Kapitel 39

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Daniel saß mit dem Rücken zur Tür gerichtet an der Hotelbar und dachte darüber nach, wie ein Tag, der so wundervoll gestartet hatte, in so einem Desaster enden konnte. Er rührte das Cocktailstäbchen, das in seinem Cuba Libre steckte. Der wievielte war das jetzt wohl schon? Der siebte? Wahrscheinlich hatte er genauso viel getrunken, wie er Nachrichten auf Eves Mailbox hinterlassen hatte. Wieder griff er sich sein Handy und wählte ihre Nummer. Und wieder meldete sich nur das Band. Das konnte doch einfach nicht sein. Das durfte nicht sein. Evelyn musste ihm verzeihen. Es ging nicht anders. Sie war zu einem Teil seines Lebens geworden auf den er nicht mehr verzichten wollte und das würde er sich von seiner blöden Ex-Freundin, falls man das überhaupt so nennen konnte, bestimmt nicht kaputt machen lassen. Samantha war schon immer eine äußerst unangenehme Zeitgenossin gewesen, berechnend und kaltblütig. Er war auch sicher, dass selbst ihr jetziges Verhalten nur darauf abzielte, ihn für ihre Zwecke auszunutzen. Wahrscheinlich wollte sie nur ein paar Fotos mit ihm, um ihre Medienpräsenz in Europa wieder zu steigern. Denn er wusste nicht, warum ihr seine Beziehung sonst ein Dorn im Auge sein könnte. Mit Eifersucht hatte es bestimmt nichts zu tun, denn Sam hatte ein Herz aus Stein. Aber das was er mit Eve hatte, war viel stärker als Sams boshafte Art. Evelyn musste ihm einfach die Möglichkeit geben sich zu erklären. Auch wenn er ihr einige Details seiner Vergangenheit mit Sam wohl verheimlichen würde. Er wollte einfach nicht, dass sie über ihre gemeinsame Geschichte Bescheid wusste. Außerdem hatte er ein wahnsinnig schlechtes Gewissen deswegen und das Gefühl, seine Gewissensbisse irgendwie unterdrücken zu können, wenn er einfach nicht darüber sprach. Gedankenverloren öffnete er sein Portemonnaie, zog ein Bild heraus und fuhr sacht mit dem Finger darüber. Nein, Evelyn durfte einfach nichts davon erfahren. Sie würde ihn doch ganz bestimmt hassen, wenn sie erfahren würde, was er getan hatte. Frustriert steckte er seine Geldbörse wieder weg, griff sich sein Telefon und begann zu tippen.

Von: Daniel Keene An: Eve 20:22

Bitte Liebling, melde dich bei mir. Wir müssen reden. Es ist alles nicht so wie du denkst. Ich will einfach nicht ohne dich sein.

Er wusste, dass er sich in seinen letzten Nachrichten immer mehr wie ein Weichei anhörte. Noch nie zuvor hatte er um die Zuneigung einer Frau gebettelt. Aber er kannte auch sonst niemanden, der es wert gewesen wäre, zu flehen. Traurig schickte er die Nachricht ab und wählte sogleich wieder ihre Nummer. Langsam verwandelte er sich in einen psychopathischen Stalker. Mit erhobenem Glas deutete er dem Kellner, dass er einen weiteren Drink haben wollte. Mittlerweile fühlte er sich ziemlich benebelt und wahrscheinlich sollte er lieber aufhören zu trinken, wenn er vorhatte heute noch ein ernstes Gespräch mit Evelyn zu führen. Aber das würde ohnehin nur dann gehen, wenn sie sich endlich bei ihm melden würde. Wieder klickte er auf sein Handy, nur um abermals festzustellen, dass sie immer noch nicht zurückgerufen hatte. Wo war sie nur? War ihr vielleicht etwas passiert? Das bezweifelte er. Denn er wusste, dass er es spüren würde, wenn es ihr nicht gut ging. Immerhin spürte er auch den Schmerz, den er ihr bereitet hatte. Im Tattoostudio hätte es ihm deshalb fast das Herz zerrissen. Alles nur wegen dieser blöden Samantha. Wie sehr er den Tag doch verfluchte, an dem er dieser kleinen Schlampe über den Weg gelaufen war. Seit diesem verhängnisvollen Ereignis im Krankenhaus, hatte er sich gewünscht, sie einfach aus seinem Leben streichen zu können. Aber sie war wie eine Geschlechtskrankheit. Wenn man sie erstmal hatte, wurde man sie nicht mehr los. Deprimiert strich er mit dem Finger über die Folie, die sich an seinem Rücken befand und riss sie dann einfach ab. Ja, natürlich war es nicht unbedingt klug, die Folie von seinem Tattoo bereits jetzt zu entfernen, aber das war ihm egal. Dort befanden sich Eves Finger und er wollte sie sehen. Na ja, so gut er seinen Rücken und damit ihre Hand eben sehen konnte. Ihre Finger, die er für den Rest seines Lebens auf seinem Körper tragen würde. Egal, ob dieses Bild jedoch dort eingeprägt war oder nicht, aus seinem Herzen würde er sie sowieso nie wieder löschen können. Daher war es vollkommen gleichgültig, ob man es auch ganz offenkundig sehen konnte, wie sehr er sie brauchte. Genau wie dieses Herz aus Fingern, war auch er, ohne sie nur halb. Diese Hand gehörte zu seiner. In seine. Ob er wohl irgendwann einen Ring an einen der Finger stecken und sie so, für immer zu Seiner machen durfte? Vor wenigen Wochen hätte ihm die Vorstellung von, bis dass der Tod euch scheidet, noch eine Heidenangst eingejagt, aber jetzt schien ihm das einzig erstrebenswerte Ziel zu sein. Er knallte ein paar Scheine auf die Bar und rannte aus dem Hotel. Geradewegs lief er den Ocean Drive entlang und bog dann in eine Querstraße ab. Er war schon lange nicht mehr hier gewesen und hoffte, dass sein Ziel überhaupt noch existierte. Erleichtert erblickte er den exquisiten Schmuckladen, den er vor vielen Jahren einmal besucht hatte. Was für ein Glück, dass die meisten Geschäfte hier auch spätabends noch geöffnet hatten. Ein Mann im Anzug blickte ihn mit großen Augen an. „Kann ich Ihnen helfen, Sir?" Wahrscheinlich hatte er schon von weitem Dans Alkoholfahne gerochen und bezweifelte jetzt, dass er sich überhaupt irgendetwas hier leisten konnte. Um diesen Eindruck gleich zu widerlegen, fischte er einige hundert Dollar Scheine aus seinem Portemonnaie. Er wollte unbedingt verhindern, dass man ihm nur die billigen Teile zeigte. Eve hatte etwas ganz Besonderes verdient. Den schönsten Ring, den sie hatten. Geld spielte keine Rolle. „Ich suche einen Ring für meine Freundin", erklärte Dan. Der Juwelier nickte: „Sie wollen sich also verloben?" Er blickte ihn etwas verdattert an. Verloben? Ja, das wollte er. Aber erst als er es aus dem Mund des Mannes gehört hatte, bemerkte er, wie lächerlich das war. Sie kannten sich doch erst fünf Wochen und selbst wenn sie sich fünf Jahre kennen würden, würde Eve niemals Ja sagen. Sie waren doch noch nicht mal richtig zusammen. Wahrscheinlich würden sie auch niemals richtig zusammen sein, weil diese Frau panische Angst vor Beziehungen hatte. Er wollte sich gar nicht ausmalen, wie sie reagieren würde, wenn er sie darum bitten würde, seine Frau zu werden. Beinahe hätte er seinen Plan wieder verworfen, aber jetzt war es zu spät. Er wollte das durchziehen. Auch wenn sie sich nicht mit ihm verloben wollte, sollte sie trotzdem seinen Ring tragen. Ein Zeichen der Unendlichkeit, weil er sich einfach so sehr wünschte, dass das, was zwischen ihnen war, niemals enden würde. Er nickte, obwohl er wohl eher nach etwas weniger Bedeutsamem, als einem Verlobungsring suchte. „Welche Ringgröße?", fragte der Juwelier. „So groß", antwortete er und schob sein Shirt nach oben, um ihm das Tattoo zu zeigen. Etwas schockiert blickte der Mann ihn an. „Sie wissen die Größe also nicht? Ich kann nur raten, wenn er nicht passen sollte, müssten wir ihn im Nachhinein ändern." Wieder nickte Dan. Der Juwelier entsperrte einige Vitrinen und legte verschiedenste Modelle vor ihm ab. Er brauchte nur wenige Sekunden, um zu entscheiden, dass keiner dieser Ringe zu Eve passte. Die meisten waren zu protzig, andere einfach altmodisch. „Nein", sagte er, „Das ist nicht, wonach ich suche. Wissen Sie, das passt einfach nicht zu ihr. Evelyn ist eine Königin. Anmutig und wunderschön, aber sie ist auch zierlich und zurückhaltend. Ihr geht es um das Wohl anderer, mehr als um ihr eigenes. Sie ist lebenslustig und trotzdem ein wenig unsicher. Eigentlich gibt es nichts, wofür sie sich schämen müsste, aber sie mag es nicht im Mittelpunkt zu stehen. Und genau so sollte dieser Ring sein. Filigran, aber trotzdem strahlend", er deutete auf einen Ring in der Vitrine hinter dem Juwelier. Das Ringband war zierlich und geschwungen und in der Mitte saß ein einziger größerer Diamant, der noch von weiteren, kleineren umgeben war. Er hatte bei ihrem ersten Aufeinandertreffen den Ring gesehen, den ihr Ex-Mann ihr gekauft hatte. Dieses Schmuckstück, das er gerade ausgesucht hatte, hatte nichts mit dem gleich, das ihr Ex für sie gewählt hatte. Offensichtlich war das alte Stück ziemlich lieblos ausgesucht worden. Aber dieser Ring hier besaß Eves Persönlichkeit. Er war perfekt. Es war beinahe so, als würde eine Seele in ihm wohnen.

Mit einer kleinen Schatulle in der Hand und einige tausend Dollar ärmer, verließ er das Geschäft. Und auch wenn er sich im Moment nicht in der besten Situation befand, war er glücklich. Wieder griff er zu seinem Handy und hinterließ eine weitere Nachricht auf Eves Mailbox. Als er auflegte, lächelte er. Erst die Stimme hinter ihm, löschte das Grinsen aus seinem Gesicht. „Du bist jetzt also tatsächlich ein Romantiker", lachte Sam.

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