bereits seit über Vierundzwanzig Stunden auf den Beinen. Noch einen Tag zu warten, wird uns wohl kaum vollständig von der Außenwelt isolieren."

„Wie Sie meinen Mr. Keene. Es steht Ihnen frei, sich selbst darum zu kümmern und diese schreckliche Tat so zu verarbeiten, wie es ihnen selbst am besten scheint. Unsere Fragen müssen Sie aber trotzdem noch beantworten. Das dient der Sicherheit dieses Landes", erklärte der andere Polizist in einem sachlichen Ton.

Genervt rollte Dan seinen Rollstuhl ein wenig zurück und dann wieder vorwärts: „Das ist ein Flughafen. Dort gibt es doch überall Überwachungskameras. Auf den Bändern sehen sie doch ganz genau was da drinnen geschehen ist."

„Auch damit liegen sie richtig, Mr. Keene. Trotz allem brauchen wir Ihre persönliche Aussage. Sie sind die einzigen zwei Personen, die während des gesamten Anschlages im Gebäude waren und dennoch überlebt haben. Außerdem gibt es ein Problem mit den Aufnahmen, die wir von dem Zeitpunkt haben, an dem sie wohl in den Aufzug verschwunden waren. Die Bilder sämtlicher Überwachungskamera, werden genau in diesem Moment blau." Eve zuckte zusammen, bei dem Gedanken an den blauen Umhang und auch Dan wurde plötzlich kreidebleich. Hatte er die mysteriöse Gestalt womöglich auch gesehen? „Man kann nichts erkennen. Doch auch dieser Moment ist wichtig. Wir brauchen das nicht nur für die abschließenden Ermittlungen, sondern unter anderem auch dazu, um der Familie der kleinen Amelia Rodriguez mitzuteilen, wie sie gestorben ist." Amelia, das war ihr Name. Vorsichtig wischte sich Eve eine Träne aus dem Augenwinkel. Wieder fragte sie sich, ob sie sie hätte retten können. „Hättest du nicht, Evelyn. Es ist nicht deine Schuld, dass die Kleine gestorben ist." Dan blickte sie liebevoll an und griff zum gefühlt hundertsten Mal am heutigen Tag nach ihren Fingern. Hatte sie das etwa gerade laut ausgesprochen? Etwas verwirrt blickte der Polizist in ihrer Richtung und sagte dann: „Mrs. Kramer, würden Sie mir bitte erzählen, wie sie den Ablauf des Attentats in Erinnerung haben?" Sie schnappte hörbar nach Luft.

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