Kapitel 35

445 13 6
                                    

An der Wohnung angekommen, laufe ich zum Haus und klingle. Sabrina wartet etwas weiter entfernt vom Haus auf mich. Ich schaue nochmal zu ihr hin und sie sieht mich aufmunternd an. Es geht eine Weile bis die Türe aufgemacht wird. Ich laufe in den 3. Stock und dort steht schon Johns Bruder. Man sieht, dass er und John Brüder sind. Sie haben die gleichen Haare und die gleiche Augenfarbe. Als ich an der Türe angekommen bin, fange ich an zu reden.

„Ist John da?“ Er sieht mich finster an, als ich etwas getan hätte.

„Du solltest gehen.“ Was ist das für eine Antwort? Ist John jetzt da oder nicht? Ich werde auf keinen Fall jetzt einfach so gehen.

„Ja oder nein?“ Statt einer Antwort zu bekommen, will er die Türe vor meiner Nase zu machen. Doch ich mache den Fuß zwischen die Türe und es tut sehr weh. Doch ich halte es durch und denke daran, warum ich hier bin.

„Wer ist da?“, fragt John, der jetzt zur Tür kommt. Seine Stimme hört sich nicht wie sonst an und er wankt etwas. Hat er etwas getrunken? Er kommt zur Tür getorkelt und stellt sich neben seinem Bruder und macht die Türe weiter auf. John stinkt nach Alkohol und rülpst auch noch mir genau ins Gesicht.

„Du solltest ihn so nicht sehen. Wenn er betrunken ist, ist er unberechenbar. Früher war er jeden Tag betrunken und konnte sich am nächsten Tag an nichts mehr erinnern. Das waren schlimme Zeiten.“ Was sagt er da? John hat früher getrunken? Mehr als ein paar Bier. Kann ich darüber hinweg sehen? Aber darüber kann ich noch später nachgrübeln, denn wenn er betrunken ist, kann man sowieso nichts mit ihm anfangen. Ich kämpfe gegen meine Tränen an und hoffe, dass sie erst kommen wenn ich aus dem Haus gegangen bin.

„Du hast Recht, ich sollte gehen.“, sage ich zu Johns Bruder. Er antwortet darauf nicht und macht stattdessen die Türe zu. Ich renne die Treppen wieder herunter und reiße die Eingangstüre auf. Als hätte ich auf den Knopf Start gedrückt, kommen wieder Tränen aus meinen Augen. Sofort kommt Sabrina auf mich zugelaufen und nimmt mich in den Arm. Ich lasse es zu und weine mich an ihrer Schulter solange aus, bis keine Tränen mehr kommen. Dann lösen wir uns wieder voneinander und sie fragt mich was passiert ist. Die restlichen Tränen, die noch aus meinen Augen kommen, wische ich weg. Ich schniefe noch einmal und fange dann an zu reden.

„John ist betrunken und sein Bruder hat gesagt, dass er das früher jeden Tag war.“

„Oh mein Gott. Das tut mir so leid.“

„Können wir gehen? Ich will jetzt heim und wenn ich hier noch länger stehe, dann fange ich wieder an zu weinen.“

„Natürlich.“ Sie legt einen Arm um meine Schulter und so laufen wir zum Bus und machen uns auf den Weg zu mir nach Hause.

Zum Glück ist es noch Wochenende und ich kann am nächsten Morgen nochmal ausschlafen. Gestern ist Sabrina bald gegangen und kurz danach bin ich ins Bett. Natürlich konnte ich lange nicht einschlafen und habe geweint. Werde ich John nochmal eine Chance geben können? Kann ich mit dem Wissen leben, dass er früher Alkoholiker war? Was wenn er wieder anfängt zu trinken? Dass das nur der Anfang war? Oder kommt er nur da raus wenn ich ihm helfe? Warum hat er so viel getrunken? Mein Kopf ist voll von solchen Gedanken. Irgendwann schaffe ich es aufzustehen und mich anzuziehen. Ich schaue in den Spiegel, man sieht deutlich, dass ich geweint habe. Wie so oft. Ich ziehe mir bequeme Sachen an und gehe nach Unten. Dort treffe ich meine Mutter, doch sie fragt nicht was passiert ist. Weswegen ich ihr auch sehr dankbar bin. Wir reden nur über belanglose Sachen.

Den ganzen Tag liege ich nur faul auf dem Sofa und schaue mir meine Lieblingsserie „Gilmore Girls“ an. Manchmal schreibe ich noch mit Sabrina. Leider fragt mich meine Mutter doch irgendwann am Tag, was gestern passiert ist.

„Ich sage aber nur die Kurzfassung, okay?“ Sie nickt mit dem Kopf und ich rede weiter.

„John war betrunken und dann bin ich wieder gegangen und habe geweint.“

„Och Schatz. Das tut mir leid.“ Sie kommt auf mich zu und will mich umarmen, doch ich lasse es nicht zu. „Mum, ich will kein Mitleid und auch nicht mehr weinen. Das habe ich in letzter Zeit mehr als nötig getan.“

„Okay. Das war übrigens eine sehr kurze Kurzfassung. Kannst du nicht noch ein bisschen mehr dazu sagen?“

„Dazu gibt es nicht mehr zu sagen. Außerdem würde ich dann wahrscheinlich wieder anfangen zu weinen und…“ Weiter komme ich nicht, denn mum unterbricht mich und hebt entschuldigend die Hände. „Okay, ich hab´s kapiert. Ich hör ja schon auf.“

„Ja, ist auch gut so!“

„Jaja!“ Meine Mutter sagt nichts mehr und geht dann auch wieder.

Irgendwann gehe ich ins Bett und schlafe nach gefühlten Stunden endlich ein.

Am nächsten Morgen werde ich von meinem blöden Wecker geweckt und öffne schon jetzt ein bisschen genervt, meine Augen. Ich stehe auf und mache Musik an. Die Musik verbessert schlagartig meine Laune. Gutgelaunt laufe ich nach unten und sage meiner Mutter Tschüss. Sie wundert sich zwar über meine gute Laune, aber dazu sagt sie nichts weiter, denn sie will meine gute Laune nicht gleich verschlechtern wenn sie schon mal gut ist. Denn normalerweise bin ich morgens nicht wirklich gut gelaunt. Ich lasse die Türe ins Schloss fallen und mache mich auf den Weg zur Bushaltestelle. Der Weg von unserem Haus zur Bushaltestelle ist ziemlich ruhig. Ab und zu fährt ein Auto vorbei. Ich hatte nie Angst und habe diese auch immer noch nicht. Was soll hier schon groß passieren? Ich laufe gemütlich und nichts denkend zur Bushaltestelle. Plötzlich merke ich, wie ich von hinten gepackt werde und mitgezogen werde. Ich versuche zu schreien, doch es geht nicht, denn er, falls er überhaupt ein Mann ist, hält mir den Mund zu. Ich strample mit den Füßen, doch es hilft nichts. Er ist einfach viel stärker als ich. Wer ist das? Was will er bzw. sie von mir? Warum ausgerechnet ich? Das sind die letzten Gedanken bevor mir es schwarz vor Augen wird.

Der Tag, der mein Leben veränderteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt