Der Tag, der mein Leben veränderte

Kapitel 41

Amelies Mutter

Zwei Tage später ist Amelie immer noch nicht aufgetaucht. Die letzten zwei Tage und Nächte waren einfach nur der Horror. Ich konnte kaum schlafen. Zwar bin manchmal in der Nacht eingeschlafen, bin aber spätestens wieder nach einer Stunde aufgewacht.

Mein Ex-Mann und ich wollen heute wieder zur Polizei gehen. Es sind schon mehr als 24 Stunden vergangen als wir das erste Mal dort waren. Also müssten sie heute eigentlich etwas unternehmen. Hoffentlich nehmen sie uns heute wenigstens etwas mehr Ernst, denn letztes Mal hat man davon ja nicht viel gemerkt. Ich schaue auf die Uhr, es ist 12 Uhr. Mein Ex-Mann müsste jeden Moment kommen. Als er nach 20 Minuten immer noch nicht da ist, rufe ich ihm an. Ich frage ihn wo er bleibt und beschwere mich, dass er eigentlich schon vor 20 Minuten da sein wollte. Er entschuldigt sich und er sagt, dass er in 5 Minuten da sein würde. Ich bin schon fertig als er an der Türe klingelt. Ohne ihn rein zu bitten, nehme ich mir schnell meine Tasche und schließe die Tür hinter mir. Wir machen uns auf dem Weg.

Den ganzen Weg reden wir kaum. Es ist eine sehr angespannte Stimmung.

Bei der Polizei werden wir wieder in einen Raum geführt um auf einen Beamten zu warten. War das nicht das gleiche Büro wie das letzte Mal? Hoffentlich ist es nicht auch der gleiche Polizist…

Plötzlich wird die Türe geöffnet und ein Polizist kommt herein. Oh nein, er ist der gleiche. Er hat uns das letzte Mal überhaupt nicht verstanden und ernst genommen.  Er setzt sich uns gegenüber auf den Stuhl.

„Hallo, ist ihre Tochter wieder aufgetaucht?“ Sonst wären wir ja wohl kaum hier oder? Immerhin erinnert er sich an uns.

„Nein, wir machen uns sehr große Sorgen.“, beginnt mein Ex-Mann.

„Haben Sie seither ein Lebenszeichen von Ihrer Tochter erhalten?“ Haha, was für eine Frage.

„Nein. Es haben sich auch keine Freunde bei uns gemeldet und gesagt, dass sie bei ihnen wäre.“, sage ich.

Voller Erwartung sehe ich den Polizisten an.

„Haben Sie Irgendeine Idee wo ihre Tochter sein könnte?“ Ich überlege nochmals genau obwohl ich die letzten 36 Stunden nichts anders gemacht habe. Doch mir fällt keinen Ort mehr ein wo wir nicht schon gefragt haben. Ich schüttle den Kopf.

„Wie lange ist denn schon Ihre Tochter verschwunden?“

„Heute ist schon der dritte Tag.“ Verstehend nickt er. Versteht er uns wirklich oder denkt er, dass er uns verstehen kann?

„Haben Sie irgendein Bild? Oder irgendwelche Anhaltspunkte die unsere Suche eingrenzen würde?“ Sofort mache ich mir Hoffnungen. Ich reiche ihm ein Bild von Amelie. Das Bild wurde letzten Sommer in unserem Urlaub aufgenommen. Im Hintergrund sieht man das Meer. Sie hat ihre braunen Haare offen und trägt ein helles, Lila top. Amelie strahlt fröhlich in die Kamera. Wie schön und unbeschwert der Urlaub doch war. Das war unser letzter Urlaub als Familie. Wenn man die Zeit einfach zurückspülen könnte. Doch das geht leider nicht.

„Sie suchen jetzt nach unserer Tochter?“ Der Polizist nickt mit dem Kopf.

„Ja, denn jetzt ist sie schon über 24 Stunden verschwunden. Erstrecht weil niemand weiß oder eine Idee hat wo sie ist.“ Na endlich. Wird auch Zeit.

„Hat sie irgendwelche Feinde? Gibt es jemanden der sie verletzten könnte?“ Ich weiß nicht mal ob sie Feinde hat. Oder wie sie in letzter Zeit mit ihren Klassenkameraden auskam. Ging es ihr gut oder schlecht? Ich weiß zwar, dass sie wegen John traurig war, aber das war es auch schon. Sehr schade und erschreckend, dass man so wenig mitbekommt wie es der Tochter wirklich geht oder was in ihrem Leben alles so passiert. Klar, im Großen und Ganzen weiß ich das, aber eben nicht genau und jedes Detail. Ich habe ja auch viele Geheimnisse vor meinen Eltern gehabt. Wer hat das nicht? Ich wüsste niemand. Ich werde von der Stimme meines Ex-Mannes aus meinen Gedanken gerissen. Ich sehe ihn fragend an.

„Ob du weißt ob Amelie Feinde hatte.“, sagt er.

„Mir fällt niemand ein.“

„Haben Sie irgendeine Idee wo Ihre Tochter sein könnte?“, fragt der Polizist. Auch wenn ich Stunden darüber nachdenken würde, würde mir niemand einfallen. Das sage ich auch. Nach ein paar weitern Fragen dürfen wir gehen. Sie melden sich wenn sie etwas oder Amelie gefunden haben. Wir sollen uns melden wenn uns noch etwas Wichtiges einfallen würde.

Mein Ex-Mann bietet mir an, dass er noch mit mir nach Hause gehen würde und dort noch etwas zu bleiben. Ich nehme dankend an und dann machen wir uns zu unserem früheren gemeinsamen zuhause. Ich könnte jetzt nicht alleine sein. Zuhause angekommen mache ich für uns einen Kaffee. Wir reden ein bisschen über alles Mögliche, beide froh darüber, dass man nicht nur mit den eigenen Gedanken wäre.

„Meinst du, sie finden Amelie?“, frage ich ihn. Ich wüsste nicht ob ich es aushalten würde, wenn….

Den Gedanken denke ich gar nicht weiter, kann es nicht, sonst würde ich jetzt schon zerbrechen. Amelie würde das nicht wollen. Sie meint, dass ich stark bin, doch das bin ich nicht. Schließlich bin ich auch nur ein Mensch. Starke Menschen können irgendwann auch nicht mehr.

„Ja, natürlich. Wieso auch nicht? Ich wüsste nicht ob…..“ Er kann nicht weitersprechen weil ich ihn unterbreche.

„Denke nicht daran. Sonst machst du dich doch nur noch mehr fertig.“

„Hast du den Gedanken nicht auch?“

„Doch natürlich, aber wenn ich jetzt schon darüber nachdenke, mache ich mich selber nur noch mehr fertig. Wir sollten uns jetzt auf die Suche nach Amelie machen.“

„Du hast Recht.“ Er nickt mit dem Kopf.

Wo ist Amelie? Sie ist noch am Leben. Das spüre ich. Sie kann nicht tot sein. Nein. Nein. Das würde ich niemals aushalten. Ich fange an zu weinen. Ich merke gar nicht wie mein Ex-Mann mich in den Arm nimmt und mir beruhigend über den Rücken streicht. Jetzt schluchze ich richtig. Ich kann nicht sagen wie lange wir so da sitzen und nichts sagen. Plötzlich klingelt das Telefon. Ich wende mich aus der Umarmung und wische meine Tränen vom Gesicht. Ich stehe auf und laufe zum Telefon. Langsam nehme ich den Hörer in die Hand und nehme ab.

„Hallo?“, frage ich den Anrufer.

„Hallo. Hier ist John.“