Kapitel 29

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Eve schluckte hart, während sie einige Schritte zurücktaumelte. Was erwartete Dan jetzt wohl von ihr? „Evelyn, was empfindest du für mich", hallte es in ihrem Kopf wieder. Dadurch, dass sie es nicht zugelassen hatte sich ihre eigenen Gefühle einzugestehen, wusste sie das gar nicht so genau. Um Zeit zu schinden antwortete sie das erstbeste, das ihr einfallen wollte: „Du bist wahnsinnig einfühlsam, Daniel, das mag ich wirklich sehr an dir", führte sie aus, doch er unterbrach sie abrupt. „Das meine ich nicht, Liebling. Ich will wissen, was du fühlst, wenn du in meiner Nähe bist und was meine Küsse in dir auslösen." „Ist das nicht ein wenig schwierig zu erklären?", versuchte sie sich herauszureden. Mit entschlossenem Blick sah er sie an. „Evelyn, was empfindest du für mich?", wiederholte er die Frage, die er bereits zuvor gestellt hatte. Energisch fuchtelte sie mit den Händen vor ihrer Brust herum. „Was möchtest du denn jetzt genau hören? Meine Gefühle sind verwirrend. Natürlich gehen sie über eine normale Freundschaft hinaus, sonst hätte ich wohl vorhin nicht so eifersüchtig reagiert, aber wie soll ich das nur in Worte fassen?"

„Fällt dir das wirklich so schwer?", fragte er und in seiner Stimme schwang ein wenig Enttäuschung mit. Sie zuckte mit den Schultern: „Wie würdest du dieses Gefühl denn beschreiben?", stellte sie eine Gegenfrage, wusste aber schon als sie es aussprach, dass sie sich ziemlich feige verhielt.

„Das was ich für dich empfinde ist Liebe, Evelyn."

Sie taumelte einen Schritt zurück. Hatte sie sich das gerade nur eingebildet oder hatte er wirklich Liebe gesagt? Abrupt erstarrte sie zu einer Säule und starrte ihn mit großen Augen an.

„Was empfindest du für mich, Liebling. Bist du in mich verliebt?" Es dauerte einige Sekunden, bevor seine Worte bis in ihr Hirn vorgedrungen waren. Eve nahm sich ihren Trink und trank ihn auf Ex, bevor sie ein paar Schritte zur Seite wankte und sich auf einer Brüstung absetzte, die sich hinter der Open Air Bar befand.

War sie denn in ihn verliebt?

Ihre innere Stimme lachte sie aus. Wem wollte sie hier bitte etwas vormachen? Sich selbst? Dan? Diese Stimme konnte sie nämlich ganz bestimmt nicht täuschen. Natürlich war sie in ihn verliebt. „Unwiderruflich", verhöhnte sie ihr Unterbewusstsein weiter. Für gewöhnlich hätte sie dieser kleinen, verräterischen Bitch längst den Mund verboten, und sich eingeredet, dass das alles gar nicht stimmte. Aber sie war betrunken und erlaubte es sich selbst, diese Gedanken einfach weiterzuspinnen. Sie war nicht nur verliebt. Sie war ihm mit Haut und Haar verfallen. Ganz bestimmt würde sie ihn bis an ihr Lebensende vermissen, wenn er sie irgendwann verlassen würde. Solche Gefühle hatte sie nie zuvor, nicht einmal für David und dass sie es sich bisher nicht eingestanden hatte, hatte diesen intensiven Empfindungen nicht mal annähernd einen Abbruch getan. Nein, dadurch war ihm ihr Herz wahrscheinlich sogar noch mehr ausgeliefert. In Daniels Augen sah sie, dass er verstand was sie jetzt brauchte. Er musste ihr ein paar Augenblicke Zeit geben, um sich selbst darüber klar zu werden, was sie genau fühlte und wie viel sie bereit war davon preiszugeben. Sie war äußerst dankbar, dass er sie nicht drängte ihm ihre Gefühle sofort zu offenbaren. Ganz im Gegenteil, er kniete sich vor sie hin und legte seine Hände auf ihre nackten Schenkel. Dann blickte er ihr abermals tief in die Augen: „Du musst mir nicht sofort eine Antwort geben, Eve, wir können auch ein anderes Mal darüber sprechen. Es wäre einfach nur schön gewesen zu wissen, dass du auch mehr für mich empfindest, als einfach nur Freundschaft. Es war blöd, dich so unter Druck zu setzen, wenn du noch nicht bereit bist ist das okay für mich. Ich hätte dir die Zeit geben sollen, die du brauchst, um ..." „Ich bin in dich verliebt", unterbrach sie ihn mitten in seinem Satz. Ihre Stimme war unnatürlich hoch und wahrscheinlich hatte er sich ihr Geständnis anders gewünscht. Liebevoller. Aber sie hatte es so schnell wie möglich aussprechen müssen, weil sie sonst bestimmt der Mut verlassen hätte. Mit großen Augen starrte er sie an. „Bist du wirklich?" Sie nickte und blickte dann leicht beschämt von ihm weg. Warum nur, fiel es ihr so schwer über Gefühle zu sprechen? Lächelnd zog er sie hoch in seine Arme und küsste sie dann leidenschaftlich, bevor er von ihr abließ und lachte: „Jetzt werde ich dir noch viel mehr Alkohol einflößen, bis du mir zustimmst, dass wir auch ganz offiziell zusammen sein sollten." Sie schüttelte energisch den Kopf: „Bitte Dan, das geht mir wirklich zu schnell." Er öffnete den Mund und setzte an etwas zu sagen, schloss ihn aber sofort wieder. Wahrscheinlich wollte er sein Glück nicht überstrapazieren.

„Komm!" Er zog sie an der Hand aus der Bar und weiter den Ocean Drive entlang. Mittlerweile fiel es ihr ziemlich schwer nicht zu wanken und sie beschloss, dass es an der Zeit für eine Pause war. „Daniel, ich denke, ich muss hier kurz unterbrechen, wenn ich jetzt noch weiter trinke kannst du mich ganz bestimmt in weniger als einer Stunde zurück zum Hotel bringen. Ich bin jetzt schon ziemlich betrunken und es ist noch nicht mal acht Uhr."

Er grinste: „Mission erfüllt. Was möchtest du dann jetzt machen?"

„Das ist dein Wunsch, Dan. Du musst entscheiden", erklärte Eve. Anstatt zu Antworten legte er die Hand auf ihren Rücken und schob sie nach rechts zum Strand. „Wenn wir uns jetzt eine Weile an den Strand setzen, können wir den Sonnenuntergang beobachten. Komm schon, Liebling. Lass uns ein wenig romantisch sein." Er wackelte mit den Augenbrauen, bevor er sie sanft an der Hand packte und sie neben ihm her den Strand entlanglief. Im Sand gingen einige Menschen spazieren, andere saßen einfach nur auf ihren Strandtüchern und tranken. Ein seltsames Bild für einen öffentlichen Badeabschnitt in Florida, waren die Regeln, was Alkohol anbelangte, doch normalerweise ziemlich strikt. Nicht jedoch hier in South Beach. Obwohl Eve glaubte gehört zu haben, dass es hier auch nicht offiziell erlaubt war Drinks zu sich zu nehmen. Aber solange man keine Glasbehälter mit sich führte, wurde man von den Cops geflissentlich ignoriert. Wieder einmal entgingen Eve die Blicke der anderen Frauen nicht, die Dan anschmachteten und wieder einmal versetzte es ihr einen Stich. Eigentlich wusste sie, dass er nichts dafürkonnte, aber dank ihrer Vergangenheit, unterstellte ihm ihr Unterbewusstsein dennoch immer wieder, dass er es genießen könnte, dass ihm so viel Aufmerksamkeit zuteilwurde. Wenn sie es jetzt zuließ, dass sie sich noch näherkamen, würde sie denn damit leben können? Sie verfluchte David dafür, dass er sie so vermurkst hatte. Daniel hatte es nicht verdient, dass sie ihm so misstraute. Immerhin konnte er doch nichts für die Blicke der Frauen hier am Strand. Doch Eve wusste, dass es noch einiges an Zeit brauchen würde, bis sie wieder einigermaßen Vertrauen in die Männerwelt fassen würde und sie befürchtete, dass Daniel nicht mit ihrer Eifersucht klarkommen würde. Aber hatte er nicht vorhin noch gesagt, dass er ein Problem damit hatte, wenn sie nicht eifersüchtig war. Um ihn auf die Probe zu stellen, sagte sie: „Ich kann es nicht ausstehen, wenn sie dich so anstarren." Verwirrt blickte er sich um. Scheinbar wurde ihm erst jetzt klar, dass ihm einige Damen schmachtende Blicke zuwarfen. Wieder etwas, das Eve überraschte. Eigentlich war sie davon ausgegangen, dass ihm die Aufmerksamkeit sehr wohl bewusst war, die ihm überall zuteilwurde.

„Ach weißt du, das fällt mir gar nicht mehr wirklich auf. Immerhin bin ich in Spanien meistens von völlig hysterischen, kreischenden Weibern umgeben. Das hingegen ist eine angenehme Abwechslung", er nickte nach rechts zu einer Gruppe Frauen, „mit denen muss ich mich wenigstens nicht auseinandersetzen." Okay, es gab also noch viel schlimmere Konkurrentinnen als die da. Solche wie diese lästige Stewardess auf ihrem Flug. Eve bezweifelte stark, dass sie das ertragen könnte, ohne irgendwann auszuflippen. „Weißt du, Daniel, ich befürchte es könnte passieren, dass ich eine riesen Szene hinlege, wenn ich einer dieser Frauen begegne." Zu ihrer Verwunderung lachte er und sagte dann schmunzelnd: „Das würde ich zu gerne sehen."

„Ich meine es ernst, du musst mich zurückhalten, sollte es so weit kommen", bat sie ihn.

„Ach, weißt du was? Ich lasse es einfach erst gar nicht so weit kommen. Früher hatte ich immer so getan, als hätte ich kein Problem damit, eine Menge Zeit damit zu verbringen, meine Fans glücklich zu machen, obwohl es mir eigentlich fast immer viel zu viel war. Aber jetzt weiß ich, wie schnell das Leben vorbei sein kann und möchte mehrere Dinge einfach nur für mich selbst tun. Dazu gehört es, fremde Menschen höflich abzuweisen, wenn ich im Supermarkt stehe. Aber ganz ehrlich, Eve, es gibt keinen Grund mir nicht zu vertrauen. Das verspreche ich. Auch für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass ich irgendwann das Interesse an dir verlieren werde, werde ich dich ganz bestimmt nicht betrügen. Warum sollte ich das auch tun? Vor allem jetzt wo ich weiß wie schlimm das für dich wäre." Sie sah ihm in die Augen, während er sie neben sich in den Sand zog. Konnte sie das denn glauben? Aber es sprach doch nichts dagegen es wenigstens zu versuchen.

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