Bleib

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Ich ging den Flur entlang und spielte mit meiner einen Hand mit dem Träger meines Rucksacks, in der anderen hielt ich einen heißen Milchkaffee. Simon war heute Morgen einfach vor meiner Haustür aufgetaucht, hatte zwei Pappbecher in der Hand und bestand darauf, mich zur Schule zu begleiten. So war ich nicht mit Ambar gefahren, sondern war mit Simon zu Fuß gegangen. Er hatte mir davon erzählt, dass er früher aufgestanden war, da er sich mit Nico und Pedro zum Proben eines neuen Songs treffen wollte, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass er sich Sorgen um mich machte und einfach schauen wollte, wie es mir ging. Falls er das Ziel hatte, mich aufzuheitern, war es ihm gelungen. Ich hatte mich tatsächlich gleich etwas besser gefühlt, als ich mit ihm gesprochen hatte und war motiviert gewesen, mich heute in der Schule besonders anzustrengen. Doch kaum hatte ich diese betreten, war mir mein Chemie Lehrer über den Weg gelaufen. Eine hässliche grüne Tasche baumelte über seine Schulter und er trug dieses eisige Lächeln, das er immer trug, wenn er etwas zurück geben würde. Meine Motivation verschwand und Anspannung machte sich breit. Ich würde den Test wiederbekommen. Den Test, der darüber entschied, ob ich wieder auf die Bahn gehen dürfte oder nicht.

Die Stunden schlichen nur langsam voran. Immer und immer wieder rutschten meine Gedanken zu dem Test. Selbst als meine Mathelehrerin mich nach vorne rief, um irgendwelche Variablen aus der Gleichung zu lösen, konnte ich nicht aufhören, daran zu denken. Was wäre, wenn ich durchgefallen wäre? Hieß das dann, dass ich nicht mehr auf die Rollerskatebahn durfte? Und was war mit den Wettbewerben, die bald anstanden? Erst in der letzten Pause hatte Nina mir davon berichtet. Ganz außer Atem war sie angerannt gekommen und wedelte mit einem Flyer vor meinem Gesicht.

"Du glaubst nicht, was bald ist", hatte sie gesagt. Ihre Augen waren ganz groß gewesen, so begeistert war sie und ich musste lächeln deswegen.

"Zeig mal her", war meine Antwort gewesen und Nina hatte mir den Flyer überreicht. "Der Wettbewerb steht an", stand in dicker schwarzer Schrift auf der Vorderseite. Wenn man ihn dann aufklappte, erhielt man dann alle Möglichen Informationen. Niemand durfte alleine antreten, immer zwei Skater sollten ein Team bilden. Die erste Runde würde in zwei Wochen stattfinden, dann gab es in regelmäßigen Abschnitten neue Wettbewerbe, bei jedem würden zwei Teams rausfliegen müssen. Das Team, das am Ende gewann, würde gegen anderen Bahnen antreten und offiziell das Jam & Roller vertreten. Wie cool wäre das bitte? Ich stellte mir schon vor, wie ich schwierige Figuren ausprobierte und durch die Luft wirbelte, sah die begeisterten Juroren schon vor meinem inneren Auge aufspringen, dachte an die Pokale und an die Medaillen und an Mama und Papa, die stolz lächelten und mit ihren Lippen die Worte formten: Sieh da! Das ist unsere Tochter.
Ich grinste. Vielleicht hatte ich ein kleines bisschen übertrieben.

Ich freute mich riesig über den Wettbewerb. Das Problem war nur: Was, wenn ich gar nicht auf die Bahn gehen durfte? Wie sollte ich an einem Wettbewerb teilnehmen, wenn dieser an einem Ort war, den ich nicht betreten durfte? Ich seufzte leise.

"Valiente", rief mein Lehrer laut und ich zuckte zusammen.

"Entschuldigen Sie, Seniõr", antwortete ich und richtete mich kopfschüttelnd auf. Zu grübeln, würde mir jetzt nicht helfen. Ich konnte an dem Ergebnis des Tests so wieso nichts mehr ändern.

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"Wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, habe ich Ihnen etwas mitgebracht"

Ich hatte den Tag tatsächlich überlebt. Die Mahnungen meiner Lehrer hatten sich heute ins unerträgliche gehäuft und meinem Deutschlehrer musste ich doch ernsthaft erklären, dass ich keine Probleme zu Hause hatte, dass es meinen Großeltern gut ging und ich anständig aß. Aber eine gute Sache gab es: ich war weder Matteo noch Ambar über den Weg gelaufen. Ich wusste nicht, wie ich reagiert hätte, wenn einer von beiden mich angesprochen hätte, aber mein Gefühl sagte mir, dass es die Situation nicht verbessert hätte. Nein, im Gegenteil. Mit etwas Pech hätte ich mich nach der Schule bloß wieder an Simons Schulter ausgeheult. Der Typ tat mir schon langsam leid. Wer wollte schon eine beste Freundin, die nichts in den Griff bekam? Aber ich kannte Simon. Er würde bei mir sein. Würde nicht sagen "Du schaffst das schon", sondern "Wir stehen das gemeinsam durch" und dafür vergötterte ich ihn. In dieser Hinsicht war er perfekt. Es gab ja auch ein paar Lichtblicke im Moment. Simon würde großer Bruder werden. Nach den Ärzten würden wir sogar schon in einigen Wochen, vielleicht sogar Tagen, erfahren, ob es ein Mädchen oder ein Junge werden wird. Was gab es Schöneres als ein Baby?

"Es waren einige ganz erfreuliche Exemplare dabei", fuhr der Lehrer fort und holte seine Tasche hervor. Nina drückte meine Hand und als ich zu ihr sah, lächelte sie mich aufmunternd an. Sie hatte es leicht, denn sie bestand ja auch immer mit Gravur. Ich wüschte, das Lernen würde mir auch so leicht fallen.

"Den Rest würde ich am liebsten in die Mülltonne werfen"

Ich kaute unsicher an meinen Fingernägeln. Das hörte sich ganz und gar nicht positiv an.

"Ich werde Sie jetzt nach der Reih-", er runzelte kurz die Stirn und unterbrach sich selbst. "Ach was, ich werde die Test ganz einfach austeilen"

Schon schob er quitschend seinen Stuhl zurück und nahm sich das erste Exemplar.

Nina bekam ihren Test vor mir. Unser Lehrer sagte nichts dazu. Er las legendlich den Namen und sah sich die Note an. Aber das kleine Zucken seines Mundwinkels und das anerkennende Nicken, verrieten ihn. Beinahe verdrehte ich meine Augen. Ein dickes leuchtendes 'A' in grün war auf Ninas Test gestempelt worden. Das Wort 'Bestanden' stand kleiner daunter.

Um so mehr Test verteilt wurden, desto nervöser wurde ich. Da war dieses ungute Gefühl in mir, das nicht verschwinden wollte. Wie konnte ein Test der Auslöser für so eine wichtige Entscheidung in meinem Leben sein?

"Valiente", murmelte der Lehrer und ich sah auf. Während er sich den Weg zu meinem Tisch bahnte, drehte er den Test um und sah sich die Note an. Sein Gesicht behielt den typischen griesgrämmigen Ausdruck und ich wusste, ich hatte verloren. Es war eine schöne Zeit, Jam & Roller, dachte ich.

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Es tut mir ja sooo leid, dass es keine Lesenacht und keine Kapitel gab, aber ich habe leider einige private Probleme bekommen, die mich davon abgehalten haben.😁

Ich hoffe, ihr verzeiht mir. In Zukunft wird es wieder mehr Kapitel geben und eine neue Lesenacht ist auch schon in Planung. Ich wünsch euch eine gute Nacht❤️

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