Kapitel 35

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Wieder im Hotel angekommen, legte sich Eve auf ihr Bett. Zu sehr nagten die Ereignisse noch an ihr, als dass sie sich jetzt auf etwas Anderes konzentrieren hätte können. Sie war doch tatsächlich mit einem Fallschirm aus einem Flugzeug gesprungen. Daniel schien jedoch nicht unbedingt sehr überwältigt von diesem Ereignis zu sein. Viel eher wirkte er unruhig und voller Tatendrang. Als er gerade zum wiederholten Mal bei ihr am Bett vorbeilief, legte sie ihre Finger um seinen Oberschenkel und deutete ihm so stehen zu bleiben. „Was ist los?", fragte sie lächelnd. „Du willst doch jetzt nicht einfach nur so herumliegen", antwortete Dan und schenkte ihr einen ernsten Blick.
„Will ich nicht?" Eves Lächeln wurde größer. „Na ja, zumindest nicht, wenn du deine Kleidung anbehalten willst." Nun stahl sich auch auf sein Gesicht ein freches Grinsen. „Hmm ... und will ich das etwa auch nicht?"
„Warum sagst du mir nicht einfach was du willst?" Dans Stimme war heiser und Eve kicherte: „Ich will einen Cappuccino mit viel Milchschaum."
„Du bist ganz schön gemein, Liebling."
Eve schmunzelte.
„Aber weißt du was, ich weiß genau wo wir einen großartigen Cappuccino bekommen und gleichzeitig noch einen Punkt von unserer Liste abarbeiten können."
„Noch einen Punkt von unserer Liste abarbeiten?", wiederholte Eve flüsternd. „Ja, ich habe mir ganz in der Nähe einige meiner Tattoos stechen lassen. Bei Sansabi Tattoos. Johnny ist ein großartiger Tätowierer und zu deinem Glück kann er nicht nur ausgezeichnet mit der Nadel, sondern auch einmalig mit seinem persönlichen Baby, der Kaffeemaschine, umgehen. Lass mich schnell einen Anruf tätigen. Ich bin sofort zurück."
Bevor Eve auch nur protestieren konnte, war Dan bereits im Badezimmer verschwunden. Doch das war jetzt wirklich genug. Nun auch noch ein Tattoo? Das war zu viel für einen Tag. Sie hatte bereits ausreichend Aufregung gehabt, in den wenigen Stunden, die sie wach war. Jetzt wäre sie lieber einfach zum Strand gegangen und hätte sich auf eine Liege gelegt, um ein wenig auszuspannen. Genau das wollte sie Dan auch mitteilen, bevor er seine Pläne fixieren konnte. Sie hatten noch mehr als genug Zeit um weitere Wünsche abzuarbeiten. Außerdem ging ihr das alles viel zu schnell. Wenn sie in diesem Tempo weitermachten, würde sie in weniger als drei Wochen wieder zurück nach Spanien müssen. Das wollte sie auf keinen Fall. Schnell hopste sie aus dem Bett und lief geradewegs auf die Badezimmertür zu, die nur angelehnt war. Leise vernahm sie Daniels Stimme, die sich fast nach einem Flüstern anhörte. Sofort wurde sie misstrauisch. Wollte er etwa nicht, dass sie hörte was er da sprach? Lauschen war außerordentlich unverschämt, das wusste auch Eve, aber ihre Alarmglocken schrillten so laut, dass sie es einfach nicht schaffte Dan wissen zu lassen, dass sie in hören konnte.
„Nein, Johnny, darum geht es nicht. Ich wollte nur wissen ob Samantha auch da ist." Ein Lachen drang aus Daniels Kehle. „Ganz bestimmt nicht. Ich möchte heute mit einer Freundin vorbeikommen, wir hätten gerne ein gemeinsames Tattoo, und du weißt doch wie Samantha ist. Glaub mir, das Letzte das ich will, ist, dass Eve sich auch noch mit ihr herumschlagen muss." Er seufzte laut. „Wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen, Johnny!" Eve lehnte sich noch ein wenig näher an die Tür. Wovon sprach er da nur? Außerdem war ihr nicht entgangen, dass er sie eine Freundin genannt hatte und nicht seine. Klar, hatte sie ihm mehr oder weniger verboten, sie als solche zu bezeichnen, aber eigentlich hatte sie das Gefühl, dass er sie in ihrer Abwesenheit normalerweise trotzdem so nennen würde. Jedoch wurde ihr durch dieses Gespräch gerade das Gegenteil bewiesen. Ihr Herz war plötzlich schwer und diese ganze Situation kam ihr falsch vor. Hier stimmte etwas ganz und gar nicht und es hatte mit dieser Samantha zu tun. Wer sie wohl war? Eve schlich leise zurück zum Bett und griff nach ihrem Smartphone. In ihrem Kopf suchte sie nach dem Namen des Tattoostudios, das Dan ihr vorher genannt hatte. Sarabi oder so ähnlich. Sie tippte es in die Suchmaschine ein und hängte noch ein Miami hinten dran. Sofort bekam sie Sansabi Tattoo vorgeschlagen. Sie erweiterte die Suche, indem sie Samantha hinzufügte. Ein Link leitete sie auf den Reiter mit den Teammitgliedern des Studios. Da war sie: Samantha „Ice" Miller. Fire und Ice war das erste, das Eve durch den Kopf schoss. Neugierig betrachtete sie das Bild der Frau genauer. Sie war eine Augenweide. Unglaublich schlank und trotzdem hatte sie eine ansehnliche Oberweite. Beide ihrer Arme wurden von Tattoos verziert. Das Schwarze Haar hing ihr an einer Seite fast bis zur Hüfte, die andere Seite war kurz rasiert. Ein Ring zierte ihre Nase und in ihren Ohren befanden sich kleine Plugs. Es kostete Eve alle Mühe sich von dem Bild zu lösen. Diese Frau war ganz bestimmt ein Model. Das bestätigte sich auch, als sie in ihrer Biografie las, die neben ihrem Bild aufgeschlüsselt war. Erfolgreichstes US-Amerikanisches Tattoomodell und mehrere Auszeichnungen für ihre eigene Arbeit als Tätowiererin. Eigentlich hätte Eve sich wohl selbst stoppen sollen, aber sie wusste noch nicht, was sie wissen wollte. Wie stand diese Frau in Verbindung mit Daniel. Schnell fuhr sie mit dem Finger auf die Suchleiste und tippte „Daniel Keene und Samantha Miller" ein. Während sie durch die Ergebnisse blätterte, entspannte sie sich wieder ein wenig. Im Internet fand sie nur professionelle Eintragungen, in denen darüber berichtet wurde, dass Samantha einige von Dans Tattoos gestochen hatte. Leider schnürte ihr diese Erkenntnis gleich wieder die Kehle ab. Es gefiel ihr nicht, dass Dan einige ihrer Kunstwerke auf seiner Haut trug. Irgendwie machte es diese Frau zu einem Teil von ihm. Auch wenn sie wusste, dass das vollkommen lächerlich war. Das war ihr Job. Sie dachte doch auch nicht, dass all die anderen Tätowierer, die wohl ebenfalls Hand an Dan gelegt hatten, ein Teil von ihm waren. Trotzdem hätte sie nur zu gerne gewusst, um welche Tattoos es sich dabei handelte, weswegen sie abrupt auf die Bildersuche wechselte. Sofort blieb ihr die Spucke im Hals stecken. Gleich das erste Bild zeigte Samantha und Daniel in einer Umarmung, die mehr als nur vertraulich wirkte. Waren sie etwa früher zusammen gewesen? Ist diese Schönheit seine Ex-Freundin? Warum wollte er unter keinen Umständen, dass die beiden Frauen aufeinander trafen, obwohl er Eve ohnehin nur als eine Freundin vorgestellt hatte? Sollte sie sich darüber wirklich Gedanken machen? Wäre es nicht besser sie würde dieser Frau nie begegnen? Jetzt wollte sie noch weniger in dieses blöde Tattoostudio. Daniel schloss die Badezimmertür hinter sich und grinste sie an. „Komm, lass uns los!", sagte er, während er ihr die Hand hinhielt. „Was ist los?", wollte er sogleich wissen. Dieser Mann konnte nicht nur ihre Emotionen spüren, sondern auch ihre Gedanken lesen. „Ich will eigentlich nicht", antwortete sie, ohne zu viel über ihre Beweggründe preiszugeben. „Wir müssen uns ja nicht gleich tätowieren lassen. Ich habe Johnny darum gebeten, es einfach mal auf unserer Haut zu skizzieren und dann kannst du immer noch entscheiden, ob du es wirklich haben willst. Das ist immerhin ein Entschluss, den du nicht mehr rückgängig machen kannst und ich möchte, dass du dir das gut überlegst." Eve wollte ihm gerade mitteilen, dass es eigentlich nicht darum ging, denn sie war sich sogar ganz sicher, dass sie dieses Tattoo wollte, wenn sie auch noch nicht wusste wo sie es überhaupt platzieren würden, als Daniel einfach weiter sprach: „Kein einziges der Bilder auf meinem Körper verbindet mich mit irgendjemanden. Klar, zeigen manche Hobbies von mir, haben mit Basketballspielen oder toten Vorbildern zu tun, die ich jedoch niemals persönlich kennengelernt habe. Es sind alles Dinge, die mir selbst zwar etwas bedeuten, aber mit keiner zweiten Person zu tun haben. Dieses Tattoo ist also auch für mich ein großer Schritt. Wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass wir bereits jetzt miteinander verbunden wären, wären wir es danach bestimmt." Er zwinkerte und ein liebevolles Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Mit einem Mal waren alle ihre Zweifel weggewischt. Nichts verband ihn mit dieser Samantha, aber mit Eve würde ihn etwas verbinden und plötzlich konnte es ihr gar nicht schnell genug gehen. Energisch sprang sie auf und zog ihn an der Hand hinter sich her.

Bereits als sie vor das Hotel traten, hatte Dan das Gefühl, dass das eigentlich keine gute Idee war. Nicht, weil er dieses Tattoo nicht wollte, ganz im Gegenteil, er wollte es sogar unbedingt, sondern weil er sich wirklich davor fürchtete, er könnte auf Sam treffen. Na ja, eigentlich war es ihm egal, ob er auf Sam treffen würde, aber Eve sollte sie auf keinen Fall kennenlernen. Samantha sollte soweit es nur möglich war von Eve fernbleiben. Er wusste bereits jetzt, dass es der Tätowiererin nicht gefallen würde, dass er vorhatte sich ein gemeinsames Tattoo mit Evelyn stechen zu lassen. Da war es auch ganz egal, dass es eigentlich darum ging, dass sie gemeinsam diesen Terroranschlag überlebt hatten. Samantha war äußerst besitzergreifend und sah ihn als ihr Eigentum an, was wahrscheinlich daran lag, dass sie ihm sozusagen eine zweite Haut verpasst hatte. Er hingegen hatte schon vor vielen Jahren mit ihr abgeschlossen und war seither immer wieder versucht ihr aus dem Weg zu gehen, wenn ihm das auch nicht immer gelang. Johnny hatte ihm versichert, dass Samantha für heute einen Außentermin eingetragen hatte und somit nicht in das Studio kommen würde. Das war auch nichts Ungewöhnliches. Sie hatte es nicht mehr nötig zu arbeiten und sah die Tätowiererei nur noch als Hobby an. Nur deshalb hatte Dan den Vorschlag überhaupt gemacht. Ansonsten wäre er niemals auf die Idee gekommen, Eve auch nur in die Nähe dieses Studios zu führen.
„Liebling, ich dachte hier wäre eine gute Stelle um das Tattoo zu platzieren." Er zog die Zeichnung, die er damals im Aufzug angefertigt hatte, aus der Hosentasche und hielt es an ihre Hüfte. Vorsichtig zog er sein Shirt ein Stück hoch und stellte sich genau neben sie. „Siehst du, hier habe ich genug Platz um dieses Kunstwerk zu verewigen. Wahrscheinlich hört sich das komisch an, aber ich hätte es gern an einer Stelle, an der man es sehen kann." Eve musterte die freie Haut auf seinem Körper. Er hatte recht, ihre halbe Hand passte genau auf die leere Stelle an seinem Rücken. Automatisch müsste sie selbst es dann ein wenig weiter oben machen, aber das war ihr im Grunde egal. „Das ist perfekt", bestätigte sie seinen Plan. Sanft streichelte er ihr über den Arm und blickte sie liebevoll an: „Ich möchte, dass du weißt, du kannst jederzeit einen Rückzieher machen, wenn du willst. Natürlich würde es mir mehr gefallen, wenn wir das jetzt durchziehen, denn ich mag die Vorstellung davon wirklich sehr." Eve schüttelte nur langsam den Kopf: „Ich werde es mir bestimmt nicht mehr anders überlegen, Dan. Ich will dieses Tattoo!"

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