Kapitel 54

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Daniel stand in seinem Schlafzimmer und blickte auf sein Bett, das nicht gemacht war. Er war gerade erst entlassen worden, und das, obwohl er beteuert hatte, dass er sich noch nicht mal annähernd wohlfühlte. Seine Brust schmerzte und es fiel ihm schwer zu atmen. Die Ärzte hatten ihm jedoch versichert, dass das nicht an seiner körperlichen Gesundheit liegen konnte. Wie sie sagten sei er, abgesehen von seiner Amnesie, wieder ganz gesund. Woher dieses seltsame Leiden kam, konnte man ihm nicht erklären. Noch viel weniger konnte er es sich jedoch selbst erklären. Er fühlte sich rastlos und versuchte ununterbrochen herauszufinden, was er vergessen hatte. Deshalb war er als erstes wie ein Wilder durch sein Haus geirrt und hatte dabei versucht irgendetwas zu finden, dass seine Erinnerungslücken schließen würde. Dabei waren ihm jedoch keine großen Veränderungen aufgefallen. Hatte diese Evelyn denn nichts verändert? Lag es daran, dass es ihr in seinem Haus so gefiel wie es war, oder hatte er es ihr vielleicht verboten? Aus einem ihm unerklärlichen Grund, hatte er das Gefühl, dass er ihr niemals etwas verbieten würde. Wahrscheinlich gefiel es ihr hier also, oder dieses Attentat hatte ihr einfach so sehr im Kopf herumgespukt, dass sie gar keine Möglichkeit hatte, sich an so kleinen Dingen wie der Einrichtung aufzuhängen. Dass das kein schönes Erlebnis war, war das Einzige, das er bisher mit Sicherheit wusste. Er kannte zwar keine Einzelheiten, die er selbst während des Anschlags erlebt hatte, aber einer Dokumentation hatte er entnommen, dass es ein unglaublich schreckliches Ereignis war. Natürlich würde man sich verändern, wenn man so nahe an einem solchem Geschehen dran war und dabei fast gestorben wäre. Ob er sich deshalb so sehr verändert hatte, dass er plötzlich eine Beziehung führte, wusste er nicht. Aber er konnte sich die Annahme nicht verwehren, dass er sich wahrscheinlich bereits zuvor zu dieser Frau hingezogen gefühlt hatte. Denn das tat er auch jetzt. Früher hätte er bestimmt gesagt, sie entsprach nicht seinem Typ, denn sie hatte nicht unbedingt die Vorzüge, die er für gewöhnlich an seinen One-Night-Stands schätzte. Trotzdem konnte er nicht aufhören an sie zu denken. Die Art wie er an sie dachte, verursachte dennoch Kopfschmerzen. Daniel fand Evelyn wunderschön, beinahe perfekt. Es war ihm selbst unbegreiflich, wie er es geschafft hatte, sie aus seinem Krankenzimmer zu schmeißen. Ihr Gesichtsausdruck hätte ihn beinahe die Luft abgeschnürt, aber er konnte nicht anders, denn auch ihm selbst war es nicht besser gegangen. Zuerst musste er lernen mit der Situation umzugehen, ansonsten hätte er sie ganz bestimmt noch mehr verletzt und das wollte er auf keinen Fall. Wenn er von dem Schmerz absah, den er in seiner Brust spürte, fühlte er außerdem noch eine Leere. Eine Leere die daher rührte, dass er sie nicht anrufen konnte. Des Öfteren hatte er es versucht, war sich dabei aber wahnsinnig blöd vorgekommen. Was hätte er auch sagen sollen? Vielleicht so etwas wie: Hallo, hier spricht Daniel. Ich weiß eigentlich nicht warum ich anrufe. Obwohl ich im Moment streng genommen keine Gefühle für dich habe, wollte ich unbedingt deine Stimme hören. Das wäre doch unfair gewesen. Bestimmt hätte sie darunter gelitten. Denn egal wie sehr er diese Zusammengehörigkeit auch spüren konnte, die Liebe fehlte. Daniel hatte sogar eine Erklärung dafür, warum sie fehlte. Es konnte einfach nur daran liegen, dass er nichts über sie wusste. Man konnte doch keinen Menschen lieben, von dem man noch nicht mal das Alter kannte, oder etwa doch? Wieder zog sich seine Brust schmerzhaft zusammen. Auf seiner Erkundungstour hatte er festgestellt, dass Eve wohl alle ihre Sachen mitgenommen hatte. Deswegen musste er den wenigen Spuren nachgehen, die er ausmachen konnte. Zuerst überflog er die Textnachrichten, die sie einander geschickt hatten. Er liebte sie. Das ging daraus hervor. Scheinbar hatten sie in letzter Zeit auch einige Diskrepanzen, denn in manchen der Mitteilungen klang er selbst wie ein verletztes Mädchen. Irgendwie konnte er immer noch nicht ganz glauben, dass er sich so verändert haben sollte. Langsam schlenderte er auf das Bett zu. Ganz offensichtlich war er in der letzten Nacht in diesem Haus nicht alleine darin eingeschlafen. Dass es nicht irgendwer war mit dem er sich ein Bett geteilt hatte, entnahm er dem Basketballtrikot, das fein säuberlich gefaltet auf der zweiten Bettseite lag. Niemals hätte er eines dieser Kleidungsstücke einem seiner One-Night-Stands überlassen. Dafür war er viel zu abergläubisch. Sein gesamtes Team ließ sich zum Ende der Saison den berühmten Play-offs-Bart wachsen, weil sie davon überzeugt waren, zu verlieren, würden sie diese Körperbehaarung rasieren. Ganz bestimmt hätte er sein Trikot niemandem gegeben von dem er nicht dachte, er wäre ein Glücksbringer. Er setzte sich auf Eves Bettseite und strich mit den Fingern über das Laken. Dann hob er die Beine und legte sich einfach hin. Sofort nahm er einen angenehmen Geruch wahr, weswegen er nach dem Trikot griff und es zu seiner Nase führte. Sie roch wirklich wahnsinnig gut. Ein vertrautes Gefühl keimte in ihm auf, aber er konnte es nicht ganz deuten. Jedoch nahm er sofort an, dass dieser Geruch ihm seinem Ziel näherbrachte. Deshalb hielt er das Kleidungsstück noch einige Zeit an sein Gesicht gedrückt. „Bitte, irgendetwas", murmelte er in den Stoff, aber es kamen einfach keine Erinnerungen zurück. Seufzend stand er auf, nahm sein Handy zur Hand und blickte auf das Display. Dabei ignorierte er, dass seine Eltern in des Öfteren angerufen hatten. Er sah sie auch so nur selten. Wenn es wichtig wäre, würden sie eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen. Sie wussten nichts von seinem Unfall und er hatte auch nicht vor, es ihnen zu erzählen. Ansonsten hätten sie sich nämlich gesorgt und das war eigentlich nicht notwendig, denn bis auf das Ziehen in seiner Brust ging es ihm wirklich gut. Seine Eltern kamen auf seiner Prioritätenliste also erst ziemlich weit hinten. Vorerst wollte er mal Klarheit in seine Gedanken bringen. Sein Plan sah vor, zuerst alle seine Teammitglieder anzurufen. Vielleicht hatte er mit ihnen über den Anschlag gesprochen. Da es das Ereignis zu sein schien, welches er zu verdrängen versuchte, sollte er wahrscheinlich versuchen sich erst daran erinnern. Danach würden die Erinnerungen an Eve und ihre Beziehung womöglich von ganz alleine zurückkommen. Nachdem er aber auch den letzten seiner Mitspieler angerufen hatte, war im klar, dass er offenbar nicht sehr mitteilungsbedürftig war, was dieses Erlebnis anbelangte. Außer Evelyn wusste scheinbar keiner wirklich Bescheid. Er musste mit ihr Kontakt aufnehmen, sie bitten mit ihm zu sprechen. Aber das konnte er nur dann, wenn er sicher war, dass er sie nicht kränken würde. Abermals seufzte er laut, während er wieder über die Treppen hinunterstieg. Wieder überkam ihn ein beklemmendes Gefühl. Irgendetwas fehlte. Dan wusste nicht was es war, aber in diesem Haus war etwas nicht vollständig. Verzweifelt begann er sämtliche Schränke zu öffnen, warf unachtsam alles heraus, was sich darin befand. Anstatt jedoch etwas zu finden, hinterließ er nur ein schreckliches Chaos. Wutentbrannt stapfte er auf die Garderobe zu und griff sich seine Basketballtasche. Er war fest davon überzeugt, dass er sich abreagieren musste. Erst als er bereits vor der Tür stand, dachte er daran, dass die Klamotten in dem Sportbeutel wahrscheinlich noch nicht mal gewaschen waren. Fluchend machte er kehrt, öffnete die Tasche und entleerte sie mitten in seinem Haus. Er sollte sich wohl dringend eine Putzfrau anschaffen, wenn er die Unordnung irgendwie wieder bereinigen wollte, denn Dan hatte im Moment nicht die geringste Lust sich mit so etwas Unwichtigen wie Aufräumen oder Wäschewaschen zu beschäftigen. Immer noch wütend griff er nach seinen Shorts und schmiss sie quer durch die Küche. So, als wären sie dafür verantwortlich, dass er in diese Situation gekommen war. Dabei flog eine kleine Schatulle klirrend auf den Fliesenboden. Sie öffnete sich geräuschvoll und etwas flog heraus. Ein funkelnder Ring rollte geradewegs auf ihn zu.

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A/N:
Er liebt sie doch, er weiß es nur nicht.

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