alles

381 19 12
                                    

Simon war erschöpft. Er konnte nicht mehr, ja, er wollte sogar nicht mehr. Er lief mit Ambar durch den Park und doch war es Luna, die er nicht vergessen konnte. So sehr er es auch versuchte, er konnte an nichts anderes denken als an Luna. Luna, seine beste Freundin, seine wunderschöne beste Freundin, die versuchte so stark zu sein, obwohl alles in ihr danach schrie, aufzugeben.

Simon erinnerte sich noch daran, wie es früher war, als Luna Panikattacken hatte.
Sie schwieg stundelang, baute sich ihre eigenen Schutzmauern auf und war niemals bereit, darüber zu reden. Sie wollte die ganze Last alleine tragen und genau das war es, was Luna heute auch noch tat. Alles alleine ertragen. Sie lies zu, dass sich der ganze, fürchterliche Schmerz in ihrer Brust einnistete, bis es ihr die Luft zum Atmen nahm. Simon konnte es sich bildlich vorstellen, er sah es fast schon vor seinem inneren Auge. Er wusste noch genau, wie Luna ausgesehen hatte, als die Panikattacken sie überwältigten. Simon sah Luna, wie sie zitterte, wie sie keuchte und weinte und wie sie schrie. Simon sah, wie Luna keine Luft bekam, wie sie röchelte, wie sie torkelte. Er sah, wie es ihr Herz brach. Und er sah sich selbst. Er sah sich neben ihr stehen, er sah sich nichts tun. Weil es genau das war, was Luna wollte. Alles alleine ertragen.

"Simon, du solltest einen Arzt anrufen", sagte Ambar. "Ruf einen Arzt an und erzähl ihm von Luna."

Simon lächelte gequält. "Das habe ich früher immer gemacht, weißt du. Stundenlang habe ich ihm zugehört, dabei habe ich kein Wort wirklich verstanden. Er sagte, ich solle sie daran erinnern zu atmen, ganz tief. Aber Luna wollte nicht, dass sie jemand daran erinnerte. Luna wollte gar nicht atmen. Luna wollte, dass es aufhörte.", Simon sah auf, merkte gar nicht richtig, wie sehr er in seinen Erinnerungen hing. "Ich kann keinen Arzt anrufen, ich kann nicht."

"Du weißt, dass es einfach so weiter gehen wird, oder?", sagte Ambar und ihr Blick war starr geraudeaus gerichtet. Oh ja, das wusste Simon sogar ganz genau. "Es kommt alles auf einmal, ganz viel Schmerz, ganz viel Enttäuschung."

Simon schwieg. Egal, wie oft er darüber noch nachdenken würde, es half ihm dann doch nicht weiter.

"Gaston hat mich vorhin angerufen", sagte Ambar und wechselte das Thema. "Er hat mich gebeten, nach Matteo zu sehen"

Simon runzelte die Stirn. "Warum?"

"Ich weiß es nicht wirklich", seufzte Ambar. "Gaston hat gesagt, sie hätten sich gestritten. Er ist wohl ausgerastet"

"Wer jetzt, Matteo oder Gaston?"

"Beide?", Simon sah Ambar verwirrt an, worauf diese genervt mit dem Kopf schüttelte. "Ach, ich weiß es doch nicht. ich finde es nur komisch, weil ich noch nie erlebt habe, dass sie sich streiten. natürlich waren sie mal anderer Meinung, aber nicht so mit anbrüllen und so"

Ambar starte in die Ferne. Simon würde alles dafür geben, um zu wissen, woran sie dachte. "Er klang aufgebracht, weißt du." Sie strich sich eine Strähne hinter ihr Ohr. "Gaston war schrecklich wütend auf Matteo und das Erste, was er getan hat, war, mich anzurufen und mich zu beten, nach ihm zu sehen."

"Das ist Freundschaft", sagte Simon und grinste.

"Luna würde das selbe für dich tun, weißt du das eigentlich?", fragte Ambar und hatte diesen seltsamen Ausdruck in den Augen. 

"Ja", Simon lächelte leicht. "Ja, und ich schätze es wirklich sehr, sie zu haben."

Ambar strich Simon über die Wange, durch seine Haare. Er verfolgte jeder ihrer Bewegungen mit seinen Augen und genoss das Prickeln, das sie verursachtet, wenn sie ihn berührte.

"Ich habe etwas besseres als Gaston, sogar etwas besseres als Luna", gestand Ambar und als sie Simon leicht zu sich hinunter drückte, spürte er die Gänsehaut, die sich auf seinem ganzen Körper ausbreitete.

"Ich habe dich"


____


Es dauerte genau zwei Stunden, erst dann hatte Matteo sich wieder beruhigt und wollte das Roller verlassen. Wollte, bis er Luna sah und sein Herz schmolz. Schon wieder.

Er konnte nicht verstehen, was sie sagte, so betrachtete er sie nur still und heimlich. Er hasste es. Er hasste alles, was in ihm vorging. Er hasste, dass er Luna so sehr begehrte. Er hasste, dass er sie nicht haben konnte und sein Herz trotzdem nicht aufhörte, sie haben zu wollen. 

Matteo hatte nicht erwartet, Luna mit ihrer Mutter zu sehen. Hatte Gaston ihm nicht nicht gerade noch gesagt, dass sie Probleme zu Hause hatte?

Es dauerte ganze fünf schrecklich lächerlich lange Minuten und einen halben Maracuja-Milchshake bis Matteo begriff, dass sie sich stritten. Nicht laut genug, dass er sie verstehen konnte, aber die rote Färbung von Lunas Wangen und das wilde Gestekulieren sprachen Bände.

Noch weitere zehn Minuten war Matteo das Arschloch, das er immer war und sah Luna einfach weiter zu. Ganz automatisch sprang er auf, als sie anfing zu weinen und er unterdrückte das schrecklich starke Verlangen, sie fest in den Arm zu nehmen und nie wieder los zu lassen.

Dann ging alles ganz schnell. Monica hob die Hand und Matteo befürchtete schon das schlimmste, doch sie verharrte in ihrer Bewegung und verließ das Jam&Roller, ohne Luna noch einen einzigen Blick zu würdigen. Luna lief ihr nach.

Matteos Verstand war zweigeteilt. Da war dieser riesige Teil in ihm, der danach schrie, ihr hinterher zu laufen. Der unbedingt mit ihr sprechen wollte, der unbedingt fragen wollte, ob sie okay war. Und dann war da noch der vernünftige Teil in ihm. Der wusste, dass Luna ihn gar nicht sehen wollte. Der wusste, dass sie gar nicht von ihm gefragt werden wollte, ob sie okay war. Nun ja, Matteo war noch nie der vernünftige Typ gewesen. Er brauchte nur 5 große Schritte, dann hatte er das Roller verlassen.

Er konnte sie nicht sehen, also entschied Matteo sich, seinem Instinkt zu folgen und Richtung Park zu gehen. 

Unruhiges Atmen und Schluchzen sorgten dafür, dass Matteo schließlich stehen blieb und sich verwirrt umsah.

Und dann sah er sie. Das schönste Mädchen, das ihm je begegnet war.

Luna kniete auf dem Boden, die Hände auf ihre Brust gepresst und voller Panik.

Sein Herz zog sich zusammen. Matteo zögerte keine Sekunde. Kein Atemzug später war er vor ihr und zog sie in seine Arme.

Und plötzlich überkam ihn diese schreckliche Angst. Er wusste nicht, was er tun sollte. War fürchterlich überfordert und schaffte nichts weiter, als Luna unbeholfen über den Rücken zu streichen. Sie schien ihn kaum wahrzunehmen, während sie so schrecklich zitterte und erbitterlich weinte und röchelte, als würde sie keine Luft bekommen. Ist es das? Hat Gaston davon gesprochen? 

"Simon", presste sie hevor, bevor sie wieder von Tränen übermannt wurde. "Simon"

Matteo konnte nur daran denken, dass Gaston recht hatte. Dass er egoistisch war. Dass er schrecklich selbstsüchtig war.

Und er dachte daran, dass Gaston nicht recht hatte. Er konnte Luna nicht helfen. Er war nicht der, der sie retten würde.

Das einzige, was Matteo konnte, war, ihr zuzusehen, wie sie sich Quälte. Er konnte sein dabei Herz brechen hören. Wieder und wieder.

___________


: )

Look behind you #LutteoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt