Nachdem sie die Köstlichkeiten verspeist hatten, die von Daniel zum Frühstück aufgetischt worden waren, zog er sie an der Hand auf und rollte die Decke danach wieder zusammen. Anschließend platzierte er das leere Geschirr auf dem Tablett und stellte dieses einfach auf der Liege ab.
„Komm mit", forderte er Eve auf und hielt ihr dabei die Hand hin. „Wohin gehen wir denn?", wollte sie wissen. Gespielt entrüstet schnalzte er ein paar Mal mit der Zunge: „Vertraust du mir jetzt etwa immer noch nicht, Liebling?" Abermals überkam sie ein Unbehagen, aber sie beschloss, dass es an der Zeit war sich ein wenig zu entspannen. Zumindest in seiner Gegenwart konnte sie sich etwas gelassener geben, ohne gleich Gefahr zu laufen verletzt zu werden. Er würde ihr bestimmt nichts tun. Hatte er nicht bereits bei der Psychologin gesagt, dass er sie behandeln würde, als wäre sie aus Glas und er sie niemals einfach zerbrechen lassen würde? Deshalb griff sie nicht mehr ganz so zaghaft nach seiner Hand und ließ sich ohne Widerworte vom Strand wegziehen. Zu ihrer Verwunderung brachte er sie jedoch nicht zurück zum Hotel, sondern zu der Garage, in der sein Auto parkte. Fragend sah sie ihn an.
„Ich habe unsere Sachen bereits gepackt, auch wenn wir eigentlich noch eine weitere Nacht gebucht hätten. Immerhin bin ich nicht mehr betrunken und wir können uns jetzt schon auf den Heimweg machen. So versäume ich wenigstens nicht dieses spannende Baseballspiel. Heute spielen die Rays gegen die White Sox."
„Baseball?", seufzte sie. Wer zum Teufel sah denn bitte Baseball? Das war doch, gleich nach Fußball, die langweiligste Sportart der Welt. Evelyn befürchtete jetzt bereits, dass sie sich wohl früher oder später mit Daniel ein Basketballspiel ansehen musste. Auch diese Aussicht ließ sie nicht gerade einen Freudentanz aufführen, aber sie hoffte, dann wäre es eines von seinen Spielen live im Stadion. Baseball dagegen im Fernsehen zu verfolgen und dafür diesen wundervollen Urlaub abzubrechen stand ganz bestimmt nicht auf der Liste mit Dingen, die sie unbedingt in ihrem Leben gemacht haben wollte.
Sie musste schwer mit sich kämpfen um sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, hatte sie sich doch so gefreut noch ein einen weiteren entspannten Tag mit ihm zu verbringen, bevor sie morgen wieder zu der Therapiesitzung mussten. Gespielt lächelnd ließ sie sich auf den Beifahrersitz fallen und schloss die Augen. Nun würde sie einfach versuchen noch ein wenig zu schlafen, dann musste sie ihre Frustration wenigstens nicht verheimlichen.
Tatsächlich war sie nach wenigen Minuten eingeschlummert und erst als sein Auto hielt, wachte sie wieder auf. Verschlafen blickte sie sich um und stellte zu ihrer Verwunderung fest, dass sie sich nicht bei seinem Haus befanden. Eher sah es hier so aus, wie auf einem Flugplatz, auf dem mehrere kleinere Maschinen standen. „Dan, was machen wir hier?", fragte sie entrüstet. Hier ging irgendetwas vor sich, das Eve augenblicklich noch mehr beunruhigte. Er grinste verschmitzt. „Du wolltest doch Fallschirmspringen." „Was? Jetzt?", kreischte sie ängstlich. Unwillkürlich klemmte sie sich an den Griff der Beifahrertür. Laut prustete er los. „Natürlich könnten wir es auch noch mal verschieben", er machte eine theatralische Pause und fuchtelte mit der Hand vor ihrer Nase herum, „oder ... wir bringen es einfach gleich hinter uns." „Nein Daniel. Das geht nicht. Ich brauche ein wenig mehr Vorbereitungszeit." Er ignorierte ihre Aussage, stieg aus dem Auto, ging auf ihre Seite und öffnete die Beifahrertür, wodurch sie fast aus dem Wagen gefallen wäre. Schwungvoll hievte er sie auf seine Arme und trug sie zu einer hohen Halle, während sie sich wild zappelnd zu wehren versuchte. „Dan, ernsthaft. Das ist viel zu spontan. So bin ich nun mal nicht. Bitte lass mich herunter." Weiterhin schenkte er ihren Worten keinerlei Beachtung, sondern trug sie einfach zu einem Mann, den dieses Szenario sichtlich zu amüsieren zu schien. Jedoch ignorierte auch dieser Kerl ihre Versuche aus dieser verzwickten Situation herauszukommen und redete stattdessen mit Dan. Nach nur wenigen Worten, die sie gewechselt hatten, führte sie der Mann zu weiteren zwei Kerlen, die bereits ein professionell wirkendes Skydiving-Outfit trugen. Eve hatte sich währenddessen ein wenig beruhigt, denn sie wollte nicht so wirken, als wäre sie vollkommen durchgeknallt. Trotz allem hatte sie die Nägel immer noch in das Fleisch von Daniels Armen gebohrt. Mit ziemlicher Sicherheit würde sie dort bleibende Narben verursachen. Er schien von alldem jedoch ziemlich unbeeindruckt zu sein, denn er stellte sie einfach auf den Füßen ab und überließ dem Mann, der sie hergeführt hatte das Wort: „Sie werden heute einen Tandemsprung absolvieren. Die Verantwortung dafür legen sie in die Hände dieser beiden Männer. Das ist Micah", er deutete auf den größeren, gutaussehenden Kerl. „Er wird mit Ihnen springen, Evelyn." Dann stellte er Dan den anderen Fallschirmspringer vor. Sein Name war Ezra und er erzählte eine kurze Anekdote über den Sport, während Micah Eve bereits in ihren Anzug half. „Es tut mir sehr leid, Micah, aber ich bin mir noch gar nicht so sicher, ob ich das überhaupt machen will", versuchte Eve sich aus der Affäre zu ziehen. Der Fallschirmspringer schenkte ihr ein charmantes Lächeln: „Keine Angst, Süße. Wir bereiten uns jetzt zuerst vor. Wenn wir in der Maschine sitzen und du immer noch nicht willst, können wir einfach wieder zurückfliegen. Dann springen eben nur Ezra und Daniel." Diese Worte beruhigten sie ein klein wenig, auch wenn sie wusste, dass sie eigentlich keinen Rückzieher machen sollte. Immerhin war das hier ihr Wunsch. Unsicher kaute sie auf ihren Fingernägeln. Das war eine Angewohnheit, die sie sich eigentlich vor langer Zeit abgewöhnt hatte und erst durch das Attentat wieder aufgetreten war. Ihre Gedanken drehten sich im Kreis und ihr wurde schwindlig. Daniel blickte sie liebevoll an, während er mit Ezra sprach. Unterdessen fing Micah an, Eve einzuweisen. Auch Daniel begann sich zu bekleiden, nahm die Augen jedoch nicht von dem Typen, der an Eve herumfummelte. Seine Berührungen waren ihr etwas unangenehm, besonders unter dem strengen Blick von Dan. Außerdem fand sie es merkwürdig, dass Ezra Daniel bei weitem nicht so inbrünstig half, wie Micah es bei Eve tat. Natürlich war sie froh, dass er um ihre Sicherheit besorgt war, aber die anzüglichen Blicke, die er ihr dabei zuwarf, entgingen selbst ihr nicht. Für gewöhnlich hätte sie sich wahrscheinlich geschmeichelt gefühlt, dass dieser gutaussehende Kerl versuchte mit ihr zu flirten, aber in dieser Situation fürchtete sie, dass Dan die Lage falsch deuten könnte, denn er sah nicht gerade glücklich darüber aus. Der Mann hatte von ihr abgelassen, wodurch sie sicher war, dass sie nun fertig angezogen war. So gut sie konnte, arbeitete sie daran ihre Aufregung zu verbergen und versuchte sich an einem Grinsen. Lächelnd machte sie einen Schritt auf Daniel zu, der sie weiterhin ziemlich bekümmert musterte und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Diese Berührung kam so überraschend, dass er unwillkürlich einen Schritt zurücktaumelte, jedoch fing er sich sogleich und legte ihr die Hand um die Taille. Er sah ihr tief in die Augen: „Du schaffst das, mein Liebling." Zu gerne hätte sie sich noch ein wenig seinen Berührungen hingegeben, aber genau in diesem Moment kam Micah auf sie zu und erklärte, dass sie sich vor ihn stellen musste, er zeigte ihr wie man verschiedenste Gurte anlegte, um sie darauf vorzubereiten, was er im Flugzeug mit ihr machen würde, sobald sie die richtige Höhe erreicht hätten. Unsicher folgte sie Micah zu dem kleinen Propellerflugzeug in dem sie sich neben ihm niederließ, was Daniel ganz offensichtlich nicht gefiel. Würden seine Blicke töten können, wäre dieser attraktive Kerl jetzt wahrscheinlich tot. Eve war äußerst dankbar dafür, dass sie noch nicht ganz verstanden hatte, was hier eigentlich vor sich ging. Ansonsten wäre sie mittlerweile ein nervliches Wrack. Das Herz schlug ihr trotzdem bis zum Hals. Daniel streichelte sanft über ihre zitternde Hand. Gerade als er irgendetwas zu ihr sagte, das sie wahrscheinlich beruhigen sollte, ertönte ein lautes Propellergeräusch. Wie konnte er nur so ruhig bleiben? Hatte er etwa gar keine Angst? Während das Adrenalin durch Eves Körper schoss, saß Daniel so entspannt da, als würden sie sich beim Sonntags-Gottesdienst befinden. Das einzige, das auf etwas anderes schließen ließ, waren die genervten Blicke, die er zwischendurch zu Micah warf. Es dauerte nur wenige Minuten bis sie die angesteuerte Flughöhe erreicht hatten. In diesen Minuten war es Eve gelungen, sich etwas abzulenken, indem sie Daniels Züge studiert hatte. Micah schlug mit der flachen Hand auf Eves Oberschenkel, womit er ihr wohl deuten wollte aufzustehen, jedoch brachte es ihm nur einen bösen Blick von Dan ein, den der Fallschirmspringer mit einem selbstsicheren Lächeln beantwortete. Beinahe hätte Eve den Kopf geschüttelt. Irgendetwas Seltsames ging zwischen den beiden Männern vor. Vorsichtig stand Micah auf und befestigte Eve an sich. „Bereit?", fragte er. Was? Jetzt gleich sollte sie da hinaus springen? Nein, sie war nicht bereit, ganz und gar nicht. Trotzdem brachte sie sich zur Sicherheit in Position, stellte die Beine aufs Trittbrett, legte die Arme vor die Brust und schob den Kopf in den Nacken. Gerade als sie protestieren wollte, stürzten sie auch schon aus der Luke. „Spinnst du?", schrie sie, kam jedoch nicht dazu einen weiteren klaren Gedanken zu fassen. Ihr Magen hob sich, und der Wind blies ihr mit einer Heidengeschwindigkeit ins Gesicht. Sie fühlte sich vollkommen schwerelos und von einem Moment auf den anderen waren alle Zweifel wie ausgelöscht. Dieses Gefühl war unglaublich. Sie flog. Wie ein Vogel. Jetzt war sie plötzlich glücklich darüber, gar keine Zeit gehabt zu haben, über diese ganze Sache nachzudenken. Ansonsten hätte sie es vielleicht doch noch einen Rückzieher gemacht und wenn sie darauf verzichte hätte, wäre ihr etwas Großartiges entgangen, wie sie nun feststellte. All die Empfindungen waren einfach unbeschreiblich. Sie fühlte sich vollkommen frei. Für eine Sekunde hob sie den Blick und suchte den Himmel nach Dan ab, konnte ihn jedoch nicht gleich ausmachen und gab sich wieder den überwältigenden Empfindungen hin, die der freie Fall in ihr auslöste. Kurze Zeit stürzten sie ungebremst auf die Erde zu, bevor Micah die Reißleine zog. Ruckartig wurde sie nach oben gedrückt und dann verlangsamte sich ihr Tempo abrupt. Jetzt erkannte sie auch den zweiten Fallschirm, ein Stück von ihr entfernt, in dessen Leinen Dan hing. Sie strahlte über das ganze Gesicht, während sie den Boden nach Dingen absuchte, die ihr bekannt vorkamen. Die Landschaft unter ihr wurde langsam größer, jedoch hatte sie immer noch einen ziemlich guten Ausblick. Der Blick auf das Meer, das wohl einige Kilometer von ihnen entfernt lag, war überwältigend. Zu gerne wäre sie noch eine Weile hier oben geblieben und als sie am Boden aufsetzte, war die Zeit viel zu schnell vergangen. Das musste sie unbedingt wiederholen. Stolz blickte sie sich nach Dan um, während Micah die Gurte um sie löste. Wieder hatte sie eine großartige Erfahrung mit dem großartigsten Mann gemacht, den sie kannte. Wieder gab es eine neue Erinnerung, die ihnen niemand mehr nehmen konnte. Sie blickte in den Himmel und zum ersten Mal seit dem Anschlag, der ihr ganzes Leben verändert hatte, fühlte sie sich einfach nur glücklich und vollkommen sorgenfrei. Lächelnd schüttelte sie den Kopf, als sie feststellte, dass genau eines der Dinge, die sie am meisten fürchtete, sie nun am besten fühlen ließ. Diese Überraschung, die sie so verängstigt hatte, hatte sie gleichzeitig auch zum glücklichsten Menschen auf dieser Erde gemacht. Daniel landete ein paar Meter von ihr entfernt und in ihrer Euphorie musste sie sich zurückhalten, um nicht auf ihn zuzustürmen und ihn gemeinsam mit Ezra einfach umzurennen. In ihrem Kopf machte sie etwas, das sie nie für möglich gehalten hatte. Sie reiste zwei Tage zurück, zog dort einen Strich und teilte ihr Leben in zwei Hälften. Ihr altes, unglückbringendes Leben und das neue, das sie gemeinsam mit Daniel führen wollte. Das Leben, welches dazu bestimmt war, besser zu sein. Als auch Daniel aus den Gurten befreit war, gab sie dem Drang nach und lief geradewegs in seine Arme. Energisch sprang sie hoch, spreizte dabei die Beine und keilte sich so an seiner Taille fest. Auch seine Augen funkelten und wieder nahm sie seine Emotionen wahr. Die unerschöpfliche Liebe, die von ihm ausging und die Erkenntnis, die sich in ihm ausbreitete sobald er verstanden hatte, dass sich etwas in Eves Gefühlswelt geändert hatte. Er strahlte, als er sie wieder am Boden abstellte. Dann küsste er sie inbrünstig.
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Seelentattoos
RomanceAls Evelyn am Flughafen auf Daniel trifft, wirkt er auf sie genau wie der Typ Mann auf den sie sich nie wieder einlassen will. Mit all den Tattoos und seiner arroganten Art, macht er ihr bereits bei ihrer ersten Begegnung klar, dass er ganz genau we...