Kapitel 7

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„Dan ..."

„Pssst, Evelyn, nicht aufregen, bleib einfach am Boden. Der Fahrstuhl hat sich nur ein klein wenig nach unten bewegt. Wenn wir aufstehen und dieser kranke Typ es schaffen sollte durch die Aufzugtür zu schießen, könnte er uns immer noch treffen. Bleib ganz flach am Boden liegen."

„Dan", eine schreckliche Erleichterung überkam sie und am liebsten hätte sie ihn geküsst, „bitte geh von mir runter. Leg dich bitte ebenfalls auf den Boden und lass mich nach deiner Verletzung sehen." Eves Stimme zitterte.

„Nein, Süße. Ich werde ganz bestimmt verhindern, dass er dich trifft. Es ist mir egal was mit mir passiert, aber er wird dich nicht töten!"

Heftig rüttelte sie an ihm hatte jedoch nicht viel Chance gegen den großgewachsenen Basketballspieler. „Das ist Wahnsinn, du musst von mir hinuntergehen, bitte Dan. Wenn er dich tötet, nur weil du ein wenig zu hoch liegst, würde ich mir das niemals verzeihen. Bitte", bettelte sie und schluchzte dabei laut. Zu ihrer Erleichterung rollte er sich wirklich von ihr herunter, ließ den Arm aber weiterhin um ihren Bauch gelegt und tränkte seinen Ärmel damit in ihrem Blut. Die Schüsse waren verklungen und eine gespenstische Stille breitete sich aus, jedoch hatte sie das Gefühl, dass der Täter noch nicht gefasst war, ansonsten wäre es hier doch sicher nicht so ruhig. Die Polizei würde doch auch eine Menge Lärm machen. Plötzlich überkam sie die dunkle Vorahnung, dass das erst die Ruhe vor dem Sturm war.

„Schnell, Dan, wir müssen dich verarzten solange keine Schüsse fallen", flüsterte sie, „wo hat er dich denn getroffen?"

„Eigentlich bin ich mir nicht ganz sicher. Irgendwo am Bein." Zu ihrer Verwunderung ließ er wirklich kurz von ihr ab.

Mit schweißnassen Händen griff sie nach seinem Hosenknopf. Wenn er am Oberschenkel getroffen wurde, würde das möglicherweise tödlich enden. So schnell sie konnte befreite sie ihn aus seiner Hose, um sofort festzustellen, dass er knapp unterhalb des Knies angeschossen worden war. Verdammt, sie wollte sich gar nicht ausmalen, was das für seine Karriere bedeuten würde. Beinahe hätte sie sich gegen den Kopf geschlagen. Das war jetzt wirklich ihr kleinstes Problem. Jetzt mussten sie erst mal sehen, dass sie diesen Tag überlebten. Darum ging es hier. Der Job war doch wirklich vollkommen egal. Angsterfüllt versuchte sie sich an ihren letzten erste Hilfe Kurs zu erinnern. Was musste sie jetzt noch einmal genau machen? Sie beschloss mit seiner Hose die Wunde etwas oberhalb abzubinden. Dann schnappte sie sich eine Packung Taschentücher aus ihrem Handgepäck und zog den Gürtel, aus ihrer Hose um ihn darüber festzumachen. Sie konnte nur hoffen, dass sie damit alles richtig machte, denn die Erinnerung an den Teil des Kurses an dem sie Schussverletzungen durchgenommen hatten, fehlte ihr. Ach nein, Schussverletzungen standen scheinbar gar nicht auf dem Lehrplan.

„Lass mich nun deine Verletzung sehen", bat er. Vorsichtig zog sie das T-Shirt über ihren Kopf und betrachtete dann zuerst selbst die Wunde. Wie schon vermutet hatte sie die Kugel nur gestreift. Sie schüttelte den Kopf. Natürlich, sie hatte sie gestreift, bevor sie direkt in den Kopf des kleinen Mädchens eingedrungen war. Diesen Anblick würde sie niemals vergessen können. Wie konnte nur so etwas Schreckliches passieren? In der Ferne vernahm sie wieder Schüsse. War dieses Arschloch etwa immer noch in diesem Gebäude? Würde er sie möglicherweise sogar finden?

Und falls nicht, was würde dann passieren?

War er ein Selbstmordattentäter, der sich in die Luft sprengen würde, bevor ihn die Polizei abführen könnte? Für den Fall, dass es so war, wären das wohl ihre letzten Atemzüge. Eve wollte noch nicht sterben. Ja, ihr Leben war in letzter Zeit nicht unbedingt das Beste gewesen, aber dennoch wollte sie noch so viele Dinge erleben. Sie seufzte, während sie sich die Tränen aus dem Gesicht wischte. Beinahe hätte sie darüber gelacht, wie einfach ihr das fiel. Man hätte meinen können, sie müsste vollkommen panisch sein und Todesangst verspüren, aber jetzt, wo sie Dan verarztet hatte, die Wunde gesehen hatte und wusste, dass es wohl einige Zeit dauern würde, bis er daran verbluten würde, war eine riesen Last von ihr abgefallen. Trotzdem ließ sie das Gefühl nicht los, dass das wahrscheinlich ihr letzter Tag auf dieser Erde sein würde. Tausende Dinge gingen ihr durch den Kopf. Das letzte Telefongespräch mit ihrer besten Freundin. Wie sehr hätte sie sich gewünscht ihr nochmals gesagt zu haben, wie wichtig sie ihr war. Dann auch noch ihre Mutter mit der sie gestern noch Kaffee getrunken hatte und deren Verabschiedung wahnsinnig schnell ausgefallen war, weil sie selbst unbedingt noch ein letztes Mal zum Yoga wollte, bevor sie ihre Reise antrat. Langsam drehte sie den Kopf nach links. Dan hatte sie wohl die ganze Zeit über beobachtet. „Weißt du, dass du ein wundervoller Mann bist?", fragte sie ihn, denn es musste einfach ausgesprochen werden. Würde sie bald sterben, würde sie es sonst nämlich bereuen, es nicht getan zu haben. Er lächelte leicht. „Würdest du das denn auch sagen, wenn wir nicht in dieser Situation wären?", fragte er gequält, „Weißt du, wie viele Dinge ich dir gerne sagen würde? Aber ich befürchte, dass es dann keinen Grund mehr gäbe weiterzuleben, sobald alles gesagt wäre."

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