Kapitel 59

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Der Fischer setzte den Anker an einer Stelle die Eve nicht unbedingt an einen Hafen erinnerte. Es gab nur einen kleinen Steg, der den Strand entlangführte. Dort angekommen blickte sie sich um. Es lagen wenige Menschen auf den Liegen im Sand und genossen das Wetter, das hier sogar noch heißer war als in Miami. Als sie gerade ansetzte nach ihrem Koffer zu greifen, den Daniel hinter sich herzog, kam ein Mann auf sie zugestürmt. „Mr. Keene. Was für ein Glück. Wir hatten schon befürchtet es sei Ihnen etwas passiert. Immerhin sollten Sie schon gestern ankommen. Als ihre Mutter Sie dann ebenfalls nicht erreichen konnte, wäre hier beinahe Panik ausgebrochen." Fuck! Daniel schlug sich die flache Hand gegen die Stirn. Klar, er hatte gesehen, dass seine Eltern versucht hatten ihn anzurufen, jedoch hatte er sie schlichtweg ignoriert. Aufgrund der Vorkommnisse in den letzten zwei Wochen, hatte er sich lieber mit den Menschen beschäftigt, die er in Miami um sich hatte, um möglicherweise herauszufinden, was er vergessen hatte. Dabei hatte er einfach keine Zeit für seine Eltern, außerdem dachte er nicht, dass sie im Stande wären ihm zu helfen. Nicht zuletzt deshalb, weil er sich immer wieder eingeredet hatte, dass er ihnen ohnehin nichts über die mysteriöse Unbekannte erzählt hatte. Er war die ganze Zeit seiner retrograden Amnesie, davon ausgegangen, dass er immer noch Daniel das Arschloch war. Daniel, der sich auf keine Frau einließ, weil er keine Lust auf emotionale Schlampen hatte, die sich nur für Fire interessierten, anstatt hinter diese Fassade zu sehen. Dabei hätte er es doch spüren müssen, was Eve ihm bedeutete und weshalb er seiner Familie schon des Öfteren von ihr erzählt hatte. „Deine Mutter?", fragte Evelyn verwirrt. Wie aufs Stichwort kam sie auf ihn zugelaufen. Sie war eine zierliche Frau, deren Körpergröße niemals darauf schließen hätte lassen, dass Daniel wirklich ihr Sohn war. Ihre dunklen Haare flogen im Wind, weil sie so energisch auf ihren Sohn zu stürmte. Nur wenige Meter hinter ihr trottete sein Vater hinterher. Diesen Mann konnte für gewöhnlich nichts aus der Ruhe bringen und auch jetzt sah er vollkommen entspannt aus, während seine Mom wie ein Seemann fluchte. „Verdammt, Daniel. Warum hast du dich nur nicht bei uns gemeldet? Was ist geschehen?", fragte sie voller Sorge, während sie ihn in den Arm zog, „Ihr solltet doch gestern schon hier sein." „Gestern?", nuschelte Evelyn verwirrt. Seine Mom drückte Daniel noch einmal fest und ließ dann so abrupt von ihm ab, wie sie ihn eingefangen hatte. „Du musst Eve sein!", sie strahlte über das ganze Gesicht und zog sie in eine mindestens genauso euphorische Umarmung. Offensichtlich hatte Evelyn keine Ahnung was hier gerade geschah, denn sie sah sich hilfesuchend nach Daniel um, was ihn dazu veranlasste zu kichern. „Ich bin Lucia. Mein Sohn hat nicht übertrieben als er mir erzählt hat wie hübsch du bist." „Dein Sohn?", stammelte sie. Daniel half Eve aus der Umarmung seiner Mutter und sagte dann grüblerisch: „So war das eigentlich nicht geplant, Mom." Seine Mutter winkte ab: „Papperlapapp. Ganz egal wie es geplant war, wir dachten schon euch sei etwas Schlimmes passiert, weil wir eure Ankunft schon vor über vierundzwanzig Stunden erwartet hätten. Emma wollte schon einen Suchtrupp losschicken und Evelyns Eltern sitzen auf Nadeln." Sie blickte sich kurz zu dem Mann um, der als Erstes auf sie zugekommen war: „Wo sind sie überhaupt? Wissen sie schon Bescheid?"

„Meine Eltern und Emma?", Evelyn taumelte einen Schritt zurück und stieß somit leicht gegen Daniels Vater, was sie sichtlich verunsicherte, den Basketballspieler jedoch nur dazu brachte noch breiter zur grinsen. „Hi, ich bin Diego!", sagte sein Vater freundlich und hielt ihr die Hand hin, „Ich entschuldige mich hiermit für das ungestüme Verhalten meiner Frau, aber wenn du Daniel kennst, wirst du damit ohnehin schon Bekanntschaft gemacht haben. Diesen Charakterzug hat er nämlich von ihr geerbt." Immer noch starrte Eve nur auf seine Hand hinab, griff sie dann zögerlich und sagte mit dem Blick auf seinen Dad gerichtet: „Daniel, könnte ich dich bitte kurz sprechen?" Eigentlich fand er diese ganze Situation äußerst unterhaltsam und wollte sie noch nicht erlösen. Jedoch stürmten im Moment ohnehin vier Menschen auf sie zu. Daraus schloss er, dass es sich hierbei wohl um ihre Eltern, ihren Bruder und Emma handeln musste. Überrascht riss Eve die Augen auf und plötzlich hatte Dan das Gefühl, als würde ihr die ganze Situation gleich etwas zu viel werden, weswegen er sie zärtlich in den Arm zog. Eigentlich war das auch alles ganz anders geplant gewesen. Keiner dieser Personen sollte so überstürzt auf sie zulaufen, aber nachdem sie gestern einfach nicht aufgetaucht waren, war es nachvollziehbar, warum ihre Familienmitglieder so reagierten. Trotzdem wäre es Daniel um einiges lieber gewesen, es wäre alles nach Plan verlaufen. Denn im Moment war auch er etwas überfordert und wusste nicht was er tun sollte. Eigentlich hatte er sie hier hergebracht um eine kleine private Party zu veranstalten. In dem schönen Beachhouse hier am Strand. Leider war das bereits für gestern geplant gewesen. Genau genommen sollte sie seit gestern ganz offiziell seine Freundin sein und seinen Ring tragen. Gerade wusste er leider nicht so richtig wie er das wieder hinbiegen sollte. Emma stürzte sich in Eves Arme, während ihre Mutter ihr liebevoll die Hand auf den Rücken legte und plötzlich überkam Daniel ein Gefühl, das stärker war als jedes andere zuvor. Er legte sich die Hand auf das Herz, während er von Eve abließ, um ihrer Familie die Zeit zu geben, sie ausgiebig zu umarmen. Dan spürte wie alle Gefühle aus Eve herausbrachen. Diese ungemeine Erleichterung und die Hoffnung, die sich in ihrem Herzen gebildet hatte. Auch ohne ihr ins Gesicht blicken zu können, wusste sie, dass sie weinte. Er musste dem Drang widerstehen, ihre Familie wegzuschicken, damit er derjenige sein konnte, der sie tröstete. Aber das war auch gar nicht nötig. Von ganz alleine ließ sie von ihrer Freundin ab und drehte sich zu ihm um. Vorsichtig streckte sie die Hand aus, die Daniel sogleich ergriff. Alle Anwesenden beobachteten gespannt was weiter passieren würde. Erst als sie sich an seine Brust kuschelte und nicht den Anschein machte, als wollte sie etwas sagen, fragte Eves Mutter schockiert: „Evelyn, Kind. Warum weinst du?"

Das war zu viel. Er musste sie an einen Ort bringen, an dem sie sich ein wenig wohler fühlen würde. Hier am Steg all die Dinge auszubreiten, die ihnen beiden geschehen waren, war einfach nicht der richtige Ort. Sanft legte er den Arm auf ihrem Rücken ab und warf einen Blick in die Runde: „Ich denke es wäre besser, wenn wir uns alle setzen würden. Lasst uns doch einen kleinen Happen im Beachhouse essen. Dort können wir uns ganz ungestört austauschen." Seine Eltern nickten und seine Mom begann sich mit Emma zu unterhalten, während sie den Strand zurückliefen. Schon seltsam, wie schnell sich hier alle aneinander gewohnt zu haben scheinen. Denn auch Evelyns Familie und Emma waren erst seit vorgestern hier. Genau so wie es sein Plan vorgesehen hatte. Seine Eltern waren bereits jetzt zur Vorbereitung der bevorstehenden Winter – und somit auch Hauptsaison - hier nach Kuba gekommen, um ihr Hotel auf Vordermann zu bringen und dann bis im Mai hier zu arbeiten. Trotzdem wollte Daniel sichergehen, dass sie Evelyn kennenlernen konnten. Er dachte es wäre eine gute Idee dabei auch gleich auf ihre Eltern zu treffen und hoffte, damit ein wenig Eindruck zu schinden, dass er sie nach Kuba eingeladen hatte. Ob Eve ihm zugestimmt hätte ,das alles so anzugehen oder eher wieder schreiend davongelaufen wäre, wusste er zwar nicht, aber im Moment sah es ganz danach aus, als würde sie es genießen, ihre Liebsten um sich zu haben.

Zum Glück. Bei seiner Planung hatte er sich immerhin auch den Worst Case ausgemalt. Was hätte passieren können, hätte sich Eve davon zu sehr unter Druck gesetzt gefühlt. Aber er hatte das Gefühl, dass diese Gefahr ohnehin noch nicht ganz abgewandt war, immerhin hatte er sie noch nicht gefragt, ob sie nun endlich seine Freundin sein wollte und zum Beweis dafür diesen Ring tragen würde.

Im Beachhouse angekommen setzten sich alle an einen gedeckten Tisch. Sofort war Dan klar, dass der wohl noch von gestern so aussah. Seine Eltern hatten wirklich tolle Arbeit geleistet alles so herzurichten, wie er es für seinen Antrag haben wollte. Dennoch war er sich nicht sicher, wann wohl der richtige Zeitpunkt gekommen war, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Erst war es wohl an der Zeit zu erklären, warum sie so spät dran waren. Außerdem sollte er sich noch mal bei allen entschuldigen, dafür, dass er Eve tatsächlich einfach vergessen hatte. Denn er hatte ein wahnsinnig schlechtes Gewissen deshalb. Dann würde er erst mal abwarten wo dieses Gespräch hinführte. Er konnte spüren, das Evelyn ohnehin schon sehr emotional war. Da wollte er nicht gleich noch einen draufsetzen. Außerdem hatten sie ab sofort hoffentlich alle Zeit der Welt. So etwas würde ihnen ganz bestimmt kein zweites Mal mehr passieren.

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